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Schuldenschnitte sind ein Spiel mit dem Feuer

Vor dem Hintergrund der ultraniedrigen Zinsen und der rekordhohen Staatsschulden fordern einige Ökonomen, die Schuldenbremse abzuschaffen. Andere schlagen einen Schuldenerlass durch die EZB vor. Was ist davon zu halten?

Die Staatsschulden in der Eurozone wachsen ungebremst. Um die Finanzierungskosten der Regierungen niedrig zu halten, kauft die EZB den Staaten in großem Stil Anleihen ab. Zentralbank und Regierungen sind in einer Spirale aus niedrigen Zinsen und hohen Schulden gefangen.   Foto: dpa
Die Staatsschulden in der Eurozone wachsen ungebremst. Um die Finanzierungskosten der Regierungen niedrig zu halten, kauft die EZB den Staaten in großem Stil Anleihen ab. Zentralbank und Regierungen sind in einer Spirale aus niedrigen Zinsen und hohen Schulden gefangen. Foto: dpa

Jörn Quitzau ist leitender Volkswirt bei der Berenberg Bank.

Die Coronapandemie hat die Staatsschulden in den Ländern der Eurozone auf Rekordniveaus steigen lassen. Zugleich kauft die Europäische Zentralbank in großem Stil Staatsanleihen an und hält so die Finanzierungskosten für die Regierungen niedrig. Während Ökonomen darüber streiten, ob die Staaten die niedrigen Zinsen nutzen sollten, um sich noch stärker zu verschulden, zeigt sich in der Praxis, dass die hohen Staatsschulden in mehreren Ländern immer mehr zum Problem werden.

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Doch der Reihe nach. Die Wissenschaft liefert keine eindeutigen Antworten auf die Frage, ob höhere Schulden für Regierungen das Gebot der Stunde sind, um sich die aktuell günstigen Finanzierungskosten für möglichst lange Zeit zu sichern.

Einige Ökonomen halten es für ein gutes Geschäft, wenn die Rate des Wirtschaftswachstums über dem zu zahlenden Zins liegt. So lange dies der Fall ist, könne der Staat Investitionen tätigen und aus den Investitionserträgen die Zinsen zahlen sowie einen Teil der Schulden tilgen. Dieses Ökonomen-Lager sieht auch die deutsche Schuldenbremse kritisch, weil die Schuldenbremse das tut, wofür sie gedacht ist: Politiker an einer ungezügelten Kreditaufnahme hindern.

Seltsame Diskussion

Während der Coronakrise wurde die Schuldenbremse ausgesetzt, um den Staat nicht in eine prozyklische, die Krise verstärkende Finanzpolitik hineinzudrängen. Die Aussetzung erfolgte regelkonform, denn für außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen, sieht die Schuldenbremse Ausnahmeregeln vor. Obwohl die Schuldenregel also durchaus flexibel genug ist und den Regierungen in schwierigen Lagen genügend finanzielle Bewegungsfreiheit ermöglicht, ist sie zuletzt unter Beschuss geraten. Einige Politiker und Ökonomen halten sie für nicht mehr zeitgemäß und deshalb für reformbedürftig. Mit Blick auf die deutschen Konsolidierungserfolge der letzten Dekade, die auch der Schuldenbremse zu verdanken sind, mutet die Diskussion seltsam an.

Auch wenn unter Ökonomen Konsens herrscht, dass der Staat während der akuten Phase der Pandemie den Konjunktureinbruch mittels schuldenfinanzierter Ausgabenprogramme abfedern muss, plädieren zahlreiche Ökonomen dafür, perspektivisch an der Schuldenbremse festzuhalten: Auch in Zeiten extrem niedriger Zinsen solle sich der Staat mit der Schuldenaufnahme zurückhalten, weil die Gefahr groß ist, dass das Geld nicht in Investitionen, sondern in den Konsum (zum Beispiel höhere Sozialleistungen) fließen würde.

Zudem ließen sich Investitionen durchaus aus den bestehenden Steuereinnahmen finanzieren. Dafür wäre es aber notwendig, andere Posten im Haushalt zu kürzen, was bei den betroffenen Gruppen auf Widerstand stößt und politisch deshalb schwierig ist. Die Finanzierung über höhere Schulden gilt deshalb als politisch bequemer. Ob zusätzliche Staatsausgaben sinnvoll sind, ist aus dieser Perspektive somit keine Frage des Zinsniveaus, sondern der politischen Disziplin, die zur Verfügung stehenden (Steuer-) Mittel investiv (also für die Zukunft) und nicht konsumtiv (also für die Gegenwart) auszugeben.

