Seehundbestand im Wattenmeer sinkt auf niedrigsten Stand seit 2010
Der Seehundbestand im Wattenmeer der Nordsee ist das dritte Jahr in Folge zurückgegangen und auf den niedrigsten Stand seit 2010 gesunken. In Deutschland, Dänemark und den Niederlanden seien im August bei den routinemäßigen jährlichen Zählflügen insgesamt nur noch 22.621 Tiere registriert worden, teilte das Gemeinsame Wattenmeersekretariat in Wilhelmshaven am Mittwoch mit. Das seien vier Prozent weniger gewesen als im Sommer 2022.
Die Zahl der bei separaten Flügen im Juni erfassten Jungtiere nahm demnach im Jahresvergleich allerdings zu - und zwar um zehn Prozent auf 9334 in allen drei Wattenmeer-Anrainerstaaten. Die kommenden Jahre müssten zeigen, ob die Entwicklung des Jungtierbestands dem Trend der Gesamtpopulation folge, erklärte das Sekretariat. Warum der Bestand insgesamt abnehme, sei bisher "nicht eindeutig identifiziert".
In Frage kämen eine allgemeine Verschlechterung des Lebensraums und zunehmende menschliche Störungen, ein sinkendes Nahrungsangebot und wachsende Konkurrenz durch Kegelrobben, erklärte der Hauptautor des Bestandsberichts, Anders Galatius. Laut Wattenmeersekretariat sind aber auch weitere Ursachen denkbar, etwa eine zunehmende Zahl von Todesfällen als Beifang der Fischerei oder als Beute anderer Tiere.
Nach Angaben der Experten sind jährliche Schwankungen im Bestand der Seehunde nicht ungewöhnlich. Allerdings gehen sie aufgrund des inzwischen seit Jahren anhaltenden Negativtrends nunmehr davon aus, dass die Zahl der Tiere im Wattenmeer eindeutig sinkt. "Angesichts dieses anhaltenden Rückgangs der Zahlen können wir mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass der Bestand abnimmt", erklärte Galatius. Weitere Untersuchungen zu dem Phänomen seien nötig.
Hinter der jüngsten Entwicklung des Gesamtbestands verbargen sich außerdem unterschiedliche regionale Trends. So sank die Zahl der Tiere in Dänemark um 19 Prozent, in den Niederlanden ging sie um elf Prozent zurück und im Bereich des schleswig-holsteinischen Wattenmeeres sank sie um fünf Prozent. Einen Anstieg um 17 Prozent gab es hingegen im zu Niedersachsen und Hamburg gehörenden Wattenmeergebiet.
Die insgesamt meisten Seehunden leben in Schleswig-Holstein (7936), den Niederlanden (6706) sowie Niedersachsen und Hamburg (5639). Die Population in Dänemark ist deutlich kleiner (2268). Eine separate Kolonie befindet sich zudem auf der deutschen Insel Helgoland weit draußen in der Nordsee, dort leben aktuell allerdings nur 72 Tiere.
Seehunde gehören zu den Robben und sind so etwas wie die Wappentiere des Wattenmeeres, das sich über etwa 500 Kilometer entlang der deutschen, dänischen und niederländischen Nordseeküsten erstreckt. Ihr Bestand wurde im vergangenen Jahrhundert vor allem durch Jagd drastisch reduziert, in den 1970er Jahren lebten schätzungsweise nur noch etwa 4000 Tiere. Durch intensive Schutzmaßnahmen erholten sich die Seehundbestände allerdings wieder deutlich.
Seehunde sind wie andere Meeressäugetiere auch sehr anfällig für Infektionen. 1988 und 2002 kam es zu verheerenden Ausbrüchen der Seehundstaupe, wodurch die Bestände drastisch dezimiert wurden. 2014 gab es kleinere Ausbrüche von Vogelgrippe, die ebenfalls Tiere tötete.
Das Wattenmeer ist aufgrund seines hohen ökologischen Werts seit 2009 als Unesco-Weltnaturerbe eingestuft. Bereits seit Ende der 1970er Jahren arbeiten Deutschland, Dänemark und die Niederlande beim Schutz des Wattenmeers zusammen. Das Gemeinsame Wattenmeersekretariat im niedersächsischen Wilhelmshaven wurde 1987 eröffnet, um die grenzüberschreitenden Bemühungen zu koordinieren.
bro/hex