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Wo Operationen gefährlich sind

Die AOK warnt in ihrem neuen Krankenhausreport vor Kliniken, die bestimmte Operationen nur selten durchführen. Sie fordert gesetzliche Mindestmengen für schwierige Eingriffe. Vorbild könnten die USA sein.

Es ist kein Einzelfall: Eine Frau wird wegen einer gutartigen Vergrößerung der Schilddrüse operiert und kann hinterher nicht mehr sprechen. Eine der beiden Stimmlippen ist gelähmt: Der Operateur hat beim Eingriff versehentlich den Nerv durchtrennt, der die Stimmlippe in Bewegung setzt.

Wer das vermeiden will, sollte sich für eine solche Operation tunlichst ein Krankenhaus aussuchen, das ähnliche Eingriffe oft macht. Dies ist ein Ergebnis des neuen Krankenhausreports, den das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen am Dienstag vorgestellt hat.

„Jährlich werden in Deutschland 75.000 Schilddrüsenoperationen in mehr als 1000 Krankenhäusern durchgeführt“, erläutert Jürgen Klauber, Geschäftsführer des Wido. „Wir haben die zwischen 2011 und 2013 an 57.000 AOK-Versicherten durchgeführte Operationen bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen untersucht und herausgefunden, dass ein Fünftel der Patienten in Häusern versorgt wurden, die diese Operation 2013 maximal 55 Mal durchgeführt haben.“

Bei einem Fünftel der Kliniken habe es mindestens 384 Eingriffe im Jahr gegeben. „Und wir haben herausgefunden, dass nach Risikoadjustierung ein mehr als doppelt so hohes Risiko für eine dauerhafte Stimmbandlähmung für das Fünftel der Patienten besteht, das in den Kliniken mit den geringsten Fallzahlen operiert wird.“

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Das bedeutet allerdings nicht, dass es in Kliniken mit vielen Operationen keine Fehler gibt. Das zeigt sich bei den Hüftoperationen. 134.000 AOK-Patienten erhielten 2012 bis 2014 in 1061 Krankenhäusern bei Arthrose ein neues Hüftgelenk. Dort kam es auch bei dem Fünftel der Kliniken innerhalb eines Jahres zu Nachoperationen, in denen Hüften 211 Mal oder häufiger operiert wurden. Allerdings war bei dem Fünftel Kliniken, in denen maximal 39 Operationen pro Jahr durchgeführt wurden, das Risiko auf eine erneute Operation doppelt so hoch.

Richtig gefährlich wird es bei komplizierten Operationen an der Bauchspeicheldrüse oder der Speiseröhre. Hier gibt es bereits eine gesetzliche Untergrenze: Kein Krankenhaus darf diese Operation durchführen, das weniger als zehn solcher Eingriffe im Jahr macht. Nach den Untersuchungen des Wido dürfte diese Mindestmenge aber noch zu niedrig sein.

Die Auswertung der Daten für AOK-Patienten mit Operationen der Bauchspeicheldrüse ergab nicht nur, dass das Risiko für Operierte in dem Fünftel der Häuser mit der geringsten Zahl an Operationen binnen eines Jahres nach der Operation zu sterben um 73 Prozent erhöht war im Vergleich zu denen, die in den 20 Prozent der Kliniken mit der höchsten Fallzahl operiert wurden. Es kam auch heraus, dass bei einem Fünftel der Häuser mit der zweithöchsten Fallzahl von 13 bis 23 das Sterberisiko immer noch um 50 Prozent erhöht war.


Vorbild USA

Für Martin Litsch, den Vorstandschef des AOK-Bundesverbands, ist es daher alles andere als ein Zufall, dass es in den USA viel mehr und vor allem viel höhere Vorgaben für Mindestmengen gibt als in Deutschland. So darf die Bauchspeicheldrüse in den USA nur an einer Klinik operiert werden, in der mindestens 20 derartige Eingriffe im Jahr durchgeführt werden. Auch für den operierenden Arzt gelten Mindestmengen. Bei der Bauchspeicheldrüse sind es fünf Operationen im Jahr. Beim Einbau einer künstlichen Hüfte muss der Chirurg sogar nachweisen, dass er mindestens 25 Mal im Jahr eine solche OP macht. Die Klinik muss mindestens 50 OPs nachweisen.

