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Panik in Zeiten der Krise: Wo Betroffene Hilfe finden

Angst kann Menschen lähmen, sie krank machen. Hilfe zu suchen ist wichtig. Denn es gibt Möglichkeiten, die Panik in den Griff zu bekommen.

Die Nächte waren für Dominik Bergmann* die reinste Qual. Stundenlang lag er wach im Bett, lief durchs Haus und grübelte über seine Zukunft. Der Auslöser: Angst. Ein Gefühl, das dem erfolgreichen Berliner Berater lange Zeit gänzlich fremd gewesen war.

Vor der Pandemie war er ständig unterwegs gewesen, flog rund um die Welt, optimierte Konzernprozesse – bis Corona die Wirtschaft lahmlegte. Bergmanns Aufträge brachen weg. Wurde er nicht mehr gebraucht? Die Krise setzte dem Mittfünfziger zu, machte ihn psychisch krank.

Es sind Menschen wie Bergmann, die in diesen Tagen vermehrt den Rat von Bastian Willenborg suchen. Der Ärztliche Direktor an der privaten Oberberg-Fachklinik Berlin-Brandenburg behandelt dort Manager mit Angstzuständen. Derzeit steht sein Telefon kaum noch still, die Videosprechstunde ist fast ausgebucht. Zu Beginn der Pandemie hätten sich viele noch durchkämpfen wollen, erzählt der Arzt.

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Doch „die Folgen der Krise sind mittlerweile so drastisch, dass sie bei vielen Menschen deutliche Existenzängste auslösen“. Ein Fünftel der Deutschen fürchtet um den Job, zeigt eine Befragung der Beratungsfirma Boston Consulting Group.

Dabei fürchteten sich viele Menschen im beruflichen Alltag schon vor dem Ausbruch der Pandemie vor dem Versagen: etwa vor dem Misslingen einer Präsentation. Das Gefühl macht auch vor namhaften Managern nicht Halt, von denen sich einige vor Panikattacken beim Hauptversammlungsauftritt fürchten oder schlichtweg vor dem nächsten Flug. Hinzu kommt die fortschreitende Digitalisierung: Mehr und mehr Menschen fühlen sich überfordert, ängstigen sich vor einer ungewissen Zukunft.

Angst kann Menschen lähmen, sie krank machen, sie schlimmstenfalls in den Selbstmord treiben. Unternehmen kosten Angsterkrankungen Milliarden. Schon vor einer Dekade errechnete der inzwischen pensionierte Kölner Angstforscher Winfried Panse einen volkswirtschaftlichen Schaden von über 100 Milliarden Euro pro Jahr – weil Mitarbeiter weniger produktiv sind oder gar nicht mehr zur Arbeit kommen. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor, nur die Einschätzung der Experten: Das Gesamtproblem ist eher größer als kleiner geworden.

So sind auch hochrangige Führungskräfte nicht vor Angst gefeit. Im Gegenteil: Extrem leistungsbereit und auf ihr berufliches Fortkommen fokussiert, steigt im Alter zwischen 25 und 55 Jahren ihre Stresskurve deutlich an. Grund dafür ist die Doppelbelastung durch Karriere und Familie, beobachtet Christian Graz.

Er ist Chefarzt der Psychosomatischen Abteilung der Max-Grundig-Klinik im Schwarzwald, die auf medizinische Check-ups von Managern spezialisiert ist. „Stress ist ein Nährboden für psychosomatische Erkrankungen“, betont er. Corona wirkt da wie ein Brandbeschleuniger. Doch Führungskräften wird Angst oft als Schwäche ausgelegt.

Dabei ist Angst nicht per se schlecht. „Uns ist evolutionär mitgegeben, bestimmte Risiken zu vermeiden“, sagt der Berliner Risikoforscher Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. „Im Job sind vor allem die Menschen erfolgreich, die ein wenig Angst haben“ – ohne eine gewisse Anspannung gibt es eben auch keine Höchstform. Herzrasen, Schwindel und Schwitzen sollten dabei aber nicht zu stark werden.

Wie also können Manager und Mitarbeiter lernen, mit ihren Ängsten umzugehen? Bei welchen Anzeichen sollten sie einen Arzt aufsuchen?

