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Selbstfahrende Autos auf deutschen Straßen: Traditionelle Autobauer könnten Tesla überholen

Mercedes und Honda wollen 2021 erstmals Autos auf den Markt bringen, die teilweise selbst fahren. Bis Mitte des Jahres will die Bundesregierung die Grundlagen schaffen.

Die Rundfahrt von Unterschleißheim nach München und zurück verläuft recht ereignislos. Der Ford Fusion passiert Baumärkte und Bäckereien, düst mit fast 140 Stundenkilometern über die A99 nach Süden, umkurvt ein parallel einparkendes und ein Feuerwehr-Auto, die die Straße in einer Wohnsiedlung blockieren.

Der knapp einstündige Film wirkt vielleicht auf den ersten Blick langweilig – aber genau das soll ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Der Fahrer legt 56 Minuten lang keine Hand ans Lenkrad, trotzdem kommt das Auto unfallfrei an. Mit seinem Video will das BMW-Partnerunternehmen Mobileye demonstrieren: Autonome Autos sind im Jahr 2021 eine Realität – und sie kommen auf deutsche Straßen.

„Den Test in München haben wir innerhalb von zwei Wochen ausgerollt, mit nur zwei Mitarbeitern, die nicht mal Ingenieure sind“, sagt Amnon Shashua, der Chef des Intel-Tochterunternehmens, in einem Interview auf der Technologiemesse CES.

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Mobileyes Software lerne seit fünf Jahren aus den Daten, die von Kameras und Radarsensoren Hunderttausender Autos gesammelt werden. „Nun haben wir eine Schwelle erreicht, wo wir die dafür notwendigen hochauflösenden Karten sehr schnell in einer völlig neuen Umgebung und ohne viel Aufwand erstellen können“, sagt Shashua.

Noch in diesem Jahr wolle Mobileye die Technologie weltweit ausrollen: In Schanghai, Tokio, Paris, Detroit und – wenn die dortigen Regulierer es erlauben – auch im Verkehrsmoloch New York.

In den vergangenen Jahren schien die Vision vom komplett selbstfahrenden Auto immer ein bisschen weiter in die Zukunft zu rücken. Sein Versprechen, bis 2020 eine Million Robotertaxis zu verkaufen, hat Tesla-Chef Elon Musk nicht einhalten können. Kein einziger Tesla fährt derzeit vollautonom.

Doch mittlerweile sind Experten optimistisch, dass autonome Autos schon bald in Serie gehen können – zumindest für die Käufer, die rund 100.000 Euro und mehr bezahlen können: „2021 wird das Jahr, in dem viele technische Fortschritte auf die Straße kommen“, sagt Axel Schmidt.

Der Automobilexperte bei der Beratung Accenture glaubt, dass die Elektroautos der deutschen Autohersteller in Bereichen mit Tesla gleichziehen können – bei der elektrischen Reichweite etwa oder dem 141 Zentimeter breiten „Hyperscreen“-Bildschirm, mit dem Mercedes in seinem Elektromodell EQS offensichtlich mehr Tesla als Tesla bieten will.

E-Mails lesen ist ausdrücklich erlaubt

Bei autonomen Fahrfunktionen wollen die Stuttgarter Tesla sogar technologisch überholen. In der zweiten Jahreshälfte will Daimler seine S-Klasse mit einem Level-3-autonomen „Drive Pilot“ auf deutsche Autobahnen bringen, der bis zu mittleren Geschwindigkeiten das Steuer übernehmen kann – wenn das entsprechende Gesetz bis dahin in Kraft ist.

Als Level 3 bezeichnet man Autos, die zeitweise und in bestimmten Bereichen wie im Stau oder langsamen Autobahnfahrten das Steuer übernehmen können. Der Fahrer darf ausdrücklich E-Mails lesen oder eine Playlist erstellen. Erst wenn sich der Drive Pilot mit roten Leuchten am Lenkrad meldet, muss der S-Klassen-Fahrer innerhalb von ein paar Sekunden wieder übernehmen.

Das ist mehr als Teslas Autopilot Fahrern offiziell abnimmt – den müssen Fahrer jede Sekunde beaufsichtigen. Wer seinen Tesla als rollendes Büro nutzt, ist im Ernstfall schuld an einer Kollision.

Zurzeit lässt Tesla ausgewählte Kunden in den USA die Beta-Version seiner „Full Self-Driving“ (FSD)-Software testen, die autonomes Fahren in Innenstädten ermöglichen soll. In der Betriebsanleitung mahnt der Autobauer Fahrer aber zu „zusätzlicher Vorsicht“. FSD könne „die falsche Entscheidung zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt treffen“.

Tesla-Chef Elon Musk betont zwar, dass die Software für Fahrten von zu Hause bis zum Arbeitsplatz ohne Intervention des Fahrers geeignet sei. Manch ein Tesla-Fahrer im Internet berichtet sogar, er sei mehr als 600 Kilometer von San Francisco bis Los Angeles gefahren, ohne ein einziges Mal eingreifen zu müssen. Überprüfen kann man das aber nicht: Das entsprechende Video ist auf 15 Minuten zusammengeschnitten.

Teslas System ist ambitioniert, aber mangelhaft

Andere FSD-Videos im Internet zeigen, wie holprig die Software mitunter noch arbeitet. Eines zeigt einen Tesla, der selbstständig durch eine US-Vorstadt fährt. An einer Kurve trennen, für den Menschen gut sichtbar, Metallpoller die Straße vom Bürgersteig. Das Fahrzeug aber steuert geradewegs auf einen Poller zu. Im letzten Moment greift der Testfahrer ein, reißt das Lenkrad rum und steuert den Tesla wieder auf die Straße.

