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„Politik kann keine reine Lehre durchsetzen“

Eine Öko-Bewegung fordert die Industrie heraus: Streitgespräch zwischen Kevin Bauch von „Fridays for Future“ mit Holger Lösch vom BDI.

 Foto: dpa
Foto: dpa

Stadion an der Alten Försterei: Hier, wo der Bundesligist Union Berlin spielt, kam es zu einem ungewöhnlichen Streitgespräch am Rande einer Vorstandssitzung der „Energy Academy“. Rund 90 Minuten lang diskutierte Kevin Bauch von „Fridays for Future“ mit Holger Lösch vom BDI – mit einer verblüffenden Schlussperspektive.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

In Deutschland und anderen Ländern wird öfter und leidenschaftlicher als früher über Klimapolitik geredet. Alles nach den Protestaktionen der jungen Schwedin Greta Thunberg. Wie wichtig ist der Greta-Effekt?
Bauch: Das sollte man nicht so betrachten. Sie hat nur aufgezeigt, dass die Welt über Jahrzehnte geschlafen hat. Viele haben dann aufgemerkt. Wenn es sie nicht gäbe, würden wir immer noch schlafen. Aber das ist ja nur der erste Schritt.
Lösch: Wir haben seit vielen Jahren die Schadstoff-Emissionen deutlich reduziert. Der „Greta-Effekt“ ist auf gewisse Landstriche dieser Welt beschränkt, vor allem auf Deutschland. Große wichtige Player auf der Welt lassen sich davon gar nicht beeinflussen: die USA und China, Teile Südamerikas und große asiatische Staaten. Indien. Das macht mir Sorgen. Wir brauchen eine große internationale Bewegung.

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Es bleibt die Frage, ob dafür die „Fridays for Future“-Bewegung nötig war.
Lösch: Das ist so ein Phänomen. Junge Leute, die eine Bewegung gestartet haben, riefen zu allen Zeiten eine Reflexion hervor. Das ist ein Verdienst, der Fridays for Future zuzugestehen ist. Aber ehrlich gesagt: Die Klimastudie des BDI war schon vor dem Auftreten dieser Organisation fertig. Nach dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 ist viel in Bewegung geraten. Das war entscheidend.
Bauch: Wir berufen uns immer auf Paris – und darauf, dass alle Staaten, die unterschrieben haben, sich nicht an das Abkommen halten. Sie bleiben hinter den Zielen zurück. Da ist ein Fakt. Alles, was wir sagen, ist: „Haltet die Ziele ein!“ Dann sind wir zufrieden.

Wie gefährlich sind die Abweichungen von den Klimazielen aus Ihrer Sicht?
Bauch: Wir steuern darauf zu, dass die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit bei drei Grad liegt. Die genaue Abweichung liegt bei 1,8 Grad.
Lösch: Das ist ein Kernproblem. Sind diese politischen Ziele genau die roten Linien, hinter denen die Welt untergeht? Oder sind sie politische Symbole, die verdeutlichen, in welche Richtung wir gehen müssen? Ich persönlich glaube, dass wir in den nächsten Jahrzehnen, vielleicht Jahrhunderten, mit einem gewissen Maß des Klimawandels umgehen müssen. Das enthebt uns nicht der Pflicht, jetzt möglichst viel zu erreichen.
Bauch: Hier liegt die große Diskrepanz zwischen dem, was wir wollen und was Industrie und Politik meinen. Es gibt ein grundlegendes Verständnisproblem. Es genügt nicht zu glauben, man stolpert ein bisschen in die Klimakrise hinein und versucht, das abzufedern. Hinter dem Anstieg von nur 1,5 Grad steht ja kein linearer Anstieg, sondern eine exponentielle Funktion. Für die Jugend bedeutet das: Wir wissen nicht, worauf wir unsere Zukunft aufbauen sollen. Wir müssen mit der Wahrscheinlichkeit leben, dass die Welt in Zukunft zerstört sein wird. Wenn wir zwei Grad übersteigen, gibt es irgendwann keine Wirtschaft mehr, die wir retten können. Mit der Ernährungssicherheit ist es vorbei, Bürgerkriege kommen. Deshalb sind wir so enttäuscht von der Politik, auch vom Klimapaket der Bundesregierung. Herr Lösch, Sie spielen das hier so herunter, als könnten wir einen Mittelweg finden. Nein, das Pariser Abkommen ist schon der Mittelweg, diese Gesellschaft pokert mit der Zukunft unserer Generation.
Lösch: Wenn man so glaubt, muss man so argumentieren. Es führt aus unserer Sicht kein Weg daran vorbei, durch Innovationen, irgendwann auch durch Verhaltensänderungen, zu einer karbon-neutralen Welt zu kommen. Ich bin nicht bereit zu glauben, dass wir jetzt sofort das 1,5-Grad-Ziel sicherstellen können. Dafür müssten wir negative Emissionen erreichen. Die Anlagen und Technologien hierfür gibt es noch nicht.
Bauch: Es gibt auch ein Szenario, bei dem Deutschland sechs Gigatonnen Kohlendioxid verbrauchen darf. Dann hätten wir 15 Jahre Zeit.

