Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    17.737,36
    -100,04 (-0,56%)
     
  • Euro Stoxx 50

    4.918,09
    -18,48 (-0,37%)
     
  • Dow Jones 30

    37.986,40
    +211,02 (+0,56%)
     
  • Gold

    2.406,70
    +8,70 (+0,36%)
     
  • EUR/USD

    1,0661
    +0,0015 (+0,14%)
     
  • Bitcoin EUR

    60.048,43
    +527,82 (+0,89%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.369,05
    +56,43 (+4,30%)
     
  • Öl (Brent)

    83,24
    +0,51 (+0,62%)
     
  • MDAX

    25.989,86
    -199,58 (-0,76%)
     
  • TecDAX

    3.187,20
    -23,64 (-0,74%)
     
  • SDAX

    13.932,74
    -99,63 (-0,71%)
     
  • Nikkei 225

    37.068,35
    -1.011,35 (-2,66%)
     
  • FTSE 100

    7.895,85
    +18,80 (+0,24%)
     
  • CAC 40

    8.022,41
    -0,85 (-0,01%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.282,01
    -319,49 (-2,05%)
     

Die Pandemie wird zur Belastungsprobe: Kann Corona die EU zerstören?

„Die Coronakrise legt die Schwächen und Defizite Europas schonungslos offen“, sagt Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) (Bild: Getty)
„Die Coronakrise legt die Schwächen und Defizite Europas schonungslos offen“, sagt Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD).

Ausgerechnet in einer internationalen Notlage verliert die Europäische Union ihren Zusammenhalt – obwohl die Krise alle Mitgliedstaaten schwer trifft. Deutschland muss dagegenhalten.

In Italien werden Europaflaggen in Brand gesteckt – aus Wut über unterlassene Hilfeleistungen der Nachbarstaaten. In Frankreich frohlockt die Nationalistin Marine Le Pen: Das erste Opfer des Coronavirus sei die EU.

Die polnische Regierung verschiebt die Wahlen, um die Opposition zu überrumpeln, und Ungarn winkt ein Ermächtigungsgesetz durch: Die Bilder und Schlagzeilen der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die Coronakrise die Gräben in Europa vertieft. In Zeiten der Not steht der Kontinent nicht zusammen, im Gegenteil: Er strebt auseinander. Grenzen werden geschlossen, Feindbilder heraufbeschworen.

WERBUNG

Corona-Krise: Verfolgen Sie die aktuellen Entwicklungen in unserem Liveblog

Die Bundesregierung betrachtet das mit Sorge, vor allem im Auswärtigen Amt wächst die Angst um Europa: „Die Coronakrise legt die Schwächen und Defizite Europas schonungslos offen“, sagt Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) im Gespräch mit dem Handelsblatt. Der Außenpolitiker Norbert Röttgen, Kandidat für den CDU-Parteivorsitz, warnt sogar: „Die Europäische Union ist in Gefahr wie nie zuvor.“

Zum Trauma der unbewältigten Flüchtlingskrise hinzu kommt nun eine Pandemie, die, so fürchtet Röttgen, innerhalb der europäischen Länder „historische Erfahrungen“ prägen werde: „Als es wirklich ernst wurde, haben wir von Europa nicht viel gesehen.

Da waren auf einmal Grenzkontrollen, jeder hat für sich geschaut, wo er bleibt. Wenn dies das europäische Resümee der Krise bleiben sollte, wird sich das tief in die kollektive Erinnerung der Europäer einbrennen“, befürchtet Röttgen.

Nord kämpft gegen Süd

Noch jedenfalls spaltet sich Europa nicht auf. Aber die Krise verstärkt die Fliehkräfte, die seit Jahren an der Union zerren. Ost gegen West, Nord gegen Süd: Einzelne Staatengruppen stehen sich zunehmend antagonistisch gegenüber.

Unter dem Vorwand der Viruseindämmung dehnt die nationalkonservative Regierung in Ungarn ihre Macht aus – und stellt damit die demokratischen Grundwerte infrage, auf denen das europäische Projekt beruht. Zugleich verkeilen sich die wirtschaftlich angeschlagenen Südländer und die finanziell robusten Nordländer in einer Debatte um die Aufteilung der Krisenlasten.

