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Mit dem Revolver gegen das Virus

Die Coronakrise kurbelt die Nachfrage nach Schusswaffen in den USA an. Eine Studie zeigt, wie Amokläufe dennoch verhindert werden könnten.

In diesen Tagen stehen die Menschen in den USA nicht nur vor den Supermärkten Schlange. Auch vor Waffengeschäften warten die Bürger auf Einlass. Der Grund: Sie wollen sich eine Pistole oder ein Gewehr kaufen, weil sie wegen der Corona-Krise Versorgungsengpässe und Plünderungen fürchten.

Das Thema Waffenkäufe bewegt auch den Präsidentschaftswahlkampf. Der demokratische Kandidat Joe Biden erklärt, er werde im Falle eines Wahlsiegs den Zugang zu Waffen erschweren, um das Land sicherer zu machen. Zweimal schon hat er es mit der US-Waffenlobby NRA aufgenommen – und zweimal gewonnen. So zumindest steht es auf der opulenten Wahlkampf-Seite des Bewerbers für die Präsidentschaftskandidatur.

Tatsächlich war Biden in den Neunzigerjahren als US-Senator an Gesetzen gegen Waffenmissbrauch beteiligt. Gebracht hat das langfristig allerdings wenig. Heute ist die Zahl der Todesopfer wieder auf dem Niveau von damals. 2017 starben fast 40.000 Menschen durch Schusswaffen.

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Drei von fünf US-Bürgern sprachen sich 2019 in einer Umfrage von Pew Research für härtere Waffengesetze aus. In ihren Wahlprogrammen versprechen Biden und Bernie Sanders, Bidens zurückgefallener Verfolger im Rennen um die Nominierung, die „Epidemie der Waffengewalt“ zu beenden. Doch das wird nicht leicht angesichts der Macht der NRA und dem Verfassungsrang, den der Waffenbesitz genießt. Der zweite Zusatzartikel von 1971 verbietet es der Bundesregierung, das Recht der Bürger zu beschneiden, „Waffen zu besitzen und zu tragen“. Zwar ist die Interpretation des Artikels juristisch äußerst umstritten. Um die hohe Anzahl an Opfern zu senken, ist eine Verfassungsänderung allerdings gar nicht zwingend erforderlich.

Schon kleinere gesetzliche Einschränkungen auf Ebene der Bundesstaaten, etwa die zeitverzögerte Ausgabe einer Waffe an den Kunden nach einem Kauf, zeigen Wirkung. Das bestätigen die beiden deutschen Ökonomen David Schindler und Christoph König in ihrer Studie „Impulse Purchases, Gun Ownership and Homicides: Evidence from a Firearm Demand Shock“.

Die Wissenschaftler der Universitäten Tilburg und Bristol stellen fest: Steht eine Handfeuerwaffe dem Käufer nicht unmittelbar zur Verfügung, sinkt die Mordrate im Vergleich zu Bundesstaaten ohne ein solches Verzögerungsgesetz um zwei Prozent. Neben dieser Frist, die von wenigen Tagen bis einigen Monaten reichen kann, ist eine Kauflizenz für Waren ein zweites effektives Mittel. Deren Beantragung kann ebenfalls zeitintensiv sein. Der Gesetzgeber könnte die Todeszahlen also signifikant reduzieren – ohne den zweiten Zusatzartikel anzutasten.

Schindler und König gingen in ihrer Studie der Frage nach, ob eine höhere Verbreitung von Schusswaffen kausale Effekte auf Kriminalität und Mordraten hat. Dafür zogen sie die Zeit nach der Wiederwahl Barack Obamas als US-Präsident im November 2012 heran. Damals, im Dezember 2012, kam es zu einem Amoklauf an einer Grundschule in Newtown, Connecticut. An der Grundschule hatte ein junger Mann 26 Menschen getötet, die meisten davon Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren. Weil die Bürger fürchteten, nach dem Attentat könnte es zu einer gesetzlichen Einschränkung des Rechts auf Waffenbesitz kommen, vervielfachten sich die Käufe von Pistolen und Sturmgewehre daraufhin über etwa sechs Monate laut dem US-Sender CNBC um bis zu 400 Prozent.

Die Ökonomen untersuchten für die Zeit des Nachfrageschubs von Ende 2012 bis Mitte 2013, ob sich impulsgesteuerte Käufer, die wegen des Massenmordes und der Obama-Wiederwahl eine Waffe besorgen wollten, durch eine zeitliche Verzögerung von ihrem Kauf abbringen ließen. Ob also die Affekthandlung, in den Laden zu gehen mit dem Ziel, möglichst sofort eine Pistole zu bekommen, verpuffte, wenn dieses Ziel nicht unmittelbar erreicht wurde. Die Analyse zeigt, dass die Anzahl der Waffenverkäufe in Staaten mit Verzögerungen weniger stark anstieg als in denen ohne.

In ihrer Studie machen Schindler und König zudem deutlich, dass nicht nur die Anzahl der Käufe niedriger ist als in Bundesstaaten ohne Verzögerungsgesetze, sondern auch die Anzahl der mit Schusswaffen verübten Tötungsdelikte. 200 Menschenleben hätten den Berechnungen der Wissenschaftler zufolge gerettet werden können, wenn Verzögerungen bei der Ausgabe der Waffen in allen US-Bundesstaaten in Kraft gewesen wären.