Wissenschaftler warnen nicht vor Abweichungen von Klimazielen, sondern auch vor ökologischen Folgen, vor „Kipppunkten“.
Lösch: Die Wissenschaft ist da völlig klar. Mit jedem Grad mehr müssen wir mit schlimmen Folgen rechnen. Die Welt muss sich ohnehin stark wandeln, wir wollen eine Milliarde Menschen mehr ins Leben bringen. Wenn Priester mit Ingenieuren diskutieren, ist immer klar, wer gewinnt.
Bauch: Was wollen Sie damit sagen?
Lösch: Dass die Sache bei einem Glaubenssatz zu 1,5 Grad Erderwärmung klar ist.
Bauch: Ich rede von Wahrscheinlichkeiten. Wollen Sie Russisches Roulette spielen?
Lösch: Wir sind gar nicht in der Lage, darüber zu entscheiden. Ich sehe nur, wie wir Innovationen, Technologien und vernünftige Politik, auch gute Diplomatie, uns und den Rest der Welt auf die richtigen Pfade bringen. Ich sehe aber auch, dass sich die Politik einfach ein schöneres, höheres Ziel setzt, wenn sie die alten Ziele reißt. Wenn wir für krasse Ziele Zertifikate erhalten würden, wäre Deutschland längst karbon-neutral.

Dieter Kempf, Präsident des BDI, redet von einer „Verbotskultur“. Ist es unser Problem, dass zu viel verboten wird?
Lösch: Wir reden über den Globus. Neulich war ich in Australien, einem Land, das von Kohle, Eisenerz und Erdgas lebt – aber große Chancen bei Erneuerbaren Energien hat. Vor meinen Gesprächen mit Politikern bekam ich den Rat, nicht über Klimaschutz zu reden, sondern über Wachstum und Jobs dank neuer Energien. Der Gedanke, den Leuten zu sagen: „Du hast jetzt keine andere Alternative!“, ist global nicht mehrheitsfähig. Es wird nicht ohne die Chinesen und Saudis gehen.

Politik wird hier in Deutschland und Europa gemacht. Hier stimmen die Bürger für oder gegen ökologische Konzepte.
Bauch: Vielleicht wären die Menschen ja bereit, ihr Verhalten zu überdenken, wenn sie von Politik und Wirtschaft nicht immer vertröstet würden. Genau durch diese „Sachte, sachte“-Argumentation verstehen sie den Ernst der Krise überhaupt nicht. Was wir nicht durch Technologie erreichen können, müssen wir über eine Änderung des Verhaltens lösen. Das jetzt debattierte Verbot von Ölheizungen ist es gut, wenn es Alternativen gibt und der Staat hilft.
Lösch: 200 Jahre haben wir uns eine schicke Villa gebaut. Die besteht aus Verfahren, Werkstoffen und Technologien. Und jetzt sagen wir mit Blick auf das Klima: Das geht nicht mehr. Kein Stahl, kein Öl und Gas, keine Kohle. Wir müssen das Fundament auswechseln, ohne dass die Hütte einstürzt. Die Alternativen sind sichtbar: Wasserstoff, Elektromobilität, synthetische Kraftstoffe, Brennstoffzelle. Leider bekommst Du in dieser Welt für eine Tonne grünen Stahl keinen Cent mehr als für eine Tonne „dreckigen“ Stahl.
Bauch: Da kann man die Regeln ändern – wir reden ja über den CO2-Preis. Das ist der richtige Schritt. Die Umwelt- und Folgekosten sind extern, die müssen Teil der Wirtschaft werden. Das führt zu einem nachhaltigen System.

