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Risiko Kidnapping: Wie Unternehmen ihre Mitarbeiter versichern

Mexiko, Irak, Nigeria: Immer wieder werden Geschäftsreisende im Ausland entführt. Mit speziellen Versicherungen können Unternehmen für ihre Mitarbeiter vorsorgen.

Es ist Januar 2012, als Bernd Mühlenbeck auf dem Flur vor seinem Zimmer plötzlich Lärm hört. Als Entwicklungshelfer arbeitet Mühlenbeck im pakistanischen Multan, 8.000 Kilometer entfernt von seiner Heimat in Niedersachsen. Wie jeden Abend skypt er mit seiner Frau. Als es laut wird, unterbricht er das Gespräch, öffnet die Tür.

Davor: eine Gruppe pakistanischer Taliban, schwer bewaffnet. Als die Terroristen Mühlenbeck verschleppen, hört seine Frau live mit. Es folgen 33 Monate der Ungewissheit, in denen Mühlenbeck von seinen Entführern als Geisel gefangen gehalten wird.

Der Fall Mühlenbeck ist keine Seltenheit. Immer wieder werden Mitarbeiter westlicher Firmen oder internationaler Organisationen im Ausland Opfer von Entführungen. Schätzten die Experten die Zahl 2017 noch auf etwa 750, so sind es heute bereits rund 1000 pro Jahr. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich noch deutlich höher.

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Um Mitarbeiter im Ernstfall zu schützen, können sich Unternehmen und Organisationen mit speziellen Versicherungspolicen für den Entführungs- und Lösegeldfall absichern. Die Nachfrage nach K & R-Versicherungen, kurz für das Englische „Kidnapping and Ransom“, wächst.

Gleichzeitig hat eine intensive Debatte über den Einsatz solcher Policen begonnen. Kritiker argumentieren, dass die Versicherungen zur Kommerzialisierung des Geschäfts mit Menschenleben beitragen? „Früher wurden weniger Ausländer entführt, das hat in den vergangenen Jahren gefühlt zugenommen, insbesondere in Afrika“, meint Pascal Michel, Geschäftsführer der Krisenmanagement-Firma Smart Risk Solutions.

Michel arbeitete für eine deutsche Sicherheitsbehörde, heute ist er für Lösegeldversicherer bei Entführungen tätig. Die Folge: Immer mehr Unternehmen schließen K & R-Versicherungen ab, heißt es aus Branchenkreisen, denn durch die Globalisierung hätten mittlerweile auch kleine und mittelständische Unternehmen Büros und Mitarbeiter in allen Teilen der Welt.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft äußert sich auf Nachfrage nicht, Unternehmen halten sich bedeckt. Sie fürchten, die Aufmerksamkeit von Erpressern zu erregen. Doch Experte Michel weiß: „Es sind wirklich alle dabei. Vom wohlhabenden Zahnarzt, dessen Tochter nach dem Abi ein Jahr um die Welt reist, bis hin zum multinationalen Konzern.“

Peter Bensmann, Geschäftsführer der Hansekuranz Kontor, bestätigt das wachsende Interesse: „Besonders beim Mittelstand, Unternehmen mit Mitarbeiterzahlen zwischen 200 und 1.000, verzeichnen wir eine deutlich höhere Nachfrage. Denn das Risiko, dass Mitarbeiter entführt oder erpresst werden, kann für das betroffene Unternehmen durchaus existenzbedrohend sein.“

Im internationalen Vergleich fällt das Versicherungsangebot in Deutschland hinter das in den USA und in Großbritannien zurück. Dort ist die Branche weiter entwickelt, erklärt Stefan Sievers. Bei Hiscox Special Risks, nach eigenen Angaben weltweiter Marktführer im K & R-Bereich, leitet Sievers den Bereich Business Development für Europa.

„Die Entführungs- und Lösegeldversicherung ist ein hochsensibler Bereich“, erklärt er. „Deshalb ist es schwierig, die Größe des Marktes und die Anzahl der Versicherten zu definieren, denn es werden nur sehr wenige Informationen darüber veröffentlicht.“

Der Service beginnt vor der Reise

Basis für die Leistung ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die gilt auch bei Aufenthalten in riskanten Gebieten. Deshalb beinhaltet die Versicherung weitaus mehr als nur die Erstattung von Lösegeld: So beginnt der Service bereits bei der Vorbereitung auf den Auslandsaufenthalt, mit speziellen Schulungen zur Krisenprävention, erklärt Bensmann.

Er versichert unter anderem Schiffe, die Piraterie-Hotspots wie den Golf von Aden vor Somalia durchqueren müssen. Nur mit solchen Konzepten könne man das Risiko bereits im Vorfeld minimieren. Das Personal werde auf Gefahren vorbereitet, Krisenstäbe eingerichtet, Vorkehrungen getroffen, oft, ohne dass der Reisende davon weiß.

Trainings zur Reisesicherheit können Unternehmen auch eigenständig anbieten. Die Prämie berechnen Versicherer aus Informationen über die Unternehmensgröße, Standorte und Niederlassungen sowie die Reiseziele der Mitarbeiter, von Stufe eins, Orten mit geringem Risiko, bis Stufe fünf, darunter Haiti, Syrien und Venezuela.

„Wir decken immer das ganze Unternehmen ab, vom Pförtner bis zum Vorstand“, so Bensmann. Ein Unternehmen mit 250 Mitarbeitern, die in Staaten mit Risikolevel drei bis vier reisten, etwa nach Thailand oder in die Ukraine, müsse man 16.000 bis 20.000 Euro für die K & R-Versicherung aufbringen. Die Deckungssumme betrage dann zwischen fünf und zehn Millionen Euro.

