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Reform einer Instanz – Mietspiegel in der Kritik

Der neue Berliner Mietspiegel war noch keine 24 Stunden alt, als Philip Grosse zum Rundumschlag ausholte: „Das bildet eindeutig nicht die realen Marktentwicklungen ab“, sagte der Finanzvorstand des Konzerns Deutsche Wohnen. Die aktuellen Quartalszahlen seines Unternehmens, der Anlass seiner Rede, rückten in diesem Moment in den Hintergrund. Vor gut einer Woche stellte Berlin den Mietspiegel vor.

Der Anstieg hat sich auf 2,5 Prozent jährlich abgeschwächt, den niedrigsten Wert seit zehn Jahren. Grosse kann die Zahlen nicht nachvollziehen. Er hält einen Anstieg um fünf Prozent für eine realistischere Größe. Deutsche Wohnen will den Mietspiegel nun eingehend analysieren.

Jahrzehntelang galten Mietspiegel als verlässliche Referenz für die ortsübliche Vergleichsmiete. Heute aber stehen sie in der Kritik. Auch in München, Bonn oder Braunschweig wird und wurde in den vergangenen Monaten darüber gestritten, wie repräsentativ die Referenzen wirklich sind.

Allein in diesem Jahr gab es zwei öffentlichkeitswirksame Gerichtsverfahren, bei denen die Mietspiegel im Mittelpunkt standen. Das erste: In München hatte der Eigentümerverband Haus und Grund auf die Herausgabe von Informationen über 30 000 Wohnungen geklagt, die zwar für den Mietspiegel erhoben worden waren, in die Berechnung aber nicht einflossen.

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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gab Haus und Grund recht. Die Stadt muss die Daten herausrücken – genauso wie die errechneten Nettokaltmieten für die 3000 Wohnungen, die im Mietspiegel berücksichtigt wurden. Dass sich die Stadt gegen die Herausgabe der Daten gewehrt hat, vermittele das Gefühl, es solle etwas verheimlicht werden, meint Kai Warnecke, Präsident des Verbands auf Bundesebene.

Das zweite: In Berlin wollte ein Deutsche-Wohnen-Mieter eine Erhöhung seiner Miete, die mit dem Mietspiegel 2017 begründet wurde, nicht hinnehmen. Es kam zum Streit. Erst urteilte das Amtsgericht Spandau im Sinne von Deutscher Wohnen. Ein Gutachten hatte sogar eine Vergleichsmiete oberhalb des Mietspiegels ermittelt. Anfang Mai hob das Landgericht Berlin das Urteil auf: Der Mietspiegel gelte doch.

Mieterverbände kritisieren die Angriffe auf die Mietspiegel. Vermieter wollten nur höhere Mieten herausschlagen, lautet der Vorwurf. Auch der Berliner Wohnungsverband BBU nahm den Mietspiegel in Schutz. Dabei geht es beim Streit im Kern um die Grundfrage: Was genau ist eigentlich die ortsübliche Vergleichsmiete? Sind es Daten von Neuvermietungen, Neuvermietungen plus Mieterhöhungen der vergangenen Jahre oder sämtliche Mieten im Stadtgebiet?

Die Entstehung von Mietspiegeln geht auf das Wohnraumkündigungsgesetz aus dem Jahr 1971 zurück. Es war die Geburtsstunde des Mieterschutzes. Bis dahin konnten Eigentümer ihren Mietern relativ frei kündigen, auch um die Miete zu erhöhen. Während die Mieter stärker geschützt werden sollten, wurde Vermietern die Möglichkeit eingeräumt, die Miete auch in bestehenden Verträgen bis auf Marktniveau zu erhöhen. 1974 wurde der Mietspiegel als Datenquelle für die ortsübliche Vergleichsmiete etabliert.

Er ist im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. Heute sind Kündigungen für Mieterhöhungen per Gesetz ausgeschlossen. Mieterhöhungen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete müssen Mieter in der Regel aber zustimmen. Alle zwei Jahre soll der Mietspiegel der Marktentwicklung angepasst werden. Einfließen sollen in die Berechnung laut Gesetz alle Wohnungen, die in den zurückliegenden vier Jahren neu vermietet wurden oder bei denen die Bestandsmiete geändert wurde.

