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Wohin mit dem Rekordüberschuss des Bundes?

Finanzminister Scholz hat 2019 ein Plus von rund 19 Milliarden Euro im Haushaltsabschluss stehen. Nun streitet die Große Koalition, was mit dem Geld geschehen soll.

Viele Wünsche für die unverplanten Mittel. Foto: dpa
Viele Wünsche für die unverplanten Mittel. Foto: dpa

Anfang 2019 gab sich Olaf Scholz noch pessimistisch. „Die fetten Jahre sind vorbei“, sagte der Bundesfinanzminister damals mit Blick auf die Steuereinnahmen. Gut ein Jahr später zeigt sich: Das war eine Fehleinschätzung. Der Bund hat 2019 sogar einen Rekordüberschuss eingefahren.

Unter dem Strich fiel der Haushaltsabschluss um 19 Milliarden Euro besser aus als geplant. Man habe solide gewirtschaftet und „ein bisschen Glück gehabt“, sagte er. Die Bundesregierung hat damit etliche Milliarden mehr zur Verfügung. Was damit geschehen soll, ist in der Koalition umstritten.

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„Angesichts der hohen Steuereinnahmen des Bundes ist es nicht an der Zeit, Steuererhöhungsfantasien auszuleben, sondern Bürger und Unternehmen substanziell zu entlasten“, sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume dem Handelsblatt. Die vollständige Abschaffung des Solis und eine Unternehmensteuerreform seien „jetzt das Gebot der Stunde“. Auch Carsten Linnemann, Chef des Unions-Wirtschaftsflügels, forderte Entlastungen. „Der Überschuss zeigt, dass wir die Mittel haben, die längst versprochene vollständige Abschaffung des Solis schnell umzusetzen.“

Die SPD hält dagegen. „Die Forderung, die Unternehmensteuern zu senken, ist der Pawlow’sche Reflex von Union und FDP. Doch die Argumente sind schwach“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider. Die Steuerbelastung der Unternehmen liege in Deutschland im EU-Mittelfeld. „Stattdessen brauchen wir eine nationale Investitionsallianz, bei der alle staatlichen Ebenen und die Unternehmen mitwirken.“

Als Olaf Scholz am heutigen Montag die Nachricht vom Überschuss verkündete, hatte sich eine Traube von Journalisten gebildet, Kameras waren auf den Finanzminister gerichtet, Mikrofone standen bereit. Man habe im vergangenen Jahr solide gewirtschaftet und auch „ein bisschen Glück“ gehabt, sagt der oberste Kassenwart. Und so könne er nun einen „Überschuss von 19 Milliarden Euro“ verkünden.

So ein hohes Etatplus konnte noch kein Finanzminister vor Scholz ausweisen. Und man würde erwarten, dass der Vizekanzler seinen Erfolg auskostet. Doch nach einem knappen Statement drehte er sich um und ging. Es wurden noch Fragen hinterhergerufen, was nun mit dem Geld geschehen soll, aber Scholz mochte nichts mehr sagen.

Scholz ergriff die Flucht vermutlich nicht, weil er Fragen nach den Wünschen des Koalitionspartners aus dem Weg gehen wollte. Zwar setzte direkt ein Zwist zwischen Union und SPD ein, wie die gute Haushaltslage nun genutzt werden sollte. Doch solche Forderungen kann Scholz gewöhnlich gut parieren. Unangenehmer dürften für den Bundesfinanzminister die ständigen haushaltspolitischen Ratschläge der neuen SPD-Spitze sein, allen voran von Norbert Walter-Borjans, der öffentlich derzeit häufig eine Art Schattenfinanzminister gibt.

Der frühere Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und neue Co-Chef der SPD twitterte schon vor Scholz’ Auftritt zum Rekordüberschuss: Wenn Geld da sei, brauche man keine Schulden zu machen. Aber damit investiert werde, brauche es „Planungssicherheit auf deutlich höherem Niveau“. „Das verträgt sich nicht mit 0-Dogma“, so Walter-Borjans. Gemeint ist die schwarze Null, die in der SPD-Spitze nicht gut gelitten ist. Genauso wenig wie die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.

