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„Quittung für die Ausgabenpolitik“: Arbeitgeber kritisieren Gesundheitsminister Spahn

Das Entlastungsversprechen des Gesundheitsministers bei den Zusatzbeiträgen läuft ins Leere. Teure Gesetze fressen die Rücklagen der Krankenkassen auf.

Spahns Plan, dass die Zusatzbeiträge angesichts hoher Rücklagen von Krankenkassen auf breiter Front sinken sollen, wird wohl nicht aufgehen. Foto: dpa
Spahns Plan, dass die Zusatzbeiträge angesichts hoher Rücklagen von Krankenkassen auf breiter Front sinken sollen, wird wohl nicht aufgehen. Foto: dpa

Das erste Gesetz, das Jens Spahn als Gesundheitsminister auf den Weg brachte, trug einen vielversprechenden Namen: „Versichertenentlastungsgesetz“. Seitdem hat der CDU-Politiker aber vor allem teure Leistungsausweitungen im Gesundheitsbereich zu verantworten.

Die Folge: Spahns Plan, dass die Zusatzbeiträge angesichts hoher Rücklagen von Krankenkassen auf breiter Front sinken sollen, wird wohl nicht aufgehen. Stattdessen drohen bei einigen Kassen sogar Beitragserhöhungen.

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„Was wir jetzt erleben, ist die erste teure Quittung für die Ausgabenpolitik dieser Bundesregierung der vergangenen Jahre im Gesundheitswesen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, dem Handelsblatt.

Man müsse sich ernsthaft die Frage stellen, „wie das noch mit seriöser Finanzierbarkeit, Nachhaltigkeit und der sich sichtlich immer mehr abschwächenden Konjunktur vereinbar ist“. Kampeter mahnte: „Wir brauchen endlich ein Belastungsmoratorium – es wird Zeit umzusteuern.“

Jedes Jahr treffen sich Anfang Oktober Experten von Bundesgesundheitsministerium, Bundesversicherungsamt und Krankenkassen, um die Finanzentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu bewerten. Die Prognose des sogenannten Schätzerkreises für 2020 lautet: Der durchschnittliche Zusatzbeitrag der Krankenkassen wird um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte ansteigen.

Beiträge werden gleich bleiben oder sinken

Derzeit liegt der Durchschnittssatz bei 0,9 Prozent. Wie hoch der Zuschlag auf den allgemeinen Krankenversicherungsbeitrag von 14,6 Prozent des Bruttoeinkommens ausfällt, legt jede Krankenkasse am Ende abhängig von ihrer Finanzlage fest.

Spahn beschwichtigt daher, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag eine „rein statistische rechnerische Größe“ sei. Der Minister glaubt: „Dank der übermäßig hohen Rücklagen vieler Krankenkassen werden die tatsächlich zu zahlenden Beiträge für sehr viele Versicherte unterm Strich in 2020 gleich bleiben oder sinken.“

Allerdings dürfte die Zahl der Versicherten, die von einer Beitragsentlastung profitieren, deutlich kleiner ausfallen als erhofft. Nicht nur sind die Finanzreserven in der GKV ungleich verteilt. Bei vielen Kassen werden die Rücklagen schon durch kostspielige Spahn-Gesetze schmelzen.

Finanzexperten aus dem Umfeld des Schätzerkreises erwarten, dass im kommenden Jahr vielleicht ein Dutzend der gut 100 Kassen mit den Beiträgen runtergehen können – darunter neben einigen wohlhabenden Ortskrankenkassen vor allem kleinere Betriebskrankenkassen. Die meisten Kassen würden die Zusatzbeiträge stabil halten, einige müssten sogar einen Aufschlag verlangen.

„Das kommende Jahr wird die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt auf der Ausgabenseite vor Herausforderungen stellen“, erklärte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes. „Statt sich angesichts der Anzeichen einer eintrübenden Konjunktur und der demografischen Entwicklung zurückzuhalten, hat der Gesetzgeber eine ausgabenträchtige Reform nach der anderen aufgelegt.“

Spahns Reformen bringen Mehrkosten in Milliardenhöhe

Allein durch Spahns Gesetz für schnellere Arzttermine und das Sofortprogramm gegen die Personalnot in der Pflege würden auf die Krankenkassen im nächsten Jahr rund fünf Milliarden Euro an Mehrausgaben zukommen. „Würden die Reserven der GKV nicht für teure Reformen ausgegeben, könnten damit Zusatzbeitragsanhebungen für Beitragszahler in den kommenden Jahren vermieden werden“, so Pfeiffer.

