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Schulen könnten vor erneutem Lockdown stehen – Politik lehnt Schließungen noch ab

300.000 Schüler und bis zu 30.000 Lehrer in Quarantäne: Vollständiger Präsenzunterricht ist derzeit an vielen Schulen nicht mehr möglich. Offen bleiben sollen sie dennoch – bisher.

Wegen Corona wächst die Sorge wegen möglicher Schulschließungen. Foto: dpa
Wegen Corona wächst die Sorge wegen möglicher Schulschließungen. Foto: dpa

Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen ist eine Debatte über mögliche Konsequenzen für die Schulen in Deutschland entbrannt. Hintergrund ist, dass viele Schulen in Deutschland wegen Corona nicht mehr im Regelbetrieb unterrichten. Laut dem Lehrerverband befinden sich zudem mehr als 300.000 Schüler und bis zu 30.000 Lehrer derzeit in Quarantäne.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält das Gesundheitsrisiko für zu hoch und rief deshalb die Kultusminister zum Handeln auf. Die Kultusministerkonferenz (KMK) sieht indes keinen unmittelbaren Handlungsbedarf.

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„Denn es ist unser Ziel, das Recht auf Bildung so lange wie möglich in Schule und Kita zu verwirklichen“, sagte die KMK-Präsidentin, die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD), dem Handelsblatt. „Lernen und Lehren im Präsenzunterricht, aber auch das soziale Miteinander ist zentral für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.“

Dabei ist die Realität teilweise schon eine andere. Rund 3000 Schulen sind wegen Corona nicht mehr in der Lage, vollständig Präsenzunterricht anzubieten, wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe unter Berufung auf Zahlen aus 14 Bundesländern berichten. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es rund 40.000 Schulen mit insgesamt elf Millionen Schülern und rund 800.000 Lehrern.

Bisher ist zwar nur ein Bruchteil der Schulen von Einschränkungen betroffen. Doch die Corona-Lage ist nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) nach wie vor sehr ernst. Das Infektionsgeschehen nehme immer noch in ganz Deutschland zu, Kliniken meldeten zunehmend Engpässe, sagte RKI-Chef Lothar Wieler an diesem Donnerstagmorgen in einer Pressekonferenz.

In seinen jüngsten Zahlen registrierte das RKI am Donnerstag fast 22.000 neue Infektionen – knapp 3400 mehr als am Mittwoch. Auffällig sei auch, dass vermehrt Fälle in Schulen aufträten, so Wieler. Vor diesem Hintergrund wächst die Sorge wegen eines möglichen Bildungslockdowns.

„Die Schließung von Kitas und Schulen sollte die allerletzte Option der Corona-Restriktionen sein“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dem Handelsblatt. „Denn Kita- und Schulschließungen belasten Familien stark und richten einen signifikanten wirtschaftlichen Schaden durch weniger Arbeitszeit der Eltern und durch eine größer werdende Chancenungleichheit im Bildungssystem an.“

Wenn eine solche Option notwendig werde, sollte die Politik aus Sicht Fratzschers „schnell und konsequent“ handeln. „Die Politik darf den Fehler nicht wiederholen und Restriktionen zu spät einführen“, mahnte der Ökonom. „Die Politik hätte bereits die Herbstferien für einen Lockdown light benutzen sollen und hätte damit viel des Schadens der zweiten Infektionswelle für Gesundheit und Wirtschaft vermeiden können.“

Der Ifo-Bildungsökonom Ludger Wößmann plädierte für Online-Unterricht für alle Schulen, die nicht offen bleiben können. Die Kultusminister müssten jetzt mitteilen, „wie das ab morgen konkret gehandhabt wird, falls eine Klasse in Quarantäne muss“, schrieb Wößmann auf Twitter. „Es ist schon enttäuschend, dass wir darauf wohl immer noch nicht vorbereitet sind.“

Wößmann kritisierte, dass die vergangenen Monate nicht zur Vorbereitung genutzt worden seien. Aus der Schulpolitik gebe es keine Regeln oder klare Ansagen. „Einige Schulen sind vorbereitet – aber alle?“

Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Wirtschaftsentwicklung, gab zudem zu bedenken, dass Schüler sehr unterschiedlich gut mit dem Homeschooling zurechtkämen.

„Das hängt stark davon ab, wie bildungsnah das Elternhaus ist, ob zu Hause Platz zum Lernen ist und ob die notwendige IT vorhanden ist“, sagte Grimm dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie gehe deshalb davon aus, dass die Schere bei der Bildungsgerechtigkeit „noch weiter“ auseinandergehen werde, sollten Schulen erneut flächendeckend schließen müssen.

Dafür sieht KMK-Präsidentin Stefanie Hubig keine Veranlassung. Alle Länder hätten „zusätzliche Maßnahmen ergriffen, um den Präsenzunterricht unter Corona-Bedingungen möglich zu machen“, sagte die SPD-Politikerin. „In unsere Überlegungen fließt alles ein: der Gesundheits- und Infektionsschutz wie das Recht auf Bildung.“

Ferien 2021 kürzen

Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe bezweifelt indes, dass die Schutzmaßnahmen in den Schulen ausreichen, um einen Regelunterricht garantieren zu können. Die Klassen müssten geteilt werden, verlangte die Gewerkschafterin. „Je eine Gruppe wäre dann in der Schule, eine zu Hause.“ Für die Schüler sei es besser, rechtzeitig Klassen zu teilen und so im Unterricht Abstände einzuhalten, als zu riskieren, dass immer mehr Klassen komplett in Quarantäne müssten.

Auch ungewöhnliche Maßnahmen sind inzwischen kein Tabu mehr. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sollen die Schüler wegen der Pandemie früher in die Weihnachtsferien starten können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält das für einen „pragmatischen Ansatz“.

Auch der DIW-Chef Fratzscher zeigte sich offen für die Idee. „Wenn es notwendig sein sollte, dann sollte die Politik Schulen und Kitas in vorgezogene Weihnachtsferien schicken, um dann die verlorene Zeit durch Verkürzungen von Ferien im Jahr 2021 wieder aufzuholen“, sagte er.

Spahn betonte aber, dass es für Schulen und Kitas Planbarkeit geben müsse – für Eltern, Kinder, Lehrer und Erzieher. „So was wie im Frühjahr, über Monate geschlossen, aber keiner weiß genau, wann und wie wieder geöffnet wird – das war eine echte, harte Belastung für alle“, sagte der Minister.

Mehr: Ein Großteil der Infektionen findet laut der Forschung in privaten Haushalten statt. Die Rolle von Bereichen wie der Gastronomie ist allerdings nicht so leicht zu erfassen.