Im Bundesfinanzministerium sieht man das etwas anders. „Die Diskussion, man müsse die Schuldenbremse anpassen, um zu investieren, ist absurd“, hieß es aus dem Ministerium. Das macht aus Sicht der Haushälter nicht zuletzt der jüngste Rekordüberschuss deutlich.

Seit sechs Jahren kommt der Bund nun schon ohne neue Schulden aus. Und nicht nur das: Am Ende des Jahres steht häufig ein dickes Plus, auch wenn es gar nicht geplant war. Das liegt einerseits daran, dass sich die Einnahmen besser entwickeln als gedacht. So waren die Steuereinnahmen im Jahr 2019 um 3,5 Milliarden Euro höher als im Haushalt veranschlagt. Andererseits sind die Ausgaben geringer, vor allem aufgrund der Niedrigzinsen. Statt 17,5 Milliarden Euro musste der Bund nur 11,9 Milliarden Euro für Zinsen ausgeben. Und der Bund bekommt nicht alle Mittel ausgegeben, die er für Investitionen eingeplant hat.

Höhere Einnahmen, geringere Ausgaben – so blieb am Jahresende ein Überschuss von 13,5 Milliarden Euro im Bundesetat. Schon das ist ein Rekordwert. Und das Plus ist eigentlich noch größer: Denn Scholz hatte ursprünglich geplant, 5,5 Milliarden Euro aus der Flüchtlingsrücklage zu entnehmen, um Ausgaben zu finanzieren. Doch das musste er gar nicht. Insgesamt betrug das Plus gegenüber der Planung damit 19 Milliarden Euro.

Ein kleiner Teil des Geldes ist bereits ausgegeben worden. So hatten die Haushälter im Bundestag bei ihrer Bereinigungssitzung Ende des vergangenen Jahres die Ausgaben schon leicht erhöht. Der große Rest soll nun zunächst in die Flüchtlingsrücklage fließen. Diese schwillt damit auf 48,2 Milliarden Euro an. Auch wenn die Rücklage teilweise für die kommenden Jahre verplant ist: Die Große Koalition hat mit dem Haushaltsabschluss noch mal ordentlich finanziellen Spielraum hinzugewonnen, nämlich rund 17,1 Milliarden Euro.

Und nun wird zwischen Union und SPD diskutiert, wofür der genutzt werden soll. „Investieren“, sagte Scholz. Es gehe um Infrastruktur, Schulen, Krankenhäuser, Klimawandel und gleichwertige Lebensverhältnisse. „Alles das wird jetzt etwas einfacher, weil wir dazu die notwendige Kraft haben.“

Aus der SPD-Bundestagsfraktion erhält der Finanzminister dafür Unterstützung. Höhere Investitionen seien „dringend notwendig“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, „denn wir wollen nicht nur gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen, sondern müssen auch das Produktionspotenzial unserer Volkswirtschaft erhöhen.“ Auch DIW-Chef Marcel Fratzscher rät dazu: „Es gibt einen massiven Bedarf an Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung und Klimaschutz.“

Die Union will hingegen über Steuersenkungen etwas an Bürger und Unternehmen zurückgeben: „Angesichts der hohen Steuereinnahmen des Bundes ist es nicht an der Zeit, Steuererhöhungsfantasien auszuleben, sondern Bürger und Unternehmen substanziell zu entlasten“, sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume. Aus Sicht des stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Carsten Linnemann (CDU), zeige der Überschuss, „dass wir die Mittel haben, die längst versprochene vollständige Abschaffung des Solis schnell umzusetzen“.

Koalition soll „endlich eine Entlastungsoffensive anschieben“

Ähnliche Forderungen kommen aus der Opposition. „Der Milliardenüberschuss nimmt der Großen Koalition das letzte Argument gegen eine spürbare Entlastung der Menschen und Unternehmen in unserem Land“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. Union und SPD sollten den Überschuss „nicht wieder in irgendeiner Rücklage verstecken“, sondern endlich eine Entlastungsoffensive anschieben. „Der Soli muss komplett entfallen, der Mittelstandsbauch abgeflacht und die Unternehmsteuer gesenkt werden.“

In der SPD kann man mit den Entlastungsforderungen wenig anfangen. „Die Forderung, die Unternehmensteuern zu senken, ist der Pawlow’sche Reflex von Union und der FDP“, sagte SPD-Politiker Schneider. Als größtes EU-Land würde Deutschland nur einen Steuersenkungswettlauf in Gang setzen, „mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern“.

