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Politiker trommeln für Recht auf Sammelklagen

SPD, Grüne und Verbraucherschützer beharren darauf, künftig Musterklagen zu ermöglichen, bei denen etwa Verbraucherverbände stellvertretend für mehrere Kunden Schadenersatzansprüche gegen Unternehmen geltend machen könnten. „Wenn ein Unternehmen mangelhafte Produkte verkauft, muss es für die Fehler auch haften“, sagte der SPD-Rechtsexperte Johannes Fechner dem Handelsblatt.

Mit Blick auf Vorbehalte des Bundesverkehrsministeriums fügte er hinzu: „Ich sehe inhaltlich keine Probleme und gehe deshalb davon aus, dass noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung geht. Wir brauchen die Möglichkeit der Musterfeststellungklage, um den Verbraucherschutz zu stärken.“ Ein einzelner Bürger solle, wie Fechner erläuterte, künftig gemeinsam mit den Verbraucherzentralen seine Rechte gegen einen „vermeintlich übermächtigen Gegenüber“ durchsetzen können. „Andere Bürger können davon profitieren, indem sie sich auf das entsprechende Urteil berufen.“

Als Bremser bei dem Thema gilt indes Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Er soll, wie die „Süddeutsche Zeitung“, der NDR und der WDR diese Woche berichtet hatten, die Einführung einer Art Sammelklage von Kunden gegen Unternehmen blockiert haben. Am 14. Dezember 2015 strich der Minister demnach aus einem Entwurf des Justizministeriums für einen Bericht an den Bundestag alles heraus, was dort zu einer möglichen Musterklage für Verbraucher stand. Dobrindt habe handschriftlich notiert: „Lehnen wir ab!!! Komplett streichen!“

Das von Heiko Maas (SPD) geleitete Bundesjustizministerium hatte vor einem Jahr anlässlich des VW-Skandals begonnen, ein Gesetz über eine Musterklage auf den Weg zu bringen. Kunden sollen sich künftig gemeinsam gegen mangelhafte Produkte oder überhöhte Preise wehren und Schadenersatz fordern können. Im Ministerium wird jedoch ausdrücklich betont, dass das Vorhaben vor Bekanntwerden der Abgasmanipulationen angestoßen worden sei. Tatsächlich hatte Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 28. September 2015 in der Rede „Ein Prozess, viele Gewinner – Verbraucherrechte stärken“ ein Eckpunktepapier zur Einführung einer Musterfeststellungsklage noch in diesem Jahr angekündigt. Ziel sei die Stärkung des Verbraucherschutzes durch effektive Rechtsdurchsetzung, erklärte er damals.

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Doch als das Justizressort den Bundestag über dieses Vorhaben und andere Konsequenzen aus der Abgasaffäre von informieren wollte, sei Dobrindt eingeschritten, schreibt die "Süddeutsche Zeitung".. Als das Parlament am 15. Dezember 2015 den Regierungsbericht enthielt, habe das ursprünglich vorgesehene Kapitel „Prüfung der Einführung einer Musterfeststellungsklage“ gefehlt heißt es in dem Medienbericht. Dobrindts bislang öffentlich nicht bekannter Eingriff erklärt, warum beim Verbraucherschutz seither nichts mehr voran gegangen ist.

Die Grünen-Rechtsexpertin Katja Keul hält es indes ebenfalls für unabdingbar, im Zuge der VW-Abgasaffäre die Klagerechte von Verbrauchern gegenüber Unternehmen zu stärken. „Die Bundesregierung sollte zu ihrem Wort stehen und sich ganz klar auf die Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher stellen – anstatt vor der Automobilindustrie zu kuschen“, sagte Keul dem Handelsblatt.


