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Putin befiehlt Mobilmachung der Streitkräfte: Was das für den Ukraine-Krieg bedeutet

Kremlchef Wladimir Putin (69) hat die Teilmobilmachung seiner Streitkräfte angeordnet. Das Foto zeigt ihn bei einem Militärmanöver im Osten Russlands am 6. September. - Copyright: picture alliance/AP/Mikhail Klimentyev
Kremlchef Wladimir Putin (69) hat die Teilmobilmachung seiner Streitkräfte angeordnet. Das Foto zeigt ihn bei einem Militärmanöver im Osten Russlands am 6. September. - Copyright: picture alliance/AP/Mikhail Klimentyev

Jetzt ist es also passiert: Nach den schweren Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine holt Kremlchef Wladimir Putin zum Gegenschlag aus. Am Mittwoch ordnete er die Teil-Mobilmachung seiner Streitkräfte an – damit begibt sich Russland in eine neue Phase des Krieges. Bereits gestern hatte Putin Referenden in den von Russland besetzten Gebieten angeordnet, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Rande der UN-Generalversammlung scharf verurteilte. Er bezeichnete die Teil-Mobilisierung als "Akt der Verzweiflung". Russland könne diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen, sagte Scholz.

Derzeit treffen sich 140 Staats- und Regierungschefs für die alljährliche UN-Generaldebatte in New York. Auch US-Präsident Joe Biden rief wegen der jüngsten Eskalation im Ukraine-Krieg die Vereinten Nationen zu einem geschlossenen Vorgehen gegen Putin auf. Jedes Mitglied der UN-Vollversammlung müsse "fest und unerschütterlich in seiner Entschlossenheit sein", die internationalen Werte zu verteidigen, sagte Biden in seiner Rede. Die ausgesprochenen "unverhohlenen nuklearen Drohungen gegen Europa", die Teil-Mobilisierung russischer Streitkräfte und Scheinreferenden in der Ostukraine seien "ungeheuerliche Handlungen".

Diese Schritte Russlands werden als Reaktion auf die erfolgreiche Gegenoffensive der Ukraine im Osten des Landes gewertet. Business Insider analysiert für euch die aktuelle Lage – und beantwortet die wichtigsten Fragen dazu.

Was hat Putin angeordnet?

Knapp sieben Monate nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat Russland eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Er habe diese Entscheidung nach einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums getroffen und das Dekret unterschrieben, sagte Kremlchef Wladimir Putin in einer Fernsehansprache am Mittwoch. Die Teilmobilisierung beginnt: ab jetzt. Ziel ist, die massiven Personalprobleme an der Front zu lösen. Zugleich kündigte Putin an, die "Referenden" in den besetzten Gebieten der Ukraine über einen Beitritt zu Russland zu unterstützen.

Was genau heißt "Teilmobilmachung"?

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu zufolge sollen 300.000 Reservisten gegen die Ukraine mobilisiert werden. Eingesetzt werden sollten Reservisten mit Kampferfahrung, sagte Schoigu am Mittwoch im russischen Fernsehen. Insgesamt gebe es 25 Millionen Reservisten in Russland. Putins Verteidigungsminister schloss aus, dass Wehrpflichtige und Studierende an Armee-Universitäten einzogen werden. Sie werden nach seinen Worten nur zur Verteidigung Russlands, aber nicht an der Front eingesetzt.

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Wie der "Tagesspiegel" unter Berufung auf den Russland-Experten und Professor Sergej Radschenko berichtet, nannte Putin keine genaue Zahl in seiner Ansprache, sondern sprach nur davon, dass jede Region Russlands eine bestimmte Quote an Rekruten stellen müsste. Das würde erlauben, vor allem in den abgelegenen Provinzen Soldaten einzuziehen, weil sie höhere Quoten bekommen. Die Großstädte Moskau und St. Petersburg sollen möglichst verschont werden.

Putin kündigte an, die eingezogenen Reservisten würden den gleichen Status und die gleiche Bezahlung bekommen wie die jetzigen Vertragssoldaten. Vor dem Fronteinsatz würden sie noch einmal militärisch geschult, versicherte der Kremlchef in seiner Ansprache.

Stefan Meister, Russland-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), bezweifelt, dass Moskau nur "Spitzen-Leute" rekrutieren wird: "Russland wird alle wehrfähigen und kampfbereiten Männer mobilisieren sowie Wehrpflichtige, die frisch ausgebildet sind, um die ukrainische Gegenoffensive im Süden des Landes aufzuhalten. Das wird die russische Armee nicht viel schlagkräftiger machen, aber die ukrainische Offensive möglicherweise aufhalten oder zumindest bremsen. Weitere Territorien wird man über diese Teilmobilisierung eher nicht erobern."

Was steckt hinter Putins Pseudo-Referenden?

Die von Moskau anerkannten, sogenannten "Volksrepubliken" Lugansk und Donezk im Osten der Ukraine sowie das Gebiet Cherson im Süden wollen noch in dieser Woche über einen Beitritt zur Russischen Föderation abstimmen lassen. Das teilten die Regionen am Dienstag mit.

