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„Ein großer Verlust“: Siemens vor Exodus der Frauen aus der Unternehmensspitze

Siemens-Personalchefin Janina Kugel steht vor dem Abschied, auch die Zukunft von Energie-Vorständin Lisa Davis ist offen. Das Quotenziel des Aufsichtsrats ist in Gefahr.

Die Siemens-Personalchefin hat noch einen Vertrag bis Anfang 2020. Foto: dpa
Die Siemens-Personalchefin hat noch einen Vertrag bis Anfang 2020. Foto: dpa

Vielfalt ist eines der großen Themen von Siemens-Personalchefin Janina Kugel. „Diversity machen wir nicht aus Mode. Wir machen das nicht, weil es schick ist“, sagte die 49-Jährige einmal bei einem Auftritt bei der Initiative Chefsache. Alle Untersuchungen zeigten, dass Unternehmen und Organisationen, „die wirklich die Vielfalt abbilden, erfolgreicher und besser sind“.

Kugel aber, die das Thema Diversity bei Siemens vorantrieb wie keiner ihrer Vorgänger, wird den Konzern verlassen. Ihr Vertrag, der noch bis Ende Januar läuft, wird nicht verlängert. Da der Siemens-Vorstand mit acht Mitgliedern für das neue Holdingmodell zu groß ist, gilt es in Aufsichtsratskreisen als gut möglich, dass einer ihrer männlichen Kollegen das Personalressort mit übernehmen könnte.

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In Sachen Diversität kommt erschwerend hinzu: Auch die Zukunft von Energie-Vorständin Lisa Davis ist ungewiss. Ihre Berufung läuft noch gut ein Jahr mit einer Option auf Verlängerung um ein weiteres Jahr. In Unternehmenskreisen wird nicht damit gerechnet, dass sie den Energiekonzern führen wird, der 2020 abgespalten wird.

Damit zeichnet sich auch ihr Abschied ab. Vor wenigen Wochen hatte auch Stabschefin Mariel von Schumann den Konzern verlassen, die als mächtigste Managerin bei Siemens unterhalb des Vorstands galt.

Für den Aufsichtsrat, der am Mittwoch tagt, entsteht damit Handlungsbedarf. Denn vor zwei Jahren legte er für den Vorstand einen Frauenanteil von zwei von acht, also von 25 Prozent, als Zielgröße für das Jahr 2022 fest. Im Moment wird die Quote mit Kugel und Davis erreicht. Im Umfeld des Aufsichtsrats hieß es, das Gremium müsse sich in den nächsten Monaten mit vielen Personalfragen beschäftigen. „Diversity ist ein Aspekt dabei.“

Bei Siemens ist Kugels Abgang auf den Fluren großes Thema. Wegen ihrer zahlreichen öffentlichen Podiumsauftritte hat Kugel im Haus nicht nur Anhänger. Manche werfen ihr auch vor, sie habe in jüngster Zeit eine gewisse Distanz zum Unternehmen und zu Vorstandschef Joe Kaeser durchscheinen lassen.

Doch im Personalbereich gab es viel Bedauern. „Die Betroffenheit ist groß“, sagt ein Siemensianer. „Für viele hat sie das andere Siemens verkörpert, das wir gern hätten.“ Dank Kugel habe der Technologiekonzern ein cooleres und moderneres Image bekommen.

Auch über Siemens hinaus gilt Kugel in der deutschen Wirtschaft als Aushängeschild. „Es gibt für mich niemanden, der so für Diversity steht wie Janina Kugel“, twitterte zum Beispiel Kommunikatorin Magdalena Rogl von Microsoft, die die Siemens-Managerin am Samstag auf dem Christopher Street Day traf.

Hanna Drabon, die bei der Digitalagentur Comspace das Talentenetzwerk Talee gegründet hat, sagte dem Handelsblatt: „Janina Kugel hat mich auf vielen Veranstaltungen beeindruckt.“ Sie spreche nicht nur klar von moderner Personalpolitik, sondern sei gleichzeitig Beweis dafür, dass diese auch bei Siemens gelebt werde. „Mit ihrem Weggang verliert Siemens ein strahlendes Vorbild, das über das Unternehmen hinaus gewirkt hat.“

„Für Siemens ein großer Verlust“

Thomas Sattelberger, früherer Personalvorstand der Deutschen Telekom und heute für die FDP im Bundestag, schrieb auf Twitter, Kugel habe Siemens durch „ihre authentische und gewinnende Art mehr Talentmagnetismus weltweit verschafft als millionenschwere Employer-Branding-Kampagnen könnten“.

Nach Einschätzung von Michael Stuber, Gründer der Diversity-Strategieberatung „Ungleich besser“, wäre es „für Siemens ein großer Verlust, wenn der Vorstand die Bereicherung, die Frau Kugel fachlich und persönlich darstellt, nicht weiter nutzen könnte“.

Es sei aber eine bedauerliche Schieflage, dass bei der Trennung von Managerinnen „häufig nach anderen Gründen gesucht und das Geschlecht thematisiert wird“. Das Interesse am Thema Frauen in Führungspositionen komme immer in Wellen und meist als Aufregerthema – dabei müsse Diversität als strategisches Thema nachhaltig angegangen werden.

