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Revolution auf dem Teller: Wie innovative Start-ups die Nahrungsmittelbranche aufrütteln

Marktforscher prophezeien eine Revolution unserer Essgewohnheiten – und ein dramatisches Marktwachstum für Fleischersatzprodukte und In-vitro-Fleisch.

Die Essento Bio Insect Balls bestehen zum größten Teil aus Mehlwürmern. Foto: dpa
Die Essento Bio Insect Balls bestehen zum größten Teil aus Mehlwürmern. Foto: dpa

Am Stand von Wiesenhof brutzeln Burger und Würstchen auf dem Grill – die sind aber nicht aus Fleisch, sondern aus Erbsen. Die Besucher der Kölner Anuga, der Weltleitmesse für Ernährung, stehen Schlange, um einmal die gehypten Vegan-Burger von Beyond Meat probieren zu dürfen. Der Geflügelkonzern PHW, Mutter von Wiesenhof, hat früh auf Alternativen zum Fleisch gesetzt und vertreibt die US-Bestseller in Deutschland.

Im Kühlregal von Wiesenhof, direkt neben den Beyond-Burgern, liegen auch Mozzarella aus Mandeln und hellgelbe Fläschchen mit Vegan-Ei. Das kalifornische Start-up Just hat das Flüssigei aus Mungobohnen entwickelt. Ab Januar soll Just Egg auch nach Deutschland kommen – ebenfalls produziert und vertrieben vom deutschen Geflügelriesen PHW.

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„In den USA sind wir erst seit 2019 auf dem Markt, haben aber schon zwölf Millionen Eier durch unsere pflanzliche Alternative ersetzt“, erzählt Matt Riley, globaler Vertriebschef von Just. Die Pläne der US-Firma sind ehrgeizig: „In fünf Jahren wollen wir zehn Prozent des globalen Marktes für Frischeier mit unserem Vegan-Ei beliefern.“

Pflanzenproteine ersetzen immer mehr tierische Proteine – in Milchprodukten, Fleisch und Wurst bis zum Ei. „Was als Trend von Vegetariern und Veganern begann, gehört heute zum Mainstream quer durch alle Altersgruppen. Das wird die weltweite Ernährung revolutionieren“, prophezeit Irene Kersbergen, Analystin des Marktforschers Innova Market Insights.

Die meisten Hersteller sind auf den Trend aufgesprungen, so wie Nestlé. „Vegane Produkte waren früher nur etwas für Wollsockenträger. Inzwischen ist es eine Bewegung“, sagt Nestlé-Deutschlandchef Marc-Aurel Boersch. Der weltgrößte Konsumgüterkonzern stößt seine Wurstsparte ab und investiert in pflanzliche Alternativen wie vegane Burger und Hackfleisch.

Vorreiter waren allerdings nicht die Konzerne, sondern Start-ups wie Beyond Meat, Sweet Earth (heute bei Nestlé) oder The Vegetarian Butcher (heute bei Unilever).

Die Zahl der neu eingeführten Lebensmittel und Getränke im Handel, die auf Pflanzeneiweiß basieren, hat sich laut Innova von 2014 bis 2018 vervierfacht. Dazu gehören pflanzliche Milchprodukte, Fleischimitate sowie Proteinriegel. Weil die Lieferketten kürzer sind, liegen auch die Margen höher als bei vergleichbaren tierischen Produkten.

Die Beweggründe für Verbraucher, alternative Fleisch- und Milchprodukte zu kaufen, sind indes unterschiedlich: 58 Prozent bevorzugen sie aus Gesundheitsgründen, denn sie enthalten weniger gesättigte Fettsäuren und Cholesterin. 50 Prozent suchen Abwechslung auf ihrem Speiseplan, wie eine internationale Studie von Innova zeigt.

Erstaunlich: Lediglich 20 Prozent der Käufer achten dabei auf Nachhaltigkeit. Schließlich verbrauchen Pflanzen viel weniger Wasser, Fläche und Energie als Vieh.

Bislang stammten pflanzliche Proteine vor allem aus in Verruf geratenem Soja wie in Tofuwürsten oder Sojamilch. Spätestens seit dem Hype um Beyond Meat sind Erbsen als Eiweißlieferant immer beliebter. „Als Superfood der Zukunft ist Eiweiß aus Wasserlinsen auf dem Vormarsch“, prophezeit Analystin Kersbergen.

Das amerikanische Start-up Outstanding Foods etwa hat vegane Bacon-Chips namens „Pig Out“ aus Pilzen, Sonnenblumenöl, Distelöl und Gewürzen entwickelt. Allein der Bacon-Markt in den USA wird auf 30 Milliarden Dollar geschätzt. In „Speck ohne Schwein“, das von Ex-Beyond-Meat-Produktentwickler Dave Anderson mitgegründet wurde, ist auch Katjesgreenfood investiert, die Beteiligungsgesellschaft von Katjes. Auch der deutsche Süßwarenhersteller versucht, von Schweinegelatine wegzukommen und bietet vegane Naschgummis an.

