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Der Macron-Check – was der französische Präsident bisher erreicht hat und was nicht

Emmanuel Macron mag den Begriff „Reform“ nicht, er spricht lieber von „Umwandlung“ (transformation im Französischen), das klingt weniger technokratisch. Seine Vorstellung eines verwandelten „Frankreich, das sich der Realität des 21. Jahrhunderts stellt“, wie er gerne sagt, beinhaltet weit mehr als klassische wirtschaftliche Strukturreformen.

Macron will auch den französischen Staat umbauen, das Bildungssystem so umgestalten, dass es wieder mehr sozialen Aufstieg ermöglicht und die Europäische Union so weit verändern, dass sie „ihre Bürger schützt und die europäische Souveränität verteidigt“.

Mit dem Arbeitskampf bei der staatlichen Bahngesellschaft SNCF stößt sein Wille zur Umgestaltung zum ersten Mal auf ein ernsthaftes Hindernis. Sollte seine Bahnreform auf halbem Wege steckenbleiben, wäre sein Elan geschwächt. Kommt sie durch, kann Macron noch weiter „transformieren“. Zeit für eine Bestandsaufnahme, was bislang verwirklicht ist und was der 40-jährige Staatschef noch vorhat.

Was Macron schon erreicht hat

Im vergangenen Jahr trat das neue Arbeitsrecht in Kraft. das nun Spielraum für Verhandlungen und Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene bietet. Anders als bisher können Arbeitsverträge nun ohne einen Sozialplan verändert werden.

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Abgeschafft ist die Vermögensteuer auf so gut wie alle Werte außer auf Immobilien. Bei der Besteuerung von Kapitalerträgen hat Macron eine Flatrate von 35 Prozent eingeführt. Ein weiteres Signal hat der Präsident an die Anleger gesandt: Die Unternehmensteuer senkt er schrittweise von derzeit 33,3 Prozent auf 25 Prozent, die im Jahr 2022 erreicht werden.

Steuersenkungen sollen auch den Privathaushalten zugutekommen: In mehreren Jahresschritten wird für einen großen Teil der Haushalte die Wohnsteuer – sie macht immerhin bis zu einem Zehntel der Einkommensteuer aus – abgeschafft. 80 Prozent der Franzosen sollen davon profitieren.

Teil der Gegenfinanzierung ist allerdings, dass der „Allgemeine Sozialbeitrag (CSG)“, eine steuerähnliche Sozialabgabe, erhöht wird. Bei manchen Rentnern, die nicht von der Beseitigung der Wohnsteuer profitieren, kann deshalb eine Mehrbelastung auftreten.

Administrative Verfahren werden vereinfacht, ein entsprechendes Gesetz berät die Nationalversammlung derzeit. Eine Vielzahl von Genehmigungspflichten wird abgeschafft. Die Regierung nennt ihre Initiative „Recht auf Irrtum“: Der Bürger soll nicht mehr mit Bußgeldern bedroht werden, wenn er sich im Verkehr mit der Verwaltung einen Patzer erlaubt.

In der Haushaltspolitik hat die Regierung durch einen Notstopp erreicht, dass das staatliche Defizit begrenzt wurde. Zwar hat ihr auch die bessere Konjunktur mit höheren Steuereinnahmen geholfen, im Ergebnis aber sinkt der Fehlbetrag mit 2,6 Prozent im Jahr 2017 deutlich unter die zulässige Schwelle von drei Prozent der Wirtschaftsleistung.

Das politische Leben wurde neu geordnet. Seit dem vergangenen Jahr ist es Abgeordneten beispielsweise untersagt, ihre eigenen Familienangehörigen zu beschäftigen. Die finanziellen Mittel, die sie frei vergeben konnten, was Korruption begünstigen konnte, wurden abgeschafft.

Bei der Sicherheitspolitik hat Macron eine harte Gangart eingeschlagen: Zwar hat er den Ausnahmezustand, den sein Vorgänger François Hollande mehrfach verlängerte, beendet. Doch dafür wurden viele seiner Bestandteile einfach in das reguläre Recht überführt.

