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Senvion-Chef: „Wir werden keinen Stein auf dem anderen lassen“

Erst vor einer Woche musste mit Senvion einer der ältesten deutschen Windenergiekonzerne Insolvenz anmelden. Nun konnten sich Banken, Gläubiger und Anteilseigner doch noch einigen – zumindest auf eine vorläufige Finanzierung.

Die US-Hedgefonds Anchorage und Davidson Kempner haben sich gemeinsam mit den kreditgebenden Banken am Mittwochabend darauf geeinigt, dem zahlungsunfähigen Turbinenhersteller nun doch die benötigten 100 Millionen Euro zu leihen. Das teilte ein Sprecher des Unternehmens dem Handelsblatt mit. Das Geld braucht Senvion dringend, um sein Geschäft die nächsten Monate überhaupt noch am Laufen zu halten. Dennoch wird das Insolvenzverfahren wie geplant fortgesetzt.

Die beiden Hedgefonds hatten den Kredit vor der Insolvenzanmeldung bereits im Alleingang angeboten, das hatten die Banken aber abgelehnt. Gewinnwarnungen, Lieferprobleme und der Preiskampf auf dem Windmarkt hatten den Aktienkurs des Hamburger Konzerns innerhalb eines Jahres um über 95 Prozent abstürzen lassen und Senvion in die Zahlungsunfähigkeit getrieben.

Keine leichte Aufgabe für den neuen Senvion-Chef Yves Rannou, der erst vor drei Monaten vom Konkurrenten GE gewechselt ist. Die gewonnene Zeit durch die vorläufige Finanzierung will der gebürtige Franzose nun nutzen, um das Unternehmen zu reorganisieren.

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„Auf lange Sicht müssen wir einen sicheren Hafen für Senvion finden – sei es mit einem Investor oder durch einen Käufer“, sagt Rannou im Interview mit dem Handelsblatt. Auch eine Zerschlagung könne er nicht ausschließen, ebenso wenig Stellenkürzungen. Dabei wolle er das Beste tun, um „für so viele Mitarbeiter wie möglich einen Job zu bewahren“.

Im Interview erklärt der Senvion-Chef außerdem, warum nicht nur der hart umkämpfte Markt an der Misere des Windkonzerns Schuld ist und was jetzt passieren muss, damit der Turbinenhersteller trotzdem noch eine Zukunft hat.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Rannou, nach nur wenigen Wochen im Amt, mussten Sie die Insolvenz eines der ältesten deutschen Windenergiekonzerne anmelden. Wussten Sie, worauf Sie sich einlassen?
Na ja, ich habe die letzten zehn Jahre vor allem eins gemacht, nämlich Restrukturierungen in großen Unternehmen. Man könnte also sagen, dass ich solche Situationen gewöhnt bin.

Die Nachfrage nach Windrädern boomt und trotzdem ist Senvion pleite. Wie passt das zusammen?
Es ist eine Art Paradoxon. Jeder sucht nach CO2-freien Energiequellen, aber am Ende will niemand dafür bezahlen.

Auch der Rest der Branche kämpft mit einem massiven Preisverfall. In die Insolvenz hat es bislang aber noch keinen getrieben. Ist Senvion selbst schuld an der Situation?
Das eine ist die Konsequenz aus dem anderen. Wenn der Heimatmarkt zusammenbricht, schaut man sich nach neuen Märkten, außerhalb Deutschlands und sogar außerhalb Europas um. Das hat Senvion getan und ich denke, das war die richtige Entscheidung. Aber so etwas braucht viel Vorbereitung. Man hat unterschiedliche Kosten, unterschiedliche Gesetze, unterschiedliche Anforderungen. Alles ist anders und komplexer.

Hat Senvion diese Herausforderung unterschätzt?
Ja, ich denke, das war ein Fehler. Man hat unterschätzt wie viel Personal und Gewinnspanne eine solch globale Expansion kostet, oder wie lange man von der Entwicklung bis zur Installation braucht. Auch die Projekte waren andere. Auf einmal waren es nicht mehr 10 bis15 Windräder, die man in der Nähe der Heimat aufstellt, sondern 100 Turbinen 12.000 Kilometer entfernt.

Andere Windkonzerne haben das doch auch geschafft?
Ja, es kann funktionieren. Bei uns hat es nicht am Produkt gelegen, sondern an der Projektrealisierung. Das Problem war: Die Windturbinen waren fertig, konnten aber nicht rechtzeitig aufgestellt werden. Daher konnten wir auch unseren Kunden keine Rechnungen stellen. Die Zulieferer mussten trotzdem bezahlt werden. Wir hatten am Ende zu viele Windräder, die nicht installiert werden konnten. Das hat zu einem Ungleichgewicht zwischen der Ausgaben- und der Einnahmenseite geführt und das ist am Ende gekippt. So schnell kann es gehen.

Hätte Senvions Haupteigentümer, der US-Konzern Centerbridge mehr Geld in den Konzern stecken müssen?
Centerbridge hat in den letzten Monaten immer wieder Geld zugeschossen, seit Jahresbeginn bereits 45 Millionen Euro. Aber es ist keine Frage des Geldes, sondern des Geschäftsmodells. Wie man in fremde Märkte rein geht, wie man sich selbst organisiert. Das Unternehmen muss weg von seinem zentrierten Denken, hin zu einem dezentralen agierenden Konzern. Dafür braucht man nicht unbedingt astronomisch viel Geld.
Aber gerade ist es ja schon eine Frage des Geldes. Immerhin hat es noch nicht einmal gereicht, um das laufende Geschäft aufrechtzuerhalten.
Ja, unglücklicherweise haben uns fünf, sechs Großaufträge unter massiven finanziellen Druck gesetzt. Denn wie ich bereits sagte: Neue Märkte bedeuten neue Dynamiken. Dazu kommt eine bestimmte Unwissenheit. Man muss die richtigen Partnerfirmen vor Ort finden. In manchen Ländern haben wir zum Beispiel nicht genug Kranunternehmen, die unsere Windräder aufstellen. Die Situation ist sehr komplex und wir sind dabei das jetzt zu ändern.

