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Qiagen droht vom Biotech-Star zum Übernahmekandidaten zu werden

Qiagen ist Deutschland größtes Biotech-Unternehmen. Verfehlte Prognosen und ein Vakuum an der Spitze nähren nun aber Übernahmespekulationen.

Die Strategie von Qiagen schien lange Zeit ebenso stetig wie berechenbar. Ausgehend von seinem Know-how in der sogenannten Aufreinigung von DNA baute der Hildener Biotech-Pionier im Verlauf von mehr als zwei Jahrzehnten ein breit gefächertes Geschäft als Vorlieferant für die Genforschung auf. Ab Mitte der 2000er-Jahre positionierte sich Qiagen auch als maßgeblicher Player in der molekularen, genbasierten Diagnostik.

Neuentwicklungen aus eigener Forschung sowie der Zukauf von kleineren Firmen und Technologie haben seither die Expansion vorangetrieben. Qiagen stieg zum größten Biotechunternehmen Deutschlands auf, mit rund 1,5 Milliarden Dollar Umsatz im vergangenen Jahr und einer Spitzenbewertung von mehr als acht Milliarden Euro im April.

Doch seither hat sich der Hildener Konzern mit einer Serie enttäuschender Nachrichten in eine Vertrauenskrise manövriert, die nach Einschätzung mancher Skeptiker sogar die Eigenständigkeit in Frage stellen könnte. Anfang vergangener Woche musste das Qiagen-Management einräumen, dass zum zweiten Mal in Folge das eigene Umsatzziel verfehlt wurde.

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Zugleich verkündete das Unternehmen den überraschenden Rücktritt des langjährigen Firmenchefs Peer Schatz sowie einen gravierenden Strategiewechsel im wichtigen Bereich der Gensequenzierung. Dort verabschiedet sich der Konzern von der Weiterentwicklung der eigenen Technologie, des so genannten Gene-Readers, zugunsten einer Allianz mit dem marktführenden US-Konkurrenten Illumina.

Branchenkenner wie Tycho Petersen von JP Morgan sehen zusehends in Frage gestellt, „ob Qiagen seine langfristigen Wachstumspläne wirklich umsetzen kann“. Zugleich regen sich neue Spekulationen, dass der Hildener Biotech-Konzern über kurz oder lang zum Übernahmekandidaten werden könnte. Nahrung dafür liefert in erster Linie der inzwischen erhebliche Rückstand gegenüber wichtigen Konkurrenten in der Branche, sowohl was Bewertung als auch die wirtschaftliche Leistung angeht.

In Reaktion auf die jüngsten Negativmeldungen gab die Qiagen-Aktie mehr als 20 Prozent nach und hat sich seither nur geringfügig erholt. Seit April ist die Marktkapitalisierung des Konzerns um insgesamt gut 30 Prozent auf nur noch 5,7 Milliarden Euro geschrumpft.

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis, gemessen am erwarteten bereinigten Ergebnis, liegt mit rund 19 inzwischen deutlich unter dem Niveau des Life-Science-Sektors. Dort sind Multiples von 30 oder mehr verbreitet. Sollte der Qiagen-Kurs weiter auf dem reduzierten Niveau von 25 Euro dahin dümpeln, so die Spekulationen, könnte das Interessenten zu einem Vorstoß ermuntern.

Ein weiterer Anreiz könnte sich aus dem abrupten Abgang von Peer Schatz ergeben. „Das Vakuum an der Führungsspitze“, schätzt Commerzbank-Analyst Daniel Wendorff, „macht den Konzern noch anfälliger.“

Der langjährige Vorstandschef ist nicht nur Vater der Expansionsstrategie von Qiagen. Er stand nach außen auch stets für die Eigenständigkeit des Konzerns. Aus seinem Rückzug könnten externe Akteure mithin auf eine neue Konstellation schließen.

Als potenzieller Interessent wird dabei an vorderster Stelle der US-Konzern Thermo Fisher gehandelt, der im Diagnostikgeschäft noch Nachholbedarf hat und mit seinem umfangreichen Sortiment an Instrumenten und Reagenzien im Forschungsbereich im Prinzip die gleiche Kundschaft bedient wie Qiagen.

