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Nur Bildung kann die Demografie-Katastrophe abwenden

Die demographische Entwicklung in der Welt könnte gegensätzlicher kaum sein. Während in der Wohlstandszone Europa schon seit Jahrzehnten weniger Kinder geboren, als zur Erhaltung des gegenwärtigen Niveaus nötig wären, wächst die Bevölkerung in Afrika und Westasien immer noch mit hoher Geschwindigkeit. Dass die stark wachsenden Gesellschaften in der Mehrheit arm und die stagnierenden bis schrumpfenden wohlhabend sind, führt schon jetzt zu gefährlichen Ungleichgewichten, die ein Grund für die Migrationsströme nach Europa sind.

So gegensätzlich die Problemlagen auch sind, die Lösung ist auf beiden Seiten dieselbe: Nur Bildung, so die Demografen Adrián Carrasco Heiermann, Reiner Klingholz (beide Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung) und Wolfgang Lutz (Vienna Institute of Demography AOW) könne „die Gesellschaften fit für das 21. Jahrhundert machen“. Nur durch verstärkte Anstrengungen bei Bildung und Ausbildung könnten, so die Autoren in einem aktuellen Paper („Mehr Humankapital wagen!“), die entwickelten Länder ihren Problemen alternder Gesellschaften begegnen. Vor allem aber sei Bildung der Schlüssel, um den Teufelskreis von wirtschaftlicher Unterentwicklung und Bevölkerungswachstum in Afrika und Westasien zu brechen.

Ein Bericht der Unesco, der Bildungsorganisation der Vereinten Nationen, unter Vorsitz des ehemaligen Präsidenten der EU-Kommission Jacques Delors hatte schon 1996 festgestellt, dass Bildung „eines der wichtigsten verfügbaren Werkzeuge für eine umfassendere und harmonischere Art der menschlichen Entwicklung“ sei: „Sie kann Armut, Ausgrenzung, Unwissenheit, Unterdrückung und Krieg überwinden helfen.“

Die Frage, was ein gutes Bildungssystem heute ausmache, hat die amerikanische Denkfabrik Brookings 2016 beantwortet. Deren Mitarbeiter haben die Bildungspolitik von 113 Ländern ausgewertet, um die wichtigsten geforderten Fähigkeiten zu identifizieren. Als besonders gefragte Kompetenzen für das 21. Jahrhundert führte sie Kreativität, Problemlösung und kritisches Hinterfragen sowie Kommunikation und Kooperation an. Außerdem soziale Eigenschaften wie Empathie und Solidarität sowie eine „digitale Alphabetisierung“. Sowohl die erfolgreichsten als auch die erfolglosesten Bildungsnationen der jüngeren Zeit sind außerhalb Europas zu finden. Diese Diskrepanz zwischen früheren Kolonien in Afrika und Ostasien, die noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts ähnlich niedrigen Wohlstand und ähnlich hohe Wachstumsraten der Bevölkerung verzeichneten, zeigt, welchen Unterschied Bildung macht.

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Die größten Erfolgsgeschichten durch Bildungsanstrengungen schreiben ostasiatische Staaten wie China, Südkorea und vor allem der Stadtstaat Singapur. Die frühere britische Kolonie ist mittlerweile Bildungsnation Nummer eins in der Welt. Dabei war Singapur zu Beginn der staatlichen Unabhängigkeit ein bettelarmes Land. „Noch 1970“, so Klingholz und Mitautoren, „hatten 56 Prozent der erwachsenen Frauen und fast 30 Prozent der Männer nie eine Schule besucht. Heute erlangen rund 80 Prozent der jungen Frauen und Männer in Singapur einen postsekundären Bildungsabschluss. Nur Südkorea hat weltweit jemals eine ähnlich schnelle Bildungsexpansion erlebt.“

