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RÜCKBLICK 2021/Ein Jahr nach dem EU-Austritt: Brexit als 'Elephant in the Room'

LONDON/BRÜSSEL (dpa-AFX) - "Einen erstaunlichen Moment der Hoffnung" und "eine neue Ära der freundschaftlichen Kooperation zwischen der EU und Großbritannien" hatte der britische Premier Boris Johnson zum Austritt seines Landes einläuten wollen. Doch knapp ein Jahr nach dem Ablauf der Brexit-Übergangsphase sieht die Bilanz des britischen EU-Austritts alles andere als gut aus.

Kaum ein Versprechen der Brexit-Befürworter hat sich erfüllt. Stattdessen tun sich überall Probleme auf. Und die Beziehung zu den Nachbarn auf dem Kontinent erreicht immer neue Tiefststände. Der Brexit, so scheint es, ist zum "Elephant in the Room" geworden - der unübersehbaren Ursache verschiedenster Schwierigkeiten, die aber in Großbritannien keiner beim Namen nennen will. Eine Übersicht:

Migration

Einwanderung war eines der bedeutendsten Themen im Wahlkampf vor dem Brexit-Referendum. Man wolle wieder die Kontrolle über die eigenen Grenzen zurückgewinnen, so der Slogan der Brexiteers. Tatsache ist aber, dass inzwischen mehr Migranten über den Ärmelkanal illegal ins Vereinigte Königreich einreisen als je zuvor. Allein in diesem Jahr waren es etwa 26 000 - mehr als dreimal so viele wie im gesamten Jahr 2020. Zurückgeschickt werden können sie kaum, denn der entsprechenden Vereinbarung gehört Großbritannien nach dem Vollzug des Brexits zum vergangenen Jahreswechsel nicht mehr an. Das Bootsunglück mit 27 Toten im Ärmelkanal Ende November warf ein Schlaglicht auf die Krise.

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Verschärfte Einwanderungsregeln verhindern zudem, dass dringend benötigte Fachkräfte wie Lastwagenfahrer ins Land kommen. Knappheiten bei Lebensmitteln und Kraftstoff, die Großbritannien im Sommer im Griff hielten, wurden von der Regierung als globales Problem abgetan. Warteschlangen an den Tankstellen und teilweise komplett leer gefegte Regale im Supermarkt wie in Großbritannien gab es jedoch in anderen europäischen Ländern nicht.

Streit um Nordirland

Das Dauer-Streitthema Nordirland belastet die Beziehungen mit Brüssel, Dublin und sogar Washington. London will die mühsam im Brexit-Abkommen ausgehandelte Regelung, die Nordirland einen Sonderstatus zuweist, kippen oder zumindest drastisch aufweichen. Zeitweise war deswegen sogar von einem Handelskrieg die Rede. Der scheint zumindest vorerst abgewendet, nachdem der britische Brexit-Minister in den vergangenen Wochen sanftere Töne anschlug.

Nun wird gerätselt, ob die britische Regierung tatsächlich an einer gütlichen Einigung im Streit um das sogenannte Nordirland-Protokoll interessiert ist, oder ob sie nur die Gefahr neuer Engpässe vor Weihnachten abwenden will - um stattdessen die Eskalation im neuen Jahr einzuleiten. Das Vertrauen in die Regierung von Premierminister Johnson jedenfalls scheint in Brüssel auf einem Tiefpunkt angelangt: Vor laufenden Kameras äußert sich die EU-Kommission zwar zurückhaltend, von einer "geänderten Tonlage", die man begrüße, wird etwa gesprochen. Das war's dann aber auch mit hoffnungsvollen Signalen.

Hinter den Kulissen wird längst Klartext gesprochen: "Die Regierung Johnson hat in den letzten Monaten durch ihr aggressives und konfrontatives Auftreten viel dafür getan, ihren Vertrauenskredit in Brüssel und den EU-Hauptstädten weitgehend aufzubrauchen", sagte ein EU-Diplomat der Deutschen Presse-Agentur. Eine Meinung, mit der er nicht allein ist.