Laut Insidern bewegen sich Versicherungsbeiträge für K & R generell im vier- bis sechsstelligen Bereich. Tritt der Ernstfall tatsächlich ein, fallen hohe Kosten an: „Das reicht von den Umtauschgebühren der Währung im jeweiligen Land bis zur Übergabe des Lösegeldes. Aber auch Dolmetscher und Fahrer werden von dem Geld bezahlt, und auch die Nachbereitung muss finanziert werden“, erklärt Sicherheitsmanager Michel.


Hohe Lösegelder haben Zahl der Entführungen erhöht

Während Versicherer wie Hiscox, die Allianz oder Munich Re Versicherungssummen berechnen und Verträge erstellen, ist sein Team für den Einsatz zuständig: Vom Training zur Vorbereitung, der Beratung des Krisenstabs, der Lösegeldübergabe vor Ort bis hin zur Evakuierung unternehmen sie alles, um die Opfer zurückzubringen.

Damit sind Firmen wie die von Michel die ausführenden Kräfte, die das Sicherheitssystem zusammenhalten. Sie heißen World Aware, Control Risks oder Result Group, meist haben Versicherer gleich mehrere von ihnen unter Vertrag, sie sind auf bestimmte Regionen oder Sprachen spezialisiert und arbeiten auch mit Freiberuflern vor Ort. Ortskenntnisse oder das Wissen um lokale Gepflogenheiten können entscheidend sein für eine Befreiung. Die Mitarbeiter sind meist ehemalige Militärs, kommen von der Polizei oder den Sicherheitsbehörden. In Deutschland ist der Markt stark reguliert, bis 1998 waren K & R-Versicherungen sogar verboten.

Erpresser, die wissen, dass ihre Geisel versichert ist, treiben die Lösegelder in die Höhe – und inspirieren Nachahmer. Das bestätigt auch Anja Shortland, die am King’s College in London zum Thema Lösegeld forscht. So hätte sich das lukrative Geschäft mit Piraterie in Somalia „nur entwickelt, weil ein Paar Schiffsreedereien und die spanische Regierung viel zu hohe Lösegelder gezahlt haben. Damit wurde Piraterie das beste Geschäftsmodell in Somalia“.

Statt das Geschäft der Entführer einzudämmen, wurde es mit schnellen und hohen Lösegeldzahlungen erleichtert. Die Konsequenz: „Mit Lösegeldern im mehrfachen Millionenbereich ließ sich Piraterie dann nur noch mit hohen Sicherheitsauflagen versichern.“ Deshalb gilt: „Wer weiß, dass er versichert ist, ist nicht mehr versichert.“

Auch Markus Große Daldrup, K & R-Experte beim Rückversicherer Munich Re, erklärt: „Wenn man dem Täter suggeriert ‚ich bin versichert‘, können die Forderungen ins Unermessliche steigen.“ Deshalb unterliegt die Branche strikten Regelungen: Versicherer dürfen nicht für K & R-Produkte werben oder sie im Paket anbieten, etwa mit einer Auslandsreiseversicherung.

Unternehmen, die eine Versicherung abgeschlossen haben, dürfen das nicht öffentlich machen. Beim versicherten Unternehmen sollen maximal drei Menschen von der Police wissen, so sieht es die deutsche Finanzaufsicht vor.

In Marktkreisen wird ein weiterer Grund für die Geheimhaltung genannt: Das Risiko von Versicherungsbetrug steigt, je mehr Menschen von einer Versicherung wissen – wenn Versicherte etwa mithilfe Dritter eine Entführung vortäuschten, um an das Lösegeld zu gelangen.

Deshalb ahnen in der Regel nicht einmal die Mitarbeiter selbst, ob sie versichert sind oder nicht. So weiß auch Bernd Mühlenbeck bis heute nicht, wer für seine Freilassung verantwortlich war, wie viel Lösegeld gezahlt wurde, oder ob er versichert war.

Im Wettbewerb mit Behörden

Es gibt auch Kritik an den Versicherungen. Bei ihren Einsätzen überschneiden sich Krisenmanagement-Firmen zuweilen mit Behörden, außerdem stoßen Versicherer an Grenzen, wenn es sich um Entführungen durch Terrororganisationen handelt. Denn Terrorismusfinanzierung ist strikt verboten, erklärt Forscherin Shortland: „An kriminelle Banden darf Lösegeld bezahlt werden. Taucht eine Gruppe aber auf Listen terroristischer Vereinigungen auf, ist das verboten.“ Über politische Forderungen könne nur der Staat verhandeln.

Munich-Re-Experte Große Daldrup bestätigt das: „Da dürfen wir nicht zahlen, sonst drohen einschneidende Sanktionen.“ Wirklich reich werden übrigens weder Versicherer noch Entführer, so Shortland: „Das teure an der Versicherung ist der, der verhandelt. Bei den Entführern selbst kommt gar nicht so viel an. Das ist auch gut so.“

Bernd Mühlenweg verarbeitete seine eigene Entführung unterdessen in einem Buch, hält Vorträge, tauscht sich mit anderen früheren Opfern aus. Von Arbeitgebern würde er sich im Rückblick noch eine Sache wünschen: „Dass man die Angehörigen stärker einbindet. Dass man auch die Partner im Vorhinein schult, zu Seminaren mitnimmt, das wäre wahninnig hilfreich.“ Denn im Endeffekt sei es das persönliche Umfeld, das besonders leide.