Aber welcher Preis für Kohlendioxid ist der richtige?
Lösch: Das ist gemein. Der BDI hat kein Preismodell eingereicht, deshalb bin ich nicht enttäuscht, dass unseres nicht genommen wurde. Natürlich entfaltet auf lange Sicht ein richtiger CO2-Preis die nötige Dynamik.

Zehn Euro pro Tonne, wie für den Anfang von der Bundesregierung vorgesehen?
Bauch: Für den Verbraucher hat das kaum eine Wirkung. Wir müssen schnell mit dem Preis hochkommen. Jede Tonne Kohlendioxid kostet meine Generation rund 180 Euro. Das fordern wir. Die Wirtschaft würde auf den Kopf gestellt, komplett weg von fossilen Rohstoffen. Die Frage ist, wie schnell wir zu diesem Preis gelangen, ohne dass Firmen pleitegehen.

Und, die Antwort?
Bauch: Die Unternehmen müssen gezwungen werden, massiv umzustellen. Wir brauchen nationale Initiativen – neben denen für erneuerbare Energien und Wasserstoff auch eine zur Nutzung industrieller Abwärme. Unsere Infrastruktur nutzt Energien sehr ineffizient. Auch, weil es keine oder kaum Anreize gibt, Energie zu sparen.
Lösch: Der größte Anreiz ist die Kostenrechnung der Unternehmen. Wasserstoff ist für Chemie, Zement sowie die Metall- und Stahlindustrie die einzige Perspektive zu fossiler Energie. In der Industrie glaubt man, 2025 soweit zu sein. Es fehlt hierfür noch an den niedrigen Energiekosten und modernen Technologien. Wir sind noch nicht bei den nötigen zwei, drei US-Dollar pro Tonne Wasserstoff. Wir sind einerseits Junkies, weil wir diesen Stoff brauchen, andererseits aber auch Dealer, weil wir die Technologie weltweit verkaufen wollen.
Bauch: Die Techniken sind da. Es ist möglich, die Energiewende bis 2030/2035 voranzubringen. Die alte Infrastruktur steht im Weg. Methanspeicher zum Beispiel wurden nicht gebaut. Uns ist es egal, welche Technik genommen wird. Nur, wenn wir Deutsche unsere Ziele selbst einhalten, haben wir eine gute Verhandlungsbasis bei internationalen Gesprächen. Das ist die einzige Chance, die wir haben.
Lösch: Unsere einzige Chance ist der große Preisverfall bei den Erneuerbaren. Das lässt hoffen. Man wird in etlichen Regionen der Welt künftig für zwei Dollar-Cent Strom erzeugen können.

In Deutschland dagegen wird der Strompreis 2020 hochgehen…
Lösch: …weil wir Systemintegrationskosten zahlen. Wenn die Stahlindustrie 2025 Wasserstoff einsetzen kann, bauen sie um. Aber am Ende will Thyssen-Krupp seinen Stahl auch auf dem Weltmarkt verkaufen ­ auch gegen „dreckige“ Konkurrenz aus China.

Alles eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit? Wie verhält sich dieser Wert zu den Klimazielen?
Bauch: Wir müssen im europäischen Markt bleiben – und müssten auch CO2-Zölle auf Importwaren haben. Das verhindert, dass Firmen im Ausland dreckig produzieren und hier billig verkaufen. Das ist wichtig, wenn wir Elektroautos und Batterien einführen. Wenn wir das bepreisen, müssen sich die Hersteller nach europäischen Standards richten. Dafür bräuchten wir eine Bundesregierung, die sich in diesen Fragen Außenpolitik auf die Fahnen schreibt.
Lösch: „Carbon Taxes“ sind handelspolitisch ein dünnes Eis. Die politische Stimmung in der „unsichtbaren Kulisse“ war zuletzt geprägt von gewissen Parteitagen, der Dauer von Amtszeiten und Koalitionszeiten. Das war zum Teil sehr bedauerlich, es gab viele sachfremde Argumente.