Bilaterale Verhältnisse zu Paris und Berlin

Der Brexit hat das Verhältnis zwischen den Nachbarn Frankreich und Großbritannien arg beschädigt. Da ist einerseits das Gezerre um nicht erteilte Fischereilizenzen für französische Fischer, auf der anderen Seite sind da Vorwürfe aus London, Paris nehme es mit den Kontrollen an seiner Küste nicht genau genug, um die Fahrten von Migranten zu verhindern. Im Elysée-Palast herrscht ohnehin Unmut über den von den USA und Großbritannien zu Fall gebrachten U-Boot-Deal zwischen Frankreich und Australien. Zusätzliches Öl ins Feuer gießen gerne noch Brexiteers wie der Tory-Abgeordnete und Kabinettsmitglied Jacob Rees-Mogg, der kürzlich süffisant bemerkte, die Franzosen seien "im Oktober immer launisch" wegen ihrer Niederlage in der Seeschlacht von Trafalgar am 21. Oktober 1805.

Auch in Berlin hat man die Faxen aus London dicke, wie es scheint. EU-Staatsminister Michael Roth (SPD) machte das jüngst mehr als deutlich. Die "lieben Freunde in London und in Großbritannien" sollten jetzt bitte mal "zur Besinnung" kommen, sagte er bei einem Besuch in Brüssel zum Streit um das Nordirland-Protokoll. Man wolle "verdammt noch mal partnerschaftlich und freundschaftlich zusammenarbeiten". Dazu sei notwendig, dass man nicht immer darüber streiten müsse, was man eigentlich verabredet habe.

Was die Menschen denken

Im Schnitt der Umfragen ist Großbritannien hinsichtlich der EU-Mitgliedschaft genauso gespalten wie zur Zeit des Brexit-Referendums 2016. Ungefähr die Hälfte der Briten befürwortet eine Rückkehr in die Europäische Union, fast genauso viele wollen davon nichts wissen. Eindeutiger ist es jedoch, wenn die Frage lautet, ob der Austritt im Rückblick ein Fehler war. Hier hat sich seit Längerem eine Mehrheit gebildet, die den Schritt bereut.

Erstaunlich sei das, weil keine der Oppositionsparteien den Brexit wirklich in Frage stelle, sagt der britische Experte John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow. Die Menschen auf beiden Seiten des Streits seien aber noch immer von ihrer ursprünglichen Auffassung überzeugt. "Die Glut ist noch immer da, dass diese Debatte wieder aufflammen könnte", so der Wissenschaftler kürzlich in einem Podcast der Denkfabrik What UK thinks.

Die Opposition

Tatsächlich meiden die britischen Oppositionsparteien das Thema Brexit weitgehend. Zu sehr haben sie sich bei der vergangenen Parlamentswahl die Finger verbrannt, als Johnson mit seinem Slogan "Get Brexit Done" (etwa: "Lasst uns den Brexit durchziehen") einen massiven Wahlsieg einfuhr. Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei kündigte daher an, man werde nicht für den Wiedereintritt in die EU werben. Man wolle stattdessen dafür sorgen, dass der Brexit funktioniere. Wie das gehen soll, ist im Detail noch nicht klar.

Der Rechtswissenschaftler Holger Hestermeyer vom Londoner King's College empfiehlt, erst einmal das Vertrauensverhältnis wieder herzustellen. "Zur Lösung bedarf es guten Willens, Vertrauens und neuer Wege des Austausches", sagt Hestermeyer im Gespräch mit der dpa und fügt hinzu: "An ersteren fehlt es zunehmend. Umso dringlicher muss an neuen Formen der Zusammenarbeit gearbeitet werden."/cmy/DP/zb

--- Von Christoph Meyer und Marek Majewsky, dpa ---