Bei Siemens bemühten sich nach dem Paukenschlag vom Wochenende alle um Ruhe. Offiziell oder auf den internen Kommunikationsplattformen äußerte sich niemand zu der Personalie Kugel. „Niemand hat ein Interesse an einer Schlamm-schlacht“, sagte ein Insider.

Kugel habe Verdienste erworben und suche tatsächlich nach einer neuen Herausforderung. Das Verhältnis zu Kaeser gilt zwar als angespannt, doch gab es aktuell keinen großen Krach. Allerdings gab es im Aufsichtsrat auch fachliche Kritik an Kugel.

Kaeser hatte Managerinnen wie Kugel und von Schumann gefördert und an die Schaltstellen der Macht gebracht. In der zweiten und dritten Reihe gibt es bei Siemens weiterhin viele Managerinnen. So ist zum Beispiel in den USA das Board weiblich, die Bahntechniksparte wird von der Französin Sabrina Soussan geführt.

Der Siemens-Vorstand hat sich zum Ziel gesetzt, dass bis 2022 mindestens 20 Prozent der beiden Führungsebenen unterm Vorstand von Frauen besetzt sind. Siemens hat nicht bekanntgegeben, wo der Konzern derzeit steht.

Manche Arbeitnehmervertreter wurden von der Personalie Kugel überrascht. Die Managerin galt bei IG Metall und Betriebsrat als harte, aber zumindest verlässliche Verhandlungspartnerin. Vor der Aufsichtsratssitzung am Mittwoch wollten sich Arbeitnehmervertreter nicht offiziell äußern. Klar ist, dass sie bei der Neubesetzung des Arbeitsdirektors ein entscheidendes Wörtchen mitzureden haben.

Das Personalressort hat bei Siemens mit seinen regelmäßigen Stellenstreichungen und mit den starken Arbeitnehmervertretungen seit jeher eine besondere Bedeutung. Die Österreicherin Brigitte Ederer musste nach einem verlorenen Machtkampf mit der IG Metall im Zuge des Wechsels von Vorstandschef Peter Löscher zu Joe Kaeser das Personalressort sogar abgeben.

Energiesparte aus den USA geführt

Auf der Aufsichtsratssitzung wird es nicht nur um Janina Kugel gehen. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Vertrag von Cedric Neike verlängert wird. Der Manager war im April 2017 von Cisco zu Siemens zurückgekehrt und gilt als Digitalexperte. Sein Vertrag läuft bis Ende Mai 2020. Er führt derzeit das „operative Unternehmen“ Intelligente Infrastrukturen, das neben den Digitalen Industrien das künftige Kerngeschäft in der neuen Struktur bildet.

Schwieriger ist die Entscheidung, wer den neuen Energiekonzern führen soll, der intern als „Powerhouse“ firmiert. Siemens will 40 Prozent seines Geschäfts abspalten und an die Börse bringen. Erste Kandidatin für den CEO-Posten wäre eigentlich Lisa Davis. Sie ist momentan neben Kugel die zweite Frau im achtköpfigen Siemens-Vorstand. Die Amerikanerin verantwortet das Kraftwerksgeschäft im Vorstand. Allerdings läuft ihr Vertrag nur bis Oktober 2020 mit einer Option für ein weiteres Jahr, wenn beide Seiten das wollen. Davis führt die Energiesparte aus Houston heraus.

In Aufsichtsratskreisen wird betont, Davis müsse zunächst selbst erklären, wie sie sich ihre Zukunft vorstellt. Für einen nur kurzen Zeitraum könne sie die Führung des Powerhouse nicht übernehmen. Doch selbst wenn Davis Interesse bekunden sollte, womit nur wenige rechnen, gilt es als höchst unwahrscheinlich, dass die 55-Jährige den Job bekommt.

Die Arbeitnehmer werden darauf drängen, dass das neue Unternehmen aus Deutschland heraus geführt wird. Zudem muss der Chef den Kapitalmärkten die Story gut erklären können. Davis, deren Führungsstil manche kritisieren, gilt da nicht als ideale Kandidatin.

Eher schon Vorstand Michael Sen, der die Branche als früherer Finanzvorstand von Eon aus Kundensicht kennt. Der ehrgeizige Manager dürfte sich aber auch Hoffnungen auf die Nachfolge Kaesers als Vorstandschef machen. Sollte er nicht das Powerhouse übernehmen, wäre er einer der Kandidaten für das Personalressort, wenn Kugel geht. Das Ziel, ein Viertel der Vorstandsposten mit Frauen zu besetzen, wäre dann erst einmal unerfüllt.

Experte Stuber warnt aber davor, das Thema Diversität an einzelnen Personen festzumachen. „Es geht nicht primär darum, Zahlen und Quoten zu verbessern, sondern Kulturen zu verändern.“ Theoretisch könne das Thema Diversity mit einer sauberen strategischen Analyse genauso gut von einem männlichen Vorstand glaubwürdig vertreten werden. „Von der Person Kugel darf die Zukunft von Diversity bei Siemens nicht abhängen.“