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Warum die Regierung plötzlich mehr auf die Top-Ökonomen hört

Regierungsvertreter haben den Rat von Ökonomen lange für weitgehend nutzlos gehalten. Doch in der Coronakrise suchen sie ihn regelmäßig. Wie viel Einfluss haben die Wissenschaftler?

Mittlerweile ist es fast schon ein Ritual, und doch fiebern Deutschlands Top-Ökonomen jede Woche neu auf diesen Termin hin. Jeden Donnerstag um 17 Uhr schalten sich die führenden deutschen Wirtschaftswissenschaftler mit dem Bundesfinanzministerium per Webex für eineinhalb Stunden zu einer Videokonferenz zusammen. „Für mich ist das der Höhepunkt der Woche“, sagt ein Ökonom.

Politik und Ökonomen diskutieren dann über „Coronomics“, die Wirtschaft in Zeiten von Corona: Sind die Rettungsprogramme der Politik für die Wirtschaft praxistauglich? Verschulden sich die Staaten gerade zu stark? Und wie könnten die nächsten Lockerungsschritte aussehen? Das sind die ökonomischen Fragen dieser Zeit. Und die Ökonomen sind in der Diskussion mittendrin, statt nur dabei.

Volkswirte wie Clemens Fuest, Marcel Fratzscher oder Jens Südekum bevölkern nicht nur die großen TV-Talkshows und sind täglich in Radio und Zeitungen präsent. Hinter den Kulissen beraten die Ökonomen die Bundesregierung auch bei jedem Krisenschritt. Die Zusammenarbeit ist so eng wie noch nie. Doch wie groß ist ihr Einfluss auf die Politik? Ähnlich wie der von Virologen? Gibt es inzwischen vielleicht sogar eine zu große Nähe?

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Vorbei scheinen jedenfalls die Zeiten, in denen die Wirtschaftsweisen die Bundesregierung hart angingen und eine „Neujustierung der Wirtschaftspolitik“ verlangten. Umgekehrt ist die Politik weit entfernt von der harschen Kritik an der Ökonomenzunft aus früheren Tagen.

Der einstige SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel warf Wirtschaftswissenschaftlern gerne Realitätsblindheit und ordoliberale Gesinnung vor, sie seien eher „Astrologen“ als Ökonomen. Auch der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lästerte gerne über die sich widersprechenden Ratschläge der Volkswirte und umgab sich im Führungsstab seines Ministeriums lieber mit Juristen.

Olaf Scholz sucht schon seit Amtsantritt regelmäßig Austausch mit Ökonomen

Statt sich anzufeinden, arbeiten Politik und Wirtschaftswissenschaft in der Coronakrise nun aber Hand in Hand. Eingefädelt hat den regelmäßigen Austausch Wolfgang Schmidt (SPD), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.

Sein Minister Olaf Scholz (SPD) sucht schon seit Amtsantritt regelmäßig den Austausch mit Ökonomen. Mit einer Runde um den SPD-nahen Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein traf Scholz sich öfters zum Abendessen, auf den Sommerfesten des Ministeriums sah man zuletzt auch etliche Top-Ökonomen ein Bier trinken. Auch Scholz‘ Kabinettskollege Peter Altmaier (CDU) sucht in der Coronakrise den Rat aus der Wissenschaft und lud 18 Spitzenökonomen zum Videogespräch.

Der Auslöser für die regelmäßigen Treffen im Finanzministerium war ein Auftritt von sieben Ökonomen: Peter Bofinger, Sebastian Dullien, Gabriel Felbermayr, Clemens Fuest, Michael Hüther, Jens Südekum und Beatrice Weder di Mauro stellten am 11. März in der Bundespressekonferenz ein Papier zur Rettung der Wirtschaft in der Coronakrise vor. Zwei Tage später saß die Runde bei Scholz im Ministerium und beriet mit der Leitungsebene des Hauses über die Lage. Von da an tagte man regelmäßig.

Die sieben Ökonomen bilden den harten Kern, es kommen aber auch andere Volkswirte hinzu wie Jörg Rocholl, Präsident der Hochschule ESMT, Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch oder Isabel Schnabel von der Europäischen Zentralbank. Oft besteht die Runde aus rund 15 Experten, die die gesamte politische Bandbreite abdecken.

Die Moderation übernimmt Jakob von Weizsäcker, Leiter der Grundsatzabteilung im Bundesfinanzministerium. Oft schalten sich auch die Staatssekretäre Schmidt und Jörg Kukies dazu, ebenso hochrangige Beamte aus Kanzleramt und Wirtschaftsministerium.

