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Warum rechte Amerikaner im Virus einen Anschlag auf ihre Freiheit sehen

Die Demonstrationen gegen den Corona-Lockdown werden zum Kulturkampf. Manch einer glaubt sogar, dass das Virus aus einem US-Biowaffenlabor stammt.

Der Lärm von Dutzenden Hupen erfüllt die Frühlingsluft. Im Schritttempo umkreist der Autokorso den Regierungssitz des Gouverneurs von Virginia. Aus den Seitenfenstern der SUVs und von den Ladeflächen der Pickup-Trucks flattern Flaggen in der Sonne. „Trump 2020“ steht auf einigen. Dazwischen ist immer wieder eine schwarze Klapperschlange auf gelben Grund zu sehen: das Symbol der Tea Party – jener libertären Protestbewegung, die vor einigen Jahren die republikanische Partei ideologisch weit nach rechts verschoben hat.

Auf dem Bürgersteig hat sich David Britt einen schwarzen Klappsessel aufgebaut und betrachtet das Getümmel. Er ist glücklich, „mehr als glücklich“ sogar, wie er selbst sagt. Nie hätte er damit gerechnet, dass so viele seinem Aufruf folgen, in Virginias Hauptstadt Richmond gegen den Lockdown zu protestieren, gegen die Corona-bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in den USA.

Virginia, Wyoming, Ohio: Seit etwa Zwei Wochen gehen Menschen in rund zwei Dutzend US-Bundesstaaten gegen die Corona-Beschränkungen auf die Straße. Meist richtet sich der Protest gegen Regionalregierungen, die von demokratischen Gouverneuren geführt werden, seltener gegen Republikaner.

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An der Oberfläche geht es um eine Frage, die sich auch in Deutschland viele Bürger stellen: Wie lässt sich verhindern, dass die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie am Ende schlimmer ausfallen als die der Seuche selbst? Doch darunter bricht der der alte Kulturkampf wieder auf, der die USA seit rund einem Vierteljahrhundert spaltet: Rechte Staatsverächter wittern hinter dem Lockdown einen Anschlag auf ihre Freiheit.

Mit seinem Kinnbart und den melancholischen Augen hinter runden Brillengläsern wirkt Britt ganz und gar nicht wie der Wortführer in einem ideologischen Grundsatzstreit. Dass da etwas in ihm brennt, verrät nur sein Hemd. Auf der rechten Seite ist es blau mit weißen Sternen, auf der linken rot-weiß-gestreift – Britt trägt die US-Flagge am Körper.

Es offenbart sich eine bizarre Parallelwelt

„Uns geht es einzig und allein darum, dass die Menschen in Virginia wieder arbeiten können“, sagt der Sprecher der Protestbewegung „Reopen Virginia“. Dass das Coronavirus ansteckend ist, bezweifelt er nicht. Deshalb hat er zu einer Auto-Demo aufgerufen, damit sich beim Protest niemand zu nahe kommt.

In Richmond sind am Mittwoch schätzungsweise knapp 1000 Menschen Britts Aufruf gefolgt. Die Atmosphäre ist friedlich, ja geradezu fröhlich, wenn sich die vielen Autofahrer und die wenigen Demonstranten auf dem Bürgersteig gegenseitig zujubeln. Ein Dutzend Polizisten auf Mountainbikes reicht aus, um für Ordnung zu sorgen.

Doch unter der unbeschwerten Oberfläche offenbart sich eine bizarre Parallelwelt. Vom „Corona-Schwindel“ spricht Dominique Kostelac, der mit seinen drei Kindern im Teenager-Alter zur Demo gekommen ist. „Covid 19 ist eine biologische Waffe, die in Fort Detrick ihren Ursprung hatte“, ist der Architekt und Bauunternehmer überzeugt.

In dem Militärstützpunkt im Bundesstaat Maryland hat die US-Armee einst an biologischen Waffen geforscht. Jetzt nutze die Regierung die Angst vor dem Virus, um die Freiheitsrechte der Bürger einzuschränken.