Mit dem Versichertenentlastungsgesetz hatte Spahn gleich zu Beginn der Legislaturperiode die SPD-Forderung umgesetzt, dass der Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung wieder hälftig von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezahlt wird. Außerdem wurden die GKV-Mindestbeiträge für Selbstständige mit kleinen Einkommen herabgesetzt, ein weiterer Auftrag aus dem Koalitionsvertrag.

Daneben wollte Spahn noch einen eigenen Akzent setzen: Der Minister legte in dem Gesetz fest, dass Krankenkassen mit zu viel Geld auf der hohen Kante ihre Rücklagen abbauen müssen. Der bevorzugte Weg dafür sei eine Senkung des Zusatzbeitrags, machte er deutlich.

Tatsächlich horteten viele Kassen in den vergangenen Jahren Versichertengeld. Die gute Konjunktur und die rosige Lage am Arbeitsmarkt bescherten der gesetzlichen Krankenversicherung Rekordüberschüsse. Die Rücklagen stiegen von 2015 bis 2019 von 14,5 auf 21,2 Milliarden Euro. Im Schnitt entspricht das einer Monatsausgabe und damit dem Vierfachen, was die Kassen als Mindestreserve vorhalten müssen.

Krankenkassen neigen zu apokalyptischen Vorhersagen

Die Konjunktur kühlte sich zuletzt aber merklich ab, auch wenn die Entwicklung noch nicht auf den Arbeitsmarkt und damit die Beitragseinnahmen durchgeschlagen hat. Zugleich entfalten zunehmend die von Spahn auf den Weg gebrachten Gesetze ihre Finanzwirkung. Der Chef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, sprach unlängst von zusätzlichen Kosten für die Krankenkassen von 2019 bis 2022 von fast 30 Milliarden Euro.

Die Summen, mit denen die Krankenkassen hantieren, sind noch mit Vorsicht zu genießen. So ist etwa unklar, ob den Kassen durch eine von Spahn angestoßene Reform der Abrechnungsprüfung tatsächlich über eine Milliarde Euro jährlich an Rückzahlungen von Krankenhäusern entgehen.

Außerdem neigt das Kassenlager bisweilen zu apokalyptischen Finanzvorhersagen, um im Zweifel mehr Geld einsammeln zu können. Von 2016 bis 2018 lag der von den Krankenkassen tatsächlich erhobene Zusatzbeitrag über dem Satz, der zur Kostendeckung eigentlich nötig gewesen wäre.

Dennoch: In der GKV macht sich Unruhe breit. „Die Ausgaben steigen derzeit kräftig an, zuletzt mit einer Rate von fünf Prozent“, sagte Jens Baas, Chef der mitgliederstärksten deutschen Krankenkasse TK, dem Handelsblatt. „Bisher konnten die gute Beschäftigungslage sowie die starke Zuwanderung von Facharbeitern den Ausgabenanstieg auffangen.“

Baas warnt: „Wenn die Einnahmen aufgrund konjunktureller Schwankungen sinken, werden die Krankenkassen ihre heutigen Beitragssätze auf Dauer nicht halten können. Auch der erzwungene Abbau von Rücklagen wird diese steigende Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben allenfalls kurzfristig verschleiern können.“

Auch der Chef des Dachverbandes der Betriebskrankenkassen, Franz Knieps, berichtet von einem „schnellen und starken Anstieg der Leistungsausgaben“. Es sei bedauerlich, dass der Schätzerkreis diese Entwicklung „nur unzureichend zur Kenntnis nehmen will“.

Die Vertreter von Gesundheitsministerium und GKV-Spitzenverband konnten sich bei ihren diesjährigen Beratungen nicht auf eine einheitliche Ausgabenprognose einigen. Spahns Haus geht von Ausgaben von 256,8 Milliarden Euro in 2020 aus, die Krankenkassen von 258,6 Milliarden Euro.

Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche Prognosen für den durchschnittlichen Zusatzbeitrag. Das Gesundheitsministerium beziffert den Anstieg auf 0,2 Prozentpunkte, der GKV-Spitzenverband auf 0,3 Prozentpunkte. Die endgültige Entscheidung muss nun Spahn bis Anfang November treffen. Wahrscheinlich wird er sich für die niedrigere Variante entscheiden.

Mehr: Jens Spahn lauert auf seine nächste Chance für einen Aufstieg. Auf einer Reise durch Afrika demonstriert er: Die deutsche Gesundheitspolitik ist ihm zu klein.