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„Schlag in die Magengrube“ – Bayer steckt in der Monsanto-Falle

„Wir hätten gewollt, dass Sie uns sagen, dass Roundup völlig sicher ist. Dass Sie sich vorne hinstellen und es trinken!“ Mit diesen Worten antwortete einer der Geschworenen nach dem Glyphosat-Prozess im kalifornischen Alameda auf die Frage eines Monsanto-Anwalts.

Der wollte wissen, was die Geschworenen hätten hören wollen, um Monsanto freizusprechen. Vier Wochen lang hatten die Anwälte der Konzernmutter Bayer für die Unbedenklichkeit des Unkrautvernichters argumentiert. Die ultimative Mutprobe mit einem Schluck des Monsanto-Mittels Roundup blieb allerdings aus.

Doch der Vorschlag verdeutlicht sehr gut die Stimmungslage im dritten von Bayer und Monsanto verlorenen Prozess um Gesundheitsgefahren durch Glyphosat. Auch die Laienjury in Kalifornien sieht es als erwiesen an, dass von dem Mittel ein Krebsrisiko ausgeht. Noch schwerer wiegt für sie, dass Monsanto die Gesundheitsgefahren bewusst verschwiegen und nichts zur Warnung der Kunden getan habe. Gerade einmal zwei Tage haben die Geschworenen gebraucht, um nach einem komplexen Prozess zu diesem Urteil zu kommen.

Die angebliche Täuschung hat die Jury zu einer rekordverdächtigen Strafe veranlasst: Zwei Milliarden Dollar soll die Bayer AG als Rechtsnachfolgerin von Monsanto an das Kläger-Ehepaar zahlen. Es ist die achthöchste Strafe, die jemals ein US-Gericht gegen ein Unternehmen verhängt hat.

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Der davon ausgehende Schock war von der Jury genau so gewünscht: „Wir wollten Monsanto klar sagen: Hört auf damit, macht es besser! Und wir wollten, dass sie uns zuhören und uns ernst nehmen“, sagte Jurymitglied Doug Olsen nach dem Prozess. Eine wesentlich niedrigere Summe hätte nicht den Effekt eines „Schlags in die Magengrube“ gehabt.

Der Schlag für Bayer hat gesessen. Drei Prozesse in Sachen Glyphosat haben der Monsanto-Konzern und sein neuer Besitzer aus Deutschland nun in Serie verloren. Der Druck zu außergerichtlichen Vergleichen, die Milliarden kosten würden, steigt.

Bayer stehe in den Verfahren nun „mit dem Rücken zur Wand“, sagte Aktionärsschützer Marc Tüngler dem Handelsblatt. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sagt dies nicht nur mit Blick auf die Rechtslasten. Er sieht auch die Reputation des Konzerns durch das Erbe Monsantos in Gefahr.

Tatsächlich macht das Urteil im dritten Prozess deutlich, dass die Klägeranwälte mit ihren Argumenten überzeugen können – zumindest in der ersten Instanz. „Monsanto hatte nie Interesse daran, herauszufinden, ob Roundup sicher ist“, sagte der Klägeranwalt Brent Wisner von der Kanzlei Baum, Hedlund, Aristei, Goldman. „Statt in fundierte Wissenschaft zu investieren, haben sie Millionen darin investiert, Studien anzugreifen, die ihre Geschäftsagenda gefährdete.“

Bayer weist diese Vorwürfe scharf zurück und verweist auf die frischen Einstufungen von Umweltbehörden in den USA und Kanada, die beide keine Krebsgefahr durch Glyphosat sehen. So erschreckend die Höhe der Strafe auch ist: Die Chancen, dass das Urteil von der Richterin einkassiert wird, sind hoch.

Die Geschworenen haben dem Ehepaar einen reinen Schadenersatz in Höhe von 55 Millionen Dollar zugesprochen. Dazu kommt jeweils eine Milliarde Dollar an „punitive damages“, also Strafschaden wegen Fehlverhaltens.