Auch die elegante Dame im schwarzen BMW X3, neuestes Modell, ist sich sicher, dass der Virus „irgendwo aus einem Labor entkommen ist“. Ihren Namen möchte die überzeugte Republikanerin lieber nicht in der Zeitung lesen, sie befürchtet Nachteile für ihren Mann, der „eine schöne Pension“ von der US-Armee bekomme.

Billy Healy, blauer Blazer über der Carhartt-Latzjeans, argumentiert mit den Fallzahlen: „Einen Großteil der Corona-Toten hat es in New York und New Jesey gegeben. Man kann doch jetzt nicht 48 Bundesstaaten behandeln wie diese zwei.“ Er sei Unternehmer in der Forstwirtschaft, erzählt Healy. In seinem Gewerbe merke er den Lockdown daran, dass die Nachfrage nach Bauholz sinke.

Warum trägt er bei einer Demonstration gegen den Lockdown einen Button am Revers, auf dem „Waffen retten Leben“ steht? „Ach den“, meint Healy, „den trage ich fast immer, falls ich zufällig mal einem Abgeordneten begegne.“

Gegen den Lockdown, gegen Einschränkungen beim Waffenrecht

Der Unmut über den Lockdown vermischt sich zunehmend mit allem anderen, was rechten Amerikanern schon immer verhasst war, etwa die Einschränkungen beim Waffenbesitz, die der demokratische Gouverneur von Virginia derzeit durchsetzen will.

Einige Wochen schien es so, als könnte Corona in den USA dazu beitragen, ideologische Gräben zu überbrücken. Todeszahlen und Ansteckungsraten, so möchte man meinen, lassen sich nicht anhand der üblichen links-rechts-Kriterien diskutieren.

In Senat und Repräsentantenhaus, wo Demokraten und Republikaner sonst in zelebrierter Feindschaft nebeneinader sitzen, einigten sich die Parlamentarier im Rekordtempo auf mittlerweile vier Corona-Hilfspakete. Plötzlich haben die USA eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und eine großzügige Arbeitslosenunterstützung – beides zwar befristet auf die Coronakrise, aber immerhin.

Sicher, noch immer leistete sich Trump beleidigende Ausfälle gegen missliebige Politiker, schamlose Prahlereien und abenteuerliche Kehrtwenden. Doch zugleich schien der Präsident sich als Corona-Krisenmanager bewähren zu wollen. Auf Rat seines medizinischen Expertenteams verlängerte Trump die Corona-Empfehlungen des Weißen Hauses bis zum 30. April.

Auch der Ausstiegsplan, den Trump am 16. April vorstellte, klingt unideologisch und vernünftig: Das Weiße Haus gibt klare medizinische Kriterien vor, wann welche Einschränkungen aufgehoben werden können. Die Entscheidung und Umsetzung liegt dann bei den Gouverneuren. Das ist obendrein ziemlich schlau von Trump, denn so kann er jede Verantwortung auf die Bundesstaaten abwälzen, falls irgendwo in den USA die Seuche wieder aufflammt.

Trump nimmt Kulturkampf wieder auf

Doch kaum hatte Trump diesen Ausstiegsplan verkündet, eröffnete der Präsident am 18. April die neue Runde im amerikanischen Kulturkampf und attackierte drei demokratische Gouverneure, die seiner Meinung nach die Öffnung nicht schnell genug vorantreiben. „LIBERATE MICHIGAN“, twitterte Trump in lautstarken Großbuchstaben, „LIBERATE MINNESOTA“, und „LIBERATE VIRGINIA“.

Um dann im Falle von Virginia noch hinzuzufügen: „ …und schützt Euren 2. Verfassungszusatz. Er ist bedroht.“ Der zweite Verfassunsgszusatz sichert US-Bürgern das Recht, Schusswaffen zu besitzen. Ein Recht, das sich der Mann in Tarnfleckkleidung, der in Richmond mit einem Sturmgewehr über der Schulter demonstriert, offenbar nicht ohne weiteres nehmen lassen will. „Die Strafe für Verrat ist der Tod“, steht auf seinem Plakat.

