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Keine Kündigungen, kein Sparkurs: Neuer Pro-Sieben-Sat-1-Chef Beaujean will sich von Beteiligungen trennen

Rainer Beaujean will den MDax-Konzern neu aufstellen – und sich von einzelnen Beteiligungen des Medienkonzerns trennen. Kündigungen und Sparmaßnahmen schließt er aus.

Deutschland befand sich im Ausnahmezustand, als Rainer Beaujean Ende März die Führung von Pro Sieben Sat 1 übernahm. Von heute auf morgen musste der Manager den im MDax notierten Konzern mit rund vier Milliarden Euro Umsatz von zu Hause aus steuern.

Sein Vorgänger Max Conze war nach nicht einmal zwei Jahren im Amt über seinen allzu direkten Führungsstil, schwache Ergebnisse und den niedrigen Aktienkurs gestolpert. Während Conzes Amtszeit sank der Kurs von gut 25 Euro im Juni 2018 auf knapp sieben Euro im März dieses Jahres. Aktuell notiert die Aktie bei rund 11,30 Euro, ist also immer noch unter Druck.

Mit Finanzvorstand Beaujean entschied sich Aufsichtsratschef Werner Brandt für einen erfahrenen Manager, der deutlich stärker auf den Gewinn schaut als sein Vorgänger. Umsatzwachstum sei zwar weiter wichtig, sagte der 51-Jährige im Gespräch mit dem Handelsblatt, seinem ersten Interview als CEO von Pro Sieben Sat 1. Es stehe aber nicht mehr an erster Stelle. Beaujean: „Wir werden schließlich von Investoren nach Cashflow, Dividendenfähigkeit und Verschuldung beurteilt.“

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Um die Kennziffern zu verbessern, werde sich der Medienkonzern von einzelnen Beteiligungen trennen, die das Unternehmen mit seinen Kompetenzen nicht weiterentwickeln könne. „Wir fokussieren uns auf die Beteiligungen, die klare Synergien mit unserem Kerngeschäft haben“, sagte der Manager. Ein Verkauf der E-Commerce-Sparte NuCom als Ganzes stehe aber nicht auf der Agenda. In dem Bereich hat Pro Sieben Sat 1 Beteiligungen wie an dem Erlebnisgeschenkeportal Jochen Schweizer oder der Online-Parfümerie Flaconi gebündelt.

Deutschlands größte private Senderkette spüre die Folgen der Corona-Pandemie nach wie vor in der TV-Werbung. Allerdings sei die Lage nicht mehr so dramatisch wie im Frühjahr, sagte Beaujean. „Ich rechne im September mit einem Minus bei den Werbeerlösen von weniger als zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit stehen wir gegenüber dem Wettbewerb gut da. Der Oktober wird ähnlich starten.“ Wie sich das Geschäft im Rest des Jahres entwickle, lasse sich aber noch nicht vorhersagen. Erst Anfang November werde er eine Prognose abgeben können.

Trotz des Umsatzrückgangs lehnt Beaujean weitere Sparmaßnahmen ab: „Wir haben uns dagegen entschieden, radikal im Programm zu kürzen. Momentan kommen keine neuen Filme und Serien von Disney oder Netflix. Das ist ein guter Moment, unsere Plattformen mit Inhalten neu zu positionieren.“ Es werde auch keinen Personalabbau geben, versprach der Manager. Und: Die Kurzarbeit in der TV-Sparte sei so gut wie beendet.

Eine Einschränkung macht der Manager allerdings, so wie die meisten Unternehmenslenker in diesen Tagen: „Falls es noch mal zu einem Mega-Lockdown wie im Frühjahr kommen sollte, müssten wir die Situation natürlich noch einmal neu bewerten.“

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Herr Beaujean, Sie wurden mitten im Corona-Lockdown Ende März Chef von Pro Sieben Sat 1. Wie geht das: die Führung eines Milliardenkonzerns, der schon bessere Zeiten erlebt hat, vom heimischen Küchentisch aus zu übernehmen?
Ich bin ja schon seit 1. Juli letzten Jahres dabei, musste mich also nicht neu einarbeiten und auch niemanden neu kennen lernen. Das war ein großer Vorteil, auch wenn Corona natürlich eine Ausnahmesituation ist. Wir haben das aber gut gemeistert. Ich sage bewusst ‚wir‘, weil wir Pro Sieben Sat 1 wirklich auch zu dritt führen. Das heißt, ich arbeite eng mit meinen ebenfalls neu ernannten Vorstandskollegen Wolfgang Link und Christine Scheffler zusammen.

Ihr Vorgänger Max Conze wurde nach nicht einmal zwei Jahren geschasst. Bei ihm scheint das mit dem Teamgeist nicht so weit her gewesen zu sein. Führen Sie anders?
Jeder hat seinen eigenen Stil. Ich versuche immer, sehr teamorientiert und kooperativ zu führen, und bei mir geht es faktenbasiert zu. Mir ist es wichtig, einen Dialog zu haben, und ich möchte Kollegen um mich, die ihre Meinung vertreten und auch mal in den Konflikt gehen.