Eher konservativ ist seine Linie auch beim Asyl- und Zuwanderungsrecht. Die Bestimmungen über die Rückführung von Flüchtlingen werden strikter, die Fristen für Einsprüche gegen eine Ablehnung kürzer und die Abschiebehaft kann deutlich verlängert werden. Das Gesetz steht kurz vor der Abstimmung, bislang ist das einzige Zugeständnis Macrons an die Menschenrechtsorganisationen, dass die Familienzusammenführung etwas erleichtert wird.

Was der Präsident derzeit vorantreibt

Die umstrittenste Veränderung ist die Bahnreform. Die SNCF soll in eine besondere Aktiengesellschaft umgewandelt werden, deren Anteile unveräußerlich beim Staat liegen. Sie erhält damit neue Spielräume. Der Bahnverkehr wird für den Wettbewerb geöffnet und der beamtenähnliche Status der „cheminots“ soll für alle neu Eingestellten entfallen.

Im Gegenzug will die Regierung einen Teil der Schulden der SNCF übernehmen und sich verpflichten, deutlich mehr in das veraltete Netz zu investieren. Dagegen richtet sich der auf drei Monate angelegte Streik.

Macrons enger Vertrauter Julien Denormandie hat eine Reform präsentiert, die den Bau von Wohnungen beschleunigen soll. Die für Sozialwohnungen (HLM) zuständigen Unternehmen können demnach leichter Wohnungen verkaufen, um neue Mittel für Bauten zu generieren.

Die Kriterien für die Vergabe werden klarer und verbindlicher gefasst, das tatsächliche Einkommen der Mieter regelmäßig überprüft. Büros können leichter in Wohnungen umgewandelt werden und Plattformen wie Airbnb werden strikter reguliert.

Am 2. Mai legt Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire ein „Pacte“ genanntes Gesetz vor, das die Gründung und Finanzierung von Unternehmen vereinfachen soll. Vor allem den Klein- und Mittelbetrieben will die Regierung das Leben erleichtern. Frankreich gründet zwar sehr viele Unternehmen, doch fällt es denen schwer, eine kritische Größe zu erreichen.

Abschaffen will die Exekutive damit auch eine ganze Masse an Personalschwellen, bei deren Überschreiten auch Kleinunternehmen solche Gremien wie Hygieneausschüsse einrichten müssen. „Pacte“ enthält auch interessante Ansätze wie die Ausweitung der Unternehmensziele.

Damit würde gesetzlich anerkannt, wenn ein Unternehmen nicht nur Gewinn machen will, sondern sich auch soziale Ziele setzt. Schon das Verfahren zur Erarbeitung des Entwurfs war innovativ: Jeweils ein(e) Abgeordnete(r) hat mit einem Unternehmer zusammengearbeitet.

Die vielleicht wichtigste Reform für die Senkung der Arbeitslosigkeit betrifft Aus- und Weiterbildung. Trotz neun Prozent Arbeitslosigkeit finden die Unternehmen bereits jetzt keine qualifizierten Arbeitskräfte mehr. Die Reform der Lehrlingsausbildung und der beruflichen Weiterbildung soll Abhilfe schaffen.

„Wir wollen die Berufsausbildung näher an die Unternehmen rücken und attraktiver machen, beispielsweise durch eine bessere Entlohnung“, erläutert man im Amt des Premierministers. Derzeit zählt Frankreich weniger als 400.000 Auszubildende, ungefähr ein Drittel der deutschen Zahl.

Auch der Hochschulzugang wird neu geregelt. Heute wird fast jeder genommen, bei zu vielen Bewerbern entscheidet das Los. Mit zum Bildungspaket gehört auch die Reform des Bac (Abitur), die Note soll geringer von der zentralen Endprüfung abhängen, die auf weniger Fächer beschränkt wird, und mehr vom Schnitt der letzten zwei Jahre. Auch die Studenten sind vielerorts schon in den Streik getreten, einige träumen von einer Neuauflage von 1968.

In der Gesundheitspolitik ist Macron ebenfalls reformfreudig: Die Arbeitsteilung zwischen Krankenhäusern und Arztpraxen will er verbessern und in den Kliniken, die über Arbeitsüberlastung und mangelnde Spielräume klagen, für bessere Abläufe sorgen. Insgesamt soll die Versorgung besser und schneller funktionieren. In den Krankenhäusern werde „teils zu recht geklagt“, sagte Macron vor wenigen Tagen mit Blick auf Kritik wegen Überlastung und zu viel Bürokratie.

