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„Meine Regierungszeit endet hier“

Noch vor dem Endergebnis der Volksabstimmung in Italien räumt Matteo Renzi seine Niederlage ein. Der Premier wird noch heute zurücktreten – ein Nachfolger wird bereits gesucht. Die Märkte in Asien reagieren schnell.

Ganz schnell ging es Sonntagnacht: Schon anderthalb Stunden nach Schließung der Wahllokale, noch vor der ersten offiziellen Hochrechnung und lange vor dem Endergebnis trat Matteo Renzi nach Mitternacht in seinem römischen Regierungssitz Palazzo Chigi vor die Presse und sagte: „Ich habe verloren“. Er übernehme die Verantwortung für die Niederlage.

Am Montagnachmittag werde er sein Kabinett zusammenrufen und dann . „Meine Regierungszeit endet hier“, sagte Renzi. „Das ‚Nein‘ hat gewonnen, wir haben es nicht geschafft, die Mehrheit der Italiener zu überzeugen“, sagte er in seiner achtminütigen Rede, sehr emotional und mit direktem Dank an Parteifreunde und auch an seine Frau Agnese, die im Saal anwesend war.

Schon die ersten Ergebnisse der Wählerbefragungen kurz nach 23 Uhr hatten einen deutlichen Vorsprung für die Gegner der Verfassungsänderung ergeben. Die Reform, die zuvor von beiden Häusern des italienischen Parlaments verabschiedet worden war, sah die Umwandlung und Verkleinerung des Senats vor, gedacht, um politische Entscheidungen in Italien zu beschleunigen.

Ziel der Reform war es, die häufigen Regierungswechsel in Italien und die langwierigen Prozesse im Gesetzgebungsverfahren zu beenden. In Italien gab es seit 1948 über 60 Regierungen. Zusätzlich war vorgesehen, dass die Regionen eine Reihe von Kompetenzen an Rom abgeben, etwa um Infrastrukturprojekte zu beschleunigen. Die 110 Provinzen als Verwaltungseinheit zwischen Regionen und Kommunen sollten abgeschafft werden. Die Wirtschaftswelt hatte sich geschlossen für ein „Ja“ zur Verfassungsänderung ausgesprochen, mit der Italien glaubwürdiger, wettbewerbsfähiger und berechenbarer geworden wäre.

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„Wer für eine Idee kämpft, kann nicht verlieren“, machte sich Renzi in seiner kurzen Rede Mut. Er habe den Populismus bekämpfen wollen. „Wir gehen ohne Reue“, sagte er und verwies auf die Reformen, die er in seiner Amtszeit seit Februar 2014 durchgeführt habe, wie zum Beispiel die Arbeitsmarktreform und die Reduzierung der Arbeitslosigkeit.


Euro unter Druck

Die Märkte in Asien reagierten auf die Nachrichten aus Rom sofort. Durch Renzis Niederlage geriet der Euro weiter unter Druck. Als Reaktion auf den Ausgang des Verfassungsreferendums war der Euro zwischenzeitlich fast bis auf 1,0506 Dollar gefallen. Schließlich hat der Euro seine Verluste etwas eingedämmt. Ein Euro kostete zuletzt 1,0572 Dollar, die Gemeinschaftswährung lag damit noch gut 0,9 Prozent im Minus. Sollte es auf den Märkten in Europa bei der Öffnung am Montagmorgen zu Turbulenzen kommen, steht die Europäische Zentralbank mit einem Notplan bereit.

Staatspräsident Mattarella muss jetzt einen Politiker bestimmen, dem er den Auftrag zur Regierungsbildung gibt. Namen zirkulieren bereits in Rom: Finanzminister Pier Carlo Padoan, Industrieminister Carlo Calenda, oder ein Technokrat wie seinerzeit 2011 nach dem Rücktritt von Silvio Berlusconi, als der Wirtschaftsprofessor Mario Monti kurze Zeit Regierungschef war.

Die Niederlage Renzis ist auch ein schwerer Schlag für die . Sie setzte auf die Reformpolitik des Ministerpräsidenten in der hoch verschuldeten drittgrößten EU-Volkswirtschaft. Renzi versprach, die verkrusteten Strukturen in Italien aufzubrechen und präsentierte sich als Politiker, der gegen das Establishment vorgeht.

Doch die Reformen zeigten wenig Wirkung. Die neue Fünf-Sterne-Bewegung des Euro-Gegners Beppe Grillo übernahm immer mehr die Rolle als Kämpferin gegen das Establishment. Grillo hatte dazu aufgerufen, das Referendum zur Abrechnung mit der Regierung zu nutzen.