Singapurs Bildungssystem zeichnet dabei eine klare Formulierung der Ziele durch das dortige Bildungsministerium aus: Ähnlich wie in China sollen Kinder vor allem eigene Wege finden, sich Wissen anzueignen. Der Erfolg Singapurs, so die Autoren, beruhe auf der Überzeugung, dass jedes Kind anders lernt und unterschiedliche Stärken und Schwächen hat: „Die Aufgabe des Lehrpersonals ist es die Kinder dabei zu unterstützen, herauszufinden, ob sie sich eher für praktische Berufe eignen, oder ob sie in einer akademischen Laufbahn besser aufgehoben sind. Für beides gilt es, jeweils passende Lernkonzepte anzubieten, die auf die persönlichen Fähigkeiten zugeschnitten sind. Ziel dieser Methode ist es, optimale Berufsmöglichkeiten zu schaffen und Arbeitslosigkeit zu vermeiden.“ Singapur gibt seit 2000 konstant zwischen 17 und 20 Prozent seines Staatshaushaltes für Bildung aus. In Deutschland und Österreich sind es seit Anfang der 1990er Jahre nur zwischen neun und elf Prozent. Der Vorsprung Singapurs in den Mathematik-Fähigkeiten, die der Pisa-Test der OECD ermittelt: etwa zwei Lernjahre vor Finnland, dem europäischen Spitzenreiter in dieser Disziplin.

Die Geschichte der ostasiatischen Staaten seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass erfolgreiche Bildungspolitik Gesellschaften nicht nur wohlhabender, sondern auch politisch stabiler, möglicherweise auch demokratischer macht. Und: Dadurch wurde das Bevölkerungswachstum allmählich zum Stehen gebracht. Singapur und Südkorea sind die Vorbilder dafür, was alle wenig entwickelten Länder tun müssten, damit „der Pfad hin zu einer raschen, nachhaltigen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Welt“ möglich wird.

Dieser entspricht dem optimistischsten von drei Szenarien, die Wissenschaftler am Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital für die Weltbevölkerung bis Ende dieses Jahrhunderts entworfen haben. Das bedeutete, dass „sich bis 2100 überall formal hochgebildete Gesellschaften herausbilden und weniger als ein Prozent der Menschen bliebe ohne Schulbildung. Rund 35 Prozent der Menschen wären mit Sekundär- und zusätzlich rund 51 Prozent sogar mit höherer Bildung ausgestattet. Die Unternehmen könnten so produktiv werden, dass sie der heute noch großen Zahl an jungen Menschen eine Beschäftigung böten und so innovativ, dass sie den Einstieg in eine nachhaltige, ressourcenschonende und klimaneutrale Wirtschaftsform schaffen.“

Klingholz und Kollegen glauben, dass in diesem Fall die Weltgemeinschaft sich stärker für das Allgemeinwohl engagieren, soziale Gerechtigkeit und Demokratisierungsprozesse befördern könne und internationale Kooperation besser möglich wäre. „Die heutigen Entwicklungsländer könnten die umweltgefährdenden Phasen der Industrialisierung überspringen und direkt in eine kohlenstofffreie Ökonomie übergehen. Unter diesen Idealbedingungen würde sich die Menschheit deutlich langsamer vermehren. Sie würde schon 2060 bei etwa 8,5 Milliarden ihr Maximum erreichen und 2100 nur noch 7 Milliarden Häupter zahlen.“
Die Wirklichkeit der Gegenwart bietet allerdings nicht besonders viel Anlass für solchen Globaloptimismus. Daraus machen auch Klingholz und Co. keinen Hehl. Denn die Entwicklung in Westasien und Afrika steht im Gegensatz zu der von Bildungserfolg getriebenen Entwicklung in Ostasien. In ihrer Studie machen Klingholz, Heiermann und Lutz auf die verheerenden Aussichten der seit 2008 stagnierenden Einschulungsrate und der sinkenden Tendenz der öffentlichen Bildungsinvestitionen aufmerksam: „Das wird kurzfristig wenig Folgen, aber längerfristig verheerende Konsequenzen haben.“

Da Bildungsinvestitionen Jahrzehnte brauchen, um ihre volle Wirkung zu entfalten, werden sich auch Versäumnisse im Bildungsbereich erst mit großer Verzögerung zeigen. „So wächst derzeit in Bürgerkriegsländern wie Syrien oder Jemen, wo viele Schulen zerstört sind und regulärer Unterricht kaum stattfinden kann, eine Generation heran, die wenig Chancen hat, an der Entwicklung des 21. Jahrhunderts teilzuhaben und auch nicht die Fähigkeiten erlangt, die für einen möglichen wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau des Landes nötig sind.“