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Wie schlecht bewertete Aktien sich auszahlen

Value-Investing setzt auf unterbewertete Unternehmen. Anleger verpassen damit manchen Trend, entgehen aber auch Blasen. Thomas Braun verfolgt den Ansatz seit 20 Jahren und erklärt, welche Titel besonders attraktiv sind.

Thomas Braun ist Mitgründer der Schweizer Fondsboutique Braun, von Wyss & amp; Müller, die 1997 gegründete wurde und sich auf Value-Fonds spezialisiert. Flaggschiff ist der weltweit investierende Aktienfonds Classic Global Equity Fund. Braun war als Finanzanalyst bei verschiedenen Schweizer Banken tätig. Er ist Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Finanzmarktforschung SGF sowie der Swiss Financial Analysts Association (SFAA). Im Handelsblatt-Interview erklärt er, warum er viel von unterbewerteten Unternehmen hält, welche Firmen er in Zeiten der Digitalisierung attraktiv findet, warum er maximal in 30 Titel investiert – und Roboter so schnell nicht seine Arbeit ersetzen werden.

Herr Braun, Sie verfolgen als Fondsmanager einen wertorientierten Ansatz, das sogenannte Value-Investing. Geht dieses Konzept überhaupt noch auf in einer Zeit der Transformation durch die Digitalisierung?
Die Frage ist, ob Digitalisierung wirklich etwas Neues ist. Für uns ist es ein alter Prozess, der mit der Einführung des PCs in den 1980er Jahren nicht einmal begonnen hat, sondern bloß die breiten Massen erreicht hat. Dann kamen das Internet, E-Commerce, das Smartphone. Im Moment geht die Welt einfach einen Schritt weiter. An den Grundpfeilern des Value-Investing ändert dies nichts. Es wird sich weiterhin auszahlen, in fundamental unterbewertete Unternehmen zu investieren und darauf zu setzen, dass die Börse die Unterbewertung über die Zeit korrigiert. Neu ist lediglich, dass die digitalen Entwicklungen neue Risiken und Chancen schaffen. Diese müssen wir sorgfältig analysieren und bei der Berechnung des inneren Werts, also der fairen Bewertung eines Unternehmens, berücksichtigen.

Drohen Sie nicht interessante neue Geschäftsideen zu verpassen, weil solche Unternehmen oft zu sehr hohen Notierungen gehandelt werden?
Durchaus, aber auch das ist nichts Neues. Als Value-Investor verpasst man in der Regel neue, wenig erprobte Geschäftsideen immer, weil kaum abschätzbar ist, wie hoch ihre künftigen Gewinne und Cashflows sein werden. Was wir nicht bewerten können, können wir nicht kaufen. Glücklicherweise gibt es immer genügend Anlagemöglichkeiten, bei denen dieses Problem nicht besteht. Ist die Bewertung eines Unternehmens sehr hoch, investieren wir ohnehin nicht. Zu oft haben die Investoren mit solchen Titeln Geld verloren, zum Beispiel im Jahr 2000.

Was sind Ihre wichtigsten Kriterien, um eine Aktie zu kaufen?
Zum einen muss der Kurs einer Aktie deutlich unter ihrem inneren Wert notieren. Wir verlangen einen Abschlag von rund 40 Prozent zum inneren Wert des Unternehmens. Zum anderen muss die Bilanz solide sein, um eine Schlechtwetterperiode zu überstehen. Wir überprüfen dies systematisch mittels eines anspruchsvollen Stresstests.

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Passen Sie Ihre Auswahlkriterien aufgrund der Transformation der Wirtschaft an?
Nein. Aber die aktuelle Transformation verlangt erhöhte Achtsamkeit, wenn wir die künftigen Cashflows schätzen. Insbesondere gilt es abzuklären, ob und wie die neuesten Entwicklungen das Geschäftsmodell sowie die künftigen Margen, Wachstumsraten und den Investitionsbedarf beeinflussen. Für etablierte Unternehmen bestehen Chancen, aber bisher bewährte Geschäftsmodelle können auch zerstört werden.

Welche Unternehmen finden Sie derzeit attraktiv bewertet?
Ein gutes Beispiel ist der Reifenhersteller Goodyear. Er hat in den letzten Jahren seine US-Werke auf Vordermann gebracht und ist nun dabei, das gleiche in Europa zu tun, wo die Margen nur halb so hoch sind wie jene von Continental. Selbst ohne weitere Margenverbesserungen in Europa ist die Aktie deutlich über 50 US-Dollar wert, der Kurs liegt heute bei rund 32, US-Dollar. Im Übrigen gehören die Reifenhersteller zu den Gewinnern der gegenwärtigen Transformation der Autoindustrie, da Elektromobile eine höhere Reifenabnutzung aufweisen als herkömmliche Autos.

