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Multi-Aufsichtsrätin Simone Menne: „In Krisen hat der CFO viel Macht“

Wie können Unternehmen in der Coronakrise ihr Geld zusammenhalten? Die ehemalige Finanzvorständin der Lufthansa klärt diese Frage – und sie zeigt auf, wo jetzt neue Chancen liegen.

Simone Menne sitzt im Aufsichtsrat von BMW, der Deutschen Post und des US-Mischkonzerns Johnson Controls International und hat jahrelange Erfahrung als Managerin bei Deutschlands größter Fluggesellschaft Lufthansa.

Obwohl sie sich mit der einen oder anderen Krisensituation auskennt, ist auch für sie die aktuelle Lage mit dem sich immer stärker ausbreitenden Coronavirus nicht normal. Eine solche Situation hätte man nicht vorhersehen können, sagt Menne im Interview mit dem Handelsblatt.

Probleme für die Unternehmen sieht Menne nicht nur in der ausfallenden Produktion, sondern auch in der unsicheren Lage: Keiner wisse, „welcher Markt als nächstes zusammenbricht, wie stark und für wie lange.“ Dazu kommt: „Kein Unternehmen kann eine opulente Dividende ausschütten und gleichzeitig nach Staatshilfen rufen.“

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Um die Aufgabe zu bewältigen, beispielsweise beim Thema Impfstoff, denkt die Aufsichtsrätin global. „Wir werden ein Problem wie Migration, Klima und auch die Ausbreitung des Coronavirus nicht lösen, wenn wir nicht unser aller Kräfte bündeln„, so Menne.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Frau Menne, Sie haben 27 Jahre für die Lufthansa gearbeitet, zuletzt als Finanzvorständin. Sie haben die Terroranschläge am 11. September, die Sars-Epidemie und die Finanzkrise miterlebt. Hätten Sie gedacht, dass es immer noch schlimmer kommen kann?
Damit hat keiner gerechnet. Wir haben bei der Lufthansa immer Pandemien beobachtet, das steht auf der Risk-Map jedes seriös planenden Unternehmens. Aber das, was sich jetzt in der Coronakrise abzeichnet, in dieser massiven Dimension, das kann man nicht vorhersehen.

Schlimmer als 9/11?
Nach den Terroranschlägen in den USA waren es drei Monate, in denen so gut wie nichts mehr ging. Jetzt sieht es so aus, als ob es viel länger dauern könnte, bis sich die Wirtschaft wieder erholt.

Wie lange?
Kein Unternehmen rechnet mit zwölf Monaten Ausfall. Das Problem ist, dass derzeit keiner weiß, welcher Markt als nächstes zusammenbricht, wie stark und für wie lange. Wenn man sich relativ sicher sein kann, dass es jeden Kontinent hintereinander zwei bis drei Monate trifft und es dann wieder gut ist, kann man planen. In dieser komplexen Situation nicht.

Was heißt das für die Liquiditätsplanung der Unternehmen?
Jedes Unternehmen macht eine Worst-Case-Betrachtung. Das heißt, man kalkuliert je nach Branche eine bestimmte Anzahl von Monaten ohne einen Cent Umsatz und ohne neue Kredite. Gerade bei Airlines muss gewissenhaft geplant werden, weil Fluggesellschaften besonders anfällig für Einflüsse von außen sind, wie Terroranschläge, Kriege oder eben Krankheiten. In anderen Branchen wie zum Beispiel der Autoindustrie, wo es das oberste Ziel ist, die Produktion aufrechtzuerhalten, kann auch das Reißen der Lieferkette zum Problem werden, wenn Ersatzteile fehlen oder Mitarbeiter.

Stichwort Lieferkette, gibt es so etwas wie Stresstests für Lieferanten in Krisenzeiten? Dass man abschätzt, wer wie lange durchhält?
Fukushima war so ein Fall, von dem viele gelernt haben. Damals fehlten wochenlang bestimmte Schrauben aus Japan. Das hat gezeigt: Man darf nie von einem Lieferanten abhängig sein. Generell muss man in einer solchen Krise wie jetzt mindestens wöchentlich mit allen Lieferanten reden, wenn nicht öfter.

Es braucht einen Produktionspuffer – also die Gewissheit, dass genügend Teile unterwegs sind, oder verbindliche Zusagen der Lieferanten – sodass, egal, was passiert, die Produktion noch eine bestimmte Zeit weiterlaufen kann. Was dann zusätzlich zu Liquiditätsengpässen führen kann, ist, wenn Kunden insolvent werden. Zum Beispiel bei der Autoindustrie die Zulieferer oder die Händler.

