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Die rotierenden Hoffnungsträger

Siemens und der Brexit - Die rotierenden Hoffnungsträger

Es wird noch gehämmert, geschweißt – und jede Menge Erde bewegt. Doch die Halle, die mit ihren 300 mal 100 Metern umbauter Fläche die Dimension eines Flugzeug-Hangars hat, steht bereits. Anfang August will Siemens hier im nordenglischen Hull die ersten Rotorblätter für gigantische Windräder auf hoher See produzieren – und damit eine neue Ära für die jahrelang vom wirtschaftlichen Niedergang geprägte Stadt an der Nordseeküste einleiten.

Rund 1000 Jobs sollen hier auf dem alten Hafengelände neu entstehen. Dort, wo vor Jahrzehnten noch Kohle aus den Gruben von Yorkshire in die Länder des britischen Empire verschifft wurde, soll künftig das Herzstück für die grüne Industrie des Landes stehen. 310 Millionen Pfund hat zusammen mit den Associated British Ports (ABP) investiert, rund 430 Millionen Euro.

Strom aus Windkraft soll hier vor der Küste produziert werden – Green Port Hull heißt dann auch der Name des Projekts, an das sich die Hoffnung einer ganzen Region klammert. „Siemens“, sagt der frühere Innenminister unter Gordon Brown und Labour-Abgeordnete für Hull, Alan Johnson, „war das Beste, was uns in den letzten Jahren passiert ist."

Gut 14.000 Bewerbungen für die 1000 Jobs seien inzwischen bei Siemens eingegangen, sagt Shaun Cray. Er zeichnet für den Bau des Produktionswerks verantwortlich. Derzeit sind die ersten der künftigen Mitarbeiter bei einer Schulung in Dänemark. Dort steht das Schwesterwerk zu dem in Hull. Mit beiden Standorten will der deutsche Industriekonzern Windkraftanlagen herstellen, die zu den wettbewerbsfähigsten der Welt gehören.

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Dazu tragen die Rotorblätter bei, die hier in riesigen Formen mit Drück und Hitze zusammengebacken werden: 75 Meter lang und fünf bis sechs Tonnen schwer. „So präzise wie Menschen können Maschinen nicht arbeiten“, sagt Cray. Nach dem Anlauf der Produktion soll dann in drei Schichten rund um die Uhr gewerkelt werden, sieben Tage lang.

Doch das neue Symbol für eine bessere Zukunft nur fünf Kilometer außerhalb der Innenstadt von Hull hält die Menschen nicht davon ab, beim Referendum an diesem Donnerstag wohl mehrheitlich für einen Austritt Großbritanniens aus der EU zu votieren. „Ich war schon 1974 gegen einen EU-Betritt, ich bin es heute noch“, sagte Dympna Campbell. „Warum sollten wir das nicht alleine schaffen?“


„Die Schuldigen für ihre Misere geben viele Menschen Europa“

Es sind die immer gleichen Themen, die die Menschen hier im Norden Englands beschäftigen: Die Einwanderung und ihre Folgen. „Ich habe nichts gegen Immigranten“, sagt die Projektleiterin, die auf der riesigen Baustelle in den Alexandra Docks arbeitet, „aber es gibt zu viele davon. Sie müssen untergebracht und versorgt werden und das kostet uns Jobs, bedeutet überfüllte Schulklassen und Wartezimmer bei den Ärzten.“

Für Labour-Politiker Johnson sind diese Argumente nur vorgeschoben: „Die Schuldigen für ihre Misere geben viele Menschen Europa“, sagt er. Dabei sei vieles auf die falsche Politik der konservativen Regierung von David Cameron zurückzuführen. Dessen vor Jahren gegebenes Versprechen, die Immigration zu begrenzen, habe er nicht halten können. Europa müsse jetzt dafür büßen. Vor allem in der traditionellen Arbeiterschaft verfingen die Argumente der Brexit-Befürworter.

