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„Paradise Papers“ rücken Informanten in den Fokus

Ohne Informanten wären die „Paradise Papers“-Enthüllungen wohl nicht möglich gewesen. Dabei sind Whistleblower gegen strafrechtliche Konsequenzen kaum geschützt. SPD und Grüne wollen das ändern, doch die CDU mauert.

Die „Paradise Papers“ mit ihren neuen Erkenntnissen über Steuervermeidungsstrategien von Konzernen und Reichen wecken Begehrlichkeiten. Deutschland würde gerne von den Informationen bei der Jagd auf Steuersünder profitieren. Die Bundesregierung rief daher die beteiligten Medien zur Herausgabe der Originaldaten auf. Die wiesen das Ansinnen jedoch unter Verweis auf den Informantenschutz zurück.

Aus gutem Grund. Denn Whistleblower, also Personen, die helfen, Missstände, Korruption oder Gesetzesverstöße in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aufzudecken, genießen hierzulande kaum Schutz. Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag von 2013 zwar zugesichert, die internationalen Vorgaben zum Whistleblower-Schutz zu überprüfen, doch geschehen ist bislang nichts.

Durch die „Paradise Papers“ erhält das Thema nun eine neue Aktualität. Der Zeitpunkt scheint günstig. Zum einen, weil jüngst erst das EU-Parlament mit einer Resolution die EU-Kommission aufforderte, bis Jahresende einen Vorschlag vorzulegen, wie Whistleblower geschützt werden können. Und zum anderen, weil sich just an diesem Donnerstag die Justizminister der Bundesländer in Berlin zu ihrer Herbstkonferenz treffen. Bremen und Hamburg wollen die Gelegenheit nutzen, in der Whistleblower-Frage Druck auf den Bundesgesetzgeber zu machen.

„Wer nachweislich Unrecht aufdeckt, verdient den Schutz unseres Rechtssystems“, sagte Bremens Justizsenator Martin Günthner (SPD) dem Handelsblatt. Er begrüße daher das Bestreben auf europäischer Ebene, wichtigen Hinweisgebern per Gesetz mehr Sicherheit zu garantieren. Es sei aber „dringend notwendig, dass wir auch auf nationaler Ebene prüfen, inwieweit es hier einer gesetzlichen Regelung zum Schutz von Whistleblowern bedarf“. Hierfür werde er sich bei der Justizministerkonferenz „nachdrücklich einsetzen“.

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Günthner nahm dabei Bezug auf die neuen, umfangreichen Veröffentlichungen zur globalen Steuervermeidung. „Schwerwiegende gesellschaftliche Missstände können oftmals nur öffentlich gemacht und abgestellt werden, wenn die entsprechenden Informationen über den Kreis der unmittelbar Beteiligten hinaus bekannt werden“, sagte er. Dies zeige nicht zuletzt die aktuelle Debatte über die sogenannten „Paradise Papers“ und der damit bekannt gewordenen Steuervermeidung „zu Lasten unseres Gemeinwesens“. „Ohne die Arbeit von Whistleblowern und Journalisten wären wir hier wohl noch immer völlig ahnungslos.“

Ähnlich äußerte sich der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne). „Mutige, die rechtswidrige Vorgänge aufdecken und dadurch dem öffentlichen Interesse dienen, müssen besser vor Strafverfolgung oder Kündigungen geschützt werden. Hierfür brauchen wir gesetzliche Regelungen, wie wir es bereits im Juni 2016 auf der Justizministerkonferenz beschlossen haben und auf der kommenden erneut besprechen werden“, sagte Steffen dem Handelsblatt.

Vor einem Jahr hatten die Länderjustizminister in einem Beschluss gefordert, den deutschen Whistleblower-Schutz, der sich auf „vereinzelte Vorschriften und Einzelfallentscheidungen von Gerichten“ beschränke, auf den Prüfstand zu stellen. Seinerzeit baten die Minister die Bundesregierung um Prüfung, ob der Schutz von Hinweisgebern einer gesetzlichen Regelung bedürfe. „Es ist unbefriedigend, wenn Menschen, die Steuerbetrug in Millionenhöhe aufdecken, sich dann vor Gericht wiederfinden“, pflichtete Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) seinerzeit der Forderung seiner Länderkollegen bei. Allerdings hat die Große Koalition den Prüfauftrag einfach liegen gelassen.

