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Nach dem Shutdown: Der Handel versinkt in überschüssiger Ware

Läger und Geschäfte sind noch voll, doch die nächste Welle der Saisonware rollt an. Händler fürchten eine Rabattschlacht, die Gewinne sind in Gefahr.

„Wir können unsere Ware so lange reduzieren, bis sie verkauft ist.“ Foto: dpa
„Wir können unsere Ware so lange reduzieren, bis sie verkauft ist.“ Foto: dpa

Der Sportartikelkonzern Adidas hat ein riesiges Problem: Nach einem enttäuschenden ersten Quartal sitzt er auf massenhaft unverkauften Textilien und Schuhen. Und das lässt sich sogar ziemlich exakt beziffern: Bis Ende März kletterten die Vorräte im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Drittel auf 4,3 Milliarden Euro.

Dabei ist in diese Rechnung im Großen und Ganzen erst der dreistellige Millionenbetrag eingeflossen, der bei dem Sportkonzern durch die Rücknahme von Waren von Händlern aus China aufgelaufen ist. Nun hat die Marke mit den drei Streifen begonnen, auch aus den Läden in Europa und Amerika nach den wochenlangen Schließungen in großem Stil Artikel wieder einzusammeln.

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Wie Adidas steht ein großer Teil des Einzelhandels vor einer bisher beispiellosen Herausforderung: Da weltweit gleichzeitig viele Geschäfte schließen mussten, liegt ein gigantischer Bestand an unverkaufter Ware in den Geschäften und Lägern – und trifft auf eine Kundschaft, die auch nach der Öffnung der Geschäfte noch nicht wieder richtig in Kauflaune ist.

„Wir sehen im Einzelhandel eine bisher einzigartige Krise“, beobachtet Matthias Tauber, Deutschlandchef der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). „Die Kunden verändern ihr Kaufverhalten in einer Geschwindigkeit, die der Handel bislang nicht kannte.“ Das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von BCG: Die Deutschen haben ihre Einkäufe in der Coronakrise dramatisch eingeschränkt – und wollen ihr Kaufverhalten auch nach dem Ende der Pandemie nicht so schnell wieder ändern.

Und es gibt ein zusätzliches Problem. Denn obwohl die Läger noch voll sind, rollt bereits neue Ware an. „Gerade im Modehandel mit monatlichen Neuheiten muss ständig Platz für neue Ware geschaffen werden“, sagt Thomas Täuber, Handelsexperte bei der Beratung Accenture. „Das verursacht nun natürlich massive Probleme.“

Ähnliches gilt für Schuhe, Geschenkartikel, Deko-Produkte. Auch in der Konsumelektronik stehen Modellwechsel an. Viele dieser Aufträge können nicht mehr storniert werden. „Die Händler sitzen nun auf Beständen, die aktuell kaum noch verkäuflich sind“, beobachtet Täuber.

Nun suchen sie verzweifelt nach Lösungen für das Problem. Als Erstes brauchen sie Fläche. „Wir erleben im Handel eine riesige Nachfrage nach zusätzlichen Lagerkapazitäten“, berichtet Kuno Neumeier, geschäftsführender Gesellschafter von Logivest, einem großen Vermittler von Logistikimmobilien. Die Händler erkaufen sich damit Zeit. Sie können die Frühjahrsware erst einmal einlagern und die Sommerkollektion im Geschäft präsentieren.

Beispiel C & A: Die Handelskette musste Millionen Kleidungsstücke, die aus Fernost bereits unterwegs sind und waren, annehmen, ins Warenwirtschaftssystem einbuchen und lagern. „Das war nur unter Hinzunahme von viel externer Lagerfläche möglich, die schnellstens bereitgestellt werden musste“, sagte Martijn van der Zee, Chief Merchandising und Sourcing Officer von C & A Europa, im Interview mit dem Fachmagazin „Textilwirtschaft“.