Unterstützt von Spanien und Frankreich fordert Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte gemeinsame europäische Staatsanleihen zur Bewältigung der Krise, sogenannte Corona-Bonds. „Wenn wir eine Union sind, dann ist jetzt der Zeitpunkt, dies zu beweisen“, schreibt Conte in einem Gastbeitrag für die „Zeit“.

Obdachloser in Rom: In der Coronakrise kümmern sich alle Nationalstaaten vor allem um sich. Dabei ist die Pandemie ein globales Problem. (Foto: AFP)
Obdachloser in Rom: In der Coronakrise kümmern sich alle Nationalstaaten vor allem um sich. Dabei ist die Pandemie ein globales Problem. (Foto: AFP)

Doch Corona-Bonds sind, wie Euro-Bonds während der Euro-Krise, zum politischen Kampfbegriff geworden. Und je lautstärker sie eingefordert werden, sei es in Rom, Madrid oder Paris, desto stärker wird die Abwehrhaltung in Amsterdam, Helsinki und Berlin – und dort vor allem in den Reihen von CDU und CSU. Als „Phantomdebatte“ tut Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die von den Südeuropäern angestoßene Diskussion ab.

Und sein Staatssekretär Thomas Bareiß hält selbst die mögliche Kompromisslösung – auflagenfreie Notkredite des europäischen Rettungsschirms ESM – für hochgradig bedenklich. ESM-Kredite seien „aus gutem Grund“ an Bedingungen geknüpft worden, findet Bareiß. „Das sollte man nicht von heute auf morgen außer Kraft setzen.“

Europäische Solidarität

Die Unversöhnlichkeit, „der Absolutismus“, mit dem beide Seiten die Schuldendebatte führten, sei gefährlich, mahnt Röttgen: „Ein umstrittenes Instrument zum Glaubwürdigkeitstest für die EU zu machen, wie es Italien derzeit tut – das ist kein kluges politisches Verhalten“, sagt er.

Doch das „kategorische Nein“ aus anderen europäischen Ländern sei auch nicht förderlich für den europäischen Zusammenhalt. „Wir brauchen eine vernünftige, pragmatische Diskussion über europäische Solidarität in und nach der Krise, keinen zermürbenden Stellungskrieg um Euro-Bonds“, verlangt Röttgen. Diese Debatte müsse „vorbehaltlos“ geführt werden, gerade auch von deutscher Seite.

Und die Bundeskanzlerin? Sie schweigt zum Thema Europa. Ein klares Bekenntnis zur Solidarität innerhalb der Euro-Zone ist Angela Merkel bisher nicht über die Lippen gekommen. „Die Bundesregierung müsste genauso entschlossen europäisch handeln, wie sie es national tut“, kritisiert Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.

Stattdessen aber hat Deutschland, gerade in den ersten Wochen der Krise, anderen das Feld überlassen. Vor allem die Chinesen haben die Chance genutzt, um sich in Südeuropa als Retter zu inszenieren. Inzwischen steuert die Bundesregierung zwar gegen. Deutsche Klinken nehmen Schwerstkranke aus Italien und Frankreich auf, Transportmaschinen bringen dringend benötigte Schutzmasken und Beatmungsgeräte in die italienischen Krisenregionen.

Doch in den Onlinenetzen dominieren andere Bilder: die Lieferung chinesischer Atemschutzmasken – auch wenn sich diese wenig später als nutzlos erweisen – oder die Ankunft eines kubanischen Ärzteteams in der Lombardei.

„Hilfslieferungen sind willkommen, egal, woher sie kommen“, betont Staatsminister Roth. „Aber wir sollten wachsam sein. Die chinesischen Hilfen sind selbstverständlich kein Akt reiner Nächstenliebe.“

Mehr zum Thema: 13 EU-Staaten warnen vor Schäden für Grundrechte durch Corona-Notfallmaßnahmen

Wettkampf der Systeme

Europa befinde sich in einem Wettkampf der Systeme: „Seit Jahren versuchen autoritäre Regime systematisch, die westlichen Demokratien, unsere offenen, liberalen und pluralen Gesellschaften zu diskreditieren.“ Roth beklagt, dass es den Europäern zu selten gelinge, „positive Bilder der eigenen Solidarität“ zu generieren: „Die EU muss in der emotionalen Wahrnehmung der Menschen stärker werden.“

Es gehe nicht darum, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Es gehe „um die Selbstbehauptung Europas und europäischer Werte in einer Welt, in der das Autoritäre an Kraft gewinnt und die Demokratie massiv unter Druck gerät“.