Die Scheinreferenden (auch: Pseudo-Referenden), die weder von der Ukraine noch von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt werden, sollen vom 23. bis 27. September abgehalten werden. Auf ähnliche Weise annektierte Russland 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Nach dem Überfall ließ Moskau dort ein Schein-Referendum durchführen, um zu demonstrieren, dass die Krim-Bewohner angeblich mehrheitlich für einen Anschluss an Russland waren. International wurde die Abstimmung nicht anerkannt; Sanktionen waren die Folge.

Grafik-Karte Nr. 104700, Hochformat 110 x 120 mm, "Karte mit zurückeroberten Gebieten, besetzten Gebieten und den Regionen, in denen ein Referendum abgehalten werden soll"; Grafik: A. Brühl, Redaktion: J. Schneider - Copyright: picture alliance/dpa-infografik
Grafik-Karte Nr. 104700, Hochformat 110 x 120 mm, "Karte mit zurückeroberten Gebieten, besetzten Gebieten und den Regionen, in denen ein Referendum abgehalten werden soll"; Grafik: A. Brühl, Redaktion: J. Schneider - Copyright: picture alliance/dpa-infografik

Ähnlich versucht Russland nun in den eroberten Gebieten Lugansk, Donezk und Cherson "Fakten" zu schaffen und sich zugleich militärisch-strategische Vorteile zu verschaffen. Meister zu Business Insider: "Es geht darum, durch das Referendum die Möglichkeit zu haben, Wehrpflichtige in den besetzten Gebieten zu stationieren, um die ukrainischen Truppen aufzuhalten."

Wie sehr steht Putin unter Druck?

Die vergangenen drei Wochen ist, da sind sich westliche Militärexperten einig, der Ukraine Erstaunliches gelungen: Zunächst wurde russische Militär-Infrastruktur angegriffen, um dann die eigenen Gebiete von Russland zu befreien. Dass Putin die Referenden so schnell durchführen lassen will, liegt offenbar auch daran, dass befürchtet wird, dass die Ukraine die betroffenen Gebiete andernfalls vorher zurückerobert.

Wie weit wird Russland gehen?

Putin steht massiv unter Druck und spürt, dass er den Widerstandswillen der Ukrainer bislang nicht hat brechen können. Meister: "Indem die besetzten, ukrainischen Gebiete durch das Pseudo-Referendum Teil der Russischen Föderation werden, besteht auch die Möglichkeit, dort Atomwaffen zu stationieren. Damit sollen die Ukrainer abgeschreckt, abgewehrt und demotiviert werden. Ich glaube aber nicht, dass das die Ukrainer aufhalten wird. Es könnte aber dazu führen, dass der Westen bestimmte Waffen nicht mehr liefert."

Wie reagiert die Ukraine auf Putins Strategiewechsel?

Kiew reagierte mit Spott auf Putins Teilmobilmachung. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, fragte am Mittwoch auf Twitter: "Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?" Der von Russland für "drei Tage" geplante Krieg dauere bereits 210 Tage. Die Russen, die eine Vernichtung der Ukraine forderten, hätten nun unter anderem die Mobilmachung, geschlossene Grenzen, blockierte Konten und Gefängnisstrafen für Deserteure erhalten. "Das Leben hat einen wunderbaren Sinn für Humor", schloss Podoljak.

Sein Kollege Olexij Arestowytsch interpretierte den Schritt des Kremls dahingehend, dass die hohen Verluste Russland zu dieser Maßnahme zwingen. "Es sind mehr als 100.000 Getötete und Verwundete, eher knapp 150.000", schrieb Arestowytsch. Dabei seien bereits jetzt die nächsten 150.000 mental abgeschrieben. "Wie gut es doch ist, Russe unter Putin zu sein", schrieb er ironisch. Moskau hatte am Mittwoch von 5937 Gefallenen der russischen Armee seit Kriegsbeginn gesprochen. Auch unabhängige Beobachter halten die realen Verluste aber für ein Vielfaches höher als von Russland offiziell genannt.

Wie ist Deutschlands Position?

Bundeskanzler Olaf Scholz sieht die Misserfolge im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Grund für die Ankündigung der Teilmobilmachung. Scholz habe Putins Äußerungen zur Kenntnis genommen, sagte ein Regierungssprecher am Mittwoch in Berlin und zitierte den Kanzler mit den Worten: "Das alles kann man sich nur erklären vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der russische Angriff auf die Ukraine nicht erfolgreich verlaufen ist."

Putin habe seine Truppen umgruppieren müssen, sich von Kiew zurückziehen müssen und auch im Osten der Ukraine nicht den gewünschten Erfolg erzielt, sagte der Sprecher. "Das ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass die Ukraine sehr wirksam ist bei der Verteidigung der eigenen Integrität und Souveränität, nicht zuletzt auch wegen der massiven und großen Unterstützung aus vielen Ländern der Welt, ganz besonders auch aus Deutschland."

Mit Material der DPA