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Das Psychogramm des Supermarkt-Erpressers

Viele Hinweise, doch noch keine Festnahme: Experten spekulieren über den Supermarkt-Erpresser. Dass der tatsächlich Millionen erpressen kann, ist unwahrscheinlich – auch wegen seiner seltsamen Taktik.

650 Anrufe, 60 E-Mails – die Polizei meldet bereits viele Hinweise auf den Erpresser, der mehrere deutsche Supermarkt- und Drogerieketten unter Druck setzt. Das zeigt, wie sehr der Fall die Kunden in Deutschland beschäftigt. Doch die betroffenen Unternehmen halten sich zurück – nicht ohne Grund.
Die Behörden warnen offiziell, Verbraucher sollten verstärkt auf unversehrte Verpackungen achten. Vor zwei Wochen waren am Bodensee fünf vergiftete Gläschen mit Babynahrung aufgetaucht. Ein Erpresser hatte in mehreren Schreiben auf die Gefahr hingewiesen und drohte weitere Vergiftungen an, wenn er nicht einen zweistelligen Millionenbetrag bekäme. Offenbar wollen sich Händler und Behörden nicht erpressen lassen und gehen auf die Forderung nicht ein – warnen nun die Kunden, aufmerksam zu sein.

Händler wie Rossmann verbreiten diese Warnung weiter, bleiben aber ansonsten ruhig. Denn: Schon dass die aktuelle Warnung von Polizei und baden-württembergischen Verbraucherschutz-Ministerium so breit weitergeben wird, ist ungewöhnlich. Um keine Nachahmer auf den Plan zu rufen und Aufregung zu vermeiden, bleiben viele Erpressungsfälle zunächst unter der Decke. Wieso es diesmal anders ist, erklärte der stellvertretende Konstanzer Polizeipräsident Uwe Stürmer bereits am Donnerstag: „Es handelt sich um einen herausragenden Erpressungsfall. Wir müssen davon ausgehen, dass wir einen sehr skrupellosen Täter verfolgen, der den Tod von Menschen in Kauf nimmt.“ Neben die Warnung an die Bevölkerung tritt ein zweiter Grund: Es gibt die Aufnahme einer Überwachungskamera, über die die Polizei sich Hinweise aus der Bevölkerung erhofft.

Die bisherigen Hinweise sind laut Polizei von unterschiedlicher Qualität: „Es ist alles dabei – von konkreten Hinweise auf bestimmte Personen bis hin zu Anrufern, die meinen, die Person auf dem Fahndungsfoto vielleicht schon mal irgendwo gesehen zu haben.“ Die 220 Ermittler der Sonderkommission „Apfel“ würden die Hinweise „akribisch“ auswerten und zunächst bestimmen, „welche davon Priorität haben und welche in die Warteschleife kommen“.

Dennoch ist die Kommunikation streng reglementiert. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir keine Fragen beantworten und in der Sache keine Auskunft geben, da die zuständige Polizeibehörde Wert darauf legt, dass sämtliche Presseanfragen direkt an sie gerichtet werden“, teilte etwa Rewe auf Handelsblatt-Anfrage mit.

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220 Kriminalisten im Einsatz

Derzeit arbeiten bis zu 220 Kriminalisten an dem Fall. Sie können auf Erfahrungswerte zurückgreifen – schließlich kommen ähnliche Erpressungen häufiger vor. Nach Ansicht des Kriminalpsychologen Rudolf Egg reizt Erpresser etwa die Kontrolle. „Ein Bankräuber muss sich eben damit begnügen, was in dem Banktresor oder im Schalterbereich vorhanden ist. Wenn er mehr haben möchte, dann hat er eben Pech gehabt. Ein Erpresser kann sagen, ich möchte aber ein, zwei oder noch mehr Millionen, darunter mach ich es nicht. Das ist, denke ich, für viele Nachahmer ein starker Anreiz“, sagte der Experte dem SWR.

