Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    17.737,36
    -100,04 (-0,56%)
     
  • Euro Stoxx 50

    4.918,09
    -18,48 (-0,37%)
     
  • Dow Jones 30

    37.986,40
    +211,02 (+0,56%)
     
  • Gold

    2.406,70
    +8,70 (+0,36%)
     
  • EUR/USD

    1,0661
    +0,0015 (+0,14%)
     
  • Bitcoin EUR

    60.186,88
    +588,71 (+0,99%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.384,41
    +71,78 (+5,47%)
     
  • Öl (Brent)

    83,24
    +0,51 (+0,62%)
     
  • MDAX

    25.989,86
    -199,58 (-0,76%)
     
  • TecDAX

    3.187,20
    -23,64 (-0,74%)
     
  • SDAX

    13.932,74
    -99,63 (-0,71%)
     
  • Nikkei 225

    37.068,35
    -1.011,35 (-2,66%)
     
  • FTSE 100

    7.895,85
    +18,80 (+0,24%)
     
  • CAC 40

    8.022,41
    -0,85 (-0,01%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.282,01
    -319,49 (-2,05%)
     

"Eine Rückkehr zur Normalität sehe ich nicht"

"Meine Frau und ich hatten sehr, sehr viel Zeit, miteinander zu reden - das war spannender als jeder 'Tatort", erinnert sich Schauspieler Harald Krassnitzer an die Wochen des Lockdowns. Das Augenzwinkern weicht im Interview jedoch schnell heiligem Ernst, wenn er auf den Zustand der Gesellschaft zu sprechen kommt ...

Nanu: Der Wiener Sonderermittler Moritz Eisner macht im neuen "Tatort"-Krimi "Pumpen" (Sonntag, 6. September, 20.1 5 Uhr, ARD) auf gesund: Er trinkt Wasser statt Alkohol und ernährt sich bewusst. Doch "wer weiß, für wie lange", lacht der Schauspieler Harald Krassnitzer, der jenen Kriminaler schon seit 21 Jahren verkörpert, und verweist auf "die Phasen älterer Männer". Krassnitzer, der am 10. September das 60. Lebensjahr vollendet, sieht dem Älterwerden einerseits gelassen, andererseits mit einem klaren Vorsatz entgegen: "Ich will mich nicht fragen, was war, sondern wie ich mich die nächsten so Gott will 40 Jahre sinnvoll für diese Gesellschaft einbringen kann." Er habe sich vorgenommen, "alles dafür zu tun, dass auch die nächste und die übernächste Generation ein Leben führen kann, wie ich es genießen durfte: in Freiheit und ohne Angst vor dem Weltuntergang", bekennt der Österreicher, der mit seiner Frau, der deutschen Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer, überwiegend in Wuppertal, im Bergischen Land, lebt.

teleschau: Wie sind Sie bisher durch dieses außergewöhnliche Jahr gekommen, Herr Krassnitzer?

Harald Krassnitzer: Meiner Familie und mir geht's gut, danke der Nachfrage. Wir haben uns von Anfang an sehr strikt an die Vorgaben gehalten - bestimmt auch, weil wir durch einen frühen Corona-Fall in unserem Umfeld besonders für die Gefahren des Virus sensibilisiert waren. Insgesamt würde ich sagen, dass uns diese Zeit weitergebracht hat.

WERBUNG

teleschau: Wie meinen Sie das?

Krassnitzer: Meine Frau und ich hatten sehr, sehr viel Zeit, miteinander zu reden - das war spannender als jeder "Tatort" (lacht), und, auch wenn wir uns zwischendurch auch mal auf die Nerven gegangen sind, total schön, weil wir als Paar noch mal zu einer anderen Intensität gekommen sind. Wir sind beide ausgesprochen analytische Charaktere - das hilft enorm. Als ein Segen erwiesen sich in der Lockdown-Zeit auch unser Garten und Schrebergarten. Mir ist bewusst, solch ein Glück hatte nicht jeder. Wenn du in dieser Zeit mit der Familie in einer kleinen Wohnung zurechtkommen musstest, war das wohl alles andere als lustig. Auch beruflich gesehen habe ich es wesentlich besser getroffen als viele Berufskollegen.

teleschau: Kamen, was das Berufliche angeht, anfangs auch Zukunftsängste auf?

Krassnitzer: Natürlich war der Lockdown frustrierend, es haben sich einige Produktionen verschoben, das ein oder andere ist mir ausgefallen. Aber das ist alles verkraftbar. Mir war klar, dass ich das Glück habe, in einem Bereich zu arbeiten, der relativ schnell wieder anlaufen wird. Die Sender brauchen Content, die großen Produktionen müssen stattfinden. Auch fürs nächste Jahr stehen bereits einige Projekte an. Aber ich traf in den vergangenen Monaten reihenweise Kollegen, denen es nicht so gut geht. Freelancer, die drei, vier Monate gar kein Einkommen hatten, weil sie am Theater arbeiten. Und das zu erleben, machte mir dann sehr wohl Angst - um den Berufsstand an sich.

teleschau: Müsste von staatlicher Seite noch mehr getan werden?

Krassnitzer: Natürlich. Aber das sagen viele aus allen möglichen Bereichen. Jedenfalls ist es erschütternd, wie prekär die Situation für freischaffende Künstler ist. Bislang konnten sie in schwierigen Zeiten immer noch auf Zeit beispielsweise in der Gastronomie unterkommen - aber im Moment wartet da auch keiner auf beschäftigungslose Schauspieler. Da ist alles weggebrochen, das belastet mich durchaus.

"Ein starkes Signal, dass wir noch da sind"

teleschau: Ihr neuer Krimi ist Anfang September der erste "Tatort" nach der längsten Sommerpause aller Zeiten. Was bedeutet Ihnen die Ausstrahlung?

Krassnitzer: Natürlich eine Menge, ich freue mich. Aber es geht nicht um meine persönliche Erfüllung, es geht auch nicht nur um den "Tatort", sondern es geht um die Schauspielkunst an sich, um das fiktionale Geschichtenerzählen am Theater und im Film - das, was wir vorführen, ist unser Narrativ, das ist unser aller Spiegel. Es ist essenziell. Wenn das wegbrechen würde, hätte das gravierende gesellschaftliche Folgen. Insofern ist die "Tatort"-Ausstrahlung mit hoffentlich vielen Zuschauern einfach ein starkes Signal, dass wir noch da sind.

teleschau: Eine Rückkehr zur Normalität?

Krassnitzer: Nein, ganz und gar nicht. Klar reden alle davon, dass wir jetzt schnell die Rückkehr zur Normalität schaffen müssen, aber ich bin skeptisch. Wir haben doch gesehen, wie verwundbar wir sind, wie es uns in bestimmten Bereichen an Resilienz mangelt. Die Pandemie hat unsere Gesellschaft erschüttert, und wir sind noch mittendrin. Wir haben außergewöhnliche Maßnahmen gesetzt, die sind richtig, wichtig und gut. Aber ich habe schon die Angst, dass selbst diese Maßnahmen zu kurz greifen für das, was uns noch bevorsteht. Es wird im Herbst sicherlich ein Erwachen geben - auf verschiedenen Ebenen. Manche, die jetzt in Kurzarbeit sind, werden dann keine Arbeit mehr haben. Vielleicht gibt es eine zweite Welle. Corona ist etwas, das die Welt sehr verändern wird. Also: Nein, eine Rückkehr zur Normalität sehe ich nicht. Doch es gibt positive Aspekte.

teleschau: Nämlich welche?

Krassnitzer: Auch wenn ausgerechnet mein Heimatland Österreich sich fatalerweise den sogenannten sparsamen Ländern angeschlossen hat, finde ich gut, dass man sich auf europäischer Ebene auf die milliardenschweren Hilfsfonds geeinigt hat. Denn künftig wird es viel mehr darum gehen müssen: um die europäische Solidarität. Auf nationaler Ebene kommt man bei dieser Krise nicht weiter. In ganz Europa muss in Forschung, in die Gesundheit und in Bildung investiert werden. In den Umwelt- und Klimaschutz. Da liegt unsere Zukunft. Corona ist bei Weitem nicht das einzige Problem, das wir auf unserem Weg noch zu bewältigen haben werden. Diese Zeit ist für mein Gefühl nur das Vorspiel: Es kommen nicht zuletzt durch die Digitalisierung massive Veränderungen auf uns zu - die wir jetzt noch mitgestalten können.

teleschau: Aber vor genau diesen Veränderungen fürchten sich viele Menschen.

Krassnitzer: Ja, und manche wehren sich längst massiv - ob im Internet oder auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen auf der Straße. Das ist mir zuwider, es irritiert mich, und ich kann es nicht nachvollziehen. Aber es ist nichts Neues: So etwas passiert immer dann, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass etwas im Begriff ist zu erodieren. Mein Eindruck ist, dass es besonders heftig ist, weil die Debatte komplett mit Angst belegt ist. Ständig hängt das Damoklesschwert der Verunsicherung, der Erosion über allem.

teleschau: Was wäre Ihrer Meinung nach zu tun?

