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Wie die russische Regierung das Coronavirus für sich nutzen will

Die Angst vor dem Coronavirus ist groß in Russland. Die russische Führung versucht, davon mit populistischen Maßnahmen zu profitieren.

Durchgreifen mit aller Härte! Das Staatsfernsehen zeigt den russischen Präsidenten bei einer Sondersitzung der Regierung zum Coronavirus erzürnt. Soeben hat ihm die für Sozialpolitik zuständige Vize-Premierministerin Tatjana Golikowa berichtet, dass die Apotheken die Preise für Grippemedikamente und Atemmasken drastisch erhöht haben.

„Denen muss man die Lizenz entziehen – und basta“, entgegnet Wladimir Putin. Diejenigen, die „abzocken wollen“, müssten ausfindig gemacht und liquidiert werden, fordert er. „Damit ihnen die Lust vergeht.“ Der Coronavirus ist auch in Russland eins der wichtigsten Themen in den Nachrichten und auf sozialen Netzwerken.

Viele Menschen machen sich ernsthaft Sorgen, dass sich der Virus in Russland ausbreiten könnte. Immerhin ist Russland nicht nur direkter Nachbar Chinas, sondern hat auch die längste Landesgrenze mit dem Reich der Mitte. Der Kreml hat die Dimension des Problems erkannt und versucht nun, mit der Demonstration seiner Fürsorge politische Pluspunkte zu sammeln.

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Dabei fährt er eine Doppelstrategie. Einerseits senden die staatlichen Sender alarmierende Reportagen aus China, um die Gefahr zu verdeutlichen. Andererseits berichten sie zugleich, dass die Lage in Russland vollkommen unter Kontrolle sei und die Regierung alles tue, um die Russen zu schützen.

„Der Präsident wird natürlich täglich und, wenn nötig, stündlich über die Entwicklung der Lage informiert“, teilte Putins Sprecher Dmitri Peskow in dieser Woche mit. Die russische Führung arbeite „Tag und Nacht“, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Der Kampf gegen den Virus werde an allen Fronten geführt, selbst „der diplomatische Dienst und die Streitkräfte“ seien in die Arbeit eingebunden, erklärte der Kremlsprecher.

Grenze zu China geschlossen

Tatsächlich sind einige Maßnahmen durchaus effektiv und notwendig: So hat die russische Führung richtigerweise angeordnet, Reserven von Grippemedikamenten – in Ermangelung anderer Präparate zur Behandlung des Coronavirus – anzulegen und die Grenze zu China vorläufig zu schließen. Chinesen können nur noch über den Moskauer Flughafen Scheremetjewo nach Russland einreisen.

Bei den Einreisenden wird Fieber gemessen, bei Verdacht auf eine Infektion sollen die Betreffenden in Quarantäne genommen werden. Auf diese Weise werde die Einschleppung des Virus nach Russland verhindert, wird in den Medien berichtet. Das stimmt aber nur bedingt: Inzwischen ist klar, dass auch symptomfreie Infizierte bereits ansteckend sein können.

Populistisch hingegen mutet die Forderung der Regierung nach der Deportation von Ausländern an, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Das klingt zwar konsequent, widerspricht aber internationalen Regelungen und dürfte die Heilung der Kranken eher erschweren. Günstig ist eine solche Aktion für Russland ohnehin nicht, da das Ausfliegen der Infizierten laut dem Notfallplan mit einer Sondermaschine erfolgen soll.

Bisher ist die russische Regierung ihrer eigenen Empfehlung übrigens nicht gefolgt: Offiziell gibt es nämlich auf russischem Gebiet lediglich zwei Fälle vom Coronavirus, beide sind getrennt voneinander in Sibirien aufgetaucht und betreffen chinesische Staatsbürger. Der Mann und die Frau sind inzwischen in Quarantäne. Allerdings zeigte sich auch hier, dass die offiziell verkündete maximale Vorsorge mit der Realität vor Ort nicht immer übereinstimmt.

So hatte sich der Mann bereits fünf Tage vor seiner Einlieferung mit Grippesymptomen im örtlichen Krankenhaus gemeldet, wurde aber wieder nach Hause geschickt, obwohl bekannt war, dass er vorher in der Krisenregion Wuhan unterwegs war. Es wird dennoch davon ausgegangen, dass er in dieser Zeit niemanden angesteckt haben soll.

Späte Evakuierung aus China

Auch bei der Evakuierung eigener Staatsbürger aus Wuhan reagierte die russische Führung deutlich später als westliche Länder. Wurden Deutsche bereits Ende Januar aus China ausgeflogen, so schickte der Kreml erst Mitte der Woche zwei Militärmaschinen ins Nachbarland. 144 Personen nahmen die Iljuschins an Bord.

Klagen einiger Betroffenen, sie seien „wie ein Sack Kartoffeln“ befördert worden ohne ausreichend informiert oder an Bord versorgt zu werden, fanden in der Hauptnachrichtensendung „Westi“ keinen Platz. Stattdessen ließ das Staatsfernsehen die Angehörigen der Ausgeflogenen die Obrigkeit loben.

„Wir waren tierisch zufrieden, wie unser Land sich um unsere Kinder sorgt“, zitiert der Sender Natalja Schigalowa, die Mutter einer ausgeflogenen Studentin in einer Reportage, in der die komfortablen Bedingungen der Quarantäne für die Rückkehrer gepriesen werden. Und auch Putins Schelte an den Apotheken war wohldurchdacht. „Der Hauptfeind ist nun die gierige Apotheke um die Ecke“, kommentiert der Blogger Alexej Melnikow ironisch.

Natürlich bestände auch die Möglichkeit, die Preisblase vom Markt regeln zu lassen, es gebe schließlich genug Apotheken in Russland. Doch in dem Fall könnte sich der Kreml wohl kaum als Verteidiger des Volkes aufspielen, urteilt Melnikow. Das Kalkül könnte aufgehen.

Auch wenn die russische Wirtschaft durch den Coronavirus Berechnungen der Citi Bank zufolge fast 0,3 Prozent Wachstum verlieren dürfte – in erster Linie durch fallende Ölpreise – so könnte der Kreml von der Berichterstattung um die Seuche profitieren. Das Thema hat längst den hastigen Regierungswechsel und die angekündigte dubiose Verfassungsänderung verdrängt.

Im Fokus steht nicht mehr der Machtumbau in Russland, sondern die soziale Fürsorge der Moskauer Führung. Neuesten Umfragen zufolge glaubt wieder mehr als die Hälfte der Russen (52 Prozent), dass sich das Land in die richtige Richtung bewege. Das ist der höchste Wert seit über zwei Jahren. Das ist nicht nur, aber sicher auch der Berichterstattung um den aktiven Kampf gegen den Coronavirus zu verdanken.