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Schleppende Auszahlungen: Existenzangst macht sich im Mittelstand breit

Viele Kleinunternehmer brauchen dringend Zuschüsse, doch nicht alle Bundesländer liefern schon. Für manche könnte deshalb jede Hilfe zu spät kommen.

Die Politik bemüht sich den von der Coronakrise betroffenen Unternehmen schnell unter die Arme greifen zu können. Die Gesetzgebung braucht jedoch Zeit. Doch die haben die Unternehmen nicht. Foto: dpa
Die Politik bemüht sich den von der Coronakrise betroffenen Unternehmen schnell unter die Arme greifen zu können. Die Gesetzgebung braucht jedoch Zeit. Doch die haben die Unternehmen nicht. Foto: dpa

Andreas Pinkwart, Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, ist stolz darauf, Kleinunternehmern, Solo-Selbstständigen und Freiberuflern in der Coronakrise Unterstützung anbieten zu können. Land und Bund seien mit „beispiellosen Soforthilfen“ zur Stelle, sagte der FDP-Politiker.

„Damit die Mittel schnell ankommen, haben wir das rein digitale Antragsverfahren einfach und unbürokratisch gestaltet“, ergänzte er. Von Freitag an stünden die Formulare online zur Verfügung – und sollten noch am Wochenende bearbeitet werden. Das Geld müsse so schnell wie möglich fließen.

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Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) drückt aufs Tempo. „Drei Millionen Solo-Selbstständige, Handwerker und Freiberufler schaffen Arbeit für zehn Millionen Menschen.“ Daher sei der Schutzschirm mit Hilfen von 50 Milliarden Euro für diese Gruppe richtig. „Es ist unser Ehrgeiz, dass vor dem 1. April die ersten Zahlungen bei den Unternehmen ankommen“, sagte Altmaier am Mittwoch.

Die Politik ist sich des Ernstes der Lage also durchaus bewusst. Sie bemüht sich, den Betroffenen rasch unter die Arme greifen zu können. Doch Gesetzgebung und Umsetzung benötigen Zeit. Und Zeit hat die Wirtschaft nicht. Für viele Unternehmen könnte jede Hilfe zu spät kommen.

Für Cüneyt Boran zum Beispiel. Erst im Februar hat der Berliner ein kleines Fitness-Studio eröffnet, etwa 100.000 Euro investiert, aus eigenen Ersparnissen. Als sich das Coronavirus in der Hauptstadt immer stärker ausbreitete, musste er schließen, doch die Kosten laufen weiter: Mieten, Gehälter, Lizenzgebühren.

Für seine drei Angestellten hat Boran Kurzarbeit beantragt, aber bis heute keine Antwort der Arbeitsagentur bekommen. „Keiner sagt uns was, keiner hilft uns weiter, das ist das Problem“, sagt Boran. Lange kann er nicht mehr durchhalten. Mit seinem Anwalt hat er schon über eine Insolvenz gesprochen.

Existenzangst macht sich breit

Boran fühlt sich im Stich gelassen von den Berliner Behörden. Auf ihre Weisung hin hat er sein Studio dichtgemacht. Aber Informationen darüber, wie es weitergehen soll, bekommt er nicht. Ein, zwei Wochen will Boran noch versuchen, sich über Wasser zu halten. Dann, so sagt er, werde er Insolvenz anmelden.

Ein Einzelfall ist Cüneyt Boran nicht. Wer sich dieser Tage im Kleingewerbe umhört, erfährt von etlichen Schicksalen, die ähnlich klingen. Nur wenige möchten mit vollem Namen in der Zeitung stehen. Doch der Befund ist eindeutig: Existenzangst macht sich breit.

Löst die Coronakrise eine beispiellose Pleitewelle aus? Genau das sollte der größte fiskalpolitische Rettungseinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik verhindern. Doch das Auffangnetz, das die Bundesregierung auswerfen will, droht sich in der Bürokratie des deutschen Verflechtungsföderalismus zu verheddern.