Die Börse reagierte zurückhaltend auf das dritte Urteil: Der Bayer-Kurs gab bis zum Nachmittag nur um 2,5 Prozent nach. Die Investoren rechnen offenbar damit, dass das Urteil in dieser Höhe keinen Bestand haben wird.

Das sehen auch Analysten so: „Wir gehen davon aus, dass die gesamte Summe in diesem Fall auf 110 Millionen Dollar gesenkt wird“, heißt es in einer Analyse des Investmenthauses Bernstein. Das würde einem Verhältnis von Schadensersatz und der „punitive damages“ von 1:1 entsprechen, wie es auch dem Urteil im ersten Prozess zugrunde liegt.

Monsanto wurde im August 2018 zu einer Zahlung von 78 Millionen Dollar an den Kläger verurteilt. Das Berufungsverfahren für diesen ersten Fall startet nun und dürfte bis Herbst dauern. Diese Berufung ist für Bayer extrem wichtig: Der Konzern setzt weiter darauf, dass seine Anwälte bei professionellen Richtern mit ihren Argumenten und wissenschaftlichen Beweisen besser durchdringen als bei Laienjurys.

Neue Prozesse im August

Gelingt dies nicht, wird sich die Rechtsposition von Bayer massiv verschlechtern. Eine Niederlage wäre das klare Signal, dass die Deutschen zu hohen Zahlungen bei außergerichtlichen Vergleichen gezwungen sein könnten. Ein Erfolg wiederum würde Bayers Verhandlungsposition mit den Klägeranwälten stärken.

Das Verfahren ist nicht einfach: Die Anwälte der Leverkusener müssen mit Prozessfehlern argumentieren. Denn ein Jury-Urteil ist in zweiter Instanz in den USA nicht einfach auszuhebeln, sondern genießt hohen Stellenwert.

Neben den Berufungsverfahren ist für Bayer die Entwicklung in den nächsten Prozessen wichtig, die erstmals außerhalb Kaliforniens starten. Jurys in dem amerikanischen Sonnenstaat gelten als klägerfreundlich und unternehmenskritisch. Im August beginnen die nächsten Prozesse in St. Louis/Missouri. Allerdings stehen die Chancen der Kläger auch dort nicht schlecht; auch in Missouri gelten die Geschworenen als klägerfreundlich.

Die Klägeranwälte werden den Geschworenen auch dort Dokumente vorlegen, die das Bild einer düsteren Vergangenheit von Monsanto zeichnen. Sie werden ihre Experten vorladen und erneut die Beziehung zwischen Monsanto und der Umweltaufsichtsbehörde EPA beleuchten. Die EPA ist Bayers stärkstes Argument. Die Behörde hat kürzlich erneut ihre Einschätzung bestätigt, dass Glyphosat nicht krebserregend sei.

Doch die Anklage stellt die Glaubwürdigkeit der Behörde infrage. „Wir haben interne E-Mails und Textnachrichten zwischen Monsanto und hochgestellten EPA-Mitarbeitern, die beweisen, dass die EPA nicht für die Amerikaner arbeitet, sondern für Monsanto“, erklärte der Klägeranwalt Brent Wisner nach dem Urteil in Kalifornien.

„Die Jury hat diese Dokumente gesehen und gesagt: Das reicht nicht. Versteckt euch nicht hinter der EPA“, sagte Wisner. Der Wissenschaftler, der eine Studie ausgearbeitet hatte, auf deren Grundlage Roundup überhaupt zugelassen worden war, sei für seine gefälschten Untersuchungen im Gefängnis gelandet, betont sein Anwaltskollege Mark Miller.

Für den Geschworenen Doug Olsen war aber auch eine Fernsehwerbung überzeugend, die die Klägeranwälte im Prozess gezeigt hatten: Darin sprüht ein Vater in T-Shirt und Shorts ohne jeden Mundschutz unbekümmert Roundup auf seinem Grundstück. „Die Werbung war so gemacht, dass sie einem in Erinnerung bleibt“, sagte Olsen. Und die Botschaft war klar: Roundup ist sicher.

