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Die RNA-Revolution – Biotech-Firmen wetteifern um die Medikamente der Zukunft

Börsengänge junger Biotechfirmen sind am US-Kapitalmarkt seit langem Routine. Rund fünf Dutzend solcher IPOs aus dem Biotechsektor gab es alleine in diesem Jahr. Der vorerst letzte in dieser Reihe indessen hat es in sich und sorgt sowohl in der amerikanischen wie auch in der deutschen Biotechszene für besondere Aufmerksamkeit.

Mit einem Emissionsvolumen von 604 Millionen Dollar gelang Moderna Therapeutics aus der Nähe von Boston jetzt der bisher größte Biotech-IPO überhaupt. Gemessen am Ausgabepreis von 23 Dollar je Aktie bringt der Börsenneuling eine Marktkapitalisierung von rund 7,6 Milliarden Dollar auf die Waage und kann sich damit auf Anhieb zu den 15 wertvollsten US-Vertretern der Branche zählen.

Nicht nur vor diesem Hintergrund ist der Rekord-IPO auch für die Biotechszene in Deutschland von besonderer Bedeutung: Hauptkonkurrenten der US-Firma sind zwei deutsche Biotech-Start-ups: die von SAP-Gründer Dietmar Hopp finanzierte Curevac AG in Tübingen sowie die Mainzer Biontech-Gruppe, hinter der die früheren Hexal-Eigner Thomas und Andreas Strüngmann als größte Geldgeber stehen.

Mit Moderna liefern sie sich seit mehreren Jahren bereits einen Wettlauf um die führende Position auf dem Gebiet der Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) – einer Substanzklasse, die aus Sicht ihrer Protagonisten das Potenzial für eine Revolution in der Arzneimittel-Therapie birgt. „Wir glauben, die Eigenschaften von mRNA können die Basis für eine neue, transformierende Kategorie von Medikamenten bilden“, heißt es etwa im Emissionsprospekt von Moderna.

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In diesem Rennen ist die Moderna zwar später an den Start gegangen als ihre deutschen Konkurrenten. Was die Breite der Forschung und die finanziellen Ressourcen angeht hat sie aber bisher bereits einen ansehnlichen Vorsprung herausgearbeitet.

Mit dem Börsengang kann sie nun ihre Finanzreserven nun nochmals signifikant verstärken. Das eingeworbene Eigenkapital summiert sich damit auf nunmehr fast 2,6 Milliarden Dollar und die noch zur Verfügung stehenden Cash-Reserven auf mehr als 1,7 Milliarden Dollar.

Die Börse im Blickfeld

Für die beiden deutschen RNA-Spezialisten ist das einerseits eine Bedrohung. Denn der extrem offensive und ohnehin bereits üppig finanzierte US-Konkurrent wird künftig noch über noch weitaus größere Finanzkraft zum Ausbau seiner Forschung und Produktentwicklung verfügen.

Gleichzeitig könnte das erfolgreiche Listing von Moderna für die beiden deutschen Biotechs aber auch Chancen eröffnen, ihre eigenen Börsenpläne intensiver voranzutreiben. Denn der IPO und die hohe Bewertung von Moderna werden die RNA-Forschung und ihr Potenzial generell ins Scheinwerferlicht rücken.

Biontech und Curevac haben zwar noch nicht so viele klinische Programme gestartet wie Moderna, verfolgen letztlich aber ähnlich ambitionierte Pläne. Biontech wurde bei der letzten privaten Finanzierungsrunde Anfang des Jahres nach eigenen Angaben mit mehr als zwei Milliarden Euro bewertet, Curevac mit 1,5 Milliarden Euro.

Bisher haben sie einen Börsengang eher für 2020 im Auge. Doch gehen Branchenkenner davon aus, dass man die Pläne in Tübingen und Mainz womöglich beschleunigen wird. Die Firmen selbst äußern sich bisher eher vorsichtig mit Blick auf mögliche Börsengänge. „Für die kommenden beiden Jahre ist das ein realistisches Szenario“, so Curevac-Haupteigner Dietmar Hopp vor wenigen Tagen im Interview mit dem Handelsblatt.

