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„Ostdeutsche Renten sind jetzt schon höher als im Westen“

Eigentlich sind sich Union und SPD über die Angleichung von Ost- und Westrenten einig. Doch der CDU-Wirtschaftsrat hält dagegen: Die Anpassung der Ostrenten sei ungerecht gegenüber Westrentnern und Arbeitnehmern.

Offiziell sind sich Union und SPD eigentlich einig über die letzte größere Rentenreform in dieser Legislaturperiode: die Angleichung von ost- und westdeutschem Rentenrecht, fast 30 Jahre nach der deutschen Einheit. So hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles es zumindest verkündet, als sie Anfang Januar ihren mit dem Kanzleramt abgestimmten Referentenentwurf an die Verbände schickte.

Doch der Wirtschaftsflügel der Union will sich weiterhin nicht abfinden mit Nahles’ Plan, den aktuellen Rentenwert in Ostdeutschland bis 2020 stufenweise auf Westniveau anzuheben. Während im Gegenzug der nur für Ostdeutschland geltende Höherwertungsfaktor schrittweise abgeschafft würde.

Er könne die Koalition nur davor warnen auf diese Weise die Ostrentner noch weiter im Vergleich zu den Rentnern im Westen zu begünstigen, teilte am Montag der Wirtschaftsrat der CDU mit. „Bereits heute liegen die gesetzlichen Renten im Osten im Schnitt um über 20 Prozent höher als im Westen – und das bei niedrigeren Lebenshaltungskosten“, begründete der Generalsekretär des Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger den Vorstoß.

Schuld sei die Rentenpolitik der Vergangenheit. Sie habe dafür gesorgt, „dass für Durchschnittslöhne der 1980er-Jahre im Osten dreimal so viele Rentenpunkte wie im Westen gutgeschrieben werden. Jetzt die Ostrenten noch zusätzlich anzuheben, „vergrößert die Ungerechtigkeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung“, so Steiger.

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Die Kritik klingt abenteuerlich. Heute kann sich fast niemand mehr vorstellen, dass es einen so eklatanten Unterschied in der Rentenberechnung für ein und denselben Beruf zwischen Ost und West gab. Doch genau so war es: Bei der Wiedervereinigung lag das Lohnniveau in den neuen Bundesländern nur bei 40 Prozent der Westlöhne. Wer damals in Rente ging, hätte von einer auf Basis dieser Niedriglöhne berechneten Rente nicht leben können.

Also entschied die Politik, die Differenz zwischen dem Lohnniveau in West und Ost bei der Berechnung der Renten durch einen Höherwertungsfaktor auszugleichen. Für Versicherungszeiten des Jahres 1985, als die Ostlöhne noch niedriger waren als zu Zeiten der Wiedervereinigung, galt nach dieser Sonderrentenformel Ost sogar ein Aufwertungsfaktor von 3,3. Das bedeutet: Für einen durchschnittlichen Jahresbeitrag erhielten Ostdeutsche damals drei Mal so viel Rente wie ein gleich viel verdienender Arbeitnehmer in Westdeutschland. Das meint der CDU-Wirtschaftsrat, wenn er von einer Verdreifachung der Rentenpunkte im Osten während der 1980er-Jahre spricht.

Heute ist der Aufwertungsfaktor deutlich kleiner, da die Ostlöhne seither aufgeholt haben. Doch er leidet an einem Konstruktionsfehler, der zu einer zusätzlichen Begünstigung ostdeutscher Rentner führt. Er ist etwas höher als er sein müsste, um die unterschiedliche Höhe zwischen ost- und westdeutschem Rentenwert auszugleichen. Unter dem Strich werden Ostrenten also stärker aufgewertet, als der Gesetzgeber eigentlich geplant hatte.


Die Verlierer sind die Jungen

Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen macht diese über Jahrzehnte praktizierte Besserstellung dafür verantwortlich, dass die Ostrenten im Durchschnitt – trotz der deutlich niedrigen Löhne – inzwischen sogar höher sind als im Westen.

Laut Rentenversicherung liegt die Durchschnittsrente im Westen bei 787 Euro, im Osten aber bei 964 Euro im Monat. Männer erreichen im Osten eine durchschnittliche Altersrente von 1124 Euro. In den alten Ländern sind es nur 1040 Euro. Genau diese Ungleichheit, so die gemeinsame Kritik Raffelhüschens und des CDU-Wirtschaftsrates, wird durch Nahles Reform nicht etwa verkleinert – sie wird im Gegenteil sogar noch vergrößert.

Der Kern der Reform zur Angleichung des Rentenrechts ist nämlich, von 2018 bis 2025 den aktuellen Rentenwert jedes Jahr stärker steigen zu lassen als die Löhne. Dies bedeutet aber, wer heute in den neuen Bundesländern schon eine im Vergleich zum Westen hochgewertete Rente bezieht, darf sich in den kommenden Jahren über weitere außerordentliche Rentenerhöhungen freuen. Dies gilt auch für Versicherte die in dieser Zeit in Rente gehen.