Geförderte Wohnungen sind ausgeschlossen. Wörtlich genommen soll das Instrument ein Spiegel sein, der die ortsübliche Miete abbildet. „Ein Mietspiegel soll aber nicht die Höhe der aktuellen Neuvermietungen abbilden, sondern gibt konstruktionsbedingt meist ein deutlich niedrigeres Niveau wieder“, sagt Steffen Sebastian. Er ist Professor am Irebs Institut für Immobilienwirtschaft und Vorsitzender der Mietspiegelkommission der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung (Gif).

Bedeutung nimmt zu

„Das Instrument besitzt außer empirischen auch normative Elemente. Das wird häufig vergessen“, sagt Bernd Leutner, Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts F+B, das unter anderem die Mietspiegel für Berlin und Hamburg erstellt. Denn die Mieten von kommunalen Anbietern werden genauso berücksichtigt wie die der privaten.

So soll ein möglichst breites Bild der Vergleichsmieten dargestellt werden. In der Regel wirkt der Anteil der kommunalen dämpfend auf das Mietniveau. In Berlin ist etwa das Mietwachstum der kommunalen Anbieter per Kooperationsvertrag mit der Stadt begrenzt. Die SPD forderte zuletzt gar einen Mietendeckel.

Eine Sprecherin von Deutscher Wohnen kritisiert, dass kommunale Gesellschaften in der Stichprobe über-, die Bestände privater Wohnungsgesellschaften hingegen unterrepräsentiert seien. Auch in München unterstellt die Klage von Haus und Grund der Stadt indirekt, die Auswahl der Stichprobe zu beeinflussen.

Der Zweck der ortsüblichen Vergleichsmiete war bis zuletzt unmissverständlich: Sie soll eine Referenz sein, bis zu welchem Niveau Vermieter ihren Mietzins in bestehenden Verträgen anheben dürfen. Bis zuletzt heißt konkret bis Juni 2015. Damals wurde die Mietpreisbremse eingeführt.

„Mit der Einführung der Mietpreisbremse hat der Mietspiegel massiv an Bedeutung gewonnen“, sagt Leutner von F+B. Denn galt der Mietspiegel bis dahin nur als Referenz für Mieterhöhungen in bestehenden Vertragsverhältnissen, soll er nun auch für Neuvermietungen herangezogen werden: Teurer als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete darf dort, wo die Mietbremse gilt, keine Wohnung an einen neuen Mieter vermietet werden.

Das sorgt in den angespannten Wohnungsmärkten für Streit. „Da prallen zwei Ideologien aufeinander“, sagt Andreas Schulten, Generalbevollmächtigter des Immobilien-Analysehauses Bulwiengesa. Den Verfechtern eines regulierten, durch staatliche Vorgaben gebändigten Mietmarkts stehen die Marktwirtschaftler gegenüber, die von den Vorteilen eines durch Angebot und Nachfrage geprägten Wohnungsmarktes mit sich selbst regulierenden Mieten überzeugt sind und argumentieren: Nur Neubau könne den Preisauftrieb stoppen.

Die Mietpreisbremse sollte zunächst nur fünf Jahre gelten. Nun aber will sie Bundesjustizministerin Katarina Barley verlängern. Bis Jahresende will ihr Ministerium außerdem die Grundzüge eines Berechnungsstandards ausarbeiten. Denn der fehlt bis heute. Und Kommunen sind noch nicht einmal verpflichtet, einen Mietspiegel zu erstellen.

Laut dem Mietspiegelindex von F+B gibt es das Instrument zu einem nennenswerten Anteil erst in Städten und Gemeinden ab 10.000 Einwohnern. Von den knapp 1600 Orten dieser Größe besitzen nur 36 Prozent einen Mietspiegel. Unterschieden wird zwischen einfachen und qualifizierten Mietspiegeln.

Bei den einfachen gibt es keine konkrete methodische Vorgabe, wie die Daten zusammengetragen werden. Es reicht, wenn dem Ergebnis Mieter-, Vermietervereine und Stadtrat zustimmen. „Diese Methode wird despektierlich auch Rotweinmietspiegel genannt, funktioniert in vielen Fällen trotzdem gut. Nicht jede Gemeinde kann die Zeit und das Geld für einen qualifizierten Mietspiegel aufbringen“, sagt Sebastian von der Gif.