Bei der Mainzer Biontech wertet man den erfolgreichen IPO von Moderna als positives Signal für das hohe Interesse des Kapitalmarkts an der neuen Wirkstoffklasse. „Was unsere eigenen Finanzierungspläne angeht, werden wir die verschiedenen Möglichkeiten vor dem Hintergrund unseres Finanzierungsbedarfs und der Situation am Kapitalmarkt prüfen. Ein Börsengang wäre einer der möglichen Optionen“, sagte Chief Operating Officer Sean Marett.

Biontech hatte zuletzt Anfang des Jahres 270 Millionen Dollar im Rahmen einer Serie-A-Finanzierungsrunde hereingeholt, an der sich auch namhafte US-Fonds beteiligten.

Software des Lebens

Ob die Medizin aus mRNA tatsächlich funktioniert, ist dabei noch nicht bewiesen. Die Projekte von Moderna, Curevac, Biontech und einer Reihe weiterer, kleinerer Akteure befinden sich durchweg noch in frühen klinischen oder vorklinischen Testphasen. Selbst im Erfolgsfall wird es noch Jahre dauern, bis die ersten Medikamente auf Basis dieser Technologie auf den Markt gelangen.

Allerdings sprechen die besonderen Eigenschaften des Biomoleküls mRNA dafür, dass die Visionen der Biotechfirmen auch nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Denn Boten-RNA spielt eine Schlüsselrolle in der Biologie.

Sie übersetzt die genetischen Informationen, die im Erbmolekül DNA gespeichert sind, und fungiert damit als Zwischenglied zwischen Genen und Proteinen (Eiweißsubstanzen), den Arbeitspferden des molekularen Stoffwechsels. Manche Experten beschreiben RNA daher auch als eine Art „Software des Lebens“, die Daten aus dem Speicher (DNA) abliest und damit die Applikationen (Proteine) steuert.

Aufgrund dieser Funktion bietet sich mRNA im Prinzip als geradezu idealer Arzneiwirkstoff an. Denn mithilfe von mRNA lassen sich Zellen theoretisch so programmieren, dass sie jegliche Art von Proteinen produzieren. Anstatt komplizierte Eiweiß-Wirkstoffe oder Impfstoffe in teuren Biotech-Anlagen zu produzieren, so die Vision der RNA-Spezialisten, könnte man mit Hilfe von mRNA die Körperzellen der Patienten zu Pharmafabriken umfunktionieren.

Die entscheidende Hürde besteht bisher darin, RNA von außen an die richtige Stelle zu bringen und in die Zellen einzuschleusen. Denn fremde RNA wird normalerweise vom Körper schnell erkannt und zersetzt. Lange Zeit galt es daher als völlig aussichtlos, RNA als Arzneiwirkstoff zu nutzen.

Die Forscher von Moderna, Curevac und Biontech indessen glauben, dass sie dieses Hindernis durch eine spezielle Aufbereitung und Verpackung der RNA überwunden haben. Können sie das bestätigen, wäre im Prinzip der Weg frei, um mRNA-Wirkstoffe in einer Vielzahl von Therapiebereichen einzusetzen und eine neue Technologie-Plattform im Pharmabereich zu etablieren.

„Wenn es uns einmal gelingt, ein solches Medikament zu entwickeln, wird das auch bei vielen anderen Krankheiten gelingen“, zeigt sich Moderna-Chef Stephane Bancel überzeugt. Und Curevac-Gründer Ingmar Hoerr geht davon aus, dass RNA „im Prinzip alles ersetzen kann, was bisher getestet wird.“

Ehrgeizige Expansion

Der Börsenneuling Moderna hat eine entsprechende Plattform-Strategie in den letzten Jahren besonders aggressiv vorangetrieben und inzwischen 21 Projekte in fünf Kategorien gestartet. Es arbeitet unter anderem an Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten, therapeutischen Krebsvakzinen und neuartigen Herzkreislauftherapien. Zehn der Produkte werden klinisch getestet, das heißt bereits am Menschen.