Ein weiteres heißes Eisen neben der SNCF-Reform ist die Veränderung der Arbeitslosenversicherung. Die Regierung will dabei die notorisch schlechte Betreuung und Weiterbildung durch die staatliche Arbeitsverwaltung „pôle emploi“ angehen.

Gleichzeitig soll der Versicherungsschutz ausgeweitet werden, auf manche Selbstständige und durch das Recht, einmal alle fünf Jahre selber zu kündigen, ohne die „Stütze“ zu verlieren. Maßnahmen, um die Kosten zu senken, hat Macron bislang noch nicht angekündigt.

Gerade begonnen wurde mit einem Programm für die bessere Förderung von künstlicher Intelligenz. Der Staat gibt nicht nur mehr Geld dafür aus. Er schafft auch ein Netzwerk von vier oder fünf spezialisierten Hochschulinstituten und vereinfacht die Zusammenarbeit von Forschung und Unternehmen.

Macron persönlich hat seine Pläne in einer Rede Ende März vorgestellt. Wie so häufig geht es ihm um Öffnung und Beschleunigung. Manche Daten von Großunternehmen könnten der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, wenn es ein öffentliches Interesse gebe.

Doch gleichzeitig will der studierte Philosoph die Überlegungen für ethische Regeln bei KI vorantreiben: „Nichts wäre schlimmer, als diese gesellschaftlichen Fragen Privatunternehmen oder nicht-demokratischen Gesellschaften zu überlassen“, sagte der Präsident.

Was noch kommt

In den nächsten Wochen wird die Regierung ihre Vorstellungen für die Umgestaltung des öffentlichen Dienstes vorlegen. Auch hier ist Ärger mit den Gewerkschaften absehbar, denn der Grundgedanke ist, mehr leistungsbezogene Bezahlung einzuführen und zu prüfen, welche Leistungen der Staat anbieten muss und welche auf Private übertragen werden könnten.

„Wir machen eine spending review“, sagt man bei Premierminister Édouard Philippe in bestem Business English: „Wir wollen überall feststellen, ob es ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis gibt.“

Auf 2019 verschoben hat Macron die Reform der Renten. Derzeit gibt es ein allgemeines Rentensystem und eine Vielzahl spezieller Systeme für die Altersvorsorge, wie bei der Bahn. Über zehn Jahre hin sollen sie alle zusammengeführt werden. Ziel ist, dass „es für jeden eingezahlten Euro dieselbe Leistung gibt“, so Macron. Auch hier steht Ärger ins Haus.

Wo die Risiken liegen

Der Platz reicht nicht aus, um alle Projekte Macrons vorzustellen, allein die für Europa füllen ein eignes Kapitel. Sein Tempo ist atemberaubend. Seit der Gründung der Fünften Republik hat kein Präsident das Land so energisch, rasant und gleichzeitig professionell vorangetrieben wie der politische Quereinsteiger. Große Fehler sind ihm zumindest bislang nicht unterlaufen.

Ein latentes Risiko für seinen Kurs der Transformation ist mit dem Streik bei der SNCF deutlich geworden: Anti-Reformer versuchen, ihn zu stoppen. Doch bislang hat er die Mehrheit der Franzosen auf seiner Seite. Die Aussicht, dass Frankreich zwar hart an sich arbeiten muss, dann aber wieder einen Platz ganz vorne in Europa einnehmen kann, begeistert sie.

Politisch gibt es das Risiko, dass Macrons Leitmelodie „weder links noch rechts, sondern progressiv“ irgendwann nicht mehr trägt, in seiner Partei La République en Marche (LaREM) wie auch in der Bevölkerung. Beim Thema Asylrecht sind in dieser Woche die Differenzen in der LaREM-Fraktion zwischen Abgeordneten, die ein offenes Frankreich wollen und denen, die vor allem auf Abschirmung setzen, aufgebrochen.

Ähnliches könnte in Zukunft häufiger passieren. Macron muss zeigen können, dass seine Reformen auch den sozialen Zusammenhalt verbessern. Dann könnte das Motto des großen Transformators weiter tragen.