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Siebthöchste Sterberate weltweit: Zweifel an Schwedens Sonderweg wachsen

Geöffnete Cafés, Fitnessstudios und Schulen: Schweden hat seine eigene Corona-Strategie. Doch trotz geöffneter Geschäfte leidet die Wirtschaft immens.

In der schwedischen Hauptstadt ist wieder ein klarer Anstieg der Besuche in Restaurants und Cafés verzeichnet worden. Die Konsequenz: Die Zahl der Infizierten steigt. Foto: dpa
In der schwedischen Hauptstadt ist wieder ein klarer Anstieg der Besuche in Restaurants und Cafés verzeichnet worden. Die Konsequenz: Die Zahl der Infizierten steigt. Foto: dpa

Mangel an Masken, zu wenig Schutzbekleidung und überhaupt zu wenig Pflegepersonal, sodass seit einigen Tagen sogar Flugbegleiter der SAS in Schnellkursen zu Aushilfskrankenpflegern ausgebildet werden. Es fehlt an vielem in Schweden. Aber eines gibt es im Überfluss: das Vertrauen in die Behörden und die eigene Unfehlbarkeit.

Schwedens Sonderweg im Kampf gegen die Corona-Pandemie hat im Ausland für viele Schlagzeilen gesorgt. Das Land hat bis heute keine konsequenten Kontaktbeschränkungen erlassen, Restaurants sind offen, ebenso Fitnessstudios, Friseure, im Prinzip alle Geschäfte und Einkaufszentren. Die Vor- und Grundschulen bis zur neunten Klasse sind weiterhin geöffnet, nur für Gymnasien und Erwachsenenbildungsstätten gibt es seit Mitte März Fernunterricht.

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Ob die Strategie der freiwilligen Beschränkung erfolgreich sein wird, ist noch sehr unsicher. Denn bis Donnerstag hatte Schweden 16.004 Infizierte. 2021 Menschen sind an Covid-19 gestorben. Damit liegt die Sterberate in Schweden rund zehnmal höher als beim Nachbarn Finnland, fünfmal höher als in Norwegen und dreimal höher als in Deutschland.

Unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl hat Schweden jetzt die siebthöchste Sterberate weltweit. Verbreitete der Chef-Epidemiologe der Gesundheitsbehörde, Anders Tegnell, auf seinen täglichen Pressekonferenzen bislang Optimismus, so räumte er jetzt erstmals Fehler ein. „Wir haben die Entwicklung der Todeszahlen unterschätzt.“

Während die meisten europäischen Länder auf das Coronavirus mit restriktiven Maßnahmen wie Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen reagierten, appelliert Ministerpräsident Stefan Löfvén weiterhin an die Vernunft seiner Landsleute.

So ganz überzeugt ist er aber von dem „physical distancing“ auf freiwilliger Basis offenbar nicht, denn es gibt auch in Schweden Restriktionen. Mittlerweile dürfen sich nur noch 50 statt wie zuvor 500 Menschen versammeln, in Restaurants und Cafés muss ein Mindestabstand zwischen den Tischen eingehalten werden. Und bereits seit Ende März gilt ein absolutes Besuchsverbot in Alten- und Pflegeheimen.

„Bleibt zu Hause, fahrt nicht weg, vermeidet Kontakte“, lautet das Mantra von Regierungschef Löfvén. Unterstützt wird er dabei von Staatsepidemiologe Anders Tegnell. Er gibt den Weg vor, den die Regierung dann umsetzt. Ziel von Tegnell und seiner Behörde ist es, die Infektionskurve flach zu halten, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet wird.

Die schwedische Regierung unter Löfvén vertraut ihrem Epidemiologen nahezu blind. Wenn Tegnell sagt, dass Mund-Nasen-Masken nichts bringen, dann bringen sie eben nichts aus Sicht der schwedischen Regierung.

Tegnell hält auch nach wie vor strikte Kontaktbeschränkungen, Geschäfts- und Schulschließungen für derzeit nicht notwendig. „Wir müssen immer auch auf die Wirtschaft schauen“, sagt er, „wir dürfen sie nicht zugrunde fahren.“ Und auch sein Vorgänger Johan Giesecke verteidigte diese Woche den schwedischen Weg: „Der Unterschied zu Deutschland ist der, dass Deutschland gerade seine Wirtschaft zerstört.“

Auch die schwedische Wirtschaft leidet

Was er nicht sagt: Trotz geöffneter Geschäfte leidet die schwedische Wirtschaft bereits immens. Die Zahl der Insolvenzen ist rasant angestiegen, vor allem Modehändler und die Gastronomie ächzen unter der Coronakrise.

Denn obwohl viele Geschäfte weiterhin geöffnet sind, haben sich die Bewegungsmuster vieler Schweden nach all den Appellen verändert. Eine Auswertung von Handydaten hat ergeben, dass sich bis Mitte April deutlich weniger Menschen in den Innenstädten aufhielten. Geschäfte und Restaurants mussten also auf Kunden und Gäste verzichten.

Finanzministerin Magdalena Andersson rechnet für das laufende Jahr mit einem um vier Prozent niedrigeren Bruttoinlandsprodukt – wenn die Krise demnächst überwunden ist. Wenn nicht, könnte das Minus nach ihren Berechnungen sogar zehn Prozent betragen. In diesem Fall würde die Arbeitslosigkeit auf bis zu 13,5 Prozent hochschnellen.

Die Wirtschaft leidet also auch in Schweden ohne Lockdown enorm unter der Coronakrise. Das ist wenig verwunderlich, haben doch große Industriekonzerne wie Scania und Volvo erst in dieser Woche ganz langsam ihre Produktion wieder hochgefahren.

Der vom Ausland als lasch bezeichnete Weg wird auch in Schweden heftig diskutiert. Vor einer Woche kritisierten 22 namhafte Wissenschaftler die schwedische Strategie und forderten eine sofortige Umlegung des Kurses. Man habe zu wenig getestet, Alten- und Pflegeheime nicht genügend geschützt, und vor allem habe man die asymptomatische Infektion nicht ernst genug genommen.

Auch viele Schweden, die historisch bedingt ein hohes Vertrauen in die Obrigkeit haben und in aller Regel Appellen folgen, haben in den vergangenen Tagen ihr Verhalten verändert. Mit den ersten richtig warmen Frühlingstagen mit Temperaturen in Stockholm von bis zu 20 Grad wird den Empfehlungen wieder weniger Folge geleistet.

Vermied eine Mehrzahl der Schweden zuvor Restaurant- und Cafébesuche, ist zuletzt vor allem in Stockholm wieder ein klarer Anstieg der Besuche verzeichnet worden. Mit einer möglicherweise traurigen Konsequenz: „In Stockholm gehen die Zahlen der Infizierten wieder hoch“, erklärte am Donnerstag der stellvertretende Staatsepidemiologe Anders Wallensten und mahnte erneut zum Verzicht auf nicht notwendige Reisen, Restaurant- und Geschäftsbesuche.

Und Innenminister Mikael Damberg wurde am Freitag noch deutlicher. „Ich will keine vollen Restaurants und Terrassen sehen. Die Regeln müssen befolgt werden, sonst werden wir sie schließen“, drohte er.