Nun mahnt Steffen zur Eile. „Der Schutz von Whistleblowern ist überfällig. Die Gesellschaft ist auf verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger angewiesen, um Verfehlungen in großen Organisationen auf die Schliche zu kommen.“ Auch die Enthüllungen um die „Paradise Papers“ verdeutlichten, welche Probleme unzureichende Gesetzgebung schaffe, fügte der Justizsenator hinzu. „Wir empfinden große Ungerechtigkeit angesichts der Steuervermeidung, die in einer rechtlichen Schmuddelzone stattfindet. In solchen Fällen brauchen wir zu allererst strengere Transparenz- und Offenlegungsrichtlinien, damit der Hinweisgeberschutz überhaupt richtig greifen kann.“ Hier müsse die neue Regierungskoalition „für Klarheit im Gesetz sorgen und Schlupflöcher schließen“.


Jamaika-Partner uneins über besseren Whistleblower-Schutz

Ob der unzureichende Whistleblower-Schutz jedoch unter einer neuen Regierung auf die Tagesordnung rückt, ist ungewiss. Denn zwischen den Partnern einer möglichen Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen herrscht Uneinigkeit darüber, ob Informanten ein besserer rechtlicher Schutz gewährt werden soll. Während der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht, lehnt der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg weitere Schutzregelungen ab.

Sensburg verwies darauf, dass der Schutz von Hinweisgebern im Arbeitsrecht bereits verbessert worden sei. Auch für Journalisten sei der Schutz der Zusammenarbeit mit Whistleblowern ausgebaut worden. „Darüber hinaus sehe ich keinen Bedarf für eine Ausweitung, da auch Unternehmen oder Verwaltungen vor falschem Whistleblowing, Fake News oder Denunziation geschützt werden müssen“, sagte der CDU-Politiker dem Handelsblatt. „Es gibt kein Gesetz, das Menschen daran hindert, Straftaten anzuzeigen. Die wollen wir ja sogar als Zivilcourage“, fügte Sensburg hinzu. „Üble Nachrede oder falsche Verdächtigungen dürfen aber im digitalen Zeitalter nicht befördert oder gar faktisch geschützt werden.“

Der Grünen-Politiker von Notz sagte dagegen dem Handelsblatt: „Zweifellos brauchen wir ein Gesetz zum besseren Schutz von Hinweisgebern, sowohl auf europäischer wie auf bundesdeutscher Ebene.“ Denn anders als in anderen Ländern bestünden in Deutschland gesetzliche Regelungen zum Schutz von Hinweisgebern vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen sowie anderen Nachteilen „allenfalls vereinzelt“. Whistleblowern drohten hierzulande arbeits- und dienstrechtliche Folgen bis hin zur Kündigung und strafrechtlichen Verfolgung. Dabei seien in den vergangenen Jahren „Missstände und rechtswidrige Vorgänge in Unternehmen, Institutionen und Behörden oft erst durch Hinweise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bekannt geworden“.

Der SPD-Bundesvize Ralf Stegner forderte die Jamaika-Partner angesichts der Veröffentlichung neuer Geheimdokumente aus Steueroasen zum Handeln auf. „Die Enthüllung der schmutzigen Machenschaften durch die Paradise Papers hat nicht zum ersten Mal gezeigt, dass Finanzskandale, aber auch Gammelfleisch-Skandale oder Bestechungsvorwürfe bei Großunternehmen meistens nur durch interne Hinweisgeber bekannt werden“, sagte Stegner dem Handelsblatt. Es sei daher „in unser aller Interesse, dass ein solch couragiertes Handeln“ rechtlich besser abgesichert sei. „Eine mögliche schwarze Ampel-Koalition sollte deshalb den Schutz der sogenannten Whistleblower vor arbeitsrechtlichen Nachteilen in den Blick nehmen. Alles andere wäre fahrlässig.“

Immerhin: Einen weltweit bekannten Informanten haben SPD und Grüne auf ihrer Seite – den in Russland lebenden US-Whistleblower Edward Snowden. Der nahm denn auch die „Paradise Papers“- Enthüllungen via Twitter freudig zur Kenntnis: „Leak day is my favorite day“ – übersetzt: „Ein Datenleck-Tag ist mein Lieblingstag.“

Im Jahr 2013 hatte Snowden massenhaft Dokumente des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) gestohlen und an Journalisten weitergeben – die Enthüllungen lösten schwere Verwerfungen aus. Und Snowden geriet ins Fadenkreuz der Politik. Donald Trump beschimpfte den Whistleblower Edward Snowden als „Verräter“, „Schande“ und „Feigling“. CIA-Chef Mike Pompeo bezeichnete eine Hinrichtung als angemessene Strafe für Snowden.