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„Silicon Valley lebt teilweise noch im Neandertal“ – Wie Arianna Huffington Arbeit gesünder machen will

Lower Manhattan ächzt in der Hitze. In dem Fabrik-Loft im sechsten Stock surrt die Klimaanlage. Hinter Sträußen violett-oranger Rosen steht eine Art Puppenbett. Die Decke ist zurückgeschlagen, das weiße Kissen eingedrückt. Ihr Smartphone auf die kleine Matratze zu legen zählt zu den Ritualen von Arianna Huffington.

Es hilft ihr dabei, abzuschalten und sich zu konzentrieren. „Wir lieben unsere Technologie, besonders unsere Telefone, Tablet-Rechner und Computer. Sie befähigen uns zu großartigen Dingen.“ Die 67-Jährige streicht mit dem Finger die geföhnte Mähne hinters Ohr. Doch gleichzeitig habe die ständige Erreichbarkeit des modernen Lebens zu einer „Epidemie von Stress und Burn-out geführt“.

Mit ihrer Firma Thrive Global will Huffington Manager und Unternehmen eine gesündere Beziehung zur Technologie lehren. „Silicon Valley lebt teilweise noch im Neandertal“, sagt sie. „Einige Unternehmer glauben immer noch, dass sie rund um die Uhr erreichbar sein müssen, um erfolgreich zu sein.“

Es gehe allerdings nicht darum, weniger zu arbeiten, sondern smart zu arbeiten – vor allem ohne ständig auf das Handy zu schauen, aus Angst, etwas zu verpassen. „Wir müssen mit der Illusion aufräumen, dass Burn-out der Preis ist, den wir für Erfolg zahlen.“ Mit ihrer Idee trifft Huffington einen Zeitgeist. Die Sehnsucht nach digitaler Enthaltsamkeit wächst. Psychologen warnen eindringlich vor übermäßiger Handynutzung.

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In einer Google-Umfrage wünschten sich 70 Prozent der Nutzer Hilfe beim Umgang mit digitaler Technologie. „Wir erleben die unbeabsichtigten Konsequenzen des technologischen Fortschritts“, umreißt Huffington das Problem und beißt mit gespitzten Lippen in das Apfelstück, das ihr eine Assistentin reicht.

Seine Zeit sinnvoll nutzen

„Wenn wir in den Kaninchenbau der sozialen Medien kriechen, wo sich alles darum dreht, wie viele Likes unsere Fotos erzielen, verpassen wir den Sinn des Lebens.“ Und so wetteifern die Konzerne im Silicon Valley inzwischen darum, wer sich am besten um das Wohlergehen der Menschheit kümmert. Googles neues Betriebssystem Android P zeigt dem Nutzer, wie viel Zeit er online verbringt.

In iOS 12 können Apple-Fans ihre Surfzeit limitieren. Facebook-Chef Mark Zuckerberg denkt über „sinnvoll genutzte Zeit“ im Netzwerk nach. Silicon Valley sei endlich „aufgewacht“, schlussfolgert Huffington.
In der Technologiebranche hat ihr Wort Gewicht. Das „Time Magazine“ setzte die langjährige Chefin der Internetzeitung Huffington Post auf die Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

2005 gründete sie gemeinsam mit anderen Journalisten und Investoren das Portal, das AOL 2011 für 315 Millionen Dollar übernahm. Huffingtons Anteil lag bei 21 Millionen Dollar. Nebenher schrieb die gebürtige Griechin 15 Bücher, zuletzt „Thrive“ und „The Sleep Revolution“ über besseren Schlaf.

Als erste Frau im Aufsichtsrat des Fahrservice Uber steuerte sie den Umbau des von Skandalen, Ausrastern und Sexismusvorwürfen erschütterten Start-ups. „Was bei Uber passiert ist, hat der ganzen Welt den Effekt der Burn-out-Kultur gezeigt.“ Huffington legt die Stirn in Falten. „Die Idee, so lange zu arbeiten, bis man umfällt, ist nicht nachhaltig. Wer ausgebrannt ist, neigt eher zu unangemessenem Verhalten, ob es nun sexuelle Belästigung ist oder andere professionelle Fehltritte.“

Es war Huffington, die Uber-Gründer Travis Kalanick zum Rücktritt überredete und mit einer Investorengruppe den Nachfolger erkor. Dara Khosrowshahi, der Neue, erfuhr durch Huffingtons Anruf von seinem Job. Huffingtons Image hat der Aufsichtsratsposten bei Uber bislang nicht geschadet.

Sie nutzt ihn dazu, um sich mal wieder neu zu erfinden und für die Rolle zu qualifizieren, die sie künftig übernehmen will: die der Unternehmensberaterin. Thrive Global, eine Mischung aus Medienunternehmen und Wellness-Agentur, setzt die Strategie der HuffPost fort, die die Gründerin vor zwei Jahren verließ. Die damalige Chefredakteurin gewann schnell große Reichweite, auch dank der Berühmtheiten, die für sie bloggten.