„Musterfeststellungsverfahren auch für Unternehmen kostengünstiger“

Der Bundesregierung warf Keul vor, ihr schon vor einem Jahr gegebenes Versprechen, die Einklagbarkeit von Schadensersatzansprüchen zu vereinfachen, nicht eingehalten zu haben. „Während Entschädigungszahlungen an die Betroffenen und das Recht auf Gruppenklage in den USA längst möglich sind, lässt die große Koalition die Geschädigten hier in Deutschland weiter im Regen stehen.“

Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller pocht auf ein entsprechendes Gesetz noch vor der Bundestagswahl. Verbraucher erwarteten zu Recht, dass die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode einen Vorschlag vorlege und der Bundestag diesen beschließe, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) dem Handelsblatt. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass Verbraucher massenhaft Schäden aufgrund eines Gesetzesverstoßes erleiden, aber ihre Rechte individuell gerichtlich durchfechten müssen.“

Der VW-Skandal zeige, dass die Musterfeststellungsklage „dringend benötigt“ werde. „Allein das finanzielle Risiko für einen Prozess gegen einen Konzern ist für die meisten viel zu hoch“, so Müller. „Ein Musterfeststellungsverfahren wäre auch für den Rechtsstaat und Unternehmen kostengünstiger.“

Nachdem der Druck nun von Seiten der Verbraucherverbände und der Politik wächst, will das Justizministerium nun doch einen Gesetzentwurf für eine Musterklage vorlegen, um zu testen, ob die Union weiter blockiert. Oder ob Fortschritte beim Verbraucherschutz vor der nächsten Bundestagswahl in knapp einem Jahr noch möglich sind.

Diskutiert wird schon länger, dass sich Verbraucher bei gleich gelagerten Fällen zusammenschließen und gemeinsam klagen können. Solch eine Musterfeststellungsklage unterscheidet sich aber von Sammelklagen, wie sie in den USA mit dort oft sehr hohen Schadensersatzsummen üblich sind.

Der Abgasskandal bei gab den Anstoß dafür, dass nun die Klagrechte der Verbraucher gestärkt werden sollen. VW hatte bei weltweit elf Millionen Diesel-Fahrzeugen die Schadstoff-Werte manipuliert. Der Konzern will nach bisherigen Berichten betroffenen Kunden aber nur in den USA Schadenersatz zahlen. Diese Ungleichbehandlung stößt auf Kritik.


Dobrindt will neuen Anlauf auf schärfere EU-Abgasregel nehmen

Als Konsequenz aus hohen Diesel-Abgaswerten bei vielen Autoherstellern will die Bundesregierung zudem einen neuen Vorstoß zur Verschärfung der einschlägigen EU-Regelung wagen. „Ich hoffe, dass wir uns beim nächsten Rat damit befassen können“, sagte Verkehrsminister Dobrindt am Donnerstag im Abgas-Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments in Brüssel. Er habe in einem Schreiben an EU-Kommissarin Elzbieta Bienkowska dazu Vorschläge von der Kommission gefordert.

Dobrindt war mit einem ersten Versuch, eine Gesetzesverschärfung anzuregen, im Juni gescheitert. Weder die EU-Kommission noch die meisten Mitgliedsländer sahen einen Bedarf nach schärferen Vorschriften. Doch inzwischen gebe es mehr Unterstützung, erklärte Dobrindt. Die EU-Verkehrsminister tagen das nächste Mal in Brüssel am 1./2. Dezember.

Hintergrund sind die Untersuchungen der deutschen Behörden in Folge des Diesel-Abgasskandals bei Volkswagen. Diese hatten nicht nur bestätigt, dass eine illegale Abschalteinrichtung in etlichen Modellen einsetzte, sondern auch ein weites Ausnutzen gesetzlicher Spielräume durch alle anderen deutschen Autobauer bis auf BMW und mehrere ausländische Hersteller.

Das nach der EU-Verordnung zulässige „Thermofenster“, mit dem die Abgasreinigung zum Motorschutz unter bestimmten Bedingungen zurückgefahren werden kann, nutzten sie nach Ansicht des Kraftfahrt-Bundesamtes zu weitreichend aus. Audi, Porsche, Mercedes, Volkswagen und rufen deshalb auf Druck des KBA rund 630.000 Fahrzeuge freiwillig zurück.

Dobrindt forderte als Lehre daraus, die Verordnung von 2007 zu ändern. Abschalteinrichtungen zum Motorenschutz sollten nur dann möglich sein, wenn auch die neuesten Motoren verwendet würden. Zusätzlich forderte er nun, eine Schiedsstelle einzurichten zum Vermitteln bei Streit unter den nationalen Zulassungsbehörden.