In den Runden gibt es immer ein Oberthema. Eine Schaltung zu Beginn der Krise etwa widmete sich der Ausgestaltung von Staatsgarantien für Firmenkredite. In einer anderen referierte die frühere Wirtschaftsweise Weder di Mauro über das Thema Auslandsverschuldung. Vergangenen Donnerstag drehte sich die Diskussion um Wege aus dem Shutdown und über den Unternehmens-Rettungsschirm WSF.

Niemand will offen über die Diskussionen reden

Darüber hinaus tauschen sich Untergruppen über spezielle Themen aus. „Ich habe eigentlich täglich Kontakt zum Ministerium“, sagt ein Ökonom und wundert sich selbst, während er es ausspricht.

Nicht nur ihm ist anzumerken, dass er sich geehrt fühlt, in dieser historischen Krise im Dauerkontakt mit den politischen Entscheidungsträgern zu stehen. Die Ökonomen erfahren von manchen Ideen früher als die Öffentlichkeit und haben den Eindruck, dadurch Entscheidungen beeinflussen zu können.

Deshalb will auch niemand offen über die Diskussionen reden. Die Runde hat sich strikte Vertraulichkeit zugesichert. „Es herrscht generell eine sehr große, ehrliche Offenheit“, schwärmt ein Ökonom. Er habe es noch nie erlebt, dass sich Ministeriale ohne vorgefertigte Lösung so in Diskussionen begäben und auch so offen redeten.

Ein anderer Professor sieht das nüchterner: „In Krisenzeiten ist das immer wieder mal so.“ Auch in der Finanzkrise habe die Politik solchen Rat gesucht.

Doch eine Sache sei grundlegend anders als damals, findet Finanz-Staatssekretär Schmidt. Er hat die Finanzkrise im Arbeitsministerium miterlebt. Damals hätten viele Ökonomen gesagt, sie könnten die Krisenpolitik erst in drei bis fünf Jahren beurteilen.

„Der Rückspiegel war also super eingestellt, nur war die Windschutzscheibe zugeklebt. Damit war uns in der akuten Krise nicht wirklich geholfen“, so Schmidt. „Das ist heute ganz anders, die Ökonomen sind viel praxisorientierter und trauen sich auch Einschätzungen zur Zukunft zu.“

So habe man am Anfang der Krise die Rettungsprogramme mit den Experten „einem Realitäts-Check“ unterziehen können. „Zudem helfen uns die Ökonomen sehr dabei, ein besseres Gefühl für die Lage zu entwickeln“, sagt Wolfgang Schmidt. Der Ökonom Moritz Schularick etwa referierte darüber, welche Lehren man aus früheren Krisen ziehen kann.

De facto ist der Einfluss der Ökonomen wohl begrenzt

Interessant sei, dass viele Vorschläge von Politik und Ökonomen in die gleiche Richtung gingen, sagt Schmidt. Bei der Frage, wie groß der Einfluss jeweils ist, gibt es unter den Ökonomen durchaus Neid. Das gewerkschaftsnahe IMK und das arbeitgebernahe IW, die sich zuletzt überraschend häufig bei Themen verbündeten, hätten den größten, sagt ein Ökonom: „Wenn ich eine Vorlesung über Interessengruppen und Lobbying mithilfe von Informationsvermittlung halten müsste, dann fände ich da mein Anschauungsmaterial.“

„Die Ökonomen haben Einfluss, aber natürlich kann die Politik nicht jeden Vorschlag 1:1 übernehmen – oft sind noch andere Faktoren zu bedenken“, sagt Schmidt. Politik muss bei Entscheidungen immer auch politische Mehrheiten, Akzeptanz und Kommunizierbarkeit im Auge behalten.

De facto ist der Einfluss der Ökonomen wohl eher begrenzt. Die Beschlüsse des Koalitionsausschusses waren jedenfalls nicht allzu nah an ihren Vorschlägen. Das Kurzarbeitergeld wurde breit ausgedehnt, statt es nur für Geringverdiener zu erhöhen. Die Mehrwertsteuersenkung für Gastwirte finden die meisten Ökonomen falsch. Und ihre Forderung, Unternehmen großzügige steuerliche Verlustrückträge einzuräumen, verhallt weitgehend ungehört.

Deshalb besteht auch nicht die Gefahr, dass durch die enge Einbindung der Ökonomen die Unabhängigkeit der Wissenschaft in Gefahr gerät. „Es wird hart diskutiert und auch kritisiert in den Runden. Beim Thema Kita- und Schulschließungen etwa ging es ziemlich hoch her“, sagt ein Ökonom.

Auch diesen Donnerstag steht ein Thema auf der Tagesordnung, bei dem es ziemlich kontrovers zugehen könnte: der europäische Wiederaufbaufonds. Die Ökonomen freuen sich schon drauf.