In einem gemeinsamen Appell wenden sich nun 40 Abgeordnete aus 25 EU-Ländern, darunter Brantner und der SPD-Politiker Lars Castellucci, an die Regierungen Europas. „Es wäre ein Irrtum zu glauben, Nationalstaaten könnten globalen Herausforderungen allein erfolgreich begegnen“, heißt es in dem Schreiben, das dem Handelsblatt vorab vorlag. „Das Virus kennt keine Grenzen, und die Antwort auf das Virus darf auch keine Grenzen kennen.“

Das Auseinanderdriften der Europäer kommt ausgerechnet in einer Zeit, in der alle Länder wegen des Coronavirus tief in Rezessionen stürzen, Zusammenhalt in der wirtschaftlichen Not eigentlich umso mehr angezeigt wäre. Wie schlimm die Lage aktuell ist, zeigte am Mittwoch der IHS-Markit-Einkaufsmanagerindex Industrie, ein wichtiger Konjunktur-Frühindikator für die Euro-Zone.

Nach dieser Umfrage waren die Rückgänge von Produktion, Auftragseingängen und Einkaufsmengen im März die stärksten seit April 2009, mitten in der Finanzkrise. Am tiefsten steckt demnach Italien in der Krise, gefolgt von Irland, Frankreich und Spanien. Die Grenzschließungen verschärften europaweit die Krise der Industrie noch, weil sich Lieferzeiten deutlich verlängerten.

Tiefe Rezessionen

Auch das Ifo-Institut beschrieb anhand neuer Rechnungen die Gemeinsamkeiten im europäischen Leid. Ifo-Ökonom Andreas Peichl warnte am Mittwoch vor der schlimmsten Rezession der Nachkriegszeit für ganz Europa.

Wenn der Kampf gegen das Coronavirus zu langen Produktionsausfällen führen sollte, drohten demnach nicht nur Deutschland, sondern in ganz Westeuropa Wachstumseinbrüche im zweistelligen Bereich. Grob zusammengefasst kostet jeder Monat des Lockdowns jedes größere EU-Land einen Verlust von sechs Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Eigentlich müsste Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Land Europas jetzt eine Führungsrolle übernehmen, doch der politische Diskurs steckt fest, in europapolitischen Fragen ist die Regierungskoalition gelähmt.

Das liegt vor allem daran, dass es in den Reihen von CDU und CSU große Vorbehalte gegen jegliche Finanzhilfen an Südeuropa gibt. Sogar jetzt, in der Coronakrise, die eine Naturkatastrophe ist und kein Versäumnis einzelner Regierungen.

Koalition zerstritten

Beim Koalitionspartner wächst die Verärgerung über die Blockadehaltung der Union. „Deutschland steht in der Pflicht, Vorschläge zu unterbreiten und in die Initiative zu gehen“, sagt SPD-Außenpolitiker Christoph Matschie. Schließlich übernehme die Bundesrepublik im Sommer die europäische Ratspräsidentschaft.

Das bedeute auch, dass „wir eine offene Debatte um Corona-Bonds führen müssen“. Die Nothilfen des ESM, an denen derzeit das SPD-geführte Finanzministerium arbeitet, könnten nur ein erster Schritt sein. Matschie klagt: „CDU und CSU müssen schnell klären, wo sie stehen.“

SPD-Europapolitiker Metin Hakverdi hält gemeinsame Staatsanleihen perspektivisch für das richtige Mittel. Um schon jetzt handlungsfähig zu sein, müsse aber zunächst der ESM reformiert werden: „Wir müssen die ESM-Nothilfe von Konditionen befreien, denn die Konditionierung wird in Italien als Geißel empfunden – und nicht als Akt der Solidarität“, sagt Hakverdi. Es sei in Deutschlands nationalem Interesse, „schwere wirtschaftliche Verwerfungen in Südeuropa zu verhindern“.

So sehen es auch die Grünen. Brantner warnt: „Wenn die Hälfte des Binnenmarkts daniederliegt, wird auch bei uns kein Aufschwung der Wirtschaft möglich sein.“

Sehen Sie im Video: Europa kämpft gegen Covid-19: