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Russische Regierung tritt zurück: Präsident Putin erhält freie Hand zum Machtumbau

Wladimir Putin will das Präsidentenamt schwächen, aus dem er selbst 2024 ausscheiden muss. Für diesen Umbau räumt sein Premier Medwedew den Posten.

Russlands Präsident will den Machtapparat des Kreml umbauen. Medwedews Rücktritt verschafft ihm alle Spielräume. Foto: dpa
Russlands Präsident will den Machtapparat des Kreml umbauen. Medwedews Rücktritt verschafft ihm alle Spielräume. Foto: dpa

Das neue Jahrzehnt beginnt in Russland mit einem politischen Paukenschlag: Präsident Wladimir Putin will mit Änderungen der Verfassung den Präsidenten schwächen und die Regierung abhängiger vom Parlament machen. Das kündigte der Kremlchef am Mittwoch in seiner Rede zur Lage der Nation an.

Unmittelbar darauf trat die russische Regierung zurück. Premierminister Dmitri Medwedew begründete dies damit, dem Präsidenten beim Machtumbau freie Hand lassen zu wollen. „Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich, dass wir als Regierung dem Präsidenten die Möglichkeit geben müssen, alle dafür notwendigen Entscheidungen zu treffen.“

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Putin, der in letzter Zeit mit schwachen Zustimmungswerten in der Bevölkerung gekämpft hat, nahm den Rücktritt an und bedankte sich für die gemeinsame Arbeit, „auch wenn nicht alles geklappt hat“. Er bat die Kabinettsmitglieder, vorläufig ihre Arbeit fortzuführen. Medwedew bot er den Posten des stellvertretenden Chefs im nationalen Sicherheitsrat an – eine Art Trostpreis.

Nachfolger Medwedews wird der bisherige Leiter der zentralen Steuerbehörde, Michail Mischustin. Der 54-Jährige war als Vizeminister zwar schon einmal in der Regierung, trotzdem kommt die Ernennung überraschend. Mischustin gehört nicht zum engeren Vertrautenkreis Putins und ist auch kein Geheimdienstler. Er gilt stattdessen als Wirtschaftsfachmann mit Kenntnissen im Digitalbereich.

Putin hat bereits in früheren Amtszeiten als Präsident immer wieder überraschende Kandidaten nominiert. So ernannte er 2004, nur zwei Wochen vor der Präsidentenwahl, den bis dahin völlig unbekannten Michail Fradkow zum Premier.

Fraglich ist, ob Medwedew nach seinem Rücktritt als Premier weiter Chef der Kremlpartei „Einiges Russland“ bleibt. Schließlich wurde die Partei vor 20 Jahren ausschließlich dazu gegründet, Putin zu unterstützen. Medwedews Entlassung dient als Befreiungsschlag, um bei der Duma-Wahl im Herbst 2021 besser abzuschneiden als zuletzt.

Wer führt künftig die Partei?

Gut möglich, dass Putin die Spitze wieder selbst übernimmt. Die Parteiübernahme würde seine Macht festigen und ihm die Möglichkeit eröffnen, nach dem Ende seiner Präsidentschaft die Fäden in der Hand zu behalten. Denn die Verfassungsänderungen, die Putin am Mittwoch verkündete, sehen einen drastischen Umbau des politischen Systems vor.

Bisher war die Macht fast vollständig in der Hand des Präsidenten konzentriert. Putin, der dieses Amt 2024 abgeben muss, schlägt nun vor, diese Machtfülle „aufgrund der gewachsenen politischen Reife Russlands“ zu ändern. Die Duma, das russische Unterhaus des Parlaments, soll künftig die Regierung ernennen. Bisher durfte sie nur die Kandidaten Putins absegnen.

Nun will sich Putin verpflichten, die von der Duma vorgeschlagene Regierung zu ernennen. Er behält sich allerdings das Recht vor, Regierung und Minister wieder abzusetzen, wenn sie seinen Erwartungen nicht gerecht werden.