Wachstumsversprechen nicht eingelöst

Für andere Akteure dagegen wäre eine Übernahme komplizierter. Reine Diagnostikanbieter wie Abbott und Healthineers könnten mit dem Forschungsgeschäft von Qiagen wenig anfangen. Die beiden offensivsten Käufer im Life-Science-Sektor, der US-Konzern Danaher und die deutsche Merck-Gruppe, sind vorerst noch damit beschäftigt, ihre jüngsten Zukäufe zu verdauen. Danaher vereinbarte im Frühjahr die Übernahme des Biopharmageschäfts von GE für 21 Milliarden Dollar, Merck hat sich gerade erst im Chemiebereich mit der Übernahme von Versum verstärkt.

Diagnostik-Marktführer Roche wiederum müsste größere Kartellprobleme fürchten, da er ebenfalls Forschungslabore beliefert und stark in der molekularen Diagnostik engagiert ist. Zudem wäre es problematisch für Roche, die Aktivitäten von Qiagen in der Entwicklung von Begleitdiagnostika für andere Pharmafirmen weiterzuführen.

Die operative Entwicklung Konzerns zeigt dabei keineswegs dramatische Schwächen. Im ersten Halbjahr steigerte Qiagen den Umsatz trotz Dollar-Aufwertung noch um gut ein Prozent auf 730 Millionen Dollar und bewegte sich damit in etwa im Branchentrend. Währungsbereinigt entspricht das einem Plus fünf Prozent.

Das entscheidende Problem besteht darin, dass man seit längerem bereits eine Beschleunigung des Wachstums verspricht, dies aber letztlich nicht einlösen kann. Im dritten Quartal legte Qiagen nur um drei statt der versprochenen vier bis fünf Prozent zu.

Als ausgemacht gilt inzwischen, dass Qiagen Ende des Monats bei Vorlage der endgültigen Zahlen auch seine Jahresprognose nach unten revidieren wird. Unterm Strich wird der Konzern als Folge von 260 Millionen Dollar an Wertberichtigungen und Restrukturierungskosten im Sequenzierungsbereich womöglich sogar rote Zahlen schreiben.

Hohe Investitionen, mäßiges Wachstum

Der Schwenk im Bereich der Gensequenzierung, der für diese Kosten maßgeblich verantwortlich ist, legt zudem Zweifel nahe, ob die strategische Ausrichtung immer stimmte. Qiagen habe zu lange auf die Eigenentwicklung Gene-Reader gesetzt, obwohl im Pharmabereich der Trend in Richtung Hochdurchsatz-Sequenzierung längst erkennbar war, kritisieren Branchenbeobachter. Die Allianz mit dem Technologieführer Illumina gilt daher als vernünftig, kommt aus Sicht mancher Experten aber einige Jahre zu spät.

Solche Fehler erklären die vergleichsweise mäßige Bilanz von Investitionen und Wachstum bei Qiagen. Im Schnitt der letzten zehn Jahre hat der Biotech-Konzern immerhin knapp ein Drittel seines Umsatzes in Zukunftsinvestitionen gepumpt, gut 21 Prozent flossen in Sachanlagen und Zukäufe und weitere mehr als elf Prozent in die Forschung. Dem stehen nur rund fünf Prozent Umsatzwachstum pro Jahr und etwa sechs Prozent operatives Ertragswachstum pro Jahr gegenüber.

Andere Akteure agierten in dieser Hinsicht zum Teil deutlich effizienter. Thermo Fisher etwa generierte mit einer Investitionsquote (inklusive Forschung und Entwicklung) von 28 Prozent ein durchschnittliches Umsatzwachstum von neun und ein Gewinnwachstum von zwölf Prozent. Die französische Biomerieux investierte 24 Prozent ihrer Erlöse und legte um durchschnittlich acht Prozent zu.

Auch das könnte möglichen Bietern Argumente dafür liefern, dass man das Potenzial von Qiagen in anderer Konstellation besser und effizienter realisieren kann.