Wenn die Produktion weiterläuft, es aber keine Kunden gibt, die die Autos kaufen, kann das allerdings auch schnell zum Problem werden, oder?
Ja, derzeit sind die Konsumenten verängstigt. Sie horten zwar Toilettenpapier und Nudeln, kaufen aber keine Autos. Wenn die Stimmungslage anhält, greifen auch die jetzt beschlossenen Hilfsprogramme der Bundesregierung mit den unbegrenzten Liquiditätshilfen zu kurz. Dann braucht es nachlaufend auch noch ein echtes Konjunkturprogramm, um den Absatz anzukurbeln. Wir brauchen vor allem unbürokratische und schnellwirkende Maßnahmen. Sonst ist die Liquidität schneller weg, als wir gucken können.

Was können die Unternehmen selbst tun, um die Liquidität zu sichern?
Erstens: Mit allen Lieferanten reden und Zahlungsziele nachverhandeln – zum Beispiel um drei Monate. Zweitens: Kosten runter, das heißt alle Ausgaben stoppen, die nicht für die Produktion benötigt werden. Drittens: Einstellungsstopp verhängen. Und viertens: Die Produktion selbst auf absolute Effizienz trimmen. Dann muss man auch vorübergehend Werke schließen ...

... oder wie bei der Lufthansa ein Großteil der Flotte am Boden lassen. Was ist mit der Dividende? Bei der Lufthansa soll sie gestrichen werden.
Das ist ein Thema, das unbedingt angesprochen werden muss. Viele Dividenden-Entscheidungen wurden bereits getroffen. Deswegen sollte kurz vor der Hauptversammlung eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung einberufen und diskutiert werden, ob sich das Unternehmen die beschlossene Dividende für 2019 überhaupt noch leisten kann. Da müssen sich dann alle Beteiligten einmal ganz tief in die Augen schauen und ihre Entscheidung überprüfen.

Aber die Dividende wird ja für ein womöglich sehr gutes Jahr 2019 rückwirkend bezahlt. Darf dieser Zusammenhang infrage gestellt werden?
Der muss sogar infrage gestellt werden, wenn die Zahlung der Dividende das Unternehmen in einen Liquiditätsengpass oder sogar in eine Insolvenz führen würde. Zu dem Zeitpunkt, als der Dividendenbeschluss gefallen ist, war die dramatische Entwicklung ja noch nicht absehbar. Also kann man die Entscheidung auch wieder korrigieren.

Was die Aktionäre nicht eben freuen dürfte?
Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Der Dax hat ja bereits 40 Prozent gegenüber dem Höchststand verloren. Außerdem sollte man nicht vergessen: Kein Unternehmen kann eine opulente Dividende ausschütten und gleichzeitig nach Staatshilfen rufen. Das passt nicht zusammen. Das kann man niemandem erklären.

Ist eine Krise wie durch die Coronavirus-Pandemie, so schwer sie auch sein mag, vielleicht auch eine Gelegenheit für Unternehmen, veraltete und teure Strukturen aufzubrechen?
Ganz bestimmt. Mein Vorgänger auf dem CFO-Posten bei Lufthansa hat mal gesagt: „Ein Finanzvorstand hat es immer gut. Entweder er kriegt einen Bonus oder er hat Macht.“ In Krisenzeiten hat ein Finanzvorstand viel Macht – und jede Krise, egal, wie dramatisch sie ist, selbst wenn es um das Leben von Menschen geht, ist immer auch eine Chance.

Sich von langwierigen Prozessen zu verabschieden, mal wieder zu lernen, pragmatisch, kreativ und schnell zu entscheiden – das sind alles Chancen. Dadurch beweist sich ein Unternehmen in der Krise. Wir kommen aus einer sehr langen Wachstumsphase.

In der es sich viele Unternehmen sehr bequem gemacht haben?
Ja. Ich bin 2010 als CFO zur defizitären Lufthansa-Tochter British Midland gewechselt. Da hatten wir wirklich ein konstantes Liquiditätsproblem. Ich habe jeden Morgen geschaut, wie viel Geld wir noch haben und wann wir die Gehälter zahlen müssen. So eine Situation wünscht sich keiner, aber es tut mal ganz gut, wenn das ganze Unternehmen merkt, dass das Geld nicht auf Bäumen wächst; und wenn jeder sich genau überlegen muss, wofür es ausgegeben wird, weil überall ein Fragezeichen dahinter gesetzt wird.