Dabei könnten weitere Persönlichkeitsmerkmale auf den Täter hindeuten. Entweder sei es ein skrupelloser, eiskalter Verbrecher ohne Empathie oder Mitgefühl, sagte Professorin Isabella Heuser-Collier von der Berliner der Nachrichtenagentur dpa. Demnach könne es sich um einen Psychopathen oder einen Narzissten handeln, meinte die Psychologin. „Oder er genießt es einfach, im Mittelpunkt zu stehen und die ganze Republik in Aufregung zu versetzen.“ Dann sei von krankhaftem Narzissmus auszugehen. Dass tatsächlich eine giftige Substanz gefunden wurde, spreche eher für die erst Variante.

Für die betroffenen Unternehmen ist die aktuelle Erpressung jedoch bislang weniger bedrohlich als in vorangegangenen Fällen. Dadurch, dass der Täter fast alle namhaften deutschen Ketten zugleich erpressen will, müssen sie kaum fürchten, dass die Kunden auf die Konkurrenz ausweichen. Ein wichtiges Element, auf das Erpresser spekulieren, fehlt also: Die Supermärkte müssen nicht mit größeren Umsatzeinbußen rechnen. Auch ein Rufschaden droht nun eher dann, wenn eine Kette aus der gemeinsamen Front ausbrechen würde. Gut möglich, dass sich der Erpresser – wie die meisten seiner Vorgänger – verkalkuliert hat.

Häufig werden die Täter bei der Geldübergabe gefasst. Im aktuellen Fall könnte schon das Video zum Täter führen, denn der um die 50 Jahre alte Mann ist relativ gut erkennbar und mit Mütze und Brille nur wenig getarnt.

KONTEXT

Vergiftete Lebensmittel als Druckmittel

Januar 2010

Wegen versuchter Erpressung des Süßigkeitenherstellers Ferrero wird ein Kneipenwirt aus dem Sauerland zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Der Mann hatte 2008 ein Päckchen mit vergifteten Pralinen und Nougatcreme an die Firma geschickt. Er verlangte 950 000 Euro.

Juli 2010

Das Landgericht Aachen verurteilt einen Erpresser des Marmeladen-Produzenten Zentis zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft. Er hatte damit gedroht, vergiftete Marmelade in den Handel zu bringen, und 500.000 Euro verlangt.

Mai 2013

Ein 61-Jähriger wird wegen versuchter Erpressung des Lebensmitteldiscounters Aldi-Süd vom Landgericht Duisburg zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Er hatte per E-Mail 15 Millionen Euro gefordert und mit vergifteten Lebensmitteln gedroht.

Oktober 2015

Ein 38-jähriger Mann wird vom Landgericht Köln wegen versuchter Erpressung der Supermarktkette Rewe zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er hatte 15 Millionen Euro gefordert und dem Konzern gedroht, Lebensmittel zu vergiften.

März 2017

Ein 38-Jähriger wird vom Landgericht Kiel wegen versuchter räuberischer Erpressung zu einer Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Er hatte auf Schulhöfen mit Insektiziden vergiftete Marzipanherzen ausgelegt. Damit wollte er von der Handelskette Coop drei Millionen Euro erpressen, zahlbar in der digitalen Währung Bitcoins.

Juli 2017

Das Landgericht Bonn verurteilt einen Rentner zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Der 74-Jährige hatte Haribo mit der Vergiftung von Gummibärchen gedroht. Außerdem erpresste er die Unternehmen Lidl und Kaufland. Er forderte eine Million Euro in der Internet-Währung Bitcoin.

Zudem begann in Dortmund der Prozess gegen zwei 45 und 46 Jahre alten Männer. Sie sollen mit Gift versetzte Gläser mit Brotaufstrich in mehreren Lidl-Filialen deponiert haben. Sie forderten fünf Millionen Euro in Bitcoins vom Unternehmen.