„Operation am offenen Herzen“
Gebräunt, gut gelaunt und gesprächsfreudig präsentiert sich Urs Rohner in der Credit-Suisse-Zentrale am Züricher Paradeplatz. Munter plaudert der Verwaltungsratschef darüber, dass seine Branche vielen wohl auch deshalb fremd sei, weil sie vor Anglizismen nur so strotze. Meistens suche er selbst verzweifelt nach einem deutschen Fachbegriff, der nicht zu bürokratisch klingt. Allerdings sei die Sprache noch das geringste Problem der mit Vertrauensverlusten, Negativzinsen und einer schärferen Regulierung kämpfenden Banken, räumt der 56 Jahre alte Fan von Filmklassikern ein.
Herr Rohner, die Stadtverwaltung im schweizerischen Zug hat angekündigt, dass die Bewohner der Stadt ihre Rechnungen künftig auch in der Digitalwährung Bitcoin bezahlen können. Ist das nur ein Werbegag?
Ich glaube, dass zumindest die Technologie, die dahintersteht, schon bald einen großen Einfluss haben wird. Und zwar sowohl auf unseren Alltag als auch auf den Finanzsektor.
Und das, obwohl die Technologie nicht einmal sicher ist? Regelmäßig werden doch Bitcoin-Börsen von Hackern geknackt.
Ich bezweifele, dass es Bitcoins sein werden. Aber noch mal: Die grundsätzliche Technologie namens Blockchain …
… also eine Art digitales und dezentrales Buchführungssystem …
… diese Technologie wird großen Einfluss haben. Daran arbeiten die meisten großen Banken schon jetzt, wir übrigens auch.
Betrifft das nur den Zahlungsverkehr?
Ich kann mir am Ende viele Anwendungen vorstellen bis hin zu Transaktionen im Bereich von Liegenschaften. Wir beschäftigen uns wie gesagt intensiv mit diesen Themen und werden auch die Strategiesitzung des Verwaltungsrats dieses Jahr im Silicon Valley abhalten. Nicht weil wir gerne lange Reisen unternehmen, sondern weil wir dort Credit Suisse Labs betreiben und uns vor Ort informieren lassen wollen.
Und was wollen Ihre ganz gewöhnlichen Privatkunden in einer digitalen Welt?
Da muss jedem Bankvorstand eines klar sein: Unsere Kinder gehen nicht mehr in eine Bankfiliale, um alltägliche Bankgeschäfte wie Überweisungen zu tätigen. Selbst eine Kontoeröffnung ist digital viel einfacher zu bewerkstelligen.
Also beginnt schon bald das große Filialsterben?
Filialen werden wir einstweilen weiterhin haben. Es wird aber zwei Welten geben: einmal diejenigen Kunden, die fast alles online und in Eigenregie erledigen, und jene, die immer noch lieber mit ihrem Bankberater beim Mittagessen den Jahresplan durchgehen.
Klingt nach viel Zukunftsmusik. In Deutschland bezahlen beispielsweise immer noch die meisten am liebsten mit Bargeld.
Ganz Europa hat ein besonderes Verhältnis zum Bargeld, das stimmt. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass auch deutsche Banken und ihre Kunden diese Entwicklung mitmachen werden. Letztlich wird der enorme Kostendruck zwangsläufig dazu führen, dass Banken einen immer größeren Teil ihres Geschäftsmodells digitalisieren werden – und dass sie ihre Kräfte bündeln müssen.
Was meinen Sie damit?
Drei Filialen pro Dorf von drei unterschiedlichen Instituten wird es doch bald schon nicht mehr geben, wenn sich nichts ändert.
Was muss sich denn ändern?
Um eigenständig bleiben zu können, werden viele Banken zentrale Dienste wie beispielsweise die Verwaltung von Kontodaten und die Informationstechnologie auslagern müssen. Es ist doch so: Jede größere Bank ist stolz auf ihre eigene IT, auf eigene Applikationen, obwohl wir doch eigentlich bei der Verarbeitung alle dasselbe machen. Das führt zwangsläufig zu ineffizienten Kostensätzen.
Was soll ausgelagert werden?
Den Kundenkontakt wird jede Bank auch weiterhin selber kontrollieren. Aber ich meine die Abwicklung dahinter, die Maschine, die hinten dran steht. Ich kann mir gut vorstellen, dass man das durch einen dritten Anbieter für eine Reihe von Banken machen lassen könnte. Wenn sich mehrere große Banken zusammentun würden, könnte das Ergebnis sogar als Infrastrukturgesellschaft an die Börse gebracht werden.
Führen Sie da schon Gespräche?
Solche Pläne hatte es in der Vergangenheit verschiedentlich gegeben, schon vor 15 Jahren. Aber im Moment führen wir keine Gespräche. Bei großen Banken wird diese Idee derzeit allerdings etwas virulenter. Gerade auch weil die Regulatoren diese Geldhäuser ohnehin schon als zu groß erachten. Auch kleinere Banken könnten damit den Konsolidierungsdruck abfedern.
