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Eine Schweizer Volksinitiative will für mehr bezahlbaren Wohnraum sorgen

Die Schweiz ist eine Nation von Mietern – doch vor allem in Ballungsräumen ist Wohnraum kaum noch bezahlbar. Eine Volksinitiative soll das nun ändern.

Wer in Zürich eine Wohnung sucht, ist Kummer gewohnt – aber als sich im vergangenen Sommer eine 300 Meter lange Warteschlange zur Besichtigung einer einzigen freien Wohnung bildete, war das sogar für Züricher Verhältnisse ein Ausnahmefall. „Das ist nicht normal, einfach unglaublich“, berichtete ein Augenzeuge, der sich selbst Hoffnungen auf den Zuschlag gemacht hatte.

Das Objekt der Begierde: eine 73 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung im angesagten Stadtbezirk Kreis vier – und das zum Schnäppchenpreis von 1150 Franken, umgerechnet etwa 1050 Euro. Eine Seltenheit in der größten Stadt der Schweiz.

In kaum einem Land in Europa lebt ein so großer Teil der Einwohner zur Miete wie in der Eidgenossenschaft. Doch vor allem in Städten wie Genf oder Zürich ist bezahlbarer Wohnraum Mangelware. „Viele Schweizerinnen und Schweizer können sich ihre Wohnung kaum noch leisten“, sagt Natalie Imboden, Generalsekretärin des Schweizerischen Verbands der Mieterinnen und Mieter.

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Die „Initiative für mehr bezahlbare Wohnungen“ verspricht Abhilfe: Die Aktivisten wollen den Staat per Volksinitiative dazu verpflichten, für mehr Wohnungen gemeinnütziger Genossenschaften zu sorgen, die nur zum Selbstkostenpreis vermietet werden dürfen.

Damit ziehen sie den Widerstand von Hausbesitzern und Immobilienverbänden auf sich. Doch weshalb sind die Mieten in der Schweiz so hoch? Lassen sich niedrigere Mieten demokratisch verordnen? Und könnte die Initiative unserer Nachbarn ein Vorbild für Deutschland sein?

Mit einer Wohneigentumsquote von gerade einmal gut 40 Prozent gilt die Eidgenossenschaft als das Land mit den meisten Mietern in Europa. Gleichzeitig sind die Mieten deutlich höher als in den meisten Nachbarländern. Eine Dreieinhalbzimmerwohnung in Zürich kostet im Schnitt rund 2500 Franken (2290 Euro), in Genf werden sogar 2700 Franken (2473 Euro) fällig.

Die hohen Mieten haben auch mit dem hohen Durchschnittseinkommen der Schweizer zu tun. Relativ betrachtet geben die Bewohner des Alpenlandes rund ein Viertel ihres verfügbaren Einkommens für Wohnraum aus, das entspricht in etwa den Verhältnissen in Deutschland. Und ähnlich wie bei den Nachbarn sind die hohen Mieten auch in der Schweiz vor allem in den Städten ein Problem.

Wer im Herzen von Bern, Genf oder Zürich wohnen möchte, muss es sich leisten können: Der Mieterverband rechnet vor, dass die Durchschnittsmieten in den vergangenen fünfzehn Jahren um rund 18 Prozent zugelegt haben, während die Einkommen fast stagnierten.

Der Verband sieht die Schuld bei renditeorientierten Investoren. So habe sich der Anteil von Mietwohnungen, die sich in der Hand von Versicherern, Banken, Immobilienfonds oder Aktiengesellschaften befinden, seit der Jahrtausendwende von 29 auf 39 Prozent erhöht. Die Immobilienwirtschaft weist diese Argumentation zurück. So seien die Angebotsmieten in der Schweiz in den vergangenen Jahren sogar gesunken. Zudem entstünden zahlreiche Neubauten.

Tatsächlich werden in der Schweiz Tausende neue Wohnungen gebaut – doch oft an den falschen Orten. Während es in den Städten wie Zürich oder Genf an freien Wohnungen mangelt, stehen landesweit rund 75.000 Wohnungen leer – das entspricht einer Geisterstadt in der Größe von Bern. In manchen ländlichen Gemeinden liegt die Leerstandsquote bei zwölf Prozent, trotzdem werden neue Renditeliegenschaften gebaut.

Ein Grund für den Boom sind die niedrigen Zinsen: Auf der Suche nach Rendite investieren Banken, Versicherer und Pensionskassen Milliarden in den Markt. Ausländische Anleger bleiben dabei außen vor, ihnen untersagt die sogenannte „Lex Koller“ den Grunderwerb. Die Probleme des Landes sind also hausgemacht. Notenbanker und Finanzaufseher betrachten den Boom mit Sorge. Für Linderung sollen neue Regeln sorgen, die sich die Banken des Landes bei der Kreditvergabe selbst auferlegt haben.