Die Unternehmen hätten in den vergangenen Jahren enorme Gewinne gemacht. „Zusätzliche Gewinne sind aber nicht in Investitionen, sondern in Dividenden oder ins Ausland geflossen. Warum sollte das jetzt anders sein?“, so Schneider. Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft seien nicht niedrige Steuern, sondern ein starker Staat, der in Bildung, Forschung und Entwicklung investiere und eine gute öffentliche Infrastruktur bereithalte: „Dafür sollten wir die Überschüsse verwenden.“

Allerdings ist das mit der Investitionsoffensive nicht so einfach. Denn der hohe Überschuss im Bundeshaushalt resultiert teilweise auch daraus, dass Geld für Investitionsprojekte nicht abfließt. Wegen mangelnder Planungskapazitäten und Engpässen bei Baufirmen verzögern sie sich. So gab es beim milliardenschweren Digitalfonds im Jahr 2019 nur Ausgaben von 30 Millionen Euro.

Und selbst im Fluthilfefonds aus dem Jahr 2013 von 8,3 Milliarden sind erst 6,3 Milliarden Euro ausgegeben. Im Finanzministerium betont man zwar, dass Mittel für eigene Investitionen des Bundes schneller abfließen. Aber gerade bei der Unterstützung von Kommunen gibt es weiter Probleme.

Spielraum wird enger

Die Investitionen sollen trotzdem erhöht werden. Schon jetzt sieht der Etatplan für 2020 Investitionen in Höhe von 42,9 Milliarden Euro vor – auch das ist ein Rekordwert. Im Bundesfinanzministerium plädiert man nun dafür, die Investitionen auf diesem Niveau mindestens zu „verstetigen“. Auf dieser Höhe sollen die Förderausgaben also in den kommenden Jahren fortgeschrieben werden – mindestens. Dafür allein braucht Scholz in den nächsten vier Jahren insgesamt zwölf Milliarden Euro.

Die Hoffnung: Dann werden auch Planungskapazitäten ausgebaut, und die Unternehmen stellen sich auf mehr staatliche Aufträge ein. „Es fehlt der Bundesregierung ein überzeugender, langfristiger Plan, wie diese Zukunftsinvestitionen bewältigt werden sollen“, sagte DIW-Chef Fratzscher. Auch SPD-Politiker Schneider fordert „eine stabile mittelfristige Investitionsagenda“: „Wir brauchen eine nationale Investitionsallianz, bei der alle staatlichen Ebenen und die Unternehmen mitwirken.“

Bis sich Union und SPD geeinigt haben, was mit den zusätzlichen Mitteln passieren soll, werden die Milliarden auf jeden Fall in der Flüchtlingsrücklage geparkt. Das bedeutet aber nicht, dass sie zwangsläufig für Asylausgaben genutzt werden müssen. Im Haushaltsplan für das laufende Jahr ist bisher geplant, 10,6 Milliarden Euro aus der Rücklage zu nutzen.

Dieser Betrag kann theoretisch weiter erhöht werden, solange die tatsächlichen Asylausgaben höher liegen. Diese betragen derzeit rund 17 bis 18 Milliarden Euro. Also ließe sich mehr Geld aus der Reserve nutzen, auch wenn damit letztlich dann andere Dinge zusätzlich finanziert werden.

Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, rät der Großen Koalition hingegen, die Mittel in der Rücklage zu belassen. „Die Bundesregierung sollte die Mittel nutzen, um den Haushalt wetterfest zu machen“, forderte er. Die verlangsamte Konjunktur werde geringere Einnahmen des Bundes zur Folge haben, und der demografische Wandel werde die Ausgaben der Sozialkassen stark belasten. Zudem seien weltwirtschaftlich und geopolitisch sehr unsichere Zeiten zu beobachten. „Es wird also weniger Ausgabenspielraum geben, als es die Politik aus den jüngsten Jahren gewohnt ist“, glaubt Felbermayr.

Vielleicht hätte Scholz die Verkündung des Rekordüberschusses in diesem Jahr doch noch ein wenig mehr auskosten sollen.