Angst vor dem Jobverlust: Oft belastender als Arbeitslosigkeit

Schon nach dem ersten Gespräch hat Psychotherapeut Willenborg seinen Patienten Bergmann in die ambulante Behandlung überwiesen – zu groß waren seine Ängste. Dabei muss natürlich nicht jeder, der um seinen Job fürchtet, gleich in eine Klinik. Aber: „Gerade Menschen, die sich sehr auf ihren Job fokussiert haben, denen Hobbys und Familie nicht so wichtig sind, leiden besonders unter dem drohenden Jobverlust“, sagt der Mediziner.

Typische Symptome sind: Schlaflosigkeit, Kopf- und Rückenschmerzen, Herzrhythmusstörungen – alles ohne organischen Befund. Hinzu kommen Antriebslosigkeit, Gereiztheit oder gar aggressives Verhalten gegenüber den Liebsten zu Hause. „Man nimmt sich, andere und die Zukunft nur noch als schlecht wahr“, beschreibt Mediziner Graz das Verhalten.

Hannes Zacher, Professor für Arbeitspsychologie an der Universität Leipzig, fügt erklärend hinzu: „Arbeitsplatzunsicherheit kann belastender sein als die Arbeitslosigkeit selbst.“ Aus einer üblicherweise vorübergehenden Niedergeschlagenheit wird dann eine chronische Depression.

Kommen weitere Stressoren dazu, wird die Angst unerträglich. Besonders perfide: Nicht nur Streit oder die Trennung vom Partner können stressen, sondern auch glückliche Ereignisse wie die Geburt eines Kindes oder eine Beförderung. Eine Panikspirale beginnt, die im Extremfall tödlich enden kann, was Studien belegen. Krisen treiben die Zahl der Selbstmordopfer deutlich nach oben.

Das hilft: Die Angst vor dem Jobverlust lässt sich in den Griff bekommen. „Posttraumatisches Wachstum“ nennen es Psychologen, wenn Betroffene aus einer Krise gestärkt hervorgehen. Was gelernt wird: die Widrigkeiten positiv zu bewerten, optimistisch zu denken, zu kommunizieren und zu handeln. Dabei geht es nicht darum, die Lage zu verharmlosen.

Hilfe zu suchen ist wichtig. Denn „geteilte Angst ist halbe Angst“, sagt Psychologe Zacher. Können Familie, Freunde oder Kollegen keinen Halt geben, dauern Motivationstief und Schlaflosigkeit länger als zwei Wochen an, rät Zacher, einen Spezialisten hinzuziehen.

Das sind Menschen wie Psychotherapeut Willenborg. Der Arzt sagt: „Es ist wichtig, die Angst auch ein Stück weit zu akzeptieren, um sie besser ertragen zu können.“ Sein Patient Bergmann sprach einen Monat lang in Gruppen- und Einzeltherapien über seine Sorgen und erlernte Techniken, sie zu reduzieren. Berater Bergmann musste sich etwa fragen, wie verhältnismäßig seine Angst ist und was im schlimmsten Fall droht. Der Patient hat inzwischen Antworten darauf gefunden.

Versagensangst und Sozialphobie: Blackout bei der Präsentation

Dass Marius Borg* Angst hat, wenn er vor seinen Chefs eine Präsentation halten muss, sieht man ihm an: Er ist hochrot im Gesicht, sein Herz rast, auf seinem Hemd zeigen sich Schweißflecken. Dabei ist der Diplom-Kaufmann aus Frankfurt, der bei einer großen Bank als Sachbearbeiter tätig ist, Experte auf seinem Gebiet. Doch Stress und das Gefühl, sich zu blamieren, bringen ihn in Not. Das Schlimmste: Versagensangst führt dann tatsächlich zum Blackout.

Das Beispiel, von dem Chefarzt Graz berichtet, ist kein Einzelfall: Menschen, die unter einer Sozialphobie leiden, fürchten das Zusammensein. Meetings, Geschäftsessen oder Betriebsfeste werden zur Qual. So ziehen sich Menschen wie Borg lieber in ihre Büros zurück, werden oft als Einzelgänger abgestempelt. Begegnungen fürchten sie so sehr, dass ihre Leistung darunter leidet.

„Betroffene sind sich meist völlig im Klaren darüber, dass sie sich eigentlich nicht fürchten müssten“, sagt Graz. Sie würden aber unter dem Gefühl leiden, zum tausendsten Mal eine Möglichkeit verpasst zu haben.