In Deutschland gelten für Hüft-Operationen bisher keinerlei Mindestmengen. Immerhin gibt es diese für ein künstliches Knie-Gelenk. Hier kommen in Deutschland wie in den USA nur Kliniken zum Zuge, die mindestens 50 Mal im Jahr einen solchen Eingriff machen. Nur für sieben komplexe Leistungsbereiche gibt es bisher in Deutschland Mindestmengen, darunter Nierentransplantationen, die schon genannten Knie-Operationen oder die Behandlung von Frühgeborenen.

Dies sei viel zu wenig, meint Litsch. Er verweist darauf, dass durch die letzte Krankenhausreform die Festlegung von Mindestmengen erleichtert worden sei. Aber die Umsetzung gehe nur schleppend voran. Litsch kann sich bei seiner Forderung auch auf medizinische Fachgesellschaften stützen. Die plädieren etwa bei Frühgeburten für eine Mindestmenge von 500 Geburten pro Jahr und Klinik. Für Hüft-Operationen fordere die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie 100 Eingriffe pro Jahr, bei der Schilddrüsen OP wünscht sich die zuständige Fachgesellschaft eine Mindestmenge von 120 Eingriffen pro Jahr.

Das Beispiel Operationen des Brustkrebses findet Litsch besonders schlagend. Hier gilt für die von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten Zentren eine Mindestmenge von 100 Erstbehandlungen pro Jahr. Jeder Chirurg muss mindestens 50 Eingriffe im Jahr nachweisen. Allerdings: Tatsächlich gibt es in Deutschland immer noch Krankenhäuser, die nur acht Mal im Jahr operieren und trotzdem nicht vom Netz genommen werden.

Hartwig Bauer, ehemaliger Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, hält es für besonders wichtig, dass auch der Operateur Mindestmengen nachweisen muss. Je häufiger ein Arzt einen bestimmten Eingriff mache, umso schneller gehe ihm die OP von der Hand. Und das bedeute in aller Regel weniger Belastung für den Patienten und weniger Fehler.

Allerdings helfen die schönsten Mindestmengen nicht, wenn sie nicht eingehalten werden. Denn der Krankenhausreport der AOK belegt auch, dass von den 700 Krankenhäusern, die 2014 insgesamt 12.000 Operationen an der Bauchspeicheldrüse durchführten, die Hälfte die eigentlich zu kleine Mindestmenge von zehn nicht erreichten. Bei Operationen der Speiseröhre waren es sogar fast drei Viertel der Krankenhäuser.


Was der AOK-Chef von den Bundesländern fordert

AOK-Chef Litsch sieht beim Thema Unterschreiten der Mindestmengen vor allem die für die Krankenhausplanung zuständigen Bundesländer in der Pflicht. „Die Bundesländer müssen die Krankenhäuser identifizieren, die die jährlichen Mindestmengen unterschreiten und ihnen die Versorgungsverträge kündigen. Dazu sind sie seit der 2016 in Kraft getretenen Krankenhausreform ausdrücklich ermächtigt.“ Dabei gehe es nicht darum, ganze Krankenhäuser aus der Versorgung herauszunehmen, sondern nur den Bereich komplizierter Operationen, bei denen Mindeststandards nicht erreicht werden. Für die Krankenkassen wünscht sich Litsch vom Gesetzgeber mehr Rechte, gezielt mit den Krankenhäusern Verträge zu schließen. Diese sollen bei komplizierten Operationen gute Qualität liefern. Den Versicherten empfiehlt der AOK Chef, sich vor jeder planbaren Operation kundig zu machen – zum Beispiel beim Krankenhausnavigator der AOK.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft reagiert überraschend positiv auf die Forderungen der Ortskrankenkassen, mehr Mindestmengen festzulegen. „Die mit der Krankenhausreform geschaffenen neuen gesetzlichen Grundlagen sind eine gute Grundlage, Mindestmengen für weitere relevante medizinische Leistungen einzuführen und die bestehenden weiterzuentwickeln“, erklärte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Mindestmengen seien aber kein Allheilmittel. „Die Studien des Reports zeigen, dass bei hochkomplexen Leistungen – wie Krebsoperationen an der Speiseröhre – Mindestmengen alleine keine Lösung sind.“ Notwendig seien vielmehr interdisziplinäre Teams und den gesamten Behandlungsprozess umfassende organisatorische und strukturelle Rahmenbedingungen – von der OP bis zur Versorgung auf der Intensivstation.