Vier Gründe gegen einen Schuldenerlass

Während sich Politik und Wissenschaft am „Pro & Contra“ abarbeiten, zeigt sich in der Praxis, dass hohe Schulden immer mehr zum Problem werden – und das trotz der historisch niedrigen Zinsen. Ob gemeinsame EU-Schulden (um die hochverschuldeten EU-Länder zu entlasten), die Diskussion über die Ausgabe ewiger Anleihen (für die nur noch Zinsen zu zahlen, aber keine Tilgung mehr zu leisten wäre) oder jüngst die Forderung, die in den Büchern der EZB liegenden Staatsanleihen einfach zu streichen – alle Ansätze zeigen, dass hohe Schuldenstände zu einer drückenden Last werden können und händeringend nach unkonventionellen Lösungen gesucht wird.

Der Vorschlag einer Gruppe von Ökonomen und von einigen Politikern, die Schulden bei der EZB zu streichen, ist besonders gefährlich. Mindestens vier Gründe sprechen gegen diesen Vorschlag:

Erstens: Ein Schuldenerlass widerspricht dem Geist der Währungsunion und wohl auch dem Vertrag der Europäischen Union. Monetäre Staatsverschuldung gilt gemäß Artikel 123, Absatz 1 AEUV als verboten. Das Streichen der auf dem Sekundärmarkt erworbenen Staatsschulden wäre aber genau das: monetäre Staatsfinanzierung.

Zweitens: Das Streichen der Schulden wäre fiskalisch weitgehend wirkungslos. Die EZB-Anleihekäufe werden hauptsächlich von den nationalen Notenbanken vorgenommen, die Regierungen zahlen die Zinsen auf diesen Teil der Staatsschulden daher an die eigene Notenbank, was deren Gewinne erhöht. Da der Notenbankgewinn an den Staat ausgezahlt wird, handelt es sich quasi um ein Nullsummenspiel: Werden die Staatsschulden in den Büchern der Notenbanken gestrichen, würden die Regierungen zwar Ausgaben für die Zinsen sparen, dadurch aber einen entsprechend niedrigeren Notenbankgewinn erhalten.

Drittens: Ein Schuldenerlass durch die EZB könnte als Testlauf für einen weitergehenden Schuldenschnitt verstanden werden, an dem später auch private Investoren beteiligt werden sollen. Private Gläubiger würden aus den betroffenen Staatspapieren flüchten und die Risikoaufschläge insbesondere der hochverschuldeten Länder würden steigen. Der Vorschlag hat also das Potential, eine neue Staatsschulden- und Eurokrise auszulösen.

Viertens: Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank würde durch einen Schuldenerlass ihrer Wirksamkeit beraubt. Anleihekaufprogramme der EZB würde in den fiskalisch stabileren Ländern zu Recht noch kritischer beäugt als in der Vergangenheit und könnten als geldpolitisches Steuerungsinstrument verbrannt sein.

Zu den guten Sitten des Wirtschaftslebens gehört es, Verträge einzuhalten. Das gilt auch für Staatsschulden. Selbst wenn sie noch so sehr belasten mögen, führt es zum Vertrauensbruch, wenn Zins und Tilgung nicht mehr geleistet werden. Die Folge wären kurzfristig Marktturbulenzen und langfristig höhere Risikoprämien, also höhere Finanzierungskosten.

Einfache Lösungen helfen also nicht weiter, vielmehr bewirken sie das Gegenteil. Der beste Weg, die Schuldenlast zu verringern, ist aus ihnen herauszuwachsen. Die dafür nötigen wachstumsfreundlichen Reformen sind politisch zwar unbequem, doch sie sind das beste Instrument, das Schuldenproblem nachhaltig zu lösen. Zumal die absehbar steigenden Inflationsraten den Staaten zur Hilfe kommen, indem sie den realen Wert der Schulden in den kommenden Jahren senken werden.

Mehr zum Thema: In Europa ist eine Debatte über einen Schuldenschnitt für die Staaten der Euro-Zone durch die EZB entbrannt