Das hilft: Mithilfe der kognitiven Verhaltenstherapie können Sozialphobiker lernen, durch Verhaltensexperimente ihre negativen Bewertungen zu überprüfen und durch neue Erfahrungen und angemessene Bewertungen zu ersetzen.

Wer zum Beispiel vor der gefürchteten Präsentation oder einem Auftritt als Redner das Szenario mit dem Partner oder mit Freunden durchspielt, kann seine Nervosität im Vorfeld abbauen. Schritt für Schritt wird der Teufelskreis aus Angst, körperlichen Reaktionen und negativen Erfahrungen aufgebrochen.

Psychotherapeut Willenborg sagt: „Es ist wichtig, sich der Angst zu stellen. Patienten sollen die Erfahrung machen, dass Ängste auch rückläufig sein können.“

Doch auch das Führungsteam kann helfen, indem es eine Unternehmenskultur etabliert, bei der Mitarbeiter über ihre Ängste und Nöte offen sprechen können. Der Furcht kann entgegengewirkt werden. Schüchterne Mitarbeiter können etwa bei der Vorbereitung von Präsentationen unterstützt werden, Moderatoren in Meetings darauf achten, dass auch die ruhigeren Mitarbeiter zu Wort kommen.

Panikattacken: Nur der Arzt kann helfen

Die Panik kommt aus heiterem Himmel, dauert manchmal nur wenige Sekunden, kann aber auch minutenlang anhalten. Derzeit behandelt Mediziner Graz einen Fußballmanager, der bis zu fünfmal am Tag unter solchen Attacken leidet, aber nie weiß, wann ihn die nächste überfällt. „Dann schnappt der Patient verzweifelt nach Luft. Während das Blut zu wenig Sauerstoff bekommt, explodieren gleichzeitig die Stresshormone“, berichtet der Mediziner. Es droht eine Ohnmacht – besonders heikel, wenn der Manager am Steuer sitzt.

Die Folge: Das Vertrauen in seinen Körper hat der Betroffene längst verloren. Er hat Angst vor der Angst – permanent.

Herzrasen, Engegefühl in der Brust, Atemnot, Taubheits- und Kribbelempfindungen sowie Übelkeit sind eigentlich klassische Symptome eines Herzinfarkts. Doch in mehr als 90 Prozent der Fälle steckt ein Angstanfall dahinter. Graz weiß: „Panikattacken sind eine der häufigsten Ursachen für falschen Alarm bei Notärzten.“

Von 100 Menschen erkranken mehr als sechs an dieser Störung, die zwischendurch aber auch jahrelang gar nicht auftreten kann. Panikattacken schränken den Alltag und das Arbeitsleben der Betroffenen ein. Sie ziehen sich zurück, fühlen sich stigmatisiert.

Das hilft: „Diese Art der Angst ist am schwersten zu behandeln“, sagt Mediziner Graz. Oft sind gerade die Leistungsträger zu beschämt über ihren körperlichen Zustand. Viele konsultieren daher keinen Arzt oder nehmen ihre Symptome nicht als psychosomatische Erkrankung an. So dauert es im Durchschnitt fünf Jahre, bis Betroffene einen versierten Psychotherapeuten aufsuchen.

Das weiß auch Maria Eponyma* aus Erfahrung: 2008, mit 22 Jahren, trat bei ihr die Panik zum ersten Mal auf. Mitten in der Nacht schreckte sie im Bett hoch, ihr wurde schwarz vor Augen. Die Diagnose im Krankenhaus: „Das ist psychisch. Sie müssen herausfinden, was Sie in Ihrem Leben ändern müssen.“

Eponyma, die kurz zuvor eine eigene Firma gegründet hatte, schenkte dem keinen Glauben. Doch die Panikattacken hörten nicht auf. Sie flüchtete sich in noch mehr Arbeit – bis sie irgendwann die Todesangst auch tagsüber einholte. „Ich spürte erst ein Kratzen im Hals.“ Dann folgte Atemnot. „Ich dachte, ich ersticke.“

Erst mit 27 Jahren vereinbarte sie die erste Therapiestunde. Dort bearbeitete sie Themen wie unterdrückte Wut und überzogene Erwartungshaltung an sich selbst. Heute ist die Atemnot zwar weiterhin da, aber nicht mehr so stark. Eine Lehre hat Eponyma gezogen: Die Panik ist ihr persönlicher Alarm. Dann gilt es hinzusehen, was gerade schiefläuft.