Neben den hohen Kosten leiden Banken vor allem unter den Niedrigzinsen. Wie lange werden die Geldhäuser das noch durchhalten?
Die niedrigen Zinsen werden den Druck, die Geschäftsmodelle anzupassen, noch verschärfen. Langfristig schadet die Tiefzinspolitik der Gesellschaft. Wenn es keinen Zinseszinseffekt mehr gibt, bricht das System irgendwann zusammen. Man merkt doch schon jetzt, dass die immer tieferen Zinssätze überhaupt keine Wirkung mehr zeigen und keine Investitionen ankurbeln. Ich halte es für einen großen Fehler, wenn Geld seinen adäquaten Gegenwert verliert. Das wird über kurz oder lang zu negativen Effekten und auch sozialen Problemen führen. Wir brauchen reales Wachstum, also muss massiv in die Infrastruktur und die Bildung investiert werden.
Ein paar Banken haben bereits Strafzinsen für ihre Privatkunden eingeführt. Werden das Einzelfälle bleiben?
Bei der Credit Suisse werden wir auf diesem Niveau jedenfalls keine Negativzinsen auf Girokonten von Privatkunden einführen. Bei noch stärkeren Minuszinsen müssten wir diese Annahme, wie andere Banken auch, aber überprüfen. Bei Strafzinsen ziehen Kunden ihr Geld ab und legen es entweder unter das Kopfkissen oder gehen zur Konkurrenz außerhalb des Bankensektors, was mit großen Risiken verbunden ist.
Die Umsätze fallen bei vielen Banken schneller als die Kosten. Deutsche-Bank-Chef John Cryan hat schon gewarnt, dass eine zusätzliche Sparrunde droht. Werden Sie nicht auch mehr tun müssen?
Die Bankindustrie war lange nicht auf Effizienz getrimmt, weil sie das lange auch nicht musste. Seit 2008 gibt es neue Herausforderungen, sowohl was die Kapital- als auch die Liquiditätskosten betrifft. Und unsere IT-, Compliance- und Rechtskosten sind aufgrund der neuen Regulierungen explodiert. Ohnehin muss ein gut geführtes Unternehmen seine Effizienz jedes Jahr um drei Prozent verbessern. Es gibt hier kein Endziel.
Wie weit ist die Credit Suisse vorangeschritten?
Die Kosten sind bei uns immer noch zu hoch, werden aber weiter gesenkt. Bis 2018 sollen sie absolut unter 18 Milliarden Franken liegen. Das sind nach Berücksichtigung der Investitionen in unsere Wachstumsinitiativen netto mehr als drei Milliarden weniger als zum Zeitpunkt der Ankündigung des Umbaus. Wenn sich das Umfeld massiv verändern sollte, dann muss man bei jedem Unternehmen noch einmal darüber nachdenken, ob das reicht.
Der Aktienkurs der Credit Suisse ist in diesem Jahr um fast die Hälfte abgesackt. Ein Armutszeugnis für die Bank?
Wir haben den Umbau unseres Geschäftsmodells mit dem Chefwechsel zu Tidjane Thiam massiv beschleunigt. Und das zu einer Zeit, in der die Märkte sehr schwierig sind. Dieser Wandel war eine Operation am offenen Herzen. Und wir haben mit den Ergebnissen im vierten Quartal 2015 die Erwartungen enttäuscht. Wir arbeiten hart daran, den weiteren Umbau schnell zu vollziehen, um damit den Aktionären zu beweisen, dass der Weg erfolgreich ist und wir ihr Vertrauen verdient haben. So etwas dauert, das ist uns klar. Zum Aktienkurs nur so viel: Wir sind alle überzeugt, dass sich unsere sehr umfangreichen Maßnahmen auch in einem höheren Aktienkurs widerspiegeln werden. Dabei wissen wir natürlich, dass unsere gesamte Branche unter einer negativen Einschätzung der Investoren leidet.
Das steht im Widerspruch zu dem, was Schweizer Medien schreiben. Thiam wird als abgehoben, ungeeignet und bisweilen geldgeil abgekanzelt. Es gibt Schlagzeilen wie „Wer rettet die CS?“. Was denken Sie darüber?
Das sind haltlose Unterstellungen, die wirklich nichts mit der Realität gemein haben. Wir haben eine gemeinsame Strategie entwickelt, die wir uns sehr gut überlegt haben und von der wir überzeugt sind, dass sie richtig ist. Und unsere großen Investoren stehen hinter dieser Ausrichtung. Auch wenn sie über den Aktienkurs natürlich nicht glücklich sind. Ich kann sagen: Wir tun alles, um die Bank für die Zukunft richtig aufzustellen. Dass die Strategie zu greifen beginnt, haben die Resultate des zweiten Quartals gezeigt.