Die Klimastudie des BDI von Anfang 2018 hat ergeben, dass bis 2050 etwa 1,5 Billionen Euro Investitionen nötig sind, um die Emissionen um 80 Prozent zu reduzieren. Wie soll das klappen?
Lösch: Unsere Mitglieder haben uns 2016 das „Go“ für diese Studie gegeben. Das war ein Paradigmenwechsel. Investitionen sind keine Kosten, wir haben dann mehr Effizienz und importieren weniger Brennstoffe. Das kann nicht jeweils allein von Industrie, Staat oder Bürgern kommen - jeder muss dafür bereit sein.
Bauch: Das geht bei einem hohen CO2-Preis!
Lösch: Aber es gibt immer Übergänge. In fünf Jahren wird er schon um einiges höher sein. Im Klimapaket der Regierung ist ein Korridor von 35 Euro bis 60 Euro im Jahr 2026 vorgesehen. Die Botschaft zählt: Es wird sich etwas ändern, du bekommst jetzt Hilfe, aber die wird weniger. Das ist das Beste an diesem Klimapaket.
Bauch: Glauben Sie, es geht weit genug? Dass es die Transformation der nächsten zehn Jahre einleiten? Je länger wir beim CO2-Verbrauch auf dem hohen Niveau bleiben, umso schneller müssen wir nachher runterkommen. Deshalb warnen viele Wissenschaftler, wir hätten nicht viel Zeit.
Lösch: Ich kenne all diese Rechnungen. Politik kann keine reine Lehre durchsetzen. Sie muss immer die Bevölkerung mitnehmen. 58 Prozent der Deutschen finden Klimaschutz gut, aber 57 Prozent sagen, Autofahren dürfe nicht teurer werden.
Bauch: Warum steht die Bevölkerung nicht hinter dem „sicheren Überleben“? Warum sollte sie ein Interesse daran haben, die nächste Genration an die Wand zu fahren? Das liegt daran, dass viele Leute in der Öffentlichkeit das Thema herunterspielen, um selbst nicht handeln zu müssen. Unternehmensführer haben die Verpflichtung, ihre Mitarbeiter auf die Gefahren hinzuweisen. Der Mensch hat die Tendenz, das zu wählen, was am bequemsten ist. Wenn man ein Szenario akzeptiert, in dem man ein bisschen weitermachen kann wie bisher, hat man die nächste Generation schon aufgegeben.
Lösch: Beschwichtigen ist nicht das Thema. Falsch sind zwei Sätze: Klimawandel ist kein Problem und Klimaschutz ist kein Problem. Die Industrienationen müssen hier mehr machen. Sie können Leitnationen des Wandels sein.

Die Industrie war angetreten, die Energiewende zu machen – mit viel Überzeugung und Technik. Nun gibt es dort heftige Klagen über die Zaghaftigkeit der Politik.
Lösch: Wir haben der Industrie Hunderte Milliarden Euro hinterhergeworfen und trotzdem hat es nicht geklappt. Warum nicht? Die Schweden machen Wasserkraft und Atomkraft, die Franzosen setzen zu 75 Prozent auf Kernkraft. Vielleicht hätte Deutschland vor 150 Jahren ja nicht auf Kohle setzen sollen, aber wir haben nun einmal eine fossile Grundstruktur. In der ersten Hälfte der 2030er-Jahre wird die Kohle verschwunden sein. Die Unternehmen haben keine Lust mehr darauf.

Gesetzlich soll jetzt ein größerer Abstand zwischen Windrädern vorgeschrieben werden. Wird damit de facto die Windindustrie abgeschafft? Und müsste der BDI dagegen nicht aufstehen?
Lösch: Vorige Woche hat der BDI zusammen mit dem DGB und dem BDEW einen Brief an Wirtschaftsminister Peter Altmaier in dieser Sache geschrieben. Das kann so nicht weitergehen. Man muss natürlich auch sehen, dass die Politiker so etwas machen, weil sie in ihren Wahlkreisen die Hosen voll haben. Auf vielfachen Wunsch der Bevölkerung ist Windkraft an Land nicht mehr akzeptabel. Den Rest erledigen die Naturschützer, die vor Gericht gehen.
Bausch: Die Regierung hat es in der Hand, hier den Rechtsrahmen zu setzen,
Lösch: Versuchen Sie das einmal! In der Kohlekommission haben wir diskutiert, den Klageweg von zwei Instanzen auf eine Instanz zu verkürzen. Der BUND hat dagegen protestiert.
Bausch: Dann reden wir noch einmal mit dem BUND! Natürlich müssen wir die Planverfahren beschleunigen.