Um Panikanfällen vorzubeugen, empfiehlt Mediziner Graz regelmäßige Bewegung, Yoga und mentale Techniken zur Entspannung – das nimmt den Stress aus dem Alltag heraus. Auch einfache Übungen können die Zuversicht fördern – zum Beispiel, wenn Patienten Treppensteigen und bewusst wahrnehmen, wie sich Puls und Blutdruck unter Anstrengung und im Ruhezustand entwickeln.

Um während einer Attacke Schwindel und Ohnmacht zu vermeiden, helfen Atemübungen. Das reduziert die Zahl und Dramatik der Anfälle. „Patienten lernen damit zu leben und die Todesangst zu beherrschen“, sagt Mediziner Graz – und macht Mut: „Die Prognose ist gut, auch wenn die Erkrankung nicht völlig heilbar ist.“

Flugangst: Die Sorge, die nach der Pandemie zurückkehrt

Angela Merkel erstarrte, als die schwarze Labradorhündin die Kanzlerin zur Begrüßung beschnupperte. Das war vor einigen Jahren in Sotschi. Damals war die Kanzlerin zu Besuch beim russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin. Der schüchterte bewusst, so wurde vermutet, seine Besucherin ein. Offenbar war ihm bekannt, dass Merkel in ihrer Kindheit von einem Jagdhund angefallen worden war, sich seitdem vor Hunden ängstigt.

Meist gelingt es Tierphobikern, im Berufsleben dem Bürohund aus dem Weg zu gehen. Und wer etwa Angst vor engen Aufzügen hat, nimmt eben die Treppen. Bei Flugangst aber, die ebenfalls zu den sogenannten einfachen Phobien zählt, ist das nicht so einfach.

Ein Beispiel: Seit fünf Jahren hat der Projektleiter eines großen deutschen Automobilherstellers keine Maschine mehr bestiegen – zu groß ist die Angst vor einem Absturz. Seitdem weicht er auf Auto und Bahn aus, betreut nur Projekte im Inland. „Ich hasse, dass ich mich beruflich so einschränken muss“, sagt der Ingenieur.

Wie er leiden 13 Prozent der Deutschen unter Flugangst, weitere 26 Prozent fühlen sich über den Wolken zumindest unwohl, zeigt eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach.

In der Coronakrise, in der kaum noch ein Flugzeug abhebt, ist diese Angst momentan nicht ganz so wichtig. Nach dem Ende der Pandemie wird sie viele Geschäftsreisende aber wieder schmerzlich treffen – mit Atemnot, Herzrasen, Schweißausbrüchen, Übelkeit.

Und wer sich vor dem Fliegen fürchtet, sich womöglich mit Tabletten oder Alkohol betäubt, muss sich auch um seine Karriere sorgen – dann nämlich, wenn man kurzfristig den Flieger storniert oder Kollegen den Vortritt lässt.

Das hilft: Um Menschen von ihren Phobien zu befreien, konfrontieren Psychologen sie damit. Es geht darum, den Gegenstand der Angst zu „entkatastrophisieren“, wie Graz es nennt. Fakten, etwa wie häufig Aufzüge stecken bleiben, sowie das gedankliche Durchspielen, was schlimmstenfalls passiert, wenn man in einem geschlossenen Raum festsitzt, helfen. Das Ziel: sich der Angst bewusst zu stellen, um sie so zu überwinden.

So können Manager auch ihre Flugangst bewältigen. Sie besteht aus der Furcht, dass die Technik nicht funktioniert und aus psychologischen Sorgen wie Höhen- oder Platzangst. Abhilfe versprechen zweitägige Seminare.

Das Konzept: Piloten erklären, wie ein Flugzeug fliegt und welche Bedeutung die Geräusche haben. Psychologen vermitteln Strategien gegen die Angst, etwa Atemtechniken und Entspannungsübungen. Im besten Fall beinhaltet das Seminar auch einen Flug.

Die Anbieter werben mit einer Erfolgsquote von über 90 Prozent. Experten halten das für realistisch: „Flugangst ist eine Phobie, die man mit einer Konfrontationstherapie wieder in den Griff bekommen kann“, sagt Arbeitspsychologe Zacher. Ganz billig ist das aber nicht: Das Gruppenseminar kostet bis zu 900 Euro, Einzelcoachings sogar mehrere Tausend Euro.

* Namen von der Redaktion geändert