Trotzdem musste Ihr Vorstandschef Anfang des Jahres nachbessern.
Tidjane Thiam hat nun nochmals eine harte Restrukturierung durchgeführt, nicht nur im Investmentbanking, das ist richtig. Das geht nie vonstatten, ohne dass dabei Tränen fließen und es öffentliche Kritik gibt. Dies und der Aktienkurs formen dann ein schwieriges Bild. Ich bin seit zwölf Jahren in der Bank und kenne viele Angestellte persönlich. Ich weiß aus zahlreichen persönlichen Gesprächen, dass die Belegschaft hinter dem CEO steht. Natürlich sind die Schlagzeilen nicht schön. Das wird sich aber ändern, wenn die Strategie nachhaltige Ergebnisse zeigt.
Dauert die Restrukturierung zu lange?
Das kann man nicht alles innerhalb von 24 Stunden machen. Diese Erwartungshaltung von außen ist ein Problem, das ich auch bei anderen Vorstandschefs mit ähnlichen Restrukturierungsaufgaben sehe. Die Vorstellung, dass das alles ganz schnell geht, ist naiv und falsch.
Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Paul Achleitner musste sich zuletzt anhören, er habe zu lange an John Cryans Vorgänger Anshu Jain und seiner Strategie, das Investmentbanking weiter auszubauen, festgehalten. Müssen Sie sich nicht denselben Schuh anziehen?
Das muss man sich immer fragen. Mit Tidjane Thiams Vorgänger Brady Dougan haben wir die Risiken ebenfalls heruntergefahren und das Kernkapital massiv gestärkt. Seit ich Präsident bin, haben wir das harte Eigenkapital verdreifacht und die Risiken im Investmentbanking mehr als halbiert. Ob das schneller hätte geschehen können, ist immer eine berechtigte Frage. Doch man muss das Machbare vom Wünschbaren unterscheiden.
Haben Sie andere Fehler gemacht?
Wir machen doch alle ständig Fehler. Einer davon war sicherlich, dass wir – auch auf Wunsch der Regulatoren – ab 2010 so stark auf Instrumente wie Coco-Bonds gesetzt haben …
… also Anleihen, deren Besitzer im Notfall automatisch zu Aktionären werden …
… und das hat sich international nicht durchgesetzt. Das müssen wir heute akzeptieren, auch wenn ich diese Instrumente nach wie vor für sinnvoll halte. Da sind andere Banken andere Wege gegangen. Mit dem Wissen von heute würde ich nicht mehr so viele „Cocos“ begeben, sondern direkt mehr festes Eigenkapital.
Angesichts der Krise der europäischen Banken wurde zuletzt wieder die Idee großer Fusionen ins Spiel gebracht. Ist das denkbar?
Wenn es um den Zusammenschluss zweier großer internationaler Banken geht, dann kann ich sagen: Solche Fusionen werden in absehbarer Zeit nicht stattfinden. Banken sollen ja nach Auffassung der Politik und der Regulatoren tendenziell kleiner werden, damit sie ja eben nicht mehr „too big to fail“ sind.
Und wie sieht es bei mittleren und kleinen Instituten aus?
Unter einer gewissen Größe wird es schwierig für eine Bank, in diesem Umfeld noch mitzuhalten. Es sei denn, es handelt sich um einen Nischenanbieter. Die wird es weiter geben.
Was bedeutet das?
Das große Problem haben mittelgroße Banken, die alles anbieten wollen und sich immer größeren regulatorischen Anforderungen gegenüber sehen. Die müssen noch mehr tun als wir, sonst wird es schwierig für sie zu überleben.
Sie waren zweimal Schweizer Meister im Hürdenlaufen. Wenn Sie Ihre Karriere als Hürdenlauf bezeichnen, wo sind Sie gerade angelangt?
Bei der Bank sind wir nun bei der siebten Hürde, entscheidend werden die nächsten drei Hürden, also die nächsten drei Jahre. Danach wird es für unser Unternehmen sicher neue Ziele geben.
Sind Sie auch persönlich bei der siebten Hürde?
Ich mache diesen Job mit vollem Einsatz und werde das gerne auch weiterhin tun.
Also über das Jahr 2018 hinaus?
Mit der Unterstützung der Aktionäre selbstverständlich.
Kommen Sie abseits der Bank überhaupt noch zum Laufen?
Ich versuche, so oft wie möglich zu trainieren. Ich bin inzwischen aber eher auf dem Stepper oder gehe Fahrradfahren. Es gibt nichts Unattraktiveres, als wenn Ex-Hürdenläufer versuchen, mit über fünfzig noch über eine Hürde zu laufen. Das geht meistens schief.
Herr Rohner, vielen Dank für das Interview.