Grund dafür ist der Konflikt zwischen Deutschland und Italien im Fall Fiat. Die KBA-Untersuchung ergab nach Überzeugung Dobrindts, dass es auch beim Fiat 500X eine illegale Abschalteinrichtung gibt. Fiat und die italienische Behörde wiesen das zurück. Die EU-Kommission habe jetzt zur Vermittlung ein Treffen der deutschen mit der italienischen Behörde angesetzt. „Mir ist das deutlich zu wenig“, sagte Dobrindt.

Die EU-Kommission plant Medienberichten zufolge unterdessen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und andere Länder, weil sie keine Sanktionen bei einem Verstoß gegen die EU-Verordnung festgelegt hätten. Dobrindt erklärte hingegen, mit der Pflicht zu Rückrufaktionen und dem drohenden Entzug von Typgenehmigungen gebe es genug Sanktionen. Zudem seien nach deutschem Recht Geldbußen möglich, wenn Fahrzeuge ohne Zulassung in den Verkehr gebracht würden. Ein Verfahren gegen Deutschland sei deshalb „völlig abwegig“.

KONTEXT

Dieselgate wird für VW immer teurer

Teure Folgen

Für Volkswagen sind die finanziellen Risiken durch die Abgasaffäre immer noch schwer zu kalkulieren. Zwar hat der Konzern nach dem 15-Milliarden-Dollar-Vergleich in den USA mehr Klarheit darüber, was ihn der Skandal um manipulierte Dieselautos dort kosten wird. Zugleich nimmt der Druck auf die Wolfsburger in Europa zu, die Kunden auch hier zu entschädigen. Europas größtem Autokonzern drohen weitere Kosten für Rückrufe, Aktionärsklagen und Strafen, die sich auf weit mehr als zehn Milliarden Euro auftürmen könnten. Analysten schätzen, dass die Aufarbeitung des Skandals den Konzern am Ende insgesamt zwischen 20 und 35 Milliarden Euro kosten wird, sogar von bis zu 50 Milliarden ist vereinzelt die Rede. Es folgt eine Übersicht der absehbaren Kosten.

Der US-Vergleich

Die Einigung mit Hunderten Sammelklägern, Behörden und US-Bundesstaaten kostet Volkswagen bis zu 15,3 Milliarden Dollar (umgerechnet rund 13,6 Milliarden Euro). Der größte Teil entfällt auf den Rückkauf von 475.000 manipulierten Dieselwagen mit 2,0-Liter-Motoren, für den gut zehn Milliarden Dollar reserviert sind. Die tatsächlichen Kosten hängen davon ab, wie viele Dieselbesitzer ihre Wagen zurückgeben und ob die US-Behörden eine Umrüstung genehmigen.

Entschädigung für US-Händler

Seinen rund 650 US-Händlern will VW Insidern zufolge mindestens 1,2 Milliarden Dollar Entschädigung zahlen, weil sie seit fast einem Jahr keine Dieselautos mehr verkaufen durften. Eine Grundsatzvereinbarung ist getroffen, für eine endgültige Einigung gab ein Gericht den Parteien bis Ende September Zeit.

Weitere Strafen und Klagen in den USA

Mit dem US-Justizministerium laufen derzeit Verhandlungen über eine Strafzahlung wegen der Abgasmanipulation. Das "Wall Street Journal" berichtete unlängst, dem deutschen Autobauer könne eine Strafe von mehr als 1,2 Milliarden Dollar aufgebrummt werden. Analysten rechnen mit einer Summe zwischen einer und drei Milliarden Euro. Einige US-Bundesstaaten wollen zudem zivilrechtlich versuchen, einen höheren Schadensersatz durchzusetzen, weil sie mit dem Vergleich nicht zufrieden sind. Dabei geht es um Hunderte Millionen Dollar.