Hinzu kommt: Verbraucher achten bei Fleisch- und Milchersatzprodukten verstärkt auf „clean labels“, also Marken frei von Zusatzstoffen. Drei von fünf Konsumenten weltweit meiden Nahrungsmittel mit Zusätzen, hat Innova ermittelt. „So natürlich wie möglich – dieser Trend ist stark im Kommen“, sagt Kersbergen.

Der gehypte Burger von Beyond Meat enthält allerdings so einige Stabilisatoren von Cellulose bis Gummi Arabicum. Prima Klima Foods aus Detmold ist überzeugt, dass es auch anders geht. „Im nächsten Jahr geht unsere erste Fabrik in Betrieb, die bio-zertifizierten Fleischersatz aus Pflanzen produziert. Unsere Burger und Wurst schmecken und gelingen auch ohne fragwürdige Zusatzstoffe“, meint COO Camilla Pfaffhausen.

Insekten als Eiweißlieferanten

Nicht nur Pflanzen sollen Fleisch von Schwein, Rind oder Huhn ersetzen. Auch Insekten haben diverse Start-ups als wertvolle Eiweißlieferanten entdeckt. Bold Foods aus Bremen etwa hat Burger auf Basis von Insektenmehl und Gemüse entwickelt. Das Unternehmen wurde 2019 von den beiden Ex-Bankern Marlo Kockerols und Federico Jan Krader gegründet. Die Fleischersatzprodukte stehen bereits in Supermarktketten wie Kaufland, Globus und Netto in den Regalen. „Wir wollen interessante, innovative und klimafreundliche Lebensmittel entwickeln, die dabei auch noch lecker sind“, so Co-Gründerin Kockerols.

Auch das Schweizer Start-up Essento setzt auf Insekten als Protein der Zukunft. „Unsere Mehlwürmer sind bio-zertifiziert. Wir lassen sie ganz bewusst in der Schweiz und in der EU züchten und nicht in Asien. Das Vertrauen der Verbraucher ist uns sehr wichtig“, erzählt Co-Gründer Christian Bärtsch. Burger und Bällchen auf Mehlwurmbasis (mit Spinat, Kurkuma oder Rote Beete) gibt es im Schweizer Coop zu kaufen, der Markteintritt in Deutschland ist geplant. Auch Proteinriegel mit Grillenmehl sowie geröstete Mehlwürmer und Grillen mit Nüssen hat Essento im Angebot.

Insekten haben Zukunft, denn die wachsende Weltbevölkerung will ernährt werden. Schon heute essen laut Welternährungsorganisation FAO rund zwei Millionen Menschen – vor allem in Asien – Krabbeltiere. Sie haben einen hohen Proteingehalt, sind reich an Vitamin B12, Mineralien und wertvollen ungesättigten Fettsäuren.

Hinzu kommt der Aspekt Umweltschutz: Mehlwürmer etwa produzieren gemessen am Eiweißgehalt nur ein Fünftel der schädlichen Treibhausgase wie Rinder. Sie verbrauchen laut Uno nur ein Zehntel an Futter, ein Bruchteil an Wasser.

2040 werden nur noch 40 Prozent der Fleischprodukte von Tieren stammen

„Wir stehen vor nichts weniger als dem Ende der Fleischproduktion, wie wir sie kennen“, prophezeit Carsten Gerhardt, Partner der Beratung AT Kearney. Dies bedeute auch ein Schrumpfen der Massentierhaltung mit all ihren Problemen.

Bereits 2040 werden nur noch 40 Prozent der konsumierten Fleischprodukte von Tieren stammen. Dann soll der globale Markt für Fleischersatzprodukte schon 450 Milliarden Dollar schwer sein.

Mit 630 Milliarden Dollar noch weit größer soll dann das Geschäft mit In-vitro-Fleisch aus dem Labor sein, das heute noch gar nicht marktreif ist. Hier gibt es eine Handvoll Pioniere: Mosa Meat aus den Niederlanden, Memphis Meat aus Berkeley oder Aleph Farms aus Israel, die gerade auf der Raumstation ISS Laborfleisch im 3D-Drucker gedruckt haben.

Auch das Start-up Just forscht neben veganem Ei bereits an In-vitro-Fleisch. Noch in diesem Jahr soll Hühnchenfleisch aus dem Labor in Restaurants in Asien testweise angeboten werden.

„Wir wollen nicht nur Nuggets züchten, sondern eines Tages auch Steaks in Wagyu-Qualität“, sagt Just-Manager Riley. „Das soll genauso viel kosten wie ein normales Rindersteak. Aber unser Laborfleisch schadet weder Tieren noch Umwelt.“

Getrocknete Grillen mit Milchschokolade werden als Insect Food auf der Anuga gezeigt. Foto: dpa
Getrocknete Grillen mit Milchschokolade werden als Insect Food auf der Anuga gezeigt. Foto: dpa
 Foto: dpa
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