Thrive Global veröffentlicht nun ebenfalls Ratgebertexte und Lebenshilfetipps prominenter Autoren. „Acht Stunden Schlafen machen einen großen Unterschied für mich“, rät etwa Amazon-Gründer Jeff Bezos in einem Beitrag darüber, wie wichtig seine Ruhezeiten für die Aktionäre sind. Schauspielerin Selena Gomez doziert über 90 Tage Handyentzug.

Investor Marc Cuban, Besitzer der Dallas Mavericks und Star der TV-Serie „Shark Tank“, erzählt in Thrives Podcast, wie er den Internetkonsum seiner Kinder steuert: Für jede Stunde Lesen darf der Nachwuchs zwei Stunden Netflix schauen. Thrive räumt den Promis Platz für ein bisschen Eigen-PR ein und erhält im Gegenzug kostenlose Inhalte.

Huffington erklärt das so: „Wir wollen das gesunde Leben interessanter machen, mehr tun, als nur zu sagen: Iss deinen Brokkoli.“ Bei den Investoren kommt ihre Idee bislang gut an. Nach seiner jüngsten Finanzierungsrunde Mitte Mai erreicht Thrive Global eine Bewertung von 121,5 Millionen Dollar. Zu den Finanziers zählen Marc Benioff, Chef von Salesforce, und Jeffrey Katzenberg, der Mitgründer und Chef von Dreamworks.

Die Zukunftspläne von Thrive Global

Knapp 70 Angestellte beschäftigt Huffington im luftigen Büro in Lower Manhattan – ein Standort in San Francisco, der Programmiertalente anlocken soll, eröffnet gerade. Bis Ende des Jahres sollen 50 neue Mitarbeiter hinzukommen. Zu Umsatz, Gewinnen und Kosten pro Workshop will das im November 2016 gegründete Start-up noch keine Angaben machen.

Nur so viel: Das Gros der Einnahmen stammt bislang aus der Unternehmensberatung, sagt Thrives Finanzchef Brent Chudoba, ein ehemaliger Manager des kalifornischen Umfragedienstleiters SurveyMonkey. „Aber die Umsätze aus dem Mediengeschäft werden weiter wachsen und in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen.“ Die Kunden von Thrive können sich sehen lassen.

Huffingtons Team coachte bislang die Managements von Nestlé, Accenture, Alibaba, Snap, SAP, Hilton und JP Morgan. „Thrive Global bietet mehr als Wohlfühl-Plattitüden“, sagt Jennifer Nason, bei JP Morgan für Technologie, Medien und Telekommunikation zuständig. Das Finanzhaus ließ seine Investmentbanker von Thrive beraten. „Wir können den Job nicht ändern, aber wir können verändern, wie wir mit ihm umgehen“, sagt Nason.

„Wenn die Arbeit überhand nimmt, vergessen wir, Pause zu machen, zu schlafen oder Sport zu treiben.“ Die Banker hätten durch die Workshops mit Thrive gelernt, besser mit dem Stress und digitaler Dauerberieselung umzugehen. Ein Beispiel für die digitalen Werkzeuge, die Huffington entwickeln lässt, ist die Thrive App.

Sie entstand in Zusammenarbeit mit Sponsor Samsung und schaltet das Smartphone zu Zeiten automatisch auf stumm, in denen der Nutzer nicht erreichbar sein will. Textnachrichten beantwortet sie automatisch mit einer Abwesenheitsnotiz.

Die Hilton-Gruppe verdonnerte laut Hilton-Personalerin Laura Fuentes ihre Führungskräfte nach der Thrive-Schulung dazu, die Zahl der E-Mails drastisch zu reduzieren, die sie am Wochenende an ihre Untergebenen schicken. „In der digitalen Welt gebe es kein wirkliches Ende des Tages mehr“, sagt Huffington.

Die Menschen müssten lernen, selbst Grenzen zu setzen. „Warum denken so viele Leute, sie müssen ihr Postfach abarbeiten, bevor sie schlafen gehen?“ Huffington reißt die Augen auf und schüttelt den Kopf. „Das Postfach ist die Agenda anderer Leute. Niemand sollte sich vor dem Schlafengehen mit der Agenda anderer Leute beschäftigen.“ Künftig will Thrive noch stärker auf neue Technologien zur Lebenshilfe setzen.

Alexa soll einen Thrive-Skill bekommen, Siri Anweisungen für ein besseres Leben geben. Über Homepod oder Echo will Thrive Schlafmeditation abspielen, mit Smartwatches den Kunden den Puls fühlen. Hierzu liefen bereits Gespräche mit allen großen Valley-Firmen, sagt Thrive-Managerin Laurie Weisberg. „Es ist paradox, aber wir brauchen immer mehr Technologie, um die Technologie zu beherrschen“, sagt Huffington.

Gerade im Hinblick auf den technologischen Fortschritt, in dem künftig Maschinen immer mehr einfache und stupide Arbeiten übernehmen, hält sie es für wichtig, dass sich die Menschen auf ihre eigenen Stärken zurückbesinnen. „Künstliche Intelligenz wird immer menschlicher, vielleicht sogar intelligenter als Menschen. Das ist in Ordnung, wenn wir als Menschen uns ebenfalls weiterentwickeln und noch menschlicher, einfühlsamer, liebevoller, kreativer und weiser werden.“