Außerdem beanspruchte Putin für sich „weiter die direkte Führung der Streitkräfte und aller Sicherheitsorgane“. Das bedeutet, dass der Präsident weiterhin die Führung aller Geheimdienste, der Streit- und Polizeikräfte sowie der Justizbehörden ernennt. Künftig allerdings erst nach Konsultationen mit dem Föderationsrat, dem Oberhaus des Parlaments. Wegen der Größe Russlands und der Verschiedenheit seiner Regionen sei es nicht zweckmäßig, die präsidiale Republik vollständig in eine parlamentarische umzuwandeln, argumentiert Putin.

Erstes Referendum seit 27 Jahren

All diese Verfassungsänderungen sollen durch ein Referendum gebilligt werden. Das letzte Referendum hatte es 1993 bei der Verabschiedung der aktuellen Verfassung gegeben. Die Neuerungen sollen nach Ansicht Putins den „Wunsch der Bürger nach Veränderungen“ und eine Erneuerung der Elite ermöglichen.

Seinen Abgang als Präsident 2024 bestätigte Putin: Mit der Begrenzung der Amtszeit auf zwei Perioden sei er „einverstanden, auch wenn ich das nicht für prinzipiell halte“, sagte er wörtlich dazu. Die Änderungen könnten Putin auch persönlich zu Gute kommen, wenn er 2024 in das Amt des Premierministers wechseln sollte – und dann weniger vom nächsten Präsidenten abhängig wäre.

Für den neuen Präsidenten will Putin in der Verfassung allerdings einige Bedingungen festschreiben lassen. So muss dieser mindestens 25 Jahre am Stück in Russland gelebt haben und darf niemals eine andere Staatsbürgerschaft oder auch nur Aufenthaltsgenehmigung besessen haben.

Diese Formulierung dient wohl der Disziplinierung der eigenen Entourage, weil in den vergangenen Jahren mehrfach Informationen durchgesickert sind, wonach hochgestellte Personen im Umfeld des Kremls eine Aufenthaltsgenehmigung im Ausland haben, auf die sie bei Problemen in Russland als Rückversicherung zurückgreifen.

Abkopplung vom Ausland

Putin will sich noch weiter vom Ausland abkoppeln. So forderte der Kremlchef in seiner Rede zur Lage der Nation explizit, die Priorität der eigenen Verfassung vor internationalen Verträgen und Gesetzen festzuhalten. Das dürfte sich auf die Anerkennung internationaler Gerichte und Urteile auswirken. In der Vergangenheit hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland mehrfach wegen der Missachtung von Bürgerrechten zu hohen Kompensationszahlungen verurteilt.

Russland müsse nach außen stabil, nach innen aber flexibel sein, fasste Putin seine Sichtweise zusammen. Die Umsetzung der Änderungen liegt nun bei der Duma.

Mehrere Abgeordnete versprachen bereits, die Anweisungen im Eiltempo durchzusetzen. Der Chef der populistischen Partei LDPR Wladimir Schirinowski nannte den 13. September als mögliches Datum für das Referendum.

Mit Sozialpolitik will Putin die Unzufriedenheit dämpfen. So kündigte er die Erhöhung der Geburtenprämien an, die zudem nun nicht mehr ab dem zweiten, sondern schon ab dem ersten Kind gelten sollen, und die Verlängerung des Kindergelds für Bedürftige, das nun bis zum siebten Lebensjahr gezahlt wird.

Kostenloses Schulessen bis zur vierten Klasse und Breitbandinternet in jeder Schule gehörten ebenso zu den verspäteten Weihnachtsgeschenken an die russischen Bürger wie neue Milliardeninvestitionen in das Gesundheitswesen. Seine Ankündigungen, wie er das Wirtschaftswachstum steigern will, blieben dagegen unkonkret.