„Hauen und Stechen bei den Preisen“

Doch die großen Rabattschlachten kann der Handel damit höchstens hinauszögern, ganz vermeiden kann er sie wohl nicht. „Niemand wird verhindern, dass es in den ersten Monaten nach der Wiedereröffnung der Läden ein Hauen und Stechen bei den Preisen im Modehandel geben wird“, fürchtet Oliver Seidensticker, geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Hemden- und Blusenherstellers.

Darauf stellen sich auch viele Ladeninhaber ein. Für die meisten Händler heiße es jetzt: „Raus mit der Ware um jeden Preis“, warnt Helmut Hagner, Chef der Unternehmensgruppe Frey im bayerischen Cham. Alternativen zu kräftigen Preisnachlässen gebe es wenige, meint er. „Die Not ist bei vielen zu groß. Bei Herstellern wie Händlern.“ Die Frühjahrskollektion müsse weg, da die neue Saisonware von den Produzenten schon wieder ankomme. Die sei auf dem Höhepunkt der Krise nicht ausgeliefert worden, nun aber auf dem Weg.

Die mittelständische Münsteraner Schuhkette Zumnorde hat die komplett bezahlte Frühjahrs- und Sommerkollektion als gebundenes Kapital im Lager liegen. Trotzdem zögert Juniorchef Thomas Zumnorde noch mit starken Rabatten, auch wenn der Druck der Konkurrenz hoch ist. Teurere, zeitlose Schuhe will er fürs nächste Jahr einlagern. „Ein rahmengenähter Schuh verliert seinen Wert nicht so schnell“, betont er. Jetzt komme Zumnorde zugute, dass sie keine Billigware aus Fernost führen, sondern Schuhe aus kleinen Boutique-Fabriken in Italien.

„Manche Händler versuchen, ausgewählte Produkte wie Accessoires oder Basiskleidung in die nächste Saison zu schieben“, beobachtet auch Jessica Distler, Leiterin des Handelssektors bei BCG. Auch Luxuskonzerne, die zeitlose Accessoires wie Uhren oder Schmuck verkaufen, könnten leichter Ware in die nächste Saison verschieben.

„Am besten wäre es, wenn wir die Saisonware wie früher erst am Ende des Sommers reduzieren würden, also in einem klassischen Sommerschlussverkauf“, wünscht sich Schuhhändler Zumnorde. Doch darauf könne sich die Branche nicht einigen. C & A beispielsweise setzt klar auf Rabatt-Aktionen. „Wir können unsere Ware so lange reduzieren, bis sie verkauft ist“, nennt ein Unternehmenssprecher den Vorteil gegenüber vielen Marken-Konzernen. Zurzeit würden zum Beispiel Jacken schon bis zu 70 Prozent billiger angeboten.

„Insgesamt erwarten wir, dass der Anteil der zum vollen Preis verkauften Ware bei Modehändlern um 15 bis 20 Prozent fallen wird“, prognostiziert Handelsexperte Täuber. Das wird viele Händler empfindlich treffen, denn nach Schätzungen des Accenture-Beraters wurden bereits in Vor-Corona-Zeiten schon bis zu 40 Prozent der Waren mit Rabatt verkauft. „Viele Händler wird das vier bis sechs Prozentpunkte Rohertrag am Jahresende kosten.“

Gewinne werden brutal einbrechen

Konflikte zeigen sich dabei nicht nur zwischen Händlern, sondern auch im Verhältnis mit den Lieferanten. „Einige Lieferanten haben Stornos akzeptiert, einige Lieferanten aber nicht“, berichtet Händler Hagner. Die kurzen Lieferrhythmen der Mode seinen schon immer schwierig gewesen. „Das ist ein Teufelskreis, ein Branchenproblem, das dringend gelöst werden muss“, fordert Hagner. Die Industrie habe das zwar schon länger auf dem Schirm, durch Corona sei der Handlungsdruck aber noch einmal gestiegen.

