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Die Schwedendemokraten, gegründet von Nazis und White-Power-Anhängern, werden zweitstärkste Kraft im Parlament – was das für Schweden bedeutet

Kann es wohl selbst kaum glauben: Jimmie Åkessons Partei, die Schwedendemokraten, ist zweitstärkste Kraft im Parlament. - Copyright: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Maja Suslin/TT
Kann es wohl selbst kaum glauben: Jimmie Åkessons Partei, die Schwedendemokraten, ist zweitstärkste Kraft im Parlament. - Copyright: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Maja Suslin/TT

Ausgerechnet am Gedenkwochenende des Terroranschlags vom 11. September hat Schweden ein neues Parlament gewählt. Offenbar kein gutes Vorzeichen – zumindest für die Sozialdemokraten. Obwohl sie laut vorläufigem amtlichen Endergebnis stärkste Partei mit rund 30 Prozent sind, müssen sie wohl die Regierungsverantwortung an die konservativen Moderaten (19,1 Prozent) abgeben – ihr Vorsitzender, Ulf Kristersson, dürfte damit neuer schwedischer Regierungschef werden.

Denn eine Koalition unter Führung der Sozialdemokraten mit den Moderaten gilt als unwahrscheinlich, mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten ausgeschlossen.

Folglich hat Magdalena Andersson, sozialdemokratische Ministerpräsidentin, am Mittwochabend den knappen Wahlsieg des konservativ-rechten Lagers bereits eingeräumt und den Parlamentspräsidenten Andreas Norlén am Donnerstag um die Entlassung aus ihrem Amt gebeten. Danach kann sich der konservative Spitzenkandidat Kristersson aufmachen, eine Regierung zu bilden.

Die in Schweden spannendste Frage nun: Schafft Kristersson es, eine Regierung ohne die rechtspopulistischen Schwedendemokraten zu bilden? Denn sie sind die eigentlichen Gewinner dieser Wahl. "Vor Stolz größer machen" könnten sie sich, wie ihr Parteichef Jimmie Åkesson es in einem Facebook-Posting am Wahlabend formulierte. Denn unter Siegesgebrüll seiner Parteikollegen wurde am selben Abend ein Rekordergebnis für sie verkündet. Mit 20,5 Prozent der Stimmen sind die Rechtspopulisten zweitstärkste Kraft im Parlament geworden. Und haben damit mehr Einfluss denn je auf die schwedische Politik, die sich unter einer konservativen Regierung das erste Mal nach rechts außen öffnen würde – für eine Kooperation, was Gesetze angeht, sogar eine Koalition mit ihnen ist nicht ganz ausgeschlossen. Denn Mehrheiten zu finden im schwedischen Parlament, das ist schon seit einigen Jahren äußerst schwierig.

Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt der Vier-Parteien-Block von Kristersson, einschließlich der Schwedendemokraten, auf 176 Mandate, Anderssons Lager auf 173. 175 sind für eine Mehrheit im 349 Sitze fassenden Reichstag von Stockholm notwendig. - Copyright: picture alliance/dpa/dpa Grafik | dpa-infografik GmbH
Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt der Vier-Parteien-Block von Kristersson, einschließlich der Schwedendemokraten, auf 176 Mandate, Anderssons Lager auf 173. 175 sind für eine Mehrheit im 349 Sitze fassenden Reichstag von Stockholm notwendig. - Copyright: picture alliance/dpa/dpa Grafik | dpa-infografik GmbH

Doch bevor Ulf Kristersson neuer Ministerpräsident werden kann, muss er sich mit den Schwedendemokraten, Christdemokraten und Liberalen verständigen. Das kann in Schweden erfahrungsgemäß dauern. In den vergangenen beiden Legislaturperioden haben sich Regierungsbildungen schon mal über mehrere Monate hingezogen. Seither hat man sich mit der sogenannten "Regierungsgrundlage" (Schwedisch: "regeringsunderlag") arrangiert. Vereinfacht gesagt ist die Regierungsgrundlage eine Vereinbarung, in der die Bündnisparteien (aber nicht zwingend Koalitionsmitglieder) Gesetzentwürfe festhalten. Und alle Bündnisparteien, Koalitions- wie Unterstützerparteien, stimmen dann dafür. Quasi so etwas wie ein Koalitionsvertrag über die Grenzen der Regierungskoalition hinaus.

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Somit ergeben sich aktuell drei Szenarien für eine konservative Regierung Schwedens:

Er will regieren – zur Not auch mit Unterstützung der Schwedendemokraten: Ulf Kristersson, Chef der schwedischen Moderaten. - Copyright: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Fredrik Sandberg/TT
Er will regieren – zur Not auch mit Unterstützung der Schwedendemokraten: Ulf Kristersson, Chef der schwedischen Moderaten. - Copyright: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Fredrik Sandberg/TT

Szenario 1: Moderate und Christdemokraten bilden die Regierung

Bisher waren dabei die Schwedendemokraten immer außen vor. Ein Gesetz mit Stimmen der Rechtspopulisten zu verabschieden, galt zumindest bisher als ein absolutes Tabu. Diese Grenze wird der Chef der Moderaten und wahrscheinlich bald Ministerpräsident Schwedens überschreiten. Denn das würde ihm eine Minderheitsregierung mit den Christdemokraten (5,3 Prozent) ermöglichen. Schon im Wahlkampf haben Moderaten-Chef Ulf Kristersson und Ebba Busch, Vorsitzende der schwedischen Christdemokraten, dies als ihre Wunschkonstellation bezeichnet. Sowohl in der Rolle der Opposition als auch in vergangenen Regierungen haben die Parteien schon zusammengearbeitet.