Was ist mit der Eisenbahn? Der Bau der ICE-Strecke zwischen Köln und Frankfurt hat Beispiel einen hohen Einsatz von CO2 gefordert. Das wäre durch Einsparungen erst nach vielen Jahren wettgemacht.
Bausch: Ich mache mir auch solche Gedanken. Man muss immer schauen: Wie viel CO2 kostet die Transformation? Was ich aber auch sagen muss: Es lebt sich sehr viel besser, wenn wir alle einen Gang herunterschalten. Wenn wir das Leben entspannter, mit etwas weniger Konsum führen würden. Wohlstandsverluste können passieren. Aber wir brauchen nicht mehr so viel, um glücklich zu sein.
Lösch: Wir haben uns in Deutschland einer elektrischen Illusion hingegeben. 98 Prozent aller Kraftstoffe sind flüssig oder gasförmig. Wir starteten einst auch mit Dampf- und Elektroautos, aber von der Energiedichte her war Benzin nun mal viel besser. Was die Bahn angeht, ist eine Verlagerung der Güter auf die Schiene sicher sinnvoll. Doch das ist der kleinste Hebel, wahnsinnig teuer und geht voll auf die öffentliche Hand. Es gibt drei andere, bessere Hebel: die Brennstoffzelle, synthetische Kraftstoffe und mehr Energieeffizienz.
Bauch: Die Industrie könnte die Energiewende vorantreiben. Dazu müsste man sich aber auf neue Regeln einigen. Das wäre die größte Hebelwirkung.

Viele Finanziers betonen seit einigen Jahren das verantwortliche Investieren. Sie stecken ihr Geld in nachhaltige Konzepte und sagen: Wer Wasser und Luft verschmutzt, muss zahlen. Ist die Finanzwelt ökologisch weiter als die Industrie?
Lösch: Das ist die putzigste aller Diskussionen. Die Welt erholt sich noch immer vom letzten Beleg der Nachhaltigkeit der Finanzindustrie. Sie hätte uns 2008/09 fast in den Abgrund gestoßen! Ich höre diese Diskussionen ständig. Da bekomme ich echt Lachanfälle. Das ist eine verlogene Debatte. Die Finanzindustrie könnte mit ihren Milliarden in solche ökologischen Projekte investieren und auf Rendite verzichten. Wen ich nur ein Büro hätte und kein Werk, täte ich mir auch leichter.

Wirtschaftlich steht Deutschland gut da. Warum nutzt die Industrie den Vorsprung nicht, um mit mehr Innovation die Märkte von morgen zu sichern?
Lösch: Die Unternehmen spüren alle, dass sich die Dinge verändern. Für viele ist das eine Bedrohung. Andere sehen nur die Chancen. Die Tanker sind schon in Bewegung. Sie sind aus dem Hafen raus. Sicher wird die Politik angefunkt werden, wir brauchen eine klare Route.

Einige Experten schlagen eine Rochade vor: Atomkraftwerke sollten zehn Jahre länger laufen, dafür die Kohlekraftwerke zehn Jahre weniger. Was halten Sie davon?
Lösch: Hätte der Beschluss zur Laufzeitverlängerung von 2010 Bestand gehabt, wäre die Kohle längst raus. Wir haben zuletzt mit den Erneuerbaren ja nur die Nuklearenergie kompensiert. Die Kohle hat von dem System profitiert. Eine verheerende Entwicklung.
Bauch: Meine persönliche Meinung, jenseits der Bewegung: Ich würde da mitgehen. Das wäre besser als die Klimakrise.
Lösch: Viele Leute sagen, dass diese Diskussion in fünf Jahren unweigerlich wiederkommt.

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