Wie soll diese Veränderung aussehen?
Entscheidungen müssen nicht zentral, sondern vor Ort getroffen werden. Denn der Kunde ist nicht in Deutschland, der sitzt 10.000 Kilometer weit weg. Man muss nah an seinen Kunden sein, um seine Prioritäten, Probleme und Wünsche zu verstehen und mit hoch qualifizierten Leuten direkt umzusetzen.

Dafür brauchen Sie dringend frisches Kapital, dass Sie jetzt ja doch noch bekommen haben.
Genau. Deswegen haben wir in den letzten Wochen mit den Banken und den Gläubigern gesprochen, konnten aber zunächst keine Einigung erzielen. Seitdem wir letzte Woche das Eigenverwaltungsverfahren begonnen haben, hat mein Team gemeinsam mit den Anleihegläubigern und unseren Kreditgebern hart daran gearbeitet, einen Massekredit von 100 Millionen Euro bereitzustellen, damit wir weitermachen können. Diese Finanzierung ist nun gesichert. Der Kreditvertrag ist unterschrieben und wir haben uns so den Freiraum verschafft, um unser Transformationsprogramm fortzusetzen. Die Umsetzung läuft seit Beginn des Jahres.

Der Kredit ist ja aber keine Dauerlösung. Viele sagen, Senvion ist zu klein, um auf dem hart umkämpften Windmarkt zu überleben.
Man geht nicht kaputt, weil man klein ist. Was zählt, ist, was man auf den Markt bringt. Und unsere Kunden mögen unser Produkt, sie mögen uns. Aber ja, Senvion alleine würde es sicherlich in Zukunft schwerer haben. Man sieht es ja jetzt gerade: Fünf, sechs Projekte, bei denen nicht alles nach Plan läuft und schon geraten wir in Geldprobleme. Es ist aber mehr eine Frage der Liquidität, als der schieren Größe.

Es geht also um die finanzielle Größe?
Ja, Projekte werden immer größer, immer teurer. Und man muss die finanzielle Basis haben, mit den stetig wachsenden Anforderungen der Kunden umgehen zu können.
Könnte diese finanzielle Basis auch durch einen Verkauf zustande kommen?
Das ist sicherlich eine Option. Wir befinden uns im Insolvenzverfahren. Aber ja, natürlich schauen wir uns ganz objektiv auch nach weiteren Möglichkeiten für die Zukunft um. Die Konkurrenz hat es ja schon vorgemacht, warum sollten wir die Ausnahme sein? Auf lange Sicht müssen wir einen sicheren Hafen für Senvion finden – sei es mit einem Investor oder durch einen Käufer.

Wäre auch eine Zerschlagung denkbar?
Das würde ich mir nicht wünschen. Meine Präferenz ist, dass wir bei einem Verkauf die Einheit des Unternehmens bewahren können. Eine Aufteilung würde mir nicht gefallen, aber ausschließen kann ich es nicht.

Liegt schon ein Angebot auf dem Tisch?
Dazu kann ich zurzeit nichts sagen.

Um Senvion wieder fit zu machen, haben Sie viele Veränderungen angekündigt. Dabei ist auch immer wieder die Rede von Stellenstreichungen.
Wir sind mitten dabei, das Unternehmen zu reorganisieren und neu aufzustellen. Dazu werden wir uns alle Optionen anschauen. Wir werden keinen Stein auf dem anderen lassen. Mit der Belegschaft bin ich im engen Austausch.
Das hört sich aber sehr nach Kündigungen an...
Restrukturierung kann vieles sein. Ich werde das Beste tun, um einen sicheren Hafen für dieses Unternehmen zu finden und dabei für so viele Mitarbeiter wie möglich einen Job zu bewahren.

Damit das gelingt, müssten Sie aber erst einmal das Vertrauen von Kunden, Zulieferern und Investoren zurückgewinnen.
Das ist eine wichtige Aufgabe, und daran arbeiten wir gerade. Ich spreche jeden Tag mit Kunden, und natürlich gefällt keinem, was mit Senvion passiert. Jeder wünscht sich solide Unternehmen in der Windindustrie, mit solider Erfahrung ist Senvion eigentlich eines davon. Unsere großen Lieferanten sind sehr verständnisvoll, sie gehen ja alle gerade genau durch dasselbe schwierige Marktumfeld. Wir sind alle im selben Boot.

Gibt es diesen Raum auch noch mit Blick auf die wachsende Konkurrenz aus China?
Auch das ist kein Phänomen der Windbranche. Auch andere Industrien schaffen es, gegen die Konkurrenz aus China zu bestehen. Dabei muss man sich durch die Technologie und Qualität des Produkts von den anderen abheben. Ich mag Konkurrenz, es spornt an, selbst besser zu sein.
Und wie will sich Senvion von dem Rest abheben?
Das ist eine Frage, die wir in den nächsten Wochen schnell beantworten müssen.

Herr Rannou, vielen Dank für das Gespräch.