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Nordamerika schließt Handelspakt der Superlative

Alle beteiligten Länder sehen sich als Sieger des Vertrags. Doch vor allem deutsche Autobauer profitieren – wenn sie die strengeren Anforderungen einhalten.

Schon die Ankündigung eines Handelsvertrags ist in diesen Zeiten ein Signal: Denn seit Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten ist, prägen Strafzölle, Sanktionen und Protektionismus das Bild der Weltwirtschaft.

Doch tatsächlich haben sich die USA, Mexiko und Kanada nach schwierigen, mehr als zwei Jahre andauernden Verhandlungen, auf ein Nachfolgeabkommen für den Nafta-Pakt geeinigt. Der Vertrag mit dem sperrigen Namen USMCA (United States Mexico Canada Agreement) ist nicht nur ein Pakt der Superlative: Das Abkommen betrifft fast 500 Millionen Menschen und die Wirtschaftsleistung der drei Länder beträgt rund 23 Billionen Dollar (20,8 Billionen Euro).

Das Abkommen ist auch von höchster Relevanz für die deutsche Wirtschaft – allen voran für die Autoindustrie, die vor allem in Mexiko, aber auch in den USA Produktionsstätten unterhält und darauf angewiesen ist, möglichst zollfrei in die jeweiligen Nachbarländer zu exportieren. Die drei Autobauer haben schon vor Jahren massiv in Mexiko investiert, um von dort aus vor allem in die USA zu liefern.

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Nun stand Trump, der bekanntlich die Selbstvermarktung zur Kunstform erhoben hat, lange im Verdacht, am Ende lediglich den Namen des Pakts zu ändern, um sich dann von seiner Klientel als der große Sieger feiern zu lassen. Doch weit gefehlt: USMCA ist nicht Nafta. Es hat sich tatsächlich einiges geändert für alle beteiligten Partner. Vor allem aber ist es komplizierter geworden.

Und: Alle Seiten betrachten sich als Sieger. Das gilt sogar für die Konfliktparteien innerhalb der USA. Trump hatte – kaum war er im Amt – den Nafta-Vertrag gekündigt, weil er in ihm einen „Betrug am amerikanischen Volk“ sah. Der Präsident, so jedenfalls sieht er es selbst, habe Mexiko und Kanada seinen Willen aufgedrückt.

Die Demokraten im Kongress wiederum wollen den Pakt deutlich verbessert haben. Der Pakt umfasse jetzt unter anderem strengere Regeln für die Rechte von Arbeitnehmern und den Umweltschutz, sagte die Mehrheitsführerin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, am Dienstag. Und ergänzte: „Es ist keine Frage, dass dieses Abkommen besser ist als Nafta.“ USMCA umfasse auch stärkere Mechanismen zur Durchsetzung der vereinbarten Normen. „Wir feiern heute einen Sieg für amerikanische Arbeiter“, so Pelosi. Tatsächlich begrüßten auch die Gewerkschaften die Einigung.

In Kürze soll der Vertrag vom US-Kongress ratifiziert werden und dann schnell an die Stelle des 1994 abgeschlossenen nordamerikanischen Freihandelspakts Nafta treten. Ein Vertragszusatz mit den nachverhandelten Punkten wurde noch am Dienstag in Mexiko-Stadt unterschrieben. Der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer und Kanadas Vizepremierministerin Chrystia Freeland trafen sich dort mit dem mexikanischen Unterhändler Jesús Seade.

Das Handelsabkommen baut großteils auf Nafta auf, sieht aber unter anderem neue Regelungen für die Autoindustrie vor, gewährt US-Farmern besseren Zugang zu den Märkten in den Nachbarländern und umfasst Vorschriften für den Schutz geistigen Eigentums und den Handel im Bereich Digitales. Letzteres spielte vor 25 Jahren noch kaum eine Rolle. Nun gilt zum Beispiel, dass elektronisch vertriebene Bücher, Musik, Spiele und Software zollfrei gehandelt werden dürfen.

Neue Richtlinien für Autoindustrie

Kompliziert wird es besonders für die Autoindustrie. Denn der neue Vertrag legt auch neue Grenzwerte fest, zu wie viel Prozent ein Auto in einem der Mitgliedsländer gefertigt sein muss, um zollfrei exportiert werden zu können. Das wird auch deutsche Unternehmen wie Volkswagen oder BMW betreffen, die in Nordamerika produzieren.

Ein weiterer Teil zielt darauf ab, dass 40 bis 45 Prozent der Bauteile, die für ein Auto gebraucht werden, von Arbeitern gefertigt werden, die mindestens 16 Dollar pro Stunde verdienen. Auf diese Weise will Trump es weniger attraktiv machen, Jobs nach Mexiko zu verlagern. Auch die vorgesehene Stärkung von Arbeitnehmerrechten zielt darauf ab. „Das ist eines der besten je für dieses Land abgeschlossenen Handelsabkommen“, hatte der US-Präsident noch am Montag gesagt.

Die Veränderungen sind für die deutsche Autoindustrie nicht einfach. Aber die Tatsache, dass es überhaupt einen Nafta-Nachfolgevertrag gibt, sorgt für große Erleichterung bei den Konzernen. Denn es stand viel auf dem Spiel. Für die deutsche Autoindustrie ist Nordamerika neben China und Europa schon heute die wichtigste Absatzregion der Welt. Mehr als 1,3 Millionen Autos verkaufen die heimischen Hersteller jährlich allein in den USA.
In den mehr als 330 US-Fabriken der deutschen Autobauer arbeiten fast 120 000 Beschäftigte. Vor allem die Vorschrift, dass ab 2023 drei Viertel statt wie bisher 62 Prozent der Wertschöpfung eines Fahrzeugs in Nordamerika erbracht werden müssen, damit keine zusätzlichen Zölle anfallen, bringt die Autobauer in Zugzwang. Heute erfüllen weder die deutschen noch die japanischen Autobauer diese Vorgabe