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Philosophin Nussbaum: Die „anständigen Republikaner“ werden austreten und neue Partei gründen

Martha Nussbaum sieht eine existenzielle Krise der konservativen Partei. Deren künftige Ausrichtung entscheide auch darüber, ob es Biden gelingt, das Land wieder zu einen.

Donald Trump ist zurück in den Schlagzeilen, keine volle Woche nach dem Ende seiner Präsidentschaft dominiert er wieder die politische Debatte in den USA. Das Abgeordnetenhaus überreichte am Montag dem Senat eine Anklageschrift gegen den Ex-Präsidenten – zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres wird Trump ein politischer Prozess gemacht.

Anstiftung zur Aufruhr lautet der Vorwurf. Trump soll für seine Rolle bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar durch rechte Randalierer zur Verantwortung gezogen werden.

Wohin also steuern die USA? Es lohnt sich, darüber mit Experten zu sprechen, die einen anderen Blick auf die Dinge haben als die Politiker, die Amerikas ideologische Grabenkämpfe seit Jahrzehnten ausfechten. Kaum jemand hat sich mit den Gründen für die Spaltung der USA so kenntnisreich auseinandergesetzt wie die Philosophin Martha Nussbaum. Für ihre Arbeit wurde sie mit dem Kyoto-Preis geehrt, dem „Nobelpreis der Philosophie“.

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Nussbaum ergründet Emotionen wie Wut, Angst und Hoffnung und analysiert ihre politische Wirkung. So wurde sie zu einer der wichtigsten Stimmen in der Debatte um die Ursachen für Trumps Aufstieg und seine anhaltende Popularität. Im Interview mit dem Handelsblatt erläutert sie, welche immensen Kräfte Amerika auseinandertreiben und warum es dennoch Grund zur Hoffnung gibt.

Der 6. Januar, sagt Nussbaum, war ein Tag, an dem sich die amerikanische Öffentlichkeit einem Problem stellen musste, „das schon sehr lange unbeachtet vor sich hin schwelte, ein Problem im Herzen unserer Nation“.

Ein geplanter Angriff auf die Demokratie

Längst steht fest: Der Sturm auf das Kapitol an jenem Tag war keine spontane Eruption aufgestauten Wählerfrusts, sondern ein geplanter Angriff auf die Demokratie, dem Trump mit einer monatelangen Kampagne zur Diskreditierung der Wahl den Boden bereitet hatte. Das dramatische Ereignis, seine Vorgeschichte und Folgen werden die USA noch lange beschäftigen, juristisch, aber vor allem auch politisch.

Die wohl wichtigste Frage nämlich wird nicht in den zahllosen Strafverfahren gegen die Randalierer verhandelt, sondern innerhalb der republikanischen Partei. Ist das republikanische Establishment bereit, mit Trump zu brechen und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit Bidens Demokraten auszuloten – oder behält der Agitator Trump die Oppositionspartei weiterhin im Griff?

Nussbaum glaubt, dass der Schock über den Gewaltexzess zur Spaltung der Republikaner führen wird. Die Lenkungswirkung von Wahlkampfspenden sei ein entscheidender Grund dafür. „Wirtschaftsverbände sagen sich zunehmend von der Republikanischen Partei los und weigern sich, Geld an Kandidaten zu spenden, die eine Hass-Agenda vertreten“, sagt Nussbaum.

Dies werde eine „innerparteiliche Abrechnung“ erzwingen: „Ich glaube, dass es am Ende keinen anderen Weg gibt als die Spaltung.“ Trump flirtet schon mit der Idee, seine eigene Partei zu gründen – eine Drohung, die die Republikaner auf Linie zwingen soll und bereits Wirkung zeigt.

Die zehn republikanischen Politiker, die Trumps Amtseinhebung im Abgeordnetenhaus unterstützt haben, darunter Liz Cheney, die Tochter des früheren Vizepräsidenten Dick Cheney, sehen sich parteiintern starken Anfeindungen ausgesetzt. Es steht viel auf dem Spiel. Nicht nur, dass eine Verurteilung durch den Senat Trump die mögliche Rückkehr zur Macht versperren würde. Der Verlauf des Verfahrens wird mit darüber entscheiden, ob es Joe Biden gelingt, ein Präsident der Entspannung zu werden.