Die Legislaturperiode wäre 2018 zu Ende gegangen. Jetzt sind Neuwahlen schon 2017 wahrscheinlich. Die Opposition, vor allem die rechtspopulistische Lega Nord, rief schon in der Wahlnacht nach Neuwahlen. Bis dahin herrscht in Italien Stillstand in der Politik – jedoch keine Ansteckungsgefahr für Europa. Auch die Märkte werden sich wie nach der Wahl Trumps in den USA bald beruhigen.

Ansteckungsfahr besteht erst dann, wenn die populistischen Kräfte bei den Neuwahlen siegen sollten. Ein Premier von der Fünf-Sterne-Bewegung wäre ein deutlich negatives Signal für Europa. Und eine Abschreckung für Investoren.

KONTEXT

Ökonomen zum Ausgang des Italien-Referendums

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank

"Ich würde am heutigen Tag nicht das Wort Euro-Krise in den Mund nehmen. Italien dürfte jetzt eine Technokraten-Regierung bekommen. Das muss nichts Schlechtes bedeuten. Übergangsregierungen in Europa haben manchmal mehr hinbekommen als reguläre Regierungen.

Die Debatte über eine Absenkung der Anleihenkäufe durch die EZB dürfte nun erst einmal vom Tisch sein. EZB-Chef Draghi dürfte am Donnerstag signalisieren, dass das Kaufprogramm fortgesetzt wird. Es dürfte nachjustiert werden zugunsten von italienischen Staatsanleihen. Das dürfte diese stützen. Die EZB Sitzung am Donnerstag kommt wie gerufen, um größere Schäden vor allem für italienische Staatsanleihen zu verhindern."

Holger Sandte, Europa-Chefvolkswirt Nordea

"Wenn man sieht, wie breit der Widerstand gegen die Reformen war, dann war es eher Renzis Niederlage als ein Sieg der Populisten. Nachdem Renzi das Land vorangebracht hat, ist nun erst einmal unklar wie es weitergeht - Neuwahl oder nicht? Dieses Vakuum dauert hoffentlich nur kurz an. Auf den Finanzmärkten könnten italienische Bankaktien mehr leiden als Staatsanleihen. Italien ist aber nicht auf dem Weg aus der EU oder dem Euro-Raum. Damit das realistisch würde, müsste die Fünf-Sterne-Bewegung die nächste Wahl gewinnen, die Verfassung ändern, damit ein Euro-Referendum möglich würde, und es gewinnen. All das ist weit weg. Italien und die EU werden den gestrigen Rückschlag überleben."

Jörg Krämer, Commerzbank-Chefvolkswirt

"Der asiatische Handel hat gefasst reagiert. Der Eurokurs ist nicht eingebrochen. Natürlich ist es tragisch, dass die Italiener die Chance vertan haben, sich einen effizienteren parlamentarischen Entscheidungsprozess zu geben. Aber das bedeutet nicht automatisch eine eurokritische Fünf-Sterne-Regierung und eine Rückkehr der Staatsschuldenkrise. Der Staatspräsident will eine Übergangsregierung einsetzen. Diese würde versuchen, eine Wahlrechtsreform durchzubekommen.

Mittelfristig ist eine wesentliche Regierungsbeteiligung der Fünf-Sterne-Bewegung nicht vom Tisch. Sie will deutlich mehr Staatsausgaben. Das könnte zu einem Käuferstreik der Investoren führen und eine Staatschuldenkrise auslösen."

Quelle: Reuters

KONTEXT

Fakten zum Referendum in Italien

Worum geht es in dem Referendum?

Das komplizierte parlamentarische System und damit das Regieren soll vereinfacht werden. Bislang muss jedes Gesetz in jeweils drei Lesungen im Abgeordnetenhaus und im Senat behandelt werden. Das hat zur Folge, dass Gesetzesvorhaben oft verwässert, erheblich verzögert oder ganz blockiert werden. Schließlich verfügen die bisherigeren Regierungen selten über eine eigene Mehrheit in beiden Kammern.

Was schlägt Renzi vor?

Die Kompetenzen des Senats sollen beschnitten, die der Abgeordnetenkammer gestärkt werden. Der Senat soll von 315 auf 100 Mitglieder schrumpfen, die zudem nicht mehr direkt gewählt werden. Stattdessen sollen 95 Senatoren von den Regionalregierungen und den Kommunen entsandt werden, die restlichen fünf ernennt der Staatspräsident. Auch sollen ihre Zuständigkeiten beschnitten werden. Der Senat soll künftig hauptsächlich für Europafragen, Minderheitenschutz und Verfassungsänderungen zuständig sein. Der Rest fällt dann in den alleinige Aufgabenbereich des Abgeordnetenhauses.

