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Mit seiner Außenpolitik fordert Macron die deutsch-französischen Beziehungen heraus

Die Coronakrise schien Deutschland und Frankreich zusammengeschweißt zu haben. Doch jetzt treten die Differenzen wieder hervor, vor allem in der Außenpolitik.

Sie haben sich zusammengerauft, Europa zusammengehalten, als es in der Coronakrise zu zerbrechen drohte. Mit der Einigung auf den europäischen Wiederaufbaufonds haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der deutsch-französischen Partnerschaft neues Leben eingehaucht, den Weg vorgezeichnet für eine tiefere Integration und eine Stärkung der europäischen Souveränität. Selbst in sensiblen Fragen wie der Finanz-, der Außen- und der Sicherheitspolitik. So schien es.

Doch hinter den Kulissen wachsen die Spannungen schon wieder. In den großen Linien, vor allem was die zunehmend anmaßende chinesische Politik und die antieuropäischen Sanktionen von US-Präsident Donald Trump angeht, herrscht zwar Übereinstimmung. Im Umgang mit der Türkei, Libyen und Russland aber treten die Unterschiede immer deutlicher hervor. Manchmal geht es nur um Fragen des Stils, teils aber auch um Grundsätzliches.

Mal stehen elementare Wirtschaftsinteressen wie Gasimporte aus Russland oder Ölvorkommen in Libyen im Mittelpunkt, mal sensible politische Fragen wie die Flüchtlingspolitik und die Bedrohung durch das Einsickern von Dschihadisten in den Mittelmeerraum. Die Rollen wechseln: Mal ist Berlin härter, mal Paris. Doch der Grundsatzkonflikt ist immer der gleiche: Macron agiert aus Berliner Sicht zu ungestüm, zu eigenmächtig.

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Mehr als drei Wochen hat Macron gebraucht, um den Mordanschlag auf den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny zu verurteilen. Erst Anfang vergangener Woche wurde ein Spitzentreffen mit der russischen Regierung verschoben, das am Montag dieser Woche stattfinden sollte. Es wirkt, als wolle Macron auf jeden Fall die Annäherung an Moskau retten, die er im letzten Jahr ausgerufen und die in Berlin zu Verstimmung geführt hatte.

Im östlichen Mittelmeer setzt der Präsident auf Härte, Merkel und das Auswärtige Amt dagegen wollen zwischen der Türkei und Griechenland vermitteln. Während in Berlin diskrete Gespräche liefen, schickte der französische Präsident Kampfflugzeuge und eine Fregatte als Geste der Unterstützung nach Griechenland.

Anfang der Woche gab Paris bekannt, dass 18 Rafale-Kampfjets und mehrere Fregatten sowie weitere Rüstungsgüter an Athen verkauft werden. Die Aufrüstung solle die Türkei in Schach halten, heißt es in Paris und Athen.

Berlin will auf Entspannungsinitiativen setzen

Macrons mediterrane Machtdemonstrationen werden in Berlin mit wachsendem Unbehagen verfolgt. Die Bundesregierung hält eine Eindämmungsstrategie gegen Erdogan für wenig erfolgversprechend, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Aus Berliner Sicht sind Entspannungsinitiativen gefragt. Merkels außenpolitischer Berater Jan Hecker und Außenminister Heiko Maas führen Gespräche mit Ministern und Strategen in Ankara und Athen.

Der Bundestag unterstützt die Vermittlungsbemühungen von Merkel und Maas, der Unmut über Macrons Eigeninitiativen wächst, auch wenn sich die meisten Koalitionspolitiker nicht allzu kritisch gegenüber dem französischen Präsidenten äußern wollen.

„Macrons energisches Auftreten tut Europa gut, aber französische Initiativen müssen europäisch rückgekoppelt seien“, mahnt SPD-Außenpolitiker Nils Schmid im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Die einseitige französische Unterstützung für Griechenland erschwert eine Verhandlungslösung, weil sie die Kompromissbereitschaft in Athen verringert.“

Ein hochrangiger französischer Diplomat beschwichtigt: Die deutsche und die französische Regierung „stimmen überein, unsere Politik ist kohärent“. Doch er lässt erkennen, dass die Übereinstimmung noch weiter ginge, wenn Berlin entschiedener auf eine Reihe von Provokationen reagieren würde, die Paris dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan anlastet.

Diese reichen vom Transport mehrerer Tausend islamistischer Kämpfer aus Syrien nach Libyen über einen Beinahekonflikt zwischen einer türkischen und einer französischen Fregatte im Frühsommer bis zur Erdgasexploration der Türken in griechischen Wirtschaftszonen: „Das erfordert sicher, dass Deutschland sich expliziter gegenüber der Türkei verhält“, stellt der Diplomat fest.

Keine politischen Differenzen mit Berlin

Die französischen Außenpolitiker sehen im östlichen Mittelmeer keine Eigenwilligkeiten ihres Präsidenten. Der lasse sich stets von einer Konstante leiten: „Macrons Ausgangspunkt ist immer die europäische Souveränität, unsere Fähigkeit, selbst zu entscheiden und sich nichts von anderen aufdrängen zu lassen.“

Und daraus folge: „Man muss Risiken eingehen, dazu steht der Präsident. Wenn man Lösungen will und unsere Agenda der europäischen Souveränität vorankommen soll, muss man sich engagieren.“ Das gelte im östlichen Mittelmeer wie im Libanon, gegenüber dem Iran wie in der Sahelzone.