Nussbaum prophezeit, dass am Ende nicht Trump und seine Gesinnungsgenossen, sondern die „anständigen Republikaner“ austreten und eine neue Partei gründen werden. Welche Strömung sich im rechten Spektrum letztlich durchsetzt, ist auch eine Geldfrage.

Nussbaum sieht „starke Anzeichen dafür, dass das Geld, das unser Wahlkampfsystem erfordert“, nicht den Trumpisten folgen werde, sondern den traditionellen Konservativen. Ob Amazon, American Express, Intel und General Electric – fast alle namhaften US-Konzerne haben angekündigt, Kongressmitgliedern keine Spenden mehr zu überweisen, die gegen die Zertifizierung von Bidens Wahlsieg gestimmt haben.

Der oft demokratieschädigende Einfluss des Geldes werde in der jetzigen Krise damit eine stabilisierende Wirkung haben, so das Argument der Philosophin. „Republikaner, die nicht aus wahrer Überzeugung zu Trump gehalten haben, sondern weil sie sich persönliche Vorteile versprachen, erkennen jetzt, dass es überhaupt nicht zu ihrem Vorteil ist, auf seiner Seite zu stehen“, sagt Nussbaum und verweist auf Politiker wie Mitch McConnell, den Anführer der Republikaner im Senat, der öffentlich mit Trump gebrochen hat.

„Ängste über die sich verändernde Bevölkerung“

Besonders aber lobt sie die „ehrenwerten Staatsbeamten, viele von ihnen Republikaner“, die die Integrität der Wahl gegen Trumps Angriffe verteidigt haben. „Für mich ist Brad Raffensperger aus Georgia ein Held“, sagt Nussbaum. Der oberste Wahlaufseher des Bundesstaats hatte klargestellt, dass es keinen Zweifel an Bidens Wahlsieg gebe – obwohl Trump ihn persönlich dazu drängte, das Ergebnis zu manipulieren.

Was auch nach Trumps Versuch, die Demokratie außer Kraft zu setzen, bleibt, ist die unbändige Wut in Teilen der Wählerschaft. Den USA drohe weiterhin Gefahr, warnt Nussbaum und macht für den Volkszorn sowohl ökonomische als auch demografische Gründe aus. „Es ist klar, dass der wirtschaftliche Wohlstand und der soziale Status weißer Männer aus der Arbeiterschaft aufgrund von Outsourcing und Automatisierung sowie der zunehmenden Konkurrenz durch Frauen und Minderheiten gesunken ist.“

Verstärkt werde dies durch „weit verbreitete Ängste über die sich verändernde Zusammensetzung der Bevölkerung, die bald mehrheitlich aus Minderheiten bestehen wird“. Nicht zufällig habe Trump seine Lüge über eine „gestohlene Wahl“ eng mit diesen Ängsten verbunden: „Die Orte, an denen Trump versucht hat, die Wahl zu kippen, waren Städte mit einem großen Anteil von Minderheiten – Detroit, Atlanta, Philadelphia.“

Was zu tun ist? Einfache Lösungen gebe es nicht, doch eine aussichtsreiche Strategie, den Nährboden der Wut und Ressentiments auszutrocknen, besteht für Nussbaum darin, Bildungschancen zu verbessern, „da die vorhandenen Arbeitsplätze einen Abschluss erfordern“. Bidens Demokraten hätten Vorschläge dafür gemacht.

Überhaupt setzt Nussbaum große Hoffnungen auf die neue Regierung: „Biden hat sich mit Wissenschaftlern umgeben, die ihre Politik auf Fakten und nicht auf Fehlinformationen stützen. Und er ist ein Mann der Empathie.“

Auch die Entscheidung von Techkonzernen wie Twitter und Facebook, Trumps Profile zu sperren, könnte sich positiv auswirken: „Die Menschen werden durch das, was sie jeden Tag hören und sehen, polarisiert“, sagt Nussbaum, „und allein die geringere Präsenz dieser falschen und aufrührerischen Geschichten wird eine Hilfe sein.“