Krassnitzer: Selbst wenn es schwerfällt: Man muss sich die Mühe machen, diese Leute zurückzuholen. Ein Prozess, der alle angeht, und keine Frage ist von einigen wenigen Schritten oder einzelnen Presseveröffentlichungen oder Reportagen. Da muss sehr viel mehr eingesetzt werden.

teleschau: Nur schwierig, wenn sie keinen klassischen Medien mehr glauben und das öffentlich-rechtliche Fernsehen meiden ...

Krassnitzer: Sicherlich, unter diesen Demonstranten sind auch viele Rechte und solche, die "Lügenpresse" brüllen und den Systemwechsel wollen. Mit diesen Leuten brauchst du vermutlich keinen Dialog mehr führen. Aber es gibt dort viele andere, die sich längst nicht so weit von der Mehrheitsgesellschaft entfernt haben und die wir nicht a priori als rechtsradikal einstufen dürfen. Mit ihnen müssen wir sprechen.

teleschau: Worüber genau?

Krassnitzer: Es wird Zeit, dass man endlich auch über die Chancen dieser Zeit spricht. Ich halte es ganz mit dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der in seiner berühmten Rede vom 11. April gesagt hat, dass es die Normalität vielleicht nie mehr geben wird, dass vieles in der kommenden Zeit sicher nicht einfacher wird, aber dass wir an dieser Lage auch wachsen können. Das sollte der Duktus sein und nicht die große Angstkeule. Die Frage ist, in welchen Kommunikationsformen man sich da begegnen soll. Die Sozialen Medien sind genauso wenig die Lösung wie gut gemeinte TV-Talks. Ich denke, auch da wäre das fiktionale Programm ein ganz wesentlicher Faktor.

teleschau: Inwiefern?

Krassnitzer: Wir können Geschichten erzählen, die das Leben in dieser Zeit der Veränderung, die die Realität abbilden und Hoffnung machen. Mein Credo ist ohnehin: Zukunft kann auch Spaß machen. Es ist an der Zeit, dass wir ein Land betreten, das Utopie heißt. Dort wird vieles anders sein als heute, aber nicht schlechter.

teleschau: Die Frage ist nur, wer den Karren dorthin ziehen soll - bis auf einige Philosophen oder eben Frank-Walter Steinmeier traut sich kaum einer mit einem Weitblick, der über das politische Tagesgeschäft hinausgeht, in die Debatte einzusteigen!

Krassnitzer: Na ja, die Jugend äußert sich durchaus lautstark, und zwar auf der ganzen Welt. Aber Sie haben recht. Uns fehlen noch die Multiplikatoren, Persönlichkeiten, die vorangehen. In der Wirtschaft, auch in der Landwirtschaft, hat sich schon einiges getan. Aber es ist nun mal eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit - da sind wir alle, nicht zuletzt auch als Konsumenten mit unseren alltäglichen Kaufentscheidungen, in der Pflicht. Und die Wirtschaft! Die Ökonomie hat im Angesicht der Globalisierung aufgehört, sich an die Regeln zu halten, und sich mehr und mehr um die Interessen der Shareholder gekümmert. Da muss es ein radikales Umdenken geben.

"Ich will mich nicht fragen, was war"

teleschau: Solche didaktischen Sätze könnten ohne Zweifel auch von Ihrem Sonderermittler Moritz Eisner stammen ...

Krassnitzer: (lacht) Durchaus. Man merkt da wohl, dass ich diese Figur schon seit 21 Jahren spiele.

teleschau: Ganz im Gegensatz zu Ihnen ist er aber eine eher in sich gekehrte, verbitterte Seele. Hätte er sich anders entwickelt, wenn er wie Sie jemanden zum intensiven Austausch gehabt hätte?

Krassnitzer: Ganz bestimmt. Wobei er ja jemanden hat: Die Bibi war immer da, und beide haben ein sehr hohes Verständnis füreinander, insofern ist wenigstens etwas Kompensation vorhanden. Der Punkt ist nicht die Einsamkeit, sondern der Beruf der Ermittler. Ich bin überzeugt, wer so oft mit Leid, mit Grausamkeit zu tun hat, wird zwangsläufig eine Art der Kommunikation entwickeln, mit der andere nicht viel anfangen können. Eisner führt seinen Beruf mit größter Leidenschaft aus, da bleibt fürs Private, Zwischenmenschliche nicht viel Raum. Es war sein Weg, der hat ihn halt dorthin geführt, wo er jetzt ist: Nach der ein oder anderen Midlife-Crisis nimmt er nur noch punktuelle Eingriffe in sein Leben vor - gerade trinkt er weniger Alkohol und isst etwas gesünder. Wer weiß, für wie lange ... Die Phasen älterer Männer (lacht).

teleschau: Wie blicken Sie auf Ihren eigenen Weg zurück? - Sie werden am 10. September 60 Jahre alt, da resümiert man wohl zwangsläufig.