Politische Differenzen mit Berlin gebe es nicht, wohl aber „unterschiedliche Sensibilitäten“. Deutschland gehe anders mit Erdogan um als Frankreich. Dabei sei Macron keinesfalls antitürkisch, er habe sich oft mit Erdogan getroffen und „Stunden mit ihm am Telefon verbracht“.

Frankreich sei auch ein Freund der Türkei: „Vergessen Sie nicht, dass wir mit der Türkei verbündet waren gegen euch!“, setzt der Diplomat lächelnd hinzu – eine Anspielung auf die franko-osmanische Allianz aus dem 16. Jahrhundert gegen Habsburg. Sie war ein Skandal, Christen verbündeten sich mit Muslimen gegen andere Christen, hat aber über 200 Jahre gehalten.

Heute aber sei es so: „Erdogan übertreibt.“ In seinen Anfängen konstruktiv, sei er mittlerweile „ein paranoider, autoritärer, islamo-nationalistischer Führer, der die Türkei isoliert, Spannungen schafft und Gefahren aufbaut“, sagt der außenpolitische Wortführer mit großer Härte.

Den Wert des Flüchtlingsabkommens mit dem türkischen Präsidenten scheint Paris geringer einzuschätzen als Berlin: Man dürfe das nicht statisch sehen, sondern müsse im Auge haben, „was auf Europa zukommen“ werde: „Die USA sind in Afghanistan dabei, den Taliban die Macht zurückzugeben.“

Flüchtlinge kämen dann ohne Probleme auf dem Landweg bis zur türkisch-bulgarischen Grenze. Das zeige die Notwendigkeit, die Beziehungen zur Türkei zu stabilisieren. Aber: „Irgendwann müssen wir, statt die Schimäre des Beitritts aufrechtzuerhalten, zeitgemäße Mittel und Wege finden, die Türkei an uns zu binden – heute erlauben die Übertreibungen Erdogans das nicht.“

Diese Feststellung in einem Nebensatz ist nicht zu unterschätzen: Sie impliziert, dass es aus Pariser Sicht keine Einigung mit Erdogan geben kann, solange der seine politische Linie nicht grundlegend ändert. Ganz anders die Aussagen in Berlin: „Die Eskalation zwischen Griechenland und der Türkei nützt niemandem“, mahnt Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Es müsse vielmehr darum gehen, beide Parteien wieder an den Verhandlungstisch zu bringen.

Deutschland habe durch vertrauliche Gespräche mit beiden Seiten die Tür für Verhandlungen geöffnet. Auch die Flüchtlingskrise zeige, wie wichtig ein intensiver Dialog der EU mit der Türkei sei. „Dabei ist es selbstverständlich, dass griechische Interessen ebenso berücksichtigt werden wie türkische Sicherheitsinteressen“, betont Hardt. „Und es ist notwendig, dass die Staaten der EU ihre Interessen im östlichen Mittelmeer gemeinsam formulieren und durchsetzen. Bisher gibt es diese Einigkeit noch nicht.“ Ein Grund dafür residiert in Paris. So jedenfalls sehen es viele in Berlin.

Auch die französische Regierung setzt sich für direkte Verhandlungen zwischen Athen und Ankara ein. Doch sie denkt, dass Sanktionen gegen die Türkei notwendig sind, um Erdogans ernsthafte Bereitschaft zu wecken. Dafür hat Macron sich bei dem Treffen der EU-Mittelmeeranrainer eingesetzt, dafür will er auch beim EU-Gipfel am 24. und 25. September in Brüssel werben, wo es zum offenen Zwist zwischen Merkel und Macron kommen könnte.

Frankreich setzt Interessen mit Instrumenten der Machtpolitik durch

Auf Unterstützung trifft Macrons robustes Auftreten interessanterweise bei den Grünen. „Bei aller berechtigten europäischen Selbstkritik möchte ich noch mal ins Bewusstsein rufen: Verantwortlich für den Gasstreit ist Erdogan, nicht Macron“, sagt der frühere Grünen-Parteichef Cem Özdemir, der seine Ambition, Bundesaußenminister zu werden, noch nicht aufgegeben hat.

„Erdogan sucht die Provokation – der Tyrann spürt, wie seine Macht langsam zerrinnt.“ Allein durch Worte werde Erdogan sich nicht zum konstruktiven Dialog bewegen lassen. „Es braucht gegenüber dem Despoten die glaubwürdige Drohung mit wirtschaftlichem Druck, um ihn zur Rückkehr an den Verhandlungstisch zu bringen“, stellt Özdemir klar.