Doch an den hohen Mieten in den Städten dürfte all das erst einmal wenig ändern. Der Mieterverband sieht deshalb die Politik in der Pflicht. „Es gab Gipfeltreffen, Dialoge und Absichtserklärungen, doch es hat sich nichts geändert“, sagt Imboden vom Mieterverband. „Deshalb wollen wir jetzt mit der Initiative den Bund dazu verpflichten, mehr bezahlbare Wohnungen zu schaffen.“

Gemeinsam mit linken Parteien, Genossenschafts- und Wohlfahrtsverbänden hat der Verband rund 100.000 Unterschriften für eine Volksinitiative gesammelt, über die am 6. Februar abgestimmt wird. Das Ziel: Das Gesetz soll den Staat dazu verpflichten, für die Entstehung von mehr bezahlbaren Mietwohnungen zu sorgen.

Demnach soll der Staat künftig sicherstellen, dass es sich bei zehn Prozent der Neubauten um gemeinnützige Wohnungen handelt. „Wir sprechen hier lediglich von einer kleinen Korrektur, von der wir uns eine große Wirkung erhoffen“, sagt Imboden.

Zudem sollen Kantone und Gemeinden dazu ermächtigt werden, ein Vorkaufsrecht für geeignete Grundstücke einzuführen. Ein solches Vorkaufsrecht soll es auch dann geben, wenn der Bund oder bundesnahe Betriebe sich von Grundstücken trennen. Diese Maßnahme zielt vor allem auf die staatliche Schweizer Eisenbahn, die – ähnlich wie in Deutschland die Deutsche Bahn – auch über große Grundstücksbestände verfügt.

Bei Hauseigentümern und Immobilienverbänden stößt die Initiative naturgemäß auf wenig Gegenliebe. Eine Allianz aus Vertretern der Immobilienbranche, bürgerlichen Parteien und Bauwirtschaft warnt vor einer „Verstaatlichung des Wohnungsmarkts“, durch die die Mieten sogar steigen könnten.

Die Initiative sorge für unnötige Bürokratie, denn es brauche einen „Kontrollapparat“, um die neuen Regeln zu überwachen. Wohnungsbau werde damit noch komplizierter, zudem drohten zusätzliche Kosten in Millionenhöhe. Sogar von „sozialistischen Eingriffen in die Eigentumsrechte“ ist die Rede.

„Es kann nicht sein, dass die große Mehrheit über ihre Wohnungsmiete auf dem privaten Markt und über Steuern die Zeche bezahlen soll, damit ein paar wenige vom Privileg einer gemeinnützigen Wohnung profitieren“, sagt etwa Olivier Feller, Nationalrat der Schweizer FDP.

Auch die Regierung des Landes empfiehlt den Bürgern, die Initiative abzulehnen, und stellt stattdessen 250 Millionen Franken für den gemeinnützigen Wohnungsbau in Aussicht. Die geplanten Maßnahmen seien weder nötig noch realistisch, heißt es. Die geforderte fixe Quote von zehn Prozent an Genossenschaftswohnungen sei ein gravierender Eingriff in den Wohnungsmarkt, erklärte Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Er warnte zudem vor der zusätzlichen finanziellen Belastung für den Bund und die Kantone.

Quoten umstritten

Doch trotz aller Kritik sehen die Schweizer die Initiative bislang sehr positiv. Zwei Drittel würden wohl mit „Ja“ stimmen, geht aus der jüngsten Umfrage für den Schweizer Rundfunk durch das Meinungsforschungsinstitut Gfs Bern hervor. Die Zustimmung zieht sich demnach durch sämtliche Bevölkerungsgruppen und Sprachregionen des Landes.

Ob die Schweiz damit zum Vorbild für Deutschland werden könnte, beurteilt man beim Deutschen Mieterbund skeptisch. Zwar fordert der Verband zusammen mit anderen Organisationen, dass der Bestand an öffentlich geförderten Wohnungen mit gedeckelten Mieten bis 2030 auf zwei Millionen aufgestockt werden muss. „Aber eine feste Quote auf Bundesebene scheint dazu das falsche Mittel zu sein“, sagt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds. „Das Hauptproblem ist, dass in Deutschland schlicht zu wenig Mietwohnungen gebaut werden“, so Ropertz.

Dieses Problem gibt es auch in Zürich: Obwohl die Neubauten dort zuletzt einen Rekordstand erreichten, sind freie Wohnungen Mangelware. Dass die Mieterinitiative etwas daran ändern könnte, muss sie erst noch beweisen. Demoskopen erwarten, dass ihr Vorsprung in den kommenden Wochen abschmelzen könnte – der Wahlkampf hat gerade erst begonnen.

Die Hürden liegen hoch. Damit die Gesetzesänderung zustande kommt, muss nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung mit Ja stimmen. Auch die meisten der 26 Kantone müssten der Initiative den Segen erteilen – gerade in ländlichen Gegenden, wo genossenschaftliches Wohnen kaum eine Rolle spielt, könnte sich das Vorhaben schwertun. Mietervertreterin Imboden glaubt dennoch daran, die Mitbürger vom Vorhaben überzeugen zu können. Abgestimmt wird am 9. Februar.