Wo schauen Sie noch genauer hin?
Aggreko: Der Weltmarktführer in der Vermietung von Stromaggregaten ist unterbewertet, weil der Markt noch nicht erkannt hat, welches Gewinnpotential dank technologischer Erneuerung in der Flotte steckt. Zudem sollte die Schaffung professioneller Strukturen, wie die Ausbildung der Verkaufsmannschaft und die Einführung moderner EDV, die Margen erhöhen. Wir schätzen den inneren Wert auf rund 17 Pfund, Kurs heute 8,60 Pfund. Die Digitalisierung wird den Strombedarf bestimmt nicht senken.

Bitte noch ein Beispiel.
Schließlich der US-Frankiermaschinenhersteller Pitney Bowes – ein Opfer des Internets. Das Briefvolumen schrumpft bekanntlich seit Jahren. Da Pitney 80 Prozent des US-Markts beherrscht, konnte die Firma dennoch hohe Cashflows generieren und die Margen dank Kostensenkungen sogar erhöhen. Die Börse übersieht, dass die Gesellschaft dank neuer Angebote bei Paketen und Software künftig wieder wachsen sollte. Wir sehen den Kurs eher bei 20 als bei aktuell 13 US-Dollar.


„Bewertungsausreißer wecken unser Interesse“

Sie investieren in Ihrem weltweit investierenden Aktienfonds „Classic Global Equity Fund“ in 25 bis 30 Werte. Warum diese starke Konzentration?
Mit 25 bis 30 Aktien greift der Diversifikationseffekt bereits ausreichend. Zudem wollen wir, dass jedes unserer Investments spürbar zu unserer Performance beiträgt. Schließlich investieren wir viel Zeit und Energie in die Analyse jeder unserer Positionen. Mit 25 bis 30 Aktien haben wir einen guten Mix zwischen Diversifikation und tiefgehender Kenntnis unserer Positionen.

Können Sie mit diesem Ansatz dauerhaft die Märkte schlagen?
Seit unserem Start vor nicht ganz 20 Jahren hat unser Classic Global Equity Fund eine durchschnittliche Rendite in Euro von 11,5 Prozent pro Jahr erzielt gegenüber 5,3 Prozent unseres Referenzindexes MSCI World. Solange wir konsequent in stark unterbewertete Titel investieren, sehe ich keinen Grund, weshalb wir nicht auch künftig eine Value-Prämie erzielen sollten.

Können niedrige Bewertungen nicht auch ein falsches Kaufsignal liefern, zum Beispiel während der Finanzkrise, als Bankwerte sehr niedrig bewertet waren und die Titel im Anschluss auch nicht aus der Krise kamen – und wie können Sie sich davor schützen?
Eine niedrige Bewertungs-Kennziffer allein ist in der Tat kein Grund, ein Unternehmen zu kaufen. Denn oft ist diese fundamental gerechtfertigt, zum Beispiel weil die Firma nicht mehr wächst oder gar schrumpft, sie hohe Risiken aufweist oder stark verschuldet ist, sodass daraus ein tiefes Kurs-Gewinn-Verhältnis resultiert. Nur eine gründliche Analyse schafft Klarheit.

Wie finden Sie attraktive Werte und wie kommen sie an die nötigen Informationen?
Wir nutzen möglichst alle Quellen, um neue Ideen zu finden. Wir setzen mehrere Filter ein, mit denen wir unsere Bloomberg- und Capital-IQ-Datenbanken nach verschiedenen Value-Kriterien durchkämmen. Bewertungsausreißer innerhalb einer Industrie wecken unser Interesse. Manche Ideen kommen von Brokern, die unseren Value-Ansatz verstehen. Wir besuchen Value-Konferenzen und sind uns nicht zu schade, von tüchtigen Kollegen abzukupfern. Manchmal kommt die Idee aus der Presse: Wenn sich ein CEO über die tiefe Bewertung seines Unternehmens beklagt, kann ja eine Chance damit verbunden sein.

Unsere primären Informationsquellen sind die Jahres- und Quartalsberichte. Auch Firmenpräsentationen, Telefonkonferenzen und Investoren-Tagungen sind nützlich, um sich ein fundiertes Bild über ein Unternehmen zu machen. Fragen, die dabei immer aufkommen, diskutieren wir gerne direkt mit dem Management oder mit dem zuständigen Investor-Relations-Beauftragten. Von großem Nutzen sind auch Experten-Netzwerke, über die wir mit Industrieexperten, nicht selten ehemaligen Managern und Konkurrenten, über Stärken und Schwächen von Firmen diskutieren, die uns interessieren.

