(mit weiteren Details und Reaktionen - zudem strukturiert)
BERLIN (dpa-AFX) - Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will mit staatlichen Milliarden-Hilfen wettbewerbsfähige Strompreise für die Industrie ermöglichen. Der Grünen-Politiker schlägt vor, bis 2030 für energieintensive Unternehmen den Strompreis auf 6 Cent pro Kilowattstunde zu deckeln. Das wäre etwa die Hälfte des aktuellen Preises. Finanziert werden soll das durch staatliche Hilfen von bis 30 Milliarden Euro. Habeck legte am Freitag ein Konzept für einen zweistufigen Industriestrompreis vor. Die FDP reagierte ablehnend.
Warum Habeck einen Industriestrompreis will
"Die energieintensiven Unternehmen sind die Basis der deutschen Industrie und damit unseres Wohlstands", heißt es in einem Papier Habecks. Viele dieser produzierenden Unternehmen, etwa der Chemie-, Stahl-, Metall-, Glas- oder Papierindustrie, lieferten Grundstoffe für Produkte, mit denen die deutsche Industrie erfolgreich sei. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise hätten diese Unternehmen sehr hart getroffen. "Der Energiepreisschock gefährdet akut Deutschlands Wohlstand und seine starke industrielle Basis." Es sei mit den Energiepreisbremsen gelungen, die Lage in Deutschland zu stabilisieren: "Das Erreichte dürfen wir jetzt nicht gefährden. Deutschland braucht seine Grundstoffindustrien genauso wie neue Zukunftsindustrien."
Für energieintensive Unternehmen wird aktuell der Strompreis auf 13 Cent des Netto-Arbeitspreises gedeckelt, und zwar für 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Die Preisbremse soll bisher Ende 2023 auslaufen.
Kernpunkte des Konzepts
Habeck will deshalb eine Anschlusslösung. Langfristig soll es einen "Transformationsstrompreis" geben. Die Industrie soll von günstigem Strom aus Erneuerbaren Energien profitieren. Maßnahmen dazu, etwa mehr Flächen für Windräder oder unter Voraussetzungen ermäßigte Netzentgelte, bräuchten aber Zeit, um zu wirken - und dauerhaft die Versorgung energieintensiver Unternehmen mit erneuerbarem Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen zu garantieren.
Deswegen soll es in einer Zwischenphase bis 2030 einen "Brückenstrompreis" geben von 6 Cent pro Kilowattstunde für einen "klar definierten" Empfängerkreis, der aus öffentlichen Mitteln finanziert werden müsse. Von diesem Brückenstrompreis sollen laut Konzept nur energieintensive Industrieunternehmen profitieren, die im internationalen Wettbewerb stehen. Der Brückenstrompreis soll sich nach dem durchschnittlichen Börsenstrompreis und nicht dem individuellen Strompreis des Unternehmens richten. Unternehmen sollen bei Börsenstrompreisen über 6 Cent die Differenz erstattet bekommen.
Der Brückenstrompreis soll nach dem Konzept nur auf 80 Prozent des Verbrauchs Anwendung finden, um Effizienzanreize zu schaffen. Bedingungen sollen etwa Tariftreue und eine Standortgarantie sein.
"Die deutsche Industrie hat sich auf den Weg gemacht und ist bereits dabei, ihre Prozesse umzustellen, die es für eine klimaneutrale Produktion weltweit braucht", so Habeck. Dieser Weg müsse unterstützt werden, "denn dieser Weg sichert uns auch in Zukunft einen starken wettbewerbsfähigen Standort mit nachhaltigen Arbeitsplätzen".
Wie Habeck den Industriestrompreis finanzieren will
Die Finanzwirkung des Brückenindustriestrompreises hänge wesentlich von der Entwicklung der Strompreise ab, heißt es. Nach aktueller Lage ergebe sich für den Zeitraum nach Auslaufen der Strompreisbremse ein Finanzbedarf bis 2030 von rund 25 bis 30 Milliarden Euro. Das Geld soll aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) kommen. Dieser in der Corona-Pandemie errichtete Fonds - ein aus neuen Schulden finanzierter Sondertopf - wurde in der Energiekrise reaktiviert, um deren Folgen abzufedern. Finanziert werden mit bis zu 200 Milliarden Euro vor allem die Strom- und Gaspreisbremse. Wegen sinkender Preise könnte die Finanzierung der Bremsen aber deutlich günstiger werden. Rechtliche Hürden zur Nutzung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds seien hoch, heißt es im Papier. "Eine verfassungsrechtlich saubere Lösung erfordert zwingend neue parlamentarische Beschlüsse."
FDP lehnt Konzept ab
Die FDP hat starke Vorbehalte gegen einen staatlich subventionierten Industriestrompreis. Ein Sprecher von Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte: "Für dieses Vorhaben stehen keine Finanzmittel zur Verfügung." Eine Umwidmung des WSF sei verfassungsrechtlich nicht möglich. Lindner hatte in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" geschrieben, auf direkte staatliche Hilfen zu setzen, sei "ökonomisch unklug" und widerspreche den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Der FDP-Experte Michael Kruse warnte Habeck davor, mit Steuergeld um sich zu werfen. Habeck solle eher an Konzepten für Rahmenbedingungen arbeiten - etwa eine Reform der Strom- und Energiesteuern. Habeck sagte zu den Vorbehalten, man solle nicht gleich eine Tür zuknallen.
Echo bei Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden
Gewerkschaften begrüßten die Pläne Habecks. Der Chef der Industriegewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis, sprach von einem klaren Signal der Standortstärkung. Einen "Exodus" energieintensiver Branchen könne sich Deutschland nicht leisten. Die Strompreise in Deutschland lägen heute sieben Mal so hoch wie in China, viermal so hoch wie in den USA und dreimal so hoch wie in Frankreich, das längst einen nationalen Industriestrompreis habe. Nach IGBCE-Angaben liegt der Strompreis für die Industrie aktuell bei 13 bis 15 Cent.
Die USA locken zudem mit einem Milliarden-Subventionsprogramm. Viele Hilfen und Steuergutschriften sind aber daran geknüpft, dass die Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren.
Der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, sagte, mit einem wettbewerbsfähigen Industriestrompreis könne die energieintensive Grundstoffindustrie und mit ihr gut bezahlte, tariflich abgesicherte Arbeitsplätze eine Zukunft in Deutschland haben. Aus Sicht des Verbandes der Chemischen Industrie wäre ein Industriestrompreis für die internationale Wettbewerbsfähigkeit ein "klarer Gamechanger". Mittelständler dürften aber nicht rausfallen aus dem Empfängerkreis.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft warnte vor Marktverzerrungen. Chefin Kerstin Andreae sagte, eine spürbare Entlastung energieintensiver Betriebe sei richtig - dürfe aber nicht die Preissignale auf dem Großhandelsmarkt außer Kraft setzen.