Beide Parteien streben niedrigere Unternehmens- und Einkommenssteuern an. Auch die Migration nach Schweden wollen sie beschränken. Die Christdemokraten haben einen etwas stärkeren Fokus auf Familienpolitik, Rentner und – wie der Name es verrät – christliche Werte.

Szenario 2: Moderate, Christdemokraten und Liberale gehen ein Bündnis ein

Die Liberalen (4,6 Prozent) haben es gerade so über die in Schweden geltende Vier-Prozent-Hürde in den Reichstag geschafft. Mit den Moderaten und Christdemokraten gibt es viele Überschneidungspunkte, insbesondere bei der Wirtschaftspolitik. Die Liberalen streben eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes an – in Schweden gibt es zwar keinen gesetzlichen Mindestlohn, dafür aber vergleichsweise hohe Tariflöhne. Allerdings hatten die Liberalen sich nach der Wahl 2018 auf die Seite der Sozialdemokraten gestellt und damit die Moderaten abgewählt. Das könnte man ihnen nun nachtragen und verhindern, dass sie Teil der Regierung werden. Zudem scheuen die Liberalen die Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten.

Szenario 3: Der Dammbruch – Koalition mit den Schwedendemokraten

Ein Bündnis aus Moderaten und Schwedendemokraten wäre immerhin gestützt durch knapp 40 Prozent der Wählerstimmen. Die Parteien haben sich spätestens im Wahlkampf einander angenähert. Regieren mithilfe der Rechtspopulisten wäre für Ulf Kristersson offenkundig eine Option. Aber nach Möglichkeit eben nicht in einer Koalition. Denn die Schwedendemokraten mögen sich seit 2005, dem Jahr, als Jimmie Åkesson ihr Chef wurde, zwar einen bürgerlichen Anstrich verpasst haben. So wurde etwa die brennende Fackel im Logo durch eine in schwedischen Nationalfarben gehaltene Blume ersetzt, die so harmlos wirkt, dass sie einem Comic entstammen könnte. Doch die Partei, die 2010 erstmals ins Parlament in Stockholm einzog, hat ihre Wurzeln in Nazi- und White-Power-Milieus.

Was fordern die Schwedendemokraten?

Und was machen die Rechtspopulisten nun mit ihrem großen Einfluss? Bereits eine Woche vor der Wahl hatte Åkesson eine Liste mit 100 Forderungen präsentiert, mit dem Titel "Hundra stenar" (Deutsch: 100 Steine). In dem auf der Partei-Website verlinkten Word-Dokument sind "Steine" benannt, die die scheidende Ministerpräsidentin der Sozialdemokraten im Zusammenhang mit der Gangkriminalität versäumt habe, umzudrehen. Seine Forderung: Die Probleme der Bandenkriminalität und Segregation müssten angepackt werden, statt Rehabilitierung härtere Strafen, eine Sicherungsverwahrung. Das Militär solle mehr Befugnisse erhalten, um die Polizei zu unterstützen, es sollten mehr Ressourcen bereitgestellt werden für die Strafverfolgung von Menschen, die ohne Aufenthaltserlaubnis in Schweden leben. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Zumindest bei der Eingrenzung von Migration und der Bekämpfung von Bandenkriminalität gäbe es also inhaltliche Berührungspunkte zwischen rechts außen und dem konservativen Lager. Der wahrscheinlich künftige Ministerpräsident Schwedens, Ulf Kristersson, freut sich erstmal aufs Regieren und gibt sich versöhnlich. Er werde die Bildung einer neuen, tatkräftigen Regierung vorbereiten. "Meine Botschaft ist, dass ich einen will, nicht spalten", sagte er in einem auf Facebook veröffentlichten Video. Auch wenn das bedeutet, dass er sich auf die Schwedendemokraten einlässt. Dass er dabei nicht im Sinne der Wählerinnen und Wähler handelt, kann man ihm nicht mal zum Vorwurf machen. Immerhin hat ein Fünftel der Wahlberechtigten in Schweden für sie gestimmt.

Magdalena Andersson, Ministerpräsidentin der Sozialdemokraten, spaziert am Donnerstag in Stockholm, nachdem sie offiziell ihren Rücktritt erklärt hat. - Copyright: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Fredrik Sandberg/TT
Magdalena Andersson, Ministerpräsidentin der Sozialdemokraten, spaziert am Donnerstag in Stockholm, nachdem sie offiziell ihren Rücktritt erklärt hat. - Copyright: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Fredrik Sandberg/TT

Die bisherige Ministerpräsidentin Andersson hat am Donnerstagnachmittag dann doch vor der Presse verkündet, offen für Gespräche mit den Moderaten zu sein. Doch wie genau eine solche Zusammenarbeit aussehen könne, darauf antwortete sie nicht. Die Moderaten hätten sich schließlich schon für die Schwedendemokraten als Hauptkooperationspartner entschieden, sagte sie. Aktuell sieht es so aus, als sei die schwedische Politik eher bereit für die Öffnung nach rechts außen als für einen Kompromiss zwischen konservativen und linken Lagern.

Mit Material der DPA