Amokläufe führen in den USA verlässlich zu mehr Schusswaffenkäufen

Amokläufe und die darauffolgenden Debatten führen in den USA verlässlich zu mehr Schusswaffenkäufen, ob aus Furcht vor der nächsten Tat oder verschärften Gesetzen, die es erschweren könnten, sich in Zukunft damit auszustatten. Schindler sagt, es sei „komplett irrational, sich eine Waffe zu kaufen, weil man denkt, man könnte es bald nicht mehr. Der Präsident kann den Leuten die Waffen nicht wegnehmen.“ Um an dem Recht auf Waffenbesitz politisch oder verfassungsrechtlich zu rütteln, müssen der Kongress, der Senat und die große Mehrheit der Bundesstaaten dem zustimmen. Das sei „auf lange Sicht sehr unwahrscheinlich“, so Schindler.

Florida verschärfte nach dem Parkland-Attentat 2018 seine Waffengesetze, indem es unter anderem das Mindestalter auf 21 Jahre setzte und eine dreitägige Warteperiode einführte. Vom Giffords Law Center, einem nationalen Rechtsinstitut in San Francisco, das sich gegen Waffengewalt einsetzt, bekommt das Rentnerparadies nun statt der schlechtesten Note F ein C-. Außer in Florida müssen Waffenverkäufer nur in fünf weiteren Staaten und im District of Columbia (D.C.) eine Warteperiode einhalten. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren es noch neun und D.C.

Laut dem Giffords Law Center ist Kalifornien der sicherste Bundesstaat. Hier kommen 7,45 Todesopfer durch Waffengebrauch auf 100.000 Einwohner. Landesweit liegt die Rate bei knapp zwölf Toten pro 100.000 Bürger. Führend sind dabei die Südstaaten wie Mississippi (22,8) oder Alabama (21,7). Nirgendwo sonst sterben so viele Menschen durch den Einsatz von Schusswaffen im Verhältnis zur Bevölkerung. Häusliche Gewalt und Straßenkriminalität sind dabei viel häufiger die Gründe als Amokläufe. Schindler und König betonen in ihrer Studie, dass rund 99 Prozent der Schusswaffen-Morde nichts mit Amokläufen zu tun haben.

Präsident Donald Trump sprach sich mehrmals für schärfere Überprüfungen aus – allerdings immer dann, wenn wieder eine Tat passiert war. 2019 starben an einem Wochenende bei zwei verschiedenen Massenschießereien 31 Menschen. Trump wies Anwälte und Berater an, mögliche Gesetzesänderungen auszuloten. Doch er stellte immer wieder fest, dass er unter den Republikanern nicht den nötigen Rückhalt für ernsthafte Veränderungen hat. Und selbst an vorderster Front dafür einzustehen, mit dem Risiko zu scheitern, das tut er nicht.

Im Wahlkampf werde die Waffengewalt keine große Rolle spielen, glaubt Schindler. „Themen wie die Krankenversorgung sind aktuell in den USA wesentlich wichtiger. Die Frage bleibt, wie stark zukünftige Amokläufe – die es wohl leider geben wird – den Waffenbesitz zurück auf die Agenda bringen.“

Joe Biden hat in diesem Punkt gegenüber Bernie Sanders einen Vorteil. Das liegt nicht nur an Bidens politischem Einsatz gegen Waffen, mit dem er sich schmückt. Das Thema ist Sanders‘ Schwäche, ein Angriffspunkt, den Biden für sich nutzt. Zweimal, 1993 und 2005, hatte Sanders für die Belange der Waffenlobby gestimmt. Biden provozierte vor einigen Wochen ein Eingeständnis Sanders'. Es sei ein Fehler gewesen, die Immunität für Waffenproduzenten im Senat zu unterstützen, sagte der Sozialist. Schon Hillary Clinton hatte Sanders im Wahlkampf 2016 vorgeworfen, mit der Lobby kooperiert zu haben. Über jeden wahltaktischen Opportunismus erhaben war er in der Vergangenheit nicht.

Sanders‘ Schwachpunkt aggressiv auszunutzen, wie Biden es tut, scheint nahezuliegen. Doch der Politikstratege Corey Ciorciari, der Clinton damals auf diesem Feld beriet, sagte dem US-Magazin „The Atlantic“, Clintons Entscheidung, Sanders auf diese Weise anzugreifen, sei umstritten gewesen. Unter den Demokraten habe immer der Konsens bestanden, dass es ein wichtiges Thema sei, aber keines, das man im Umfeld der Vorwahlen aufkommen lasse. Diese Übereinkunft ist seither Geschichte.

Schindler und König haben die Studie zur Veröffentlichung in einem renommierten Journal eingereicht und warten nun auf grünes Licht von Seiten der Herausgeber. „Wir haben die Studie bislang nicht beworben, weil wir noch nicht alle wissenschaftlichen Prozesse durchlaufen haben“, sagt Schindler. Wichtig sei nur, „dass sie am Ende angemessen publiziert wird“. Ob die Studie vor oder nach der Präsidentschaftswahl am 3. November in den USA erscheint, sei ihnen nicht so wichtig, sagt Schindler, „aber je früher, desto besser“.