Kommunen scheuen hohe Kosten

Qualifizierte Mietspiegel müssen nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt werden – wobei in Fachkreisen um zwei wissenschaftlich anerkannte Methoden gerungen wird. Großstädte kostet ein solcher Mietspiegel mehrere Hunderttausend Euro.
Ob überhaupt ein Mietspiegel und, wenn ja, welcher erstellt wird, bestimmen die Kommunen.

Entsprechend divers präsentiert sich das Bild. Nur 55 Prozent der 80 größten Städte in Deutschland haben sich für einen qualifizierten Mietspiegel entschieden, 29 Prozent für einen einfachen; 16 Prozent verzichten ganz. Unter Letzteren seien sogar sieben Städte mit angespanntem Wohnungsmarkt, in denen die Mietpreisbremse gilt, zeigt der Gif-Mietspiegelreport. Dazu zählt auch Bremen. Doch: „Ohne Mietspiegel ist die Mietpreisbremse weitgehend unwirksam“, heißt es in dem Report.

In die Kritik geriet bei den Klagen in Berlin und München aber nicht die wissenschaftliche Methode der Erstellung, sondern die Auswahl der Stichprobe. Denn auch dabei gibt es Unterschiede: Mal werden Mieter befragt, mal Vermieter, mal beide. Die Teilnahme an der Befragung ist freiwillig. Und so stellten Kritiker zuletzt infrage, ob die Grundlage der Mietreferenz wirklich repräsentativ ist. Die Ersteller und die Auftraggeber weisen jegliche Vorwürfe zurück.

Um mehr Vertrauen zu schaffen, spricht sich Leutner von F+B aber für eine verpflichtende Teilnahme aus. Dem schließt sich auch Sebastian an: „Was beim Mikrozensus möglich ist, eine Antwortpflicht, sollte beim Mietspiegel auch möglich sein.“ Dem idealen Abbild am nächsten käme eine digitale Sammlung aller Mietdaten, quasi eine Art Transparenzregister, meint Schulten von Bulwiengesa.

Dies habe den Nachteil, dass die Daten mit viel Aufwand erhoben und komplex abgestimmt werden müssten – von Datenschutzbedenken ganz zu schweigen. Entscheide man sich für eine abgespeckte Variante, bei der die Daten nach Neuvermietungen oder Mieterhöhungen einlaufen, stehe man wieder vor dem Problem einer umstrittenen Stichprobe.

Mietspiegel effektiver machen

Die Bedeutung des Mietspiegels jedenfalls wird nicht abnehmen. In ihrem jüngsten Referentenentwurf sieht Bundesjustizministerin Barley eine Verschärfung der Mietpreisbremse vor. Denn für die Berechnung des Mietspiegels sollen künftig nicht nur die Mieterhöhungen der vergangenen vier, sondern der vergangenen sechs Jahre einfließen.

Dies werde sich „dämpfend auf das Preisniveau auswirken“, heißt es im Entwurf. Die Miete werde auf diese Weise über einen längeren Zeitraum eingefroren, schimpft der Immobilienverband GdW. Dem Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds, Ulrich Ropertz, ist Barleys Vorschlag hingegen noch nicht genug.

Er würde gern die Mieterhöhungen der vergangenen zehn Jahre einfließen lassen. Justizministerin Barley verabschiedet sich nach den Europawahlen am Sonntag gen Brüssel. Sie wird ihren Entwurf nicht mehr als Gesetz vorlegen können. Ob die Verschärfung der Mietpreisbremse durchgeht, ob es eine Auskunftspflicht für den Mietspiegel oder gar einen einzigen, verbindlichen Standard geben wird, ist noch völlig unklar. Klar ist nur: Die Debatten um den Mietspiegel werden nicht abebben.

Mehr zu dem Thema: BGH-Urteil zu Eigenbedarfskündigungen verschafft Vermietern einen Vorteil. Redakteur Matthias Streit fordert daher andere Maßnahmen.

Korrektur: In einer vorherigen Version des Artikels war davon die Rede, dass der Finanzvorstand der Deutsche Wohnen, Philip Grosse, einen Anstieg des Berliner Mietspiegels um zehn Prozent für realistischer hielte. Tatsächlich aber hält er einen Anstieg von fünf Prozent pro Jahr für realistisch. Die Aussage zu zehn Prozent bezog sich auf einen Zwei-Jahres-Zeitraum. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.