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Die Schwarzarbeit in Deutschland nimmt zu

In der Pandemie konnte der Zoll weniger Kontrollen durchführen. Dennoch haben die Beamten einen höheren Schaden durch die Schattenwirtschaft aufgedeckt.

Vor-Ort-Kontrollen wurden aus Gründen des Infektionsschutzes zurückgefahren. Foto: dpa
Vor-Ort-Kontrollen wurden aus Gründen des Infektionsschutzes zurückgefahren. Foto: dpa

Bei eisigen Temperaturen stand Olaf Scholz (SPD) am Dienstagnachmittag an der Straße des 17. Juni in Berlin im Schnee. Der Finanzminister begleitete rund 40 Zöllner der Einheit „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS), die Paketzusteller anhielten und überprüften. „Trotz erschwerter Bedingungen geht der Zoll mit aller Härte gegen Schwarzarbeit vor“, sagte Scholz.

Mit den widrigen Bedingungen ist allerdings nicht nur der Wintereinbruch gemeint, sondern vor allem die Corona-Pandemie. Sie erschwert Kontrollen. Gleichzeitig gibt es den Verdacht, dass Branchen wie die Paketzusteller, die in Corona-Zeiten boomen, verstärkt auf Schwarzarbeit setzen. Dafür sprechen auch die Zahlen, die Scholz am Dienstag präsentierte.

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Zwar rückten die FKS-Mitarbeiter im vergangenen Jahr seltener zu Kontrollen in Unternehmen aus, trotzdem stieg der von ihnen aufgedeckte Schaden. So wurden nur 44.702 Arbeitgeber überprüft, 2019 waren es noch 54.733.

Trotz des deutlichen Rückgangs der FKS-Kontrollen haben sich die aufgedeckten Schäden auf rund 816 Millionen Euro erhöht (2019: 755 Millionen Euro). Dazu zählen vor allem entfallene Sozialversicherungsbeiträge. Es seien fast 105.000 Strafverfahren und über 57.000 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet worden.

Die Vor-Ort-Kontrollen seien auch aus Gründen des Infektionsschutzes zurückgefahren worden, lautete die Begründung im Ministerium. Zudem mussten Gastronomie, Messen oder Friseure weniger überprüft werden, da sie im Lockdown geschlossen haben. Gleichzeitig habe man aber Prüfschwerpunkte gesetzt, etwa in der boomenden Paket- und Logistikbranche oder der durch Corona-Ausbrüche bei Werkvertragsarbeitern in Verruf geratenen Fleischindustrie. „Es gilt Qualität vor Quantität“, sagte ein Regierungsbeamter mit Blick auf die Kontrollen.

Hohe Dunkelziffer bei Schwarzarbeit

Experten glauben allerdings, dass auch mit solchen Schwerpunktkontrollen nur ein kleiner Teil des Problems aufgedeckt wird. Laut einer neuen Prognose des Linzer Wirtschaftsprofessors Friedrich Schneider und des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) hat die Corona-Pandemie die Schwarzarbeit in Deutschland wieder stark ansteigen lassen, nachdem sie in den Jahren zuvor zurückgegangen war. Der Umfang der Schattenwirtschaft im Jahr 2020 stieg demnach um 16 Milliarden auf 339 Milliarden Euro. Der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt erhöhte sich damit gegenüber 2019 von 9,4 auf 10,2 Prozent.

Ursachen für die Zunahme sind die deutlich gestiegene Arbeitslosigkeit sowie die während der Pandemie gesunkenen Erwerbseinkommen, weshalb mehr Menschen schwarzarbeiten. Die Kurzarbeit als Krisenmaßnahme habe einen noch größeren Anstieg der Schattenwirtschaft verhindert, heißt es in der Studie. Auch die temporäre Senkung der Umsatzsteuer hat den Anstieg etwas gebremst, da dadurch legale Güter und Dienstleistungen billiger wurden.

Für 2021 erwartet Experte Schneider für Deutschland wieder einen leichten Rückgang der Schattenwirtschaft auf 336 Milliarden Euro, also um drei Milliarden Euro. Dabei gehen die Forscher wieder von einem Wirtschaftswachstum von drei Prozent aus. Das hole Menschen wieder aus der Schwarzarbeit heraus. Gleichzeitig reduziere die Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags die Anreize für Schattenwirtschaft.