„Die Krankenhäuser sind längst dabei, solche Strukturen in spezialisierten Zentren zu entwickeln.“ Allerdings blockiere der Spitzenverband der Krankenkassen die Gründung solcher Zentren derzeit, weil er die finanzielle Zusatzförderung solcher Zentren verweigere.

KONTEXT

Der aktuell gültige Mindestmengenkatalog

Allgemein

Ein Mindestmengenkatalog setzt sich durch G-BA-Mindestmengenregelungen zusammen. Diese legt für einige planbare Leistungen Mindestmengen fest. Krankenhäuser, die die festgelegten Mindestmengen pro Krankenhaus nicht erfüllen, dürfen diese Eingriffe nur dann ausführen, wenn andernfalls eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung gefährdet wäre und dies von der zuständigen Landesbehörde genehmigt wird.

Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Krankenhaus-Report 2017

Kniegelenk-Totalendoprothesen

Bei der totalen Endoprothese des Kniegelenks wird das echte Gelenk vollständig entfernt und durch künstliche Materialien ersetzt. Mit 50 Operationen im Jahr erfüllt ein Krankenhaus die aktuell gültige Mindestmengenregelung.

Nierentransplantation

Nur die Hälfte, nämlich 25 Operationen, werden pro Krankenhaus und Jahr für lebensrettenden Nierentransplantationen vorgesehen.

Stammzelltransplantation

Ebenso viele (25 pro KH p.a.) werden für Stammzelltransplantationen gelistet. Eine Stammzelltransplantation findet während eines stationären Krankenhausaufenthaltes statt, meist in einem spezialisierten onkologischen Zentrum.

Lebertransplantation

Lebertransplantationen sind mit einer Mindestmenge von 20 pro KH p.a. im Mindestmengenkatalog aufgeführt.

Versorgung von Früh- und Neugeborenen

Mehr als halbiert wurde die Mindestmenge für die Versorgung von Früh- und Neugeborenen. Vor dem Beschluss vom 19.1.2012 wurde diese auf 30 festgelegt, aktuell sind es nur noch 14.

Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus

Komplexe Operationen bei schweren Erkrankungen der Speiseröhre werden mit zehn Eingriffen pro Jahr und Krankenhaus aufgeführt.

Komplexe Eingriffe am Organsystem Pankreas

Exakt gleich viele (10 pro KH p.a.) müssen Krankenhäuser für komplexe Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse einplanen.

Koronarchirurgische Eingriffe

Für koronarchirurgische Eingriffe, wie zum Beispiel Bypässe, erfolgt aktuell die Aufnahme in den Katalog vorerst ohne die Festlegung einer konkreten Mindestmenge.

KONTEXT

Die Mindestmengenvorgaben USA - Deutschland

Der Report

Im Krankenhausreport 2017 werden die aktuellen Mindestmengenvorgaben zwischen Klinikgruppen/Chirurgen in den USA und Krankenhäusern in Deutschland gegenüber gestellt. Ein Überblick:

Quelle: Bauer 2017. Mindestmengen in der Chirurgie - sind wir weit genug? Krankenhaus-Report 2017.

Bariatrische Chirurgie

Klinikgruppen USA: 40

Chirurg USA: 20

Deutsche Klinik: Keine

Speiseröhrenkrebs

Klinikgruppen USA: 20

Chirurg USA: 5

Deutsche Klinik: 10

Lungenkrebs

Klinikgruppen USA: 40

Chirurg USA: 40

Deutsche Klinik: Keine

Bauchspeicheldrüse

Klinikgruppen USA: 20

Chirurg USA: 5

Deutsche Klinik: 10

Rektum

Klinikgruppen USA: 15

Chirurg USA: 6

Deutsche Klinik: Keine

Karotis-Stenting

Klinikgruppen USA: 10

Chirurg USA: 5

Deutsche Klinik: Keine

Komplexer Eingriff bei Bauchaortenaneurysma

Klinikgruppen USA: 20

Chirurg USA: 8

Deutsche Klinik: Keine

Mitralklappenersatz

Klinikgruppen USA: 20

Chirurg USA: 20

Deutsche Klinik: Keine

Totalendoprothese Hüfte (HEP)

Klinikgruppen USA: 50

Chirurg USA: 25

Deutsche Klinik: Keine

Totalendoprothese Knie (KEP)

Klinikgruppen USA: 50

Chirurg USA: 25

Deutsche Klinik: 50