Als frühere Weltmacht scheut sich Frankreich nicht, seine Interessen mit den Instrumenten der Machtpolitik durchzusetzen, inklusive Waffenlieferungen und Militärhilfen, notfalls auch mit Kriegseinsätzen. Geradezu stolz verweist der französische Spitzendiplomat darauf, dass sein Land seit Jahresanfang 35 militärische Aktionen im östlichen Mittelmeer ausgeführt habe: „Das ist einer der großen Unterschiede zwischen Deutschland und uns, deshalb verstehen wir uns so gut“, formuliert er ganz frei von Ironie.

In Deutschland dagegen reden die führenden Repräsentanten des Landes gern davon, dass die Logik der Machtpolitik überwunden werden müsse. Die Bundesrepublik fühlt sich am wohlsten, wenn sie sich mit diplomatischen Initiativen als Zivilmacht präsentieren kann, als eine Art Uno der EU. Dass Diplomatie mit Druck unterfüttert werden muss, um Wirkung zu entfalten, wird in Berlin gern verdrängt.

Näher beieinander sind die beiden Partner in Sachen Libyen. Zwar hegen manche Beobachter in Berlin den Verdacht, dass Macron noch den abtrünnigen General Chalifa Haftar gegen die Einheitsregierung in Tripolis unterstützt. Die französische Regierung weist das jedoch von sich. Die Bedingungen, die bei der Berliner Libyen- Konferenz vereinbart wurden und ein Waffenembargo vorsehen, seien notwendig und die einzig möglichen. Doch sie würden nicht eingehalten.

Paris sei sich darüber im Klaren, dass Putin die Söldner der „Gruppe Wagner“ in Zentralafrika einsetze, um Frankreich zu verdrängen, und in Libyen, um die – vorerst gescheiterte – Offensive von General Haftar zu unterstützen. Putin wolle in Syrien an Einfluss gewinnen, um zu seinen Bedingungen mit den Türken zu verhandeln. „Das ist sehr schwerwiegend, schafft Sicherheitsrisiken und baut einen Druck auf Europa auf, der inakzeptabel ist.“ lautet die klare Verurteilung.

Frankreich beurteilt Nord Stream 2 kritisch

Möglicherweise wird es schon bald ein neues Treffen zur Beilegung des Konflikts in Libyen zwischen Haftar und der von Erdogan unterstützten, international anerkannten Regierung von Fayez al-Sarraj geben. „In Libyen geht es auch um Ressourcen“, räumt der französische Außenpolitiker ein. Um die geht es auch im Verhältnis zu Russland.

Im Sommer 2019 lud Macron den russischen Präsidenten Wladimir Putin in seine Sommerresidenz Fort Brégançon ein, eine besondere Freundlichkeit, die Kanzlerin Merkel erst in diesem Jahr zuteilwurde. Während auf See die Fregatte „Languedoc“ im Kreis fuhr, forderte Macron, der Westen müsse die Verbindungen zu Russland „neu denken“, und ließ er durchblicken, man sei zu unfreundlich mit dem Kreml umgegangen. Intern wurde das damit begründet, dass der Westen Moskau für Abrüstungsvereinbarungen gewinnen müsse. Andernfalls stünden bald alle vor dem Aus.

Vier Tage nach dem Treffen am Mittelmeer wurde im russischen Auftrag ein tschetschenischer Oppositioneller im Berliner Tiergarten ermordet. Für Macron kein Hindernis, um kurz darauf seinen Außenminister und seine Verteidigungsministerin für einen „hochrangigen Dialog“ nach Moskau zu schicken. Die beiden unterschrieben zahllose Vereinbarungen.

Ganz anders wirkte dagegen 2019 die französische Unterstützung für eine EU-Verordnung, die das Aus für Nord Stream 2 bedeutet hätte. Mit knapper Not einigten Paris und Berlin sich auf einen Kompromiss, der Bau der Gaspipeline konnte weitergehen. Ein Widerspruch zur Annäherung an Moskau?

Der Diplomat sieht keinen Widerspruch und keine Gefälligkeiten Macrons gegenüber Putin. Frankreich beurteile die Gaspipeline kritisch, weil sie Europas Energieabhängigkeit steigere.

Macron aber wolle erreichen, „dass wir weniger abhängig werden, von Russland, Katar und anderen“. Doch müsse er respektieren, „dass Deutschland Gas braucht, weil es seine Atom- und Kohlekraftwerke schließe“. Ob die Leitung nach dem Anschlag auf Nawalny als Druckmittel eingesetzt werden solle, müsse die Kanzlerin entscheiden.

Gegen den Verdacht der Nachgiebigkeit gegenüber Putin wehrt sich der Diplomat vehement: „Die Kanzlerin kauft Putin Gas ab, dennoch ist sie ihm gegenüber nicht nachgiebig. Man muss die Differenzen nicht übertreiben, ich denke, dass unsere Agenden kohärent sind.“

Jedenfalls unterstütze Paris die Deutschen beim Streit mit Donald Trump, der Sanktionen gegen Nord Stream 2 verhängt hat, weil es nicht Sache der USA sei zu entscheiden, wie die europäische Energiepolitik aussieht. Trump aufhalten, ihm unmittelbar vor der Präsidentschaftswahl keinen Triumph gönnen: Da sind Paris und Berlin wieder ganz eng beisammen.