Welche Rolle spielt für sie das Gespräch mit dem Management, um ein Unternehmen zu analysieren?
Ein gutes Management hat seine operative Tätigkeit im Griff und investiert seine Ressourcen dort, wo sie den höchsten Mehrwert schaffen. Gespräche mit dem Management liefern dazu vertiefte Einblicke. Die Risiken sind geringer, wenn der CEO geerdet und ehrlich ist und die Interessen der Publikumsaktionäre ernst nimmt. Was am Ende zählt, sind aber nicht Worte, sondern Resultate. Was übrigens auch für Fondsmanager gilt.

Stichwort Digitalisierung: Fondsgesellschaften beginnen Auswahlprozesse zu automatisieren. Trifft das auch auf Ihr Haus zu?
Wir benutzen Datenbanken, die wir nach unseren Kriterien durchfiltern. Darüber hinaus ist alles Hand- bzw. Kopfarbeit unserer Analysten. Wir haben keine Pläne, sie durch Roboter zu ersetzen.

Herr Braun, danke für das Interview.

KONTEXT

Wie Deutsche ihr Vermögen verteilen - und welche Folgen dies hat

Wo steckt das viele Geld?

Sparbuch und Co. werfen wegen der Zinsflaute kaum noch etwas ab, zugleich nagen die Niedrigzinsen an der Rendite von privaten Renten- und Lebensversicherungen. Dennoch liegt das Geld vor allem auf Girokonten, es steckt in Sparbüchern oder Lebensversicherung. Der größte Posten waren der Bundesbank zufolge Ende vergangenen Jahres Bargeld, Geld auf Girokonten oder Spareinlagen mit insgesamt 2.200 Milliarden Euro. Weitere 2.113 Milliarden Euro steckten in Versicherungen und Pensionseinrichtungen. 2016 hatten einer GfK-Umfrage zufolge 40 Prozent der Bundesbürger ihr Geld auf einem Sparbuch angelegt - wohlwissend, dass es sich um eine unattraktive Form der Geldanlage handelt.

Was ist mit Aktien?

Die meisten Menschen in Deutschland meiden Aktien nach wie vor. Die Zahl der Aktienbesitzer in Deutschland sank im vergangenen Jahr sogar wieder unter die Marke von neun Millionen. "Die Deutschen sind eben leider immer noch kein Volk der Anleger, sondern ein Volk der Sparer - daran hat selbst die anhaltende Niedrigzinsphase bis heute nichts ändern können", meint der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Marc Tüngler.

Welche Folgen hat das?

Sparer verzichten nicht nur auf Gewinne durch steigende Börsenkurse, sondern auch auf Dividenden. Nach Berechnungen von Aktionärsvertretern schütten allein die 30 Börsenschwergewichte im Leitindex Dax in diesem Jahr die Rekordsumme von 31,6 Milliarden Euro an ihre Anteilseigner aus. Die Gewinnbeteiligung bei 640 untersuchten Aktiengesellschaften steigt im Vergleich zum Vorjahr um rund 9 Prozent auf die Bestmarke von insgesamt 46,3 Milliarden Euro.

Sind Aktien immer eine gute Wahl?

Nicht unbedingt. Zwar gelten die Anteilsscheine langfristig als lukrative Geldanlage. Wer beispielsweise Ende 1995 Aktien kaufte und bis Ende 2010 hielt, habe in diesem Zeitraum im Schnitt 7,8 Prozent Rendite pro Jahr erzielt, rechnet das Deutsche Aktieninstitut (DAI) vor. Doch nicht jede Aktie zahlt sich aus - wie die DSW-Liste der 50 "größten Kapitalvernichter" zeigt. Wer dort investierte, musste herbe Kursverluste hinnehmen, "die durch die Dividendenzahlungen meist nicht ansatzweise kompensiert werden konnten", wie Tüngler erläutert.

Wie ist der Reichtum verteilt?

Darüber gibt die Analyse der Bundesbank keine Auskunft. Der aktuelle Armut- und Reichtumsbericht der Bundesregierung kommt aber zu dem Ergebnis, dass die reichsten zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des gesamten Netto-Vermögens besitzen. "Die untere Hälfte nur ein Prozent", erläuterte Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) jüngst. Von dem seit Jahren anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland profitieren danach vor allem die Reichen. "Die unteren 40 Prozent der Beschäftigten haben 2015 real weniger verdient als Mitte der 90er Jahre", so die Ministerin.