Die beiden deutschen Konkurrenten folgen bisher einer etwas stärker fokussierten Strategie und konzentrierten sich zunächst vor allem auf die Entwicklung von Krebs-Impfstoffen. Hauptprodukt von Biontech zum Beispiel ist ein völlig individualisiertes, an das genetische Profil des Tumors angepasstes, Krebsvakzin. Für diese Forschung konnte das Mainzer Unternehmen den Biotechpionier Genentech, eine Tochter des Baseler Roche-Konzerns, als prominenten Partner gewinnen.

Aber auch die beiden deutschen Biotechfirmen haben inzwischen ihr Spektrum verbreitert. Curevac etwa arbeitet mit dem US-Konzern Eli Lilly an neuen Immuntherapien gegen Krebs sowie in einer Allianz mit der Gates-Stiftung auch an Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten. Biontech wiederum hat sich auf diesem Gebiet jüngst mit Pfizer verbündet und arbeitet ferner daran, seine RNA-Technik auch für Zelltherapien und eine Reihe weiterer Einsatzbereiche zu entwickeln. Insgesamt bearbeitet Biontech inzwischen sechs Projekte in klinischen Tests, Curevac vier.

Beide Unternehmen zeigen sich überzeugt, dass sie in der Forschung voll mit dem US-Konkurrenten mithalten können. „Unsere mRNA-Technologie ist auf keinen Fall schlechter als die von Moderna, wahrscheinlich deutlich besser“, sagten Curevac-Mehrheitseigner Hopp und sein Biotech-Berater Friedrich von Bohlen dem Handelsblatt. „Wir sind überzeugt: Am Ende gewinnt die Qualität.“

Ebenso wie Moderna haben auch Curevac und Biontech in den letzten Jahren kräftig in den Bau von Produktionsanlagen für RNA investiert. Auch in dieser Hinsicht müssen die RNA-Spezialisten Neuland betreten. Denn anders als bei klassischen Arzneiwirkstoffen stehen für diese Art von Substanzen bisher keinerlei Produktionskapazitäten am Markt zur Verfügung.

Ob sich der Traum von einer neuen disruptiven Technologie wirklich erfüllt, bleibt vorerst offen und ist unter Branchenexperten umstritten. Erfahrungen aus der Vergangenheit mahnen zur Vorsicht. Neue Technologien aus der Biotechforschung benötigten in der Regel viel länger bis zur Marktreife als erwartet.

Ein typisches Beispiel ist etwa der Genomics-Hype Ende der 90er-Jahre. Genomforschungs-Firmen wie Millennium, Celeron oder Human Genome Sciences (HGS) versprachen damals eine Revolution der Pharmaforschung, konnten den Anspruch hinterher aber nicht einmal ansatzweise erfüllen. Es folgte vielmehr eine generelle Flaute in der Medikamentenentwicklung. Erst mehr als ein Jahrzehnt später schlugen sich die Erkenntnisse aus der Genom-Analyse nach und nach nieder, etwa in Gestalt neuer zielgerichteter Medikamente gegen Krebs.

Andererseits sind die Langfrist-Effekte der Biotechforschung auch kaum zu unterschätzen. Als Ende der 70er-Jahre die US-Firma Genentech damit begann, komplizierte Proteine mit Hilfe von genmodifizierten Bakterien herzustellen, glaubten nur wenige in der Pharmabranche an diese neue Technologie. Heute sind solche Biotech-Wirkstoffe Standard im Pharmageschäft. Acht der zehn umsatzstärksten Medikamente werden nach den biotechnischen Verfahren hergestellt, die Genentech und einige andere Pioniere einst entwickelten.

Firmen wie Moderna, Biontech und Curevac Co setzen nun darauf, eine solche Revolution nun mit ihren RNA-Medikamenten zu wiederholen. Die hohe Bewertung für den amerikanischen Börsenneuling spricht dafür, dass auch eine ganze Reihe von Investoren an ein solches Potenzial glauben.