„Die Bekämpfung der Schwarzarbeit muss auch in Corona-Zeiten weitergehen“, sagte Scholz. Hinweise darauf, dass die Schattenwirtschaft durch den Lockdown nun besonders zulegt, hat die Zolleinheit FKS jedoch bisher nicht.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte gewarnt, dass Friseure im Lockdown zunehmend schwarzarbeiten würden. Dies dürfte aber vor allem im privaten Bereich stattfinden. Verstöße gegen Corona-Auflagen aufzudecken gehört nicht zu den Aufgaben der FKS. Sie interessiert sich vor allem dafür, ob Firmen illegal Mitarbeiter beschäftigen, ohne Sozialbeiträge und Steuern abzuführen, oder ob sie sich um den Mindestlohn drücken.

Traditionelles Einsatzgebiet der FKS ist die Baubranche, die als besonders anfällig für Schwarzarbeit gilt. Entsprechend groß ist die Sorge, dass in der Corona-Pandemie durch die geringen Kontrollen nun nicht ausreichend hingeschaut wird. „Der Zoll muss alles daransetzen, den Kontroll-Level der letzten Jahre so weit wie möglich zu halten“, sagte Robert Feiger, Chef der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau). „In der Corona-Pandemie darf es kein ‚Kontrollvakuum‘ geben.“

Das würden die schwarzen Schafe unter den Arbeitgebern quasi als Einladung zum Missbrauch verstehen. „Schwarzarbeit schadet durch hinterzogene Steuern und Sozialabgaben nicht nur dem Staat, sondern auch allen sauber wirtschaftenden Unternehmen“, sagte Feiger.

Vizekanzler Scholz klang bei der Vorstellung der FKS-Bilanz ähnlich. Der Finanzminister betonte, dass er die Zolleinheit gestärkt habe. Bis zum Jahr 2026 soll die Zahl der Stellen bei der FKS auf mehr als 10.000 ansteigen.

Servicefirmen im Visier

Der Bundesrechnungshof sieht allerdings Verbesserungspotenzial. Das gilt vor allem für die Baubranche. Für ein Gutachten nahmen die Rechnungsprüfer sogenannte Servicefirmen ins Visier. Diese verkaufen Scheinrechnungen an Bauunternehmen, die mit sogenannten „Abdeckrechnungen“ ihren Gewinn drücken oder schwarz gezahlte Arbeitslöhne tarnen. Oft verschwinden die Firmen so schnell, wie sie gekommen sind. Beim sogenannten Kettenbetrug arbeiten Baufirmen mit zahlreichen Subunternehmen zusammen, sodass die Behörden Mühe haben, den tatsächlichen Arbeitgeber zu ermitteln.

In dem Gutachten, das an diesem Mittwoch Thema im Haushaltsausschuss des Bundestags sein wird, schlagen die Rechnungsprüfer Reformen vor, um Betrügern das Handwerk zu legen. So solle die Bundesregierung die Generalzolldirektion beispielsweise anweisen, belastbare bundesweite Daten zur Täuschung über die Lohnhöhe und zur Anzahl eingeschalteter Subunternehmen zu erheben.

Doch bei sechs von insgesamt sieben Empfehlungen winkt das Bundesfinanzministerium ab: Die bestehenden Möglichkeiten reichten aus, der bürokratische Mehraufwand sei zu groß, die Verhältnismäßigkeit werde nicht gewahrt, antwortet Scholz’ Staatssekretärin Bettina Hagedorn auf die Anfrage des Grünen-Haushaltsexperten Sven-Christian Kindler.

Nur eine Empfehlung werde derzeit von der Generalzolldirektion geprüft, schreibt Hagedorn. Dabei geht es um die Frage, ob dem Zoll nicht ein automatisierter Zugang zu Daten der Deutschen Rentenversicherung gewährt werden sollte. Die Rechnungsprüfer erhoffen sich dadurch Aufschlüsse über die Beschäftigtenstruktur.

Grünen-Politiker Kindler fordert Finanzminister Scholz auf, die Empfehlungen des Rechnungshofs umzusetzen. In der Bauwirtschaft tappe die FKS aufgrund des mangelnden Datenaustauschs vielfach im Dunkeln. Kindler: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die organisierte Kriminalität besser aufgestellt ist als die Kontrollbehörden des Zolls.“