Unter Conze sind die Führungskräfte reihenweise geflohen, im März noch mit viel Gepolter Vizechef Conrad Albert, der seinen Abgang in einem Zeitungsinterview verkündete. Ein ganz normaler Vorgang, wie Conze behauptet?
Das ist für mich schwer zu beurteilen. Hätte ich mir gewünscht, dass mein Kollege Conrad Albert erst mal mit mir spricht, bevor er an die Öffentlichkeit geht? Natürlich hätte ich das gut gefunden. Aber es wird immer Leute geben, die gehen, und andere, die kommen.

Sind Sie voriges Jahr schon mit dem Gedanken im Hinterkopf angetreten, eines Tages auf den Chefsessel vorzurücken?
Nein, das hatte ich nicht vor. Ich habe mich mit Max Conze gut verstanden.

Wie häufig sind Sie denn jetzt in der Zentrale in Unterföhring?
Zuletzt war ich alle 14 Tage vor Ort. Aber wenn ich da bin, fühlen sich viele aufgerufen, auch zu kommen. Deshalb ist es ein wichtiges Signal, wenn ich auch zu Hause bleibe. Ich bin mir meiner Vorbildrolle sehr bewusst – schließlich haben wir die kritische Infrastruktur der Sender vor Ort, die es zu schützen gilt.

Zum Amtsantritt haben Sie angekündigt, sich wieder stärker aufs Kerngeschäft zu konzentrieren, die sogenannte Entertainment-Sparte mit dem klassischen TV-Geschäft und dem Streamingdienst Joyn. War es ein Fehler, neue Geschäftsbereiche aufzubauen, vor allem die E-Commerce-Division NuCom? In der haben Sie Beteiligungen wie Jochen Schweizer, Amorelie oder Parship gebündelt.
Überhaupt nicht. Das war damals eine gute Entscheidung des langjährigen Vorstandschefs Thomas Ebeling. Das machen wir auch weiter.

Was ändert sich denn dann? Werden Sie NuCom demnächst verkaufen?
Nein, sicher nicht als Ganzes. Aber wir werden uns von einzelnen Beteiligungen trennen, die wir mit unseren Kompetenzen nicht weiterentwickeln können.

Was meinen Sie genau?
Lassen Sie mich das an unserem Beauty- und Lifestylebereich erklären. In der ersten Phase, wenn wir uns in Deutschland, Österreich und der Schweiz bewegen, sind wir ein sehr guter Eigentümer. Denn mit unseren TV-Sendern und ihren Werbeplätzen können wir eine Marke aufbauen. In der zweiten oder dritten Phase, wenn das Geschäft aus den Kinderschuhen heraus ist und Themen wie Internationalisierung anstehen, sind wir gegebenenfalls nicht mehr der richtige Besitzer. Anders verhält es sich mit Geschäften, die sehr fernsehnah sind. Diese gehören auch in einem gewachsenen Stadium zu unserem Kern. Das gilt zum Bespiel für Jochen Schweizer Mydays, unser Geschäft mit Erlebnisgutscheinen.

Pro Sieben Sat 1 hat schon immer Beteiligungen verkauft. Was also ist jetzt anders?
Wir fokussieren uns auf die Beteiligungen, die klare Synergien mit unserem Kerngeschäft haben. Und wir sind dabei sehr viel stärker ergebnisorientiert. In der Vergangenheit stand Umsatzwachstum im Fokus. Das ist natürlich weiter wichtig, aber nicht mehr an erster Stelle. Wir werden schließlich von Investoren nach Cashflow, Dividendenfähigkeit und Verschuldung beurteilt.

„Wir haben uns dagegen entschieden, radikal im Programm zu kürzen“

Ist das alles, was Sie verändern?
Wir haben ein klares Bekenntnis zum deutschsprachigen Raum abgegeben. Insgesamt investieren wir eine Milliarde Euro pro Jahr in unser Programm, über die Hälfte geht in lokale Formate. Das ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Damit machen wir Entertainment stark und schaffen eine profitable Basis, mit der wir andere Geschäfte wie NuCom möglich machen.

Warum honorieren die Investoren den neuen Kurs noch nicht? Der Aktienkurs dümpelt auf niedrigem Niveau und ist seit Jahresanfang um fast ein Viertel gesunken.
Wir haben viele Werte, die unsere großen Investoren wie KKR erkennen …

… die Amerikaner haben zuletzt ein bedeutendes Aktienpaket gekauft …
… genau. Aber der ein oder andere Analyst und Anleger erkennt den Gesamtwert von Pro Sieben Sat 1 eben noch nicht. Deshalb weisen wir ab dem dritten Quartal unser neues Segment der Partnervermittlung separat aus. Darin ist das Geschäft der Parship-Gruppe und des US-Zukaufs The Meet Group gebündelt. Auch mit dem geplanten Teil-IPO dieses Bereichs wollen wir zeigen, wie viel Substanz in Pro Sieben Sat 1 steckt und dass wir mehr sind als ein rein lineares TV-Unternehmen.

Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht vorbei, aber das Leben hat sich normalisiert. Kommen jetzt auch die Werbekunden zurück?
Ich rechne im September mit einem Minus bei den Werbeerlösen von weniger als zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit stehen wir gegenüber dem Wettbewerb gut da. Der Oktober wird ähnlich starten. Das entspricht natürlich nicht dem, was ich mir wünsche. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist es aber sehr solide.

Wie sehen Sie denn das Umfeld?
Ganze Branchen sind durch Corona als Werbekunden weggefallen. Nehmen Sie nur Reisen, Events oder Getränke. Andere laufen dagegen wirklich stark, etwa die Autobranche mit ihren neuen Elektrofahrzeugen. Auch die Lebensmittelindustrie wird vor Weihnachten zurückkehren. Und die neue Playstation kommt …

Wie sieht denn Ihre Prognose für den Rest des Jahres aus?
Unsere großen Monate sind September bis Dezember. Eine Prognose werde ich deshalb erst Anfang November veröffentlichen, dann haben wir zwei wichtige Monate hinter uns. Und wir werden wissen, wie sich die kältere Jahreszeit auf die Corona-Infektionen auswirkt. Eins dürfen Sie dabei nicht vergessen: Der Großteil unserer Kostenmaßnahmen, die wir Ende März angestoßen haben, werden sich erst in der zweiten Jahreshälfte auswirken. Die Programmeinsparungen etwa kommen erst jetzt.

Im Vergleich zu vielen anderen Industrien fallen die Sparmaßnahmen bei Ihnen sehr zahm aus. 50 Millionen Euro weniger fürs Programm sind wenig bei vier Milliarden Euro Umsatz. Warum greifen Sie nicht viel härter durch?
Wir haben uns dagegen entschieden, radikal im Programm zu kürzen. Momentan kommen keine neuen Filme und Serien von Disney oder Netflix. Das ist ein guter Moment, unsere Plattformen mit Inhalten neu zu positionieren. Das ist eine Chance, denn wir erreichen auch wieder mehr junge Menschen.

„Der Rest kommt ins Schaufenster oder wird auch mal geschlossen“

Viele deutsche Konzerne bauen in großem Stil Personal ab. Steht das bei Ihnen auch bevor?
Das haben wir nicht vor. Auch die Kurzarbeit im Entertainmentbereich ist so gut wie beendet. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass wir aktuell nicht viele Leute einstellen. In einigen Bereichen von NuCom halten wir noch an der Kurzarbeit fest. Dass es etwa bei Billiger-Mietwagen.de momentan nicht gut läuft, liegt auf der Hand. Auch Jochen Schweizer und Mydays tun sich schwer, weil viele Events nicht stattfinden können. Falls es noch mal zu einem Mega-Lockdown wie im Frühjahr kommen sollte, müssten wir die Situation natürlich noch einmal neu bewerten.

Was können die Investoren in den nächsten Jahren von Ihnen erwarten?
Ich habe schon letztes Jahr als Finanzvorstand definiert, welche Rendite wir auf das eingesetzte Kapital für unsere Gruppe mittelfristig brauchen: mindestens 15 Prozent gemäß der von uns definierten Return-on-Capital-Employed-Kennzahl. Erweiterungs- und Neuinvestitionen müssen sich innerhalb von drei Jahren amortisieren und eine Verzinsung von mindestens 18 Prozent erwirtschaften. Und strategische Projekte müssen sich innerhalb von fünf Jahren amortisieren. Übrigens ist eine mittel- bis langfristige Renditeverbesserung ohne profitables Umsatzwachstum ebenfalls schwierig. Darüber hinaus haben wir noch ein paar weitere Größen etabliert, nach denen wir das Unternehmen steuern. Zum Beispiel die Vorgabe, dass wir keine Geschäfte mehr machen, die nur geringe Millionen Euro Ergebnisbeiträge liefern. Dafür ist unser Haus zu groß und komplex.

Wann werden Sie das Renditeziel erreichen?

Mit Corona ist das in diesem Jahr schwierig, klar. Aber in normalen Zeiten schaffen wir das mit einem vernünftigen Portfoliomanagement zeitnah. Was aufs Kerngeschäft einzahlt, behalten wir. Der Rest kommt ins Schaufenster oder wird auch mal geschlossen. Umgekehrt werden auch zukünftig wertschaffende Akquisitionen wie The Meet Group Bestandteil unseres aktiven Portfoliomanagements sein.

Herr Beaujean, vielen Dank für das Interview.