Lösung für Drei-Liter-Autos lässt auf sich warten

Keine Einigung gibt es weiterhin für die rund 85.000 größeren Fahrzeuge mit Drei-Liter-Dieselmotor. VW zeigt sich zuversichtlich, dass eine Reparatur gelingen kann. Bis Ende Oktober hat das Gericht in San Francisco Volkswagen Zeit gegeben, um Lösungsvorschläge einzureichen. Für den 3. November setzte Richter Charles Breyer eine weitere Anhörung an. Sollte Volkswagen gezwungen werden, auch diese teureren Wagen zurückzukaufen, würde das weitere Milliarden verschlingen. Analysten schätzten die Kosten auf bis zu 2,5 Milliarden Euro.

Rückrufe in Europa

Ein großer Brocken ist auch die Umrüstung der rund 8,5 Millionen Dieselautos in Europa. Schätzungen reichen von gut einer bis drei Milliarden Euro, die das kosten dürfte. Der Autoanalyst Arndt Ellinghorst von Evercore ISI rechnet zudem damit, dass sich schrumpfende Marktanteile von Volkswagen und geringere Preise im Ergebnis bemerkbar machen werden.

Entschädigung auch in Europa?

Bundesweit klagen Autobesitzer vor mehreren Gerichten wegen überhöhter Stickoxidwerte auf Rückabwicklung des Kaufs oder Schadensersatz. Allein vor dem Landgericht Braunschweig sind rund 70 solcher Klagen anhängig. Eine Entschädigung der Kunden in Europa lehnt VW nach wie vor ab, obwohl sich Forderungen nach einem ähnlichen Vergleich wie in den USA mehren. Sollten diese dennoch fällig werden, könnte das Volkswagen finanziell das Genick brechen, fürchten Experten. Der Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler geht von einem Wertverlust in einer Größenordnung von 500 Euro je Fahrzeug aus. "Es ist schwierig zu sagen, ob VW am Ende doch einen symbolischen Betrag zahlen wird." Branchenexperte Ellinghorst hält es für wahrscheinlich, dass die Kunden in Europa kein Geld sehen werden.

Ärger rund um den Globus

Weltweit droht Volkswagen in mehreren Ländern Ungemach. "Wir haben die ganze Welt am Hals", sagte Konzernchef Matthias Müller unlängst. Südkorea, zweitgrößter Markt für Dieselfahrzeuge in Asien, zog die Zulassungen für VW- und Audi-Modelle zurück und verhängte eine Strafe von 14,3 Millionen Euro. In Australien fordern Besitzer von VW-Dieseln Entschädigung von umgerechnet 6700 Euro pro Fahrzeug, die Verbraucherschutzbehörde klagt ebenfalls gegen VW. In Italien brummte die Wettbewerbsbehörde VW eine Strafe von bis zu fünf Millionen Euro auf, in Großbritannien forderte der Umweltausschuss vom Parlament eine härtere Gangart gegen VW. Auch in Kanada ringt der Konzern noch um die Beilegung des Abgasskandals. Würde das US-Entschädigungsmodell auf den nördlichen Nachbarn übertragen, müsste der Konzern womöglich mit einer weiteren Belastung in Milliardenhöhe rechnen.

Aktionärsklagen

Weltweit sieht sich Volkswagen zudem mit milliardenschweren Schadensersatzklagen von Investoren und Kleinaktionären konfrontiert. Die Inhaber von Aktien und Anleihen werfen Volkswagen vor, zu spät über das Ausmaß des Abgasskandals informiert zu haben und wollen einen Ausgleich für Kursverluste durchsetzen. Zu den Klägern gehören große US-Pensionsfonds, der Norwegische Staatsfonds, aber auch der Versicherungskonzern Allianz und die Dekabank. Das Land Bayern hat ebenfalls angekündigt, wegen Kursverlusten seines Pensionsfonds für die Landesbeschäftigten vor Gericht zu ziehen. Hessen und Baden-Württemberg prüfen einen solchen Schritt. Beim Landgericht Braunschweig liegen 290 Schadensersatzklagen mit Forderungen von zusammen rund vier Milliarden Euro.

Die Krise als Einnahmequelle für Anwälte

Die Scharen an Anwälten, die Volkswagen weltweit wegen des Dieselskandals beschäftigt, verschlingen ebenfalls Geld. Der Autoexperte Pieper geht von bis zu einer Milliarde Euro aus, sein Kollege Ellinghorst schätzt die Anwaltskosten auf mehrere hundert Millionen.

Quelle: Reuters