Kleinunternehmen, Freiberuflern, Gründern mit bis zu fünf Beschäftigten und Solo-Selbstständigen sollen zur Linderung der größten wirtschaftlichen Not 9000 Euro Zuschuss aus Bundesmitteln gewährt werden, bei bis zu zehn Beschäftigten sind es 15.000 Euro. Die Bundesländer stocken das Programm zum Teil noch deutlich aus eigenen Mitteln auf.

Allerdings handhaben die Bundesländer die Auszahlung der Hilfen sehr unterschiedlich. In Bayern und dem Saarland etwa können Betroffene bereits seit vergangener Woche Hilfen beantragen.

In manchen Bundesländern ist man von Auszahlungen weit entfernt

In Bayern ist das Interesse groß. Nach Angaben des bayerischen Wirtschaftsministeriums gingen bis Mittwoch mehr als 150.000 Anträge ein. Beantragt werden durchschnittlich 7500 Euro. Insgesamt umfasst der Bedarf 1,1 Milliarden Euro. Zur Auszahlung angewiesen wurden bereits 56,5 Millionen Euro. „Jeder Tag zählt, um den Substanzschaden im bayerischen Mittelstand möglichst gering zu halten“, sagt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler).

In anderen Ländern ist man dagegen von Auszahlungen weit entfernt. So folgt etwa Berlin dem Beispiel von NRW. In der Hauptstadt können Anträge überhaupt erst von Freitag an gestellt werden. In Berlin weist man zudem darauf hin, dass Anträge, die vorher gestellt werden, nicht berücksichtigt werden.

Für viele Kleinunternehmer, Freiberufler und Solo-Selbstständige in NRW und Berlin wird es damit eng. „Zum Monatsende am kommenden Mittwoch müssen viele laufende Kosten beglichen werden“, sagte Beatrice Kramm, Präsidentin der IHK Berlin, dem Handelsblatt. Es sei zwar gut, dass ab Freitag die Sofortzuschüsse beantragt werden könnten. „Jetzt muss das Geld aber binnen weniger Tage ausgezahlt werden“, forderte Kramm.

Bundesweit wachsen die Sorgen, dass die Hilfen für viele kleine Unternehmen zu spät kommen könnten. „Es sind Hunderttausende Unternehmen vom angeordneten Stillstand direkt oder indirekt betroffen. Für die zählt jeder Tag. Das gilt insbesondere am Monatsende“, sagte Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DIHK.

„Die wichtigste Botschaft des Soforthilfefonds für Kleinstunternehmen steckt im Namen: Es geht um die sofortige Wirksamkeit“, sagte er. Erforderlich sei ein sehr einfaches Verfahren ohne große Formalitäten, das schnell zur Auszahlung führe. „Und wir brauchen vor Ort durch die im einzelnen Bundesland verantwortliche Institution eine schnelle Bearbeitung, möglichst durchgängig digital organisiert“, sagte Dercks.

Manche bekommen nichts

Während Kleinunternehmer und Freiberufler wenigstens die Hoffnung hegen können, Zuschüsse zu bekommen, drohen Teile des Mittelstands ganz durchs Raster zu fallen. Ein Beispiel ist der Berliner Reiseveranstalter Wörlitz Tourist.

Die von der Bundesregierung aufgelegten Hilfsinstrumente seien auf Kleinstbetriebe und die Stützung von Großkonzernen ausgerichtet, sagt Unternehmenschef Ulrich Basteck. „Wir als Mittelständler bekommen keine Soforthilfen, sondern haben nur die Möglichkeit, Kredite zu beantragen. Doch ob und wann diese ausgezahlt werden, ist bislang überhaupt nicht absehbar.“

Der Reiseveranstalter beschäftigt 200 Mitarbeiter und verfügt über 16 Reisebüros in Berlin und Brandenburg sowie 22 eigene Busse. Seit 17. März arbeiteten die Mitarbeiter in Kurzarbeit, um Kosten zu sparen. Die Busse wurden abgemeldet.

Einnahmen gibt es keine mehr. Dafür forderten Kunden ihre Reiseanzahlungen zurück. „Die Liquidität des Unternehmens ist ernsthaft bedroht“, sagte Basteck. „Wir halten das maximal zwei Monate lang durch, dann ist Schluss.“