In der Tat: Viele Menschen im Norden fühlen sich vernachlässigt von den Politikern, Ihnen wollen sie jetzt die Quittung präsentiert. Hull steht für eine Region, die sich über Jahrzehnte auf drei Säulen gestützt hat, die nach und nach weggebrochen sind: Der Hafen, der Fischfang, die Industrie. Noch immer liegt die Arbeitslosigkeit mit elf Prozent fast doppelt so hoch wie im prosperierten Süden.

Dass Siemens das Schlüsselunternehmen für eine ganz neue industrielle Ära sein kann, wird zwar in Hull wohlwollend registriert – eine Verbindung zu der Abstimmung am Donnerstag wollen die Menschen aber nicht ziehen. Trotz guter Perspektive: Ihnen brennen andere Probleme stärker unter den Nägeln. „Argumente fruchten im Moment wenig“, sagt Jürgen Maier, Großbritannien-Chef von . „Das Thema Einwanderung überlagert alles.“

Dabei löst der ungewisse Ausgang bei vielen Unternehmen erhebliche Besorgnis aus. Zwar will Siemens von Hull aus in den ersten Jahren erst einmal den boomenden britischen Markt für Windparks mit den in Hull produzierten und hier auch vormontierten Windrädern beliefern. Aber langfristig will der deutsche Konzern auch exportieren – vor allem nach Europa. Das dürfte bei einem Brexit schwieriger werden.


Großbritannien droht ein Standort-Nachteil

„Großbritannien ist für Siemens der viertgrößte Einzelmarkt“, sagt Maier. „Alles wird auch nach einem Brexit erst einmal so weiterlaufen. Die Frage ist nur: Was passiert langfristig?" Der Manager glaubt, dass dann das Land gerade bei der Forschung und bei Innovationen zurückfallen wird. Gerade die EU pumpe viel Geld in britische Universitäten und Forschungseinrichtungen. „Das bedeutet langfristig auch weniger Produkte, die aus kommen“, fürchtet Maier.

Dympna Campbell ficht das nicht an: „Wir haben schon andere Rezessionen erlebt“, sagt sie. „Warum nicht auch diese?" Sie setzt eher darauf, dass Großbritannien an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen dürfte, wenn es frei von den Brüsseler Regulierungen handeln könne. „Vielleicht kommen ja sogar Unternehmen wieder zurück ins Land“, hofft sie.

Der Standort Großbritannien hat Vorteile, das gibt auch Maier gern zu. Die Unis seien gut, es gebe Forschungseinrichtungen ähnlich wie die Fraunhofer-Insititute in Deutschland, eine gut ausgebildete Bevölkerung und konkurrenzfähige Löhne im Vergleich zu Kontinentaleuropa. Dazu der große Markt für Windkraftanlagen. Nirgendwo an Europas Küsten drehen sich so viele Windmühlen wie hier. Aus hunderten von Standorten in ganz Europa hatte schließlich die Stadt im Norden Englands ausgesucht.

Doch diese Zukunft ist nicht gesichert. Schon mehren sich der Londoner Politik die Stimmen, die bis 2020 versprochenen Subventionen zu kürzen oder gar auslaufen zu lassen. Der Investor eines solchen Millionenprojekts wie das in Hull schätzt solche Überlegungen wenig. Zumal dann, wenn sich bei einem Austritt des Landes wichtige Grundvoraussetzungen ändern sollten: „Das Investment ist auf 40 Jahre angelegt, nicht nur auf vier oder fünf“, sagt Cray.

Hull stehe schließlich auch firmenintern im Wettbewerb. Sollten plötzlich Zölle anfallen oder der Warenverkehr zwischen den Werken nicht mehr reibungslos funktionieren, zögen andere Standorte in Dänemark oder auch in Deutschland an Hull vorbei. „Die EU ist eben der Hauptmarkt für uns“, sagt Cray.

Sein Chef sieht das genauso: „Das ist der Grund, weshalb wir in der EU bleiben müssen: die gute Zusammenarbeit mit den anderen Siemens-Töchtern. Großbritannien ist eine großartige Ergänzung für den Konzern“, sagt Jürgen Maier.