Müssen wir das Thema Globalisierung neu denken, also eventuell wieder stärker dazu übergehen, wichtige Produkte und Komponenten im eigenen Land oder zumindest in Europa zu fertigen?
Auf keinen Fall, ich halte nichts von diesen Diskussionen. Ein Unternehmen sollte natürlich darauf achten, dass sich die Produktion nicht auf ein Land konzentriert, schon allein, um nicht erpressbar zu sein. Aber wenn wir das zu Ende denken, wenn wir in Deutschland oder Europa wieder alles selbst produzieren würden, dann sind wir bei der Kleinstaaterei. Eine solche Denke würde die Welt zurückdrehen. Das macht keinen Sinn und ist nicht zeitgemäß.

Also ein Plädoyer für mehr Globalisierung?
Wir müssen lernen, dass es bestimmte Themen gibt, die wir nur global anpacken können. Wir werden ein Problem wie Migration, Klima und auch die Ausbreitung des Coronavirus nicht lösen, wenn wir nicht unser aller Kräfte bündeln.

Impfstoffe sind das beste Beispiel: Da hilft die Globalisierung. Wir konnten zum Beispiel in Deutschland schon früh anhand der DNA von in China erkrankten Menschen nach einem Impfstoff suchen, lange bevor das Virus bei uns angekommen ist. Wir brauchen die besten Ärzte und Wissenschaftler weltweit, um schnellstmöglich etwas zu finden, was diese neue Krankheit bekämpfen kann.

Erzählen Sie das mal US-Präsident Donald Trump ...
Jetzt zu sagen, ich ziehe die Mauer hoch, dann kommt das Virus schon nicht rein, das ist völlig hanebüchen – das ist eine irrationale Reaktion, die sehr emotional ist. Leider verfängt so etwas oft bei der Bevölkerung, weil es den Anschein erweckt, dass da jemand ist, der einen beschützt und die Sache in die Hand nimmt. Die Menschen sollen dadurch beruhigt werden, aber dies sollte durch andere Maßnahmen geschehen. Das zeigt sich ja bereits jetzt in den USA.

Sie sitzen neben BMW und der Deutschen Post auch beim US-Mischkonzern Johnson Controls International im Aufsichtsrat. Wie läuft da das Krisenmanagement?
Die Amerikaner haben schon sehr früh ein internationales Reiseverbot erlassen. Da waren sie schneller. Bei der letzten Aufsichtsratssitzung saßen wir Europäer in Zürich, die Amerikaner in New Jersey und die Anwälte in Dublin. Das ging auch technisch alles problemlos. Johnson Controls International hat Werke in China und ist auch von Lieferengpässen betroffen. Das wird natürlich genau beobachtet. Was das angeht, sind US-Unternehmen aber nicht besser oder schlechter aufgestellt als die deutschen.

Die Aktienmärkte haben in den letzten Tagen Kursstürze historischen Ausmaßes erlebt. Sie sitzen in der Börsensachverständigenkommission, einem Expertengremium, das die Bundesregierung und das Finanzministerium in Fragen der Kapitalmarktpolitik berät. Hat Finanzminister Olaf Scholz schon bei Ihnen angerufen?
Ich habe noch keine Einladung zu einer Ad-hoc-Sitzung bekommen. Das Coronavirus beziehungsweise die fiskalischen und finanzpolitischen Maßnahmen dazu werden aber meiner Einschätzung nach auf der nächsten Sitzung sicher ein großes Thema sein.

Und, wie sieht es mit Ihrer Geldanlage aus – kaufen?
Ja, man muss jetzt kaufen. Kaufen, kaufen, kaufen! Der Markt war aus meiner Sicht überbewertet. Der Hype war schon nicht mehr zu erklären, als wir den Höhepunkt erreicht hatten. Da gab es schon ganze viele Anzeichen, dass es dieses Jahr nicht so toll wird – und das war noch vor dem Ausbruch des Coronavirus.

Dass jetzt die Kurse derart in den Keller gehen, ist einer abstrusen Nervosität aufgrund hoher Unsicherheit geschuldet. Sie werden auch wieder steigen. Zum Glück brauche ich in den nächsten Monaten nicht ganz so viel Geld. Ich glaube an den Aktienmarkt, unsere Unternehmen sind solide aufgestellt, substanziell gesund und werden die Coronakrise gut überstehen.

Frau Menne, vielen Dank für das Interview.