Am stärksten profitieren unterm Strich Menschen, die bereits zu DDR-Zeiten berufstätig waren. Benachteiligt im Vergleich zum geltenden Recht sind dagegen die Jungen. Sie verlieren nämlich bis 2025 den Höherwertungsfaktor. Raffelhüschens Fazit, dass er bereits vor einigen Tagen in der „Rheinischen Post“ gezogen hat: „Was jetzt als Ost-West-Renten-Angleichung geplant ist, erhöht nicht die Gleichheit. Im Gegenteil: Die Gerechtigkeit wird mit Füßen getreten.“

Das auch, weil die Extra-Rentenerhöhungen für die ostdeutschen Rentner zum allergrößten Teil von Beitragszahlern, also den heute Aktiven gezahlt werden müssen, die deshalb selbst keine höheren Rentenansprüche erhalten sollten. Denn von den über 15 Milliarden Euro, die Nahles’ Reform bis 2025 kosten soll, soll der Steuerzahler über einen höheren Bundeszuschuss an die Rentenversicherung nur etwas mehr als zwei Milliarden Euro übernehmen.

„Nach Rente mit 63 und Mütterrente ist das ein weiteres Draufsatteln und erhöht die Beitragszahlungen mittel- und langfristig. Zusätzliche Belastungen der erwerbstätigen Generation und der Wirtschaft darf es aber nicht geben. Denn spätestens, wenn ab 2020 die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, lasten die Beiträge ohnehin schwer genug auf den Jungen und unserer Wirtschaftskraft“, meint dazu der Generalsekretär des Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hält ihre Reform gleichwohl für angemessen. Ihr geht es darum, das Versprechen des Koalitionsvertrags einzulösen und ein einheitliches Rentenrecht für West- und Ostdeutschland zu erreichen. Dass die ostdeutschen Rentner dafür ein weiteres Mal begünstigt werden müssen, hält die Ministerin für gerechtfertigt. Die einzige Alternative zu ihrer Reform wäre eine Beibehaltung der aktuellen Rechtslage, heißt es in ihrem Gesetzentwurf. „Hierdurch würden rund 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung auf unabsehbare Zeit weiterhin besondere Regelungen für die Rentenberechnung in den neuen Bundesländern gelten.“ Das im Einigungsvertrag vereinbarte Ziel der Angleichung der Renten würde auf „absehbare Zeit“ nicht erreicht, „so dass von dieser Alternative abgesehen wird“.

Nahles macht sich zudem Hoffnungen, dass die Reform am Ende doch nicht so teuer wird. Laut Gesetzentwurf steigen die Mehrausgaben der Rentenversicherung wegen der Sondererhöhungen der Ostrenten ab 2018 von zunächst 600 Millionen Euro pro Jahr auf 3,9 Milliarden Euro ab 2025, wenn nach der siebten außerordentlichen Rentenerhöhung der aktuelle Rentenwert Westniveau erreicht haben wird. Bei dieser Rechnung wird aber davon ausgegangen, dass die Löhne im Osten in Zukunft nicht schneller steigen als im Westen und damit das Lohnniveau bei rund 87 Prozent des Westniveaus stagniert.

Da der Lohnangleichungsprozess zwischen 2000 und 2014 nahezu zum Stillstand gekommen war und erst in den vergangenen Jahren, auch durch die Einführung des Mindestlohns, in Bewegung gekommen ist, ist das eine seriöse Annahme. Sollte sich aber der stärkere Anstieg der Ostlöhne in der jüngsten Vergangenheit weiter fortsetzen, würden die Reformkosten deutlich sinken.

KONTEXT

Zentrale Zahlen zur Rente

Erhöhung

Zum 1. Juli 2016 gab es eine Rekordanhebung der Rente: In Westdeutschland stiegen die Bezüge im Sommer um 4,25 Prozent, in den neuen Ländern um 5,95 Prozent. Bis 2019 werden nur noch Erhöhungen jeweils unter 3 Prozent prognostiziert.

Rentenniveau

Die Rente hinkt den Löhnen somit immer stärker hinterher. Bis 2035 fällt das Rentenniveau von heute 47,8 Prozent nach Berechnungen des Sozialministeriums auf unter 43 Prozent - bis 2045 könnte es auf 41,6 Prozent sinken. Das will Nahles nun verhindern.

Beitragssatz

Er dürfte nach den vorläufigen Zahlen von heute 18,7 Prozent 2031 auf über 22 Prozent steigen. Der Satz ist nach geltendem Recht auf 22 Prozent bis 2030 begrenzt. Nach den aktuellen Zielen soll er auch bis 2045 nicht über 25 steigen.

Rücklage

Die Reserve der Rentenkasse, die Nachhaltigkeitsrücklage, sank von Juli bis August um mehr als eine Milliarde auf 30,9 Milliarden Euro.