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Warum Südamerika zum Hotspot des Zigarettenschmuggels wurde

Internationale Tabakmultis sollen in das Geschäft um den weltweiten Zigarettenschmuggel aus Südamerika verstrickt sein. Ein Ortsbesuch.

Ausgerechnet in einer Biogasanlage in Südbrasilien lässt sich die erahnen, welche Dimensionen der Zigarettenschmuggel im Zentrum von Südamerika inzwischen erreicht hat. Die Anlage steht in Sichtweite des Wasserkraftwerks Itaipú und wird mit allen organischen Produkten gefüttert, die beim Schmuggel im Grenzgebiet zwischen Brasilien, Argentinien und Paraguay beschlagnahmt werden. Gepanschtes Olivenöl, Bier oder Rindersteaks wandern in die Biogasanlage. Das wichtigste Produkt für den Gasprozess aber ist Zigarettentabak.

Der lagert am Rande des Biokraftwerks wie ein riesiger Strohhaufen. Eine übelriechende Flüssigkeit sickert daraus hervor. Bruna Smaniotto, die Technikerin des Betreibers CIBiogas erklärt, dass sie gerne mehr Tabak verwenden würde, aber nur beschränkte Mengen in die Anlage einfüttern könnte, um den Gärungsprozess nicht zu behindern. Genug Tabak wäre da, um mehrere solcher Anlagen zu betreiben. Vor zwei Jahren hat der brasilianische Zoll eine halbe Million Dollar in eine Anlage investiert, welche die Zigaretten in Papier, Karton, Filter und Tabak trennt.

Manuell wäre die Trennung nicht zu schaffen. Denn es geht um ungeheure Mengen, die verarbeitet werden müssen. Im vergangenen Jahr beschlagnahmten die Behörden 28,5 Millionen Zigarettenpackungen. Das sind rund 570 Millionen Zigaretten im Marktwert von etwa 100 Millionen Dollar.

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Doch das ist nur ein winziger Bruchteil der geschmuggelten Glimmstängel aus Paraguay. Die Schmuggelware macht je nach Schätzung zwischen ein und zwei Drittel des Gesamtmarkts aus. Das Brasilianische Institut für Ethik im Wettbewerb (Etco) etwa schätzt, dass heute mehr als die Hälfte, genauer: 57 Prozent, der in Brasilien gerauchten Zigaretten aus Paraguay stammen und über die Grenze geschmuggelt werden.

Bei 111 Milliarden gerauchten Zigaretten im vergangenen Jahr in Brasilien wären das also 63 Milliarden Zigaretten, die illegal nach Brasilien gelangen. Von den zehn meistgerauchten Zigarettenmarken Brasiliens sind vier Sorten Schmuggelware aus Paraguay. Man kann sie überall in den Großstädten Brasiliens bei fliegenden Händlern kaufen.

Ermittlungen gegen 300 Polizisten

Der Grund für den gewaltigen Grenzverkehr ist vor allem der Steuerunterschied: Während die Produzenten in Paraguay nur 18 Prozent Steuern auf ihre Zigaretten bezahlen, sind es in Brasilien 71 Prozent. Etco rechnet damit, dass dem brasilianischen Staat damit letztes Jahr umgerechnet rund drei Milliarden Dollar Steuereinnahmen entgangen sind. „Wir überlassen den Markt den Schmugglern“, schimpft Edson Vismona, Geschäftsführer von Etco. Die organisierte Kriminalität habe den Platz des Staates eingenommen und finanziere sich mit den Steuerhinterziehungen.

Gerade hat die Staatsanwaltschaft im Bundesstaat São Paulo Anklage eingereicht gegen 300 Polizisten. Seit zwei Jahren laufen die verdeckten Ermittlungen. Die Polizisten sollen für die Zigarettenschmuggler die Transporte gesichert haben: Drei, vier Trucks im Konvoi mit jeweils einer halben Million Packungen würden von der Grenze bis zu den Verteilerstätten im Großraum São Paulo begleitet. Vorbei an Polizeistellen, Straßenkontrollen und den mobilen Einsatztruppen der Autobahnpolizei.

Ein Kronzeuge hat ausgepackt und der Polizei die Einzelheiten des Deals geschildert. Die permanent getesteten Wege für den Zigarettenschmuggel, sagt er, bildeten die Vorhut für die Transporte von Kokain, Marihuana und Waffen.

Es scheint: Niemand in Südamerika hat Interesse daran, das einträgliche Geschäft zu stören.

Um den eingespielten Grenzhandel zu verstehen, bietet es sich an, von Brasilien aus über die „Brücke der Freundschaft“ hoch über den Río Paraná ins Nachbarland zu fahren. Dort versteht man schnell, warum ein kleines Land wie Paraguay im Zentrum Südamerikas mit nur sieben Millionen Einwohnern unbehelligt zum größten illegalen Zigarettenlieferanten der umliegenden Staaten aufsteigen konnte.

Die wuselige Grenz- und Handelsstadt Ciudad del Este verlässt man über eine Stadtautobahn nach Norden. Nach einer halben Stunde Fahrt entlang an Rinderweiden, Getreidesilos und Hochspannungsleitungen erreicht man in der Nähe der Kleinstadt Hernandarias die Tabacalera del Este S.A., kurz Tabesa genannt. Von hier sind es nur ein paar Hundert Meter bis zum Stausee des Wasserkraftwerks Itaipú.

Die Grenze zwischen Brasilien und Paraguay läuft mitten durch den See und den Paraná-Fluss. Die brasilianische Bundespolizei schätzt, dass es allein im Stausee 300 illegale Anlegestellen für Schmuggelboote gibt.

Der gewaltige Aufstieg von Tabesa

Tabesa ist der mit Abstand größte Zigarettenhersteller Paraguays. Geschätzt die Hälfte aller in Paraguay gerauchten Zigaretten kommt aus den acht Fabriken des Konzerns. In der Anlage in Hernandarias spucken die modernen Anlagen in der Sekunde 579 Zigaretten aus.

Das Unternehmen ist der größte private Steuerzahler des Landes – aber nicht nur deswegen ist das Unternehmen politisch einflussreich. Tabesa gehört zum Imperium von Horacio Cartes, der zwischen 2013 und 2018 Präsident Paraguays war.

Der 63-Jährige ist einer der reichsten Menschen Paraguays. Er wurde früher mal wegen Finanzbetrügereien verurteilt, war jahrelang untergetaucht, verbrachte auch mal einige Zeit im Gefängnis. Die US-Drogenbehörde DEA verdächtigt ihn der Geldwäsche aus Drogenaktivitäten.

Zum Grupo Cartes gehören Rinderfarmen, Saftabfüller, eine Bank, ein Flugunternehmen. Zeitweise war Cartes Präsident von Libertad, dem wichtigsten Fußballklub des Landes. Den Zigarettenkonzern Tabes hat Cartes erst 1994 gegründet. Seitdem hat das Unternehmen einen gewaltigen Aufstieg erlebt.

Nach Ansicht von internationalen Gesundheitsexperten ist Tabesa heute einer der wenigen globalen Tabakkonzerne, der neben den sechs Weltmarktführern aus den Industrieländern mithalten kann. Der uruguayische Ökonom Alejandro Ramos schätzt, dass elf Prozent aller illegal in der Welt gehandelten Zigaretten von Tabesa stammen. Und der wichtigste Markt für Tabesa ist Brasilien.

Solche Zahlen sind schwer zu belegen. Schmuggler veröffentlichen keine Zahlen. Illegale Handelsströme lassen sich nur indirekt ableiten. In einer ausführlichen Untersuchung zum Aufstieg Tabesas zum Global Player (,„We think globally‘: The rise of Paraguays Tabacalera del Este as a threat to global tobacco control“) leiten fünf renommierte Experten Tabesas marktführende Stellung so ab: Während die offiziellen Zigaretten-Exportzahlen Tabesas weltweit seit 2012 abnehmen, stiegen die Importe des Unternehmens an Zigaretten-Vorprodukten wie den Chemikalien Acetat und Triacetin, Zigarettenpapier und Filter auf solche gewaltige Mengen an, dass das Unternehmen damit bis zu 36 Milliarden Zigaretten fertigen könnte.

Zieht man den inländischen Konsum in Paraguay selbst und die offiziellen Exporte des Konzerns ab, dann könnten von Tabesa aus jährlich zwischen 19 bis 30 Milliarden Zigaretten auf den illegalen Markt gelangen, so die Autoren der Studie. Längst beschränke sich der Konzern nicht mehr nur auf die umliegenden Staaten, auch nach Mexiko und die USA exportiert der Konzern.

Wenn Cartes auf die Diskrepanz zwischen dem geringen lokalen Konsum in Paraguay und der gewaltigen Produktion seines Unternehmens angesprochen wird, gibt er sich nicht viel Mühe, den Grund zu verschleiern. Eine seiner Standardantworten ist, dass Schmuggel ein Problem von Zollbehörden sei und er nicht verantwortlich sei für die gesamte Verarbeitungskette.

Wo seine Zigaretten geraucht werden, das sei nicht sein Problem, sagte Cartes gegenüber der Zeitung „ABC Color“ aus Paraguay in einem seiner seltenen Interviews. Sein anderes Argument: Nicht er habe dieses Geschäft aufgebaut. „Fragt die großen Zigarettenkonzerne – sie haben diesen Markt geschaffen.“

Das Erbe der Generäle

Tatsächlich haben British American Tobacco (BAT) und Philip Morris den Markt im heutigen Mercosur seit den Sechzigerjahren dominiert und aufgebaut, sodass sie heute noch in Lateinamerika mit einem Anteil von über 80 Prozent Marktführer sind. BAT hat über seine brasilianische Tochter Souza Cruz die Wurzeln gelegt, dass Brasilien heute nach China der zweitgrößte Produzent und größte Tabakexporteur weltweit geworden ist. Rund 30 Prozent vom weltweit gehandelten Zigarettentabak stammen aus Brasilien. Vor allem Kleinbauern, vielfach mit deutscher Abstammung, pflanzen in Familienbetrieben Südbrasiliens Tabak.

Jahrzehntelang erzielte insbesondere die BAT-Tochter Souza Cruz mit einem einträglichen Dreiländerhandel Traumgewinne in Südamerika. BAT habe – legal und steuerbefreit – brasilianische Zigaretten nach Paraguay exportiert und diese illegal wieder auf den brasilianischen Markt gebracht, schreiben die zitierten Autoren in einer Studie zur Rolle von Paraguay und BAT als Hauptakteure illegaler Zigarettenlieferungen nach Argentinien und Brasilien. BAT reagierte auf die Vorwürfe wie Ex-Präsident Cartes: „Wir können nicht die Verteilerkette bis zum Endkonsumenten kontrollieren.“

Politisch wurde der Dreieckshandel auf höchster Ebene gedeckt. Auf beiden Seiten der Grenze regierten die Generäle. Man verstand sich. Ciudad del Este war schon damals zentrale Drehscheibe des Schmuggels. Damals hieß die Grenzstadt Puerto Stroessner, benannt nach dem langjährigen Diktator Paraguays.

Doch 1998 stoppte das brasilianische Finanzamt den lukrativen Dreieckshandel. Zigarettenexporte wurden mit 150 Prozent Zoll belegt und kurz danach auch alle Tabakexporte nach Paraguay. Das war Horacio Cartes’ Chance: Gemeinsam mit anderen brasilianischen Unternehmern in Paraguay sprang er ein und füllte die Lücke, welche die Multis hinterlassen hatten. Von 2000 bis 2006 stieg die Produktion in Paraguay um 2600 Prozent.

Doch wie Alejandro Ramos feststellte, hatten noch 2007 von den 35 Zigarettenherstellern in Paraguay nur elf Unternehmen Angestellte und eigene Fabriken – die Mehrheit der angeblichen Hersteller waren Briefkastenfirmen, die den Schmuggel organisierten.

Bis heute scheint ein Dreieckshandel zu existieren. Denn Paraguays Farmer produzieren selbst nur 3800 Tonnen Tabakblätter im Jahr. Das ist ein Zehntel der Tabakmenge, die notwendig ist, um Paraguays Jahresproduktion an Zigaretten zu stemmen. Importiert wird aus Bolivien und Argentinien.

Der WHO-Experte Roberto Magno Iglesias erklärte gegenüber dem brasilianischen Gesundheitsinstitut Fiocruz, dass Brasiliens Tabakfarmer weiterhin knapp die Hälfte des in Paraguay verarbeiteten Zigarettentabaks liefern – neben den Unternehmen, die aus Brasilien Filter, Packungs- und Zigarettenpapier dorthin verkaufen. „Wenn man den Tabak für die Zigaretten abzieht, die in Brasilien konsumiert und offiziell exportiert werden, dann bleiben immer noch etwa vier Prozent Tabak übrig, der nach Paraguay illegal exportiert wird“, sagt Iglesias.

Auch Gustavo Schneider, Kommissar der Bundespolizei im südbrasilianischen Santa Cruz do Sul, ist überzeugt: „Die brasilianischen Tabakproduzenten leiten einen Teil ihrer Produktion nach Paraguay um.“

Bei der Biogasanlage von Itaipú sind die Betreiber stolz auf das Erreichte: Statt dass die geschmuggelten Glimmstängel die Gesundheit der Brasilianer ruinieren, verarbeiten sie das gewonnene Gas in Biomethan weiter. Inzwischen fährt ein Teil der Fahrzeugflotte des Wasserkraftwerks klimaneutral. „Das ist die Zukunft“, sagt Technikerin Smaniotto, deren Anlage als Modell für die Gemeinden in der Grenzregion dient. „Wir können Biomethan bald im großen Stil als Alternativtreibstoff herstellen.“ Über Nachschub müssen sich die Betreiber keine Sorgen machen.