So könnten die Level-3-Träume von Mercedes und Teslas FSD-Probleme eine ungewöhnliche Konstellation erzeugen: Erstmals könnten traditionelle Autobauer in diesem Jahr dem Elektropionier bei einer Zukunftstechnologie die Rücklichter zeigen.

Neben Mercedes will auch Honda in Japan seine Legend-Limousine als Level-3-fähiges Modell auf den Markt bringen – dort hat die Politik bereits die Regeln für teilautonome Autos geschaffen. Allerdings hat die neue Teilautonomie ihren Preis: Sowohl die S-Klasse als auch der Legend dürften mit dem neuen Piloten mehr als 100.000 Euro kosten.

Das liegt unter anderem an den Lidar-Sensoren, mit denen die Level-3-Autos ausgestattet sind. Gemeinsam mit Kameras und Radar-Sensoren helfen die Laser-Sensoren dem Auto, ein exaktes, dreidimensionales Bild von seiner Umgebung zu zeichnen.

Doch die Sensoren sind teuer. Tesla-Chef Musk hat sich deshalb schon vor einigen Jahren festgelegt: Mit Kameras, Radar und einem Chip für Künstliche Intelligenz seien Teslas Modelle voll ausgestattet, sogar um ganz ohne Fahrer unterwegs zu sein. Wer Lidar verwende, sei dem Untergang geweiht, tönte Musk im Jahr 2019. Er würde die Sensoren nicht mal einbauen, wenn sie kostenlos wären, legte er im Oktober in einer Analystenkonferenz nach.

Mit seinen vollmundigen Aussagen hat sich Musk in eine Ecke manövriert, in der er ziemlich allein steht. Weder die Entwickler autonomer Taxis wie die Google-Tochter Waymo noch ein einziger anderer Autobauer, der tatsächlich selbstfahrende Autos anstrebt, verzichtet auf Lidar-Sensoren.

Dabei scheint die Mobileye-Testfahrt Musk sogar recht zu geben. Auch der Ford Fusion, der im Dezember durch München kurvte, kam ohne die Laser-Sensoren aus. Shashua will auf Lidar aber nicht verzichten, nur um auszutesten, was allein mit Kamera- und Radar-Daten möglich ist.

„Die echte Herausforderung sind die Kosten“

Autonome Autos müssten mindestens tausend Mal sicherer fahren als Menschen, sagt der israelische Informatiker: „Wenn wir eine Flotte mit 50.000 Taxis betrieben, die durchschnittlich so sicher fahren wie ein Mensch, hätten wir jede Stunde einen Unfall. Das wäre für ein Unternehmen nicht nachhaltig.“

Das Intel-Tochterunternehmen hatte zuletzt sogar angekündigt, eigene Lidar-Sensoren zu entwickeln. Bis 2025 will Mobileye Kameras und Radar-Sensoren so weit verbessern, dass ein vollautonomes Auto mit einem einzigen Lidar-Sensor auskommen kann. „Dann ist die gesamte, für autonome Autos notwendige Sensorik auch für Privatkunden bezahlbar“, sagt Shashua. Aktuell soll Mobileyes Ausstattung samt Chips und Sensoren für ein autonomes Taxi zwischen 8.000 und 16.000 Euro kosten.

Das sieht auch Kevin Clark, Chef des US-Zulieferers Aptiv, als das Hauptproblem für autonome Autos: „Die Technologie ist da, die echte Herausforderung sind die Kosten“, sagt der Automanager dem Handelsblatt.

Das irisch-amerikanische Unternehmen hat deshalb eine Plattform entwickelt, mit der Autobauer ihre Modelle mit Fahrerassistenz-Funktionen bis Level 3 ausstatten können. Eine breite Streuung von Entwicklungskosten über möglichst viele Kunden und standardisierte Hardware soll die Kosten für die Teil-Autonomie senken.

Wie Mobileye hofft auch Aptiv, durch verbesserte Radar-Sensoren die Zahl der notwendigen Lidars zu reduzieren. „Wir sehen sie aber als wichtiges Wahrnehmungssystem für automatisiertes Fahren“, sagt Clark. Ab 2022 erwartet Clark, dass mehr und mehr Autos auf den Markt kommen, die streckenweise selbst fahren können. In dreieinhalb bis vier Jahren sollen zehn Millionen Autos weltweit die Aptiv-Plattform nutzen.

Bislang ist aber noch kein Serienauto Level-3-fähig. Im November machte Mobileye-Partner BMW einen Rückzieher bei seinem für 2021 geplanten E-SUV iX. Man wolle „die Verantwortung nicht vorschnell vollständig vom Fahrer auf den Computer übertragen“, sagte Entwicklungsvorstand Frank Weber im November dem Handelsblatt. Im April hatte bereits Audi entsprechende Pläne für seinen A8 beerdigt.

Wie autonomes Fahren technologisch möglich und bezahlbar sein kann, sind noch nicht einmal die einzigen offenen Fragen. „Muss ich auf die Straße achten oder nicht? Das ist eine Ja-nein-Frage, dazwischen gibt es nichts“, sagt Philipp Koopman, Experte für die Sicherheit autonomer Systeme an der Carnegie-Mellon-Universität. Ohne einen rechtlichen Rahmen, der die Unfallhaftung zwischen Autobauer und Fahrer eindeutig klärt, sei das Level-3-Versprechen nur ein Marketing-Trick.

Bis Mitte des Jahres will Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) das entsprechende Gesetz verabschiedet haben – es könnte die Karten im Rennen um das autonome Auto neu mischen.