Krassnitzer: Ich nicht. Ehrlich: Ich schaue eigentlich nie zurück, und aus Geburtstagen habe ich mir nie etwas gemacht. Ich feierte sie meistens nicht mal. Heute ist es mehr denn je so: Ich will mich nicht fragen, was war, sondern wie ich mich die nächsten so Gott will 40 Jahre sinnvoll für diese Gesellschaft einbringen kann.

"Die jungen Leute gehören mit an den Tisch"

teleschau: Sie haben sich in Österreich zuletzt sehr stark für das sogenannte Klimavolksbegehren engagiert.

Krassnitzer: Und zwar mit großer Freude! Ich durfte in dieser Zeit viele wahnsinnig kluge, energievolle junge Menschen kennenlernen, die sich für ihre Zukunft einsetzen. Der Anspruch und der Willen, die Gesellschaft zu gestalten, hat mich tief beeindruckt und mir nachhaltig die Augen geöffnet: Mir ist klar geworden, dass ich einen Großteil meines Lebens aus dem Vollen schöpfen konnte, ohne mir Gedanken zu machen, was die Zukunft der Welt angeht. Ganz konkret wurde mir zum Beispiel bewusst, wie oft ich gedankenlos in Plastik eingeschweißte Lebensmittel gekauft oder im Winter exotische Früchte aus Übersee gegessen habe. Solche Dinge ...

teleschau: Also blicken Sie nun doch zurück!

Krassnitzer: Ja, aber nicht so, dass ich damit hadere, dass ich so viel Scheiß gebaut habe, sondern mit der Erkenntnis, dass ich noch einiges an Zeit vor mir habe, um etwas zu bewegen. Ich versprach mir selbst, dass ich mich bemühen werde, alles dafür zu tun, dass auch die nächste und die übernächste Generation ein Leben führen kann, wie ich es genießen durfte: in Freiheit und ohne Angst vor dem Weltuntergang. Vor allem will ich meine Stimme als Prominenter mehr gebrauchen!

teleschau: Bitte tun Sie es!

Krassnitzer: Dann sage ich, dass wir mehr auf die Jugend hören müssen. Und dass ich es beschämend finde, dass, noch dazu unter deutschem EU-Ratsvorsitz, über Gelder für die europäische Zukunft in Höhe von acht Milliarden Euro debattiert wurde, ohne dass ein einziger junger Mensch am Tisch saß. Es sind doch die Jungen, die das irgendwann zurückzahlen müssen, nicht wir Älteren. Ich würde mir wünschen, dass der EU-Rat künftig Bewegungen wie Fridays For Future künftig mehr Gehör schenkt. Die jungen Leute gehören mit an den Tisch - und nicht immer nur wir alten, weißen Säcke.

teleschau: Gehen Sie da mit Ihrer eigenen Generation nicht zu hart ins Gericht?

Krassnitzer: Gut, die alten Säcke nehme ich zurück. Aber es ist Fakt: Wir Älteren werden das jetzt noch irgendwie herumbringen, werden wohl auch noch von unserer Pension leben können. Das können die Kids eines Tages sicherlich nicht mehr. Also sollten wir sie, verdammt noch mal, auch mitentscheiden lassen, wenn es um die Gesellschaft und die Welt von morgen geht. Das gehört für mich zu den demokratischen Spielregeln.

"Es gibt noch so viel zu erzählen"

teleschau: "Altwerden ist nichts für Feiglinge" hat Blacky Fuchsberger einst gesagt. Ist Ihnen bange vor den nächsten Jahrzehnten?

Krassnitzer: Nein. Ich bin zuversichtlich, weil ich eines mit Sicherheit weiß: Auch ich werde irgendwann einmal sterben. So einfach ist das. Ich freue mich auf eine spannende, tolle Zeit, in der ich hoffentlich noch vieles lernen kann. Die Vergangenheit interessiert mich wenig. Ich freue mich auf das Alter.

teleschau: Gibt es eine Party zum 60.?

Krassnitzer: Nein. Das ist over. Und ich wüsste auch nicht, was es jetzt zu feiern gibt. Wenn überhaupt, dann müsste meine Mutter, die in diesem Jahr ihr 90. Lebensjahr vollendet hat, gefeiert werden. Sie hat mich zu dem gemacht, der ich bin.

teleschau: Wie lange wollen Sie noch im Wiener "Tatort" mitmischen?

Krassnitzer: Stand heute sage ich: So lange man uns lässt - da bin ich mir mit Adele einig. Wir würden schon gerne weitermachen, und für die nächsten zwei Jahre sind die Produktionen schon geplant. Es gibt noch so viel zu erzählen.