Auch Martin Kerner vom Outdoor-Geschäft Basislager in Karlsruhe ärgert sich massiv über einige seiner Lieferanten: „Viele von denen glauben ernsthaft, dass wir nach der Öffnung jetzt wieder normal verkaufen können und gefälligst unsere Vororder-Aufträge abnehmen sollen.“ Das heißt: Bestellungen aus dem vergangenen Jahr, als die Welt noch in Ordnung war. Kerner: „Ich weiß nicht, ob das Wunschdenken oder Verzweiflung ist. Aber es wird nicht funktionieren, Händler mit Ware zuzuschütten, die sie nicht verkaufen können.“

Denn noch immer sei der Umsatz weit von dem Niveau vor Corona entfernt. Reisebedarf zum Beispiel sei fast unverkäuflich, auch Schlaf- oder Rucksäcke wolle derzeit niemand. Längere Zahlungsziele seien da keine Lösung. Denn die Rechnungen würden eines Tages auf jeden Fall fällig, „und keiner weiß, ob er sie dann begleichen kann“.

Denn egal wie die Branche den Warenberg abbaut – die Gewinne werden brutal einbrechen. Bei börsennotierten Händlern werden die Folgen bereits jetzt sichtbar. So hat das Modeunternehmen H & M angekündigt, das zweite Quartal mit Verlust abzuschließen. Der Elektronikhändler Ceconomy hat schon im ersten Quartal des Jahres 2020 einen operativen Verlust von 131 Millionen Euro gemeldet und traut sich keine Prognose für das Gesamtjahr mehr zu.

Das liegt bei vielen Händlern nicht nur an den ausgefallenen Umsätzen. Etliche Produkte sind jetzt nur mit großen Abschlägen zu verkaufen, sei es über Onlineshops, Outlets oder klassische Zweitverwerter. Saturn und Media Markt beispielsweise haben Extra-Shops auf Ebay, über die sie überschüssige Ware abverkaufen. Mit der Softwarelösung „Commerce Cloud“ des Start-ups Roqqio steuern sie dabei die Preise und Verkäufe. Doch um deutliche Rabatte kommen auch sie so nicht herum.

Zugleich steigen die Kosten. „Die zusätzlichen Lagerkapazitäten, die jetzt gemietet werden, bedeuten immense Zusatzausgaben, die keiner eingeplant hatte“, weiß Logivest-Geschäftsführer Neumeier. Dazu kommen Handlingkosten für das Umlagern, das Neuverpacken und Etikettieren.

„Ein großer Gewinner der Krise sind die Logistikdienstleister“, erklärt Branchenexperte Neumeier. Weil sie häufig noch flexibler seien als Eigentümer großer Lagerhäuser, könnten sie sich schneller auf den vorübergehend veränderten Bedarf des Handels einstellen und nicht nur Lagerflächen, sondern auch zusätzlichen Service bieten.

Eine Bewährungsprobe ist die aktuelle Situation deshalb für bestehende Kooperationen zwischen Händlern und Logistikdienstleistern. So hat Tchibo einen großen Teil seiner Logistik an die BLG Logistics Group Bremen abgegeben. Galeria Karstadt Kaufhof setzt in der Logistik auf die Fiege-Gruppe. Logivest-Chef Neumeier rechnet damit, dass solche Kooperationen gestärkt aus der Krise hervorgehen könnten, weil sie mehr Flexibilität bieten. „Diese Modelle dürften wir in Zukunft öfter sehen.“

Der Chef würde sich einen „klassischen Sommerschlussverkauf“ wünschen. Foto: dpa
Der Chef würde sich einen „klassischen Sommerschlussverkauf“ wünschen. Foto: dpa
Gesperrte Rutsche im Schuhhaus Zumnorde: Die Deutschen haben ihre Einkäufe in der Coronakrise dramatisch eingeschränkt. Foto: dpa
Gesperrte Rutsche im Schuhhaus Zumnorde: Die Deutschen haben ihre Einkäufe in der Coronakrise dramatisch eingeschränkt. Foto: dpa