Was ist die zweite große Reform?

Um das Regieren zu erleichtern, soll das Wahlrecht geändert werden. Kommt eine Partei auf mehr als 40 Prozent der Stimmen, erhält sie einen Bonus, der ihr 55 Prozent der Sitze im Abgeordnetenhaus sichert. Das soll der Regierung erleichtern, fünf Jahre durchzuregieren - was nach dem Zweiten Weltkrieg noch nie gelang. Kommt keine Partei im ersten Wahlgang über die 40-Prozent-Marke, entscheidet eine Stichwahl zwischen den beiden stärksten, wer den Bonus bekommt.

Woran entzündet sich die Kritik?

Ein Kritikpunkt betrifft die künftigen Senatoren. Gegner der Reform weisen darauf hin, dass beispielsweise die von den Kommunen in den Senat geschickten Bürgermeister bereits Vollzeitjobs haben und damit kaum angemessene Zeit für ihre neue Rolle fänden. Zudem ist unklar, wie die mehr als 8000 Bürgermeister aus ihrem Kreis 21 Senatoren auswählen sollen. Außerdem sollen die Senatoren nach den Regionalwahlen auserkoren werden, die zu einem anderen Zeitpunkt als die landesweiten Wahlen stattfinden. Dadurch kann die politische Zusammensetzung des Senats sich stark von der des Abgeordnetenhauses unterscheiden, was wiederum zu Blockaden etwa in der Europapolitik führen kann.

Warum ist die Wahlrechtsform umstritten?

Hier monieren die Kritiker, dass der Wahlgewinner durch den Siegerbonus zu viel Macht in einer Hand vereinen könnte. Hinzu kommt, dass die Führung der siegreichen Partei durch die Bonussitze viele Parlamentarier selbst aussuchen kann. Kritiker befürchten deshalb, dass diese Abgeordnete der Regierung blind folgen anstatt sie kritisch zu beäugen, um beim nächsten Mal wieder nominiert zu werden.

Was sagen die Meinungsumfragen?

Seit Ende Oktober haben 42 Umfragen von 15 unterschiedlichen Instituten das "No"-Lager vorn gesehen - mit wachsendem Vorsprung. Allerdings gibt es noch einen hohen Anteil unentschlossener Wähler, und Umfragen sind zwei Wochen kurz vor der Abstimmung nicht mehr erlaubt.

Warum liegen die Gegner vorn?

Ministerpräsident Matteo Renzi hat sein politisches Schicksal mit dem Ausgang des Referendums verknüpft: Werden seine Vorschläge abgelehnt, will er zurücktreten. Da viele Italiener angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage und der hohen Arbeitslosigkeit unzufrieden mit der Regierung sind, könnten sie das Referendum in eine Protestwahl umwandeln, um Renzi zu stürzen.

Was passiert bei einem "No"?

Ein Rücktritt Renzis würde aber nicht automatisch zu Neuwahlen führen. Viele Beobachter erwarten, dass eine Übergangsregierung aus Technokraten bis zur nächsten Wahl 2018 gebildet wird - wie schon einmal vor einigen Jahren unter Führung des einstigen EU-Kommissars Mario Monti. Die etablierten Parteien befürchten im Falle sofortiger Neuwahlen einen Sieg der Protestpartei "Fünf Sterne" von Beppe Grillo.

Wie reagieren die Märkte auf ein "Si"?

Investoren werden sicher erleichtert sein. Die zuletzt gestiegenen Risikoaufschläge auf italienischen Staatsanleihen dürften wieder fallen, die Börsenkurse steigen. Allerdings würden grundlegende Probleme bleiben: von der hohen Staatsverschuldung über die von faulen Krediten belasteten Banken bis hin zu dem von vielen Experten als zu starr empfundenen Arbeitsmarkt.

Was folgt auf ein "No"?

Scheitert das Referendum, dürften die Aktienkurse in Italien weiter fallen und die Risikoaufschläge für Staatsanleihen steigen. Die Folgen eines "No" wären aber nicht nur auf Italien begrenzt, sondern in der gesamten Euro-Zone zu spüren. Populisten wie die eurokritische Protestpartei "Fünf Sterne" könnten die Oberhand gewinnen und den Reformprozess der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone beenden.