Angefacht wird der Kulturkampf dadurch, dass sich die Verheerungen des Virus bislang vor allem dort zeigen, wo mehrheitlich Demokraten zu Hause sind: In den Ballungsräumen entlang der Ost- und Westküste und in Großstädten wie Chicago, Detroit oder New Orleans.

Die republikanisch geprägten ländlichen Regionen des Südens und mittleren Westens haben von der Epidemie bislang wenig mitbekommen. Natürlich gibt es auch dort gute Gründe für die Corona-Beschränkungen. Zwar verbreitet sich das Virus in dünn besiedelten Regionen langsamer, aber wenn er sich verbreitet, sind auch die wenigen Krankenhäuser umso schneller überfordert.

Doch in vielen Teilen der USA wirken solche Schreckensszenarien weit entfernt. Als am Montag vergangener Woche Bürger in Wyomings Hauptstadt Cheyenne gegen die Beschränkungen demonstrierten, lautete eines der Plakate: „Quarantäne bedeutet, die Freizügigkeit von kranken Menschen einzuschränken, Tyrannei bedeutet die Freizügigkeit von gesunden Menschen einzuschränken.“

Afroamerikaner besonders gefährdet

Zur Spaltung zwischen Stadt und Land kommt die zwischen den Ethnien. In Richmond sitzt am Mittwoch eine Hand voll Afroamerikaner, alle mit Atemschutzmasken, an einer Haltestelle und wartet vergeblich auf den Bus. Der kommt wegen des Autokorsos nicht durch. Die Demonstranten in den Autos sind hingegen nahezu ausschließlich weiß und niemand von ihnen trägt eine Maske.

Covid-19 tötet in den USA besonders häufig Afroamerikaner. In Chicago zum Beispiel beträgt ihr Anteil an der Bevölkerung knapp ein Drittel, ihr Anteil an den Corona-Toten in der Stadt machte Anfang April gut zwei Drittel aus.

Afroamerikaner arbeiten häufig in Jobs mit hohem Ansteckungsrisiko, etwa als Verkäufer im Supermarkt, und sind oft auf Bus und Bahn angewiesen. Für diese Menschen ist die Atemschutzmaske eine Lebensversicherung.

Für die weißen Demonstranten ist sie das Symbol einer Politik, die mit der Angst vor dem Virus die Menschen gefügig machen will. In Richmond bringt die 17-jährige Summer Kostelac diese Haltung auf den kürzest möglichen Nenner. „Covid-1984“ steht auf dem Plakat, das die Architektentochter emporhält.

800 Kilometer südöstlich von Richmond verläuft dieser Konflikt sogar mitten durch eine Stadt. In Atlanta, der Hauptstadt von Georgia, schiebt der Gouverneur Brian Kemp (weiß, Republikaner) alle medizinischen Bedenken zur Seite.

Nach dem Willen des Politikers sollen ab Montag in Georgia Restaurants ebenso wieder öffnen dürfen wie Theater, Friseure, Fitnessstudios und Massagepraxen – obwohl der Bundesstaat die Kriterien des Weißen Hauses für eine Lockerung der Beschränkungen bei Weitem nicht erfüllt.

Die Bürgermeisterin der Hauptstadt Atlanta, Keisha Lance Bottoms (schwarz, Demokratin) hält diese Öffnung für deutlich zu früh. Sie bekam am Mittwochabend unerwartete Unterstützung aus dem Weißen Haus. Selbst Donald Trump riet seinem republikanischen Parteifreund, es bei der Öffnung etwas langsamer angehen zu lassen: „Es ist zu früh“.

Ein Satz, den die Demonstranten von Richmond nicht gerne hören.