Auch die Wissenschaftler der Kläger kamen bei den Geschworenen überzeugender an, wie einige von ihnen nach dem Prozess berichteten. Die Hämatologin und Onkologin Alexandra Levine, die Monsanto verteidigte, sei zwar vom Fach, habe sich aber nicht mit Pestiziden beschäftigt, lautete die Kritik der Geschworenen. Dagegen seien die beiden Ärzte Dennis Weisenburger und Christopher Portier überzeugend gewesen, weil sie über den Zusammenhang zwischen Pestiziden und Krebs geforscht hätten.

„Mit jeder Niederlage und ohne einen einzigen Sieg für Monsanto wird es immer schwieriger mit der Strategie des Würfelns, weiterzumachen und auf einen Gewinn als Ausgleich zu hoffen“, sagte Steven Tapia, Jura-Professor und ehemaliger Unternehmensanwalt, dem Handelsblatt.

„Ich bin nicht in Bayers Berechnungen eingeweiht. Aber ich denke, dass sehr bald die Kosten für die Verteidigung und für die Strafzahlungen – auch wenn sie reduziert werden – höher sind als die Kosten für eine mögliche Einigung mit den restlichen Klägern.“

Kommen jetzt Vergleiche?

Die Zahl der Klagen werde sich nun erhöhen, ist der Jurist überzeugt. Für Tapia steht fest: „Auch wenn sie jetzt noch nicht an dem Punkt angekommen sind, an dem diese Strategie nicht mehr vertretbar ist, werden sie dort sehr bald sein.“

Angesichts der jüngsten Urteile dürften nach Ansicht der Analysten von Bernstein nur noch wenige Opfer einem Vergleich zustimmen – und wenn, dann nur bei hohen Entschädigungen. Viele Experten gehen daher von teuren Vergleichen aus. „Es zeigt wieder, dass sich Bayer mit der Akquisition erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken eingekauft hat, die sich zum heutigen Zeitpunkt nur schwer quantifizieren lassen“, sagte Fondsmanager Markus Manns von Union Investment der Nachrichtenagentur Reuters.

„Mit jedem negativen Urteil sinkt die Zuversicht, dass das zukünftige Settlement bei etwa fünf Milliarden Dollar liegen wird, wie von vielen Analysten geschätzt.“ Die Ratingagentur Moody’s rechnete zuletzt durch, dass Bayer einen Vergleich von bis zu fünf Milliarden Dollar verkraften könnte. Mehr als 20 Milliarden seien aber schwer verdaulich.

Nach dem Urteil habe er viele Anrufe aus der deutschen Finanzwelt erhalte, berichtet Klägeranwalt Miller. „Wir waren immer bereit zu reden. Wir sind auch jetzt bereit. Es gibt Opfer, die eine Entschädigung brauchen. Wir müssen den Fall lösen“, sagte er. Klägeranwalt Wisner sieht Werner Baumann in der Pflicht: „Der aktuelle Bayer-CEO hat einen Fehler gemacht, als er Monsanto kaufte. Sie haben damit 100 Jahre wissenschaftlichen Betrug und Korruption gekauft. Er sollte dafür Verantwortung übernehmen und sich mit uns hinsetzen.“

Die Aktionäre hatten dem Bayer-Management auf der Hauptversammlung vorgeworfen, die rechtlichen Risiken beim Erwerb von Monsanto unterschätzt zu haben. Sie zeigten sich wütend über den Kursverfall von 40 Prozent seit der Übernahme und entzogen dem Vorstand das Vertrauen. „Die Führung von Bayer muss die Rechts- und Reputationsrisiken in den Griff bekommen“, sagte Janne Werning von der Fondsgesellschaft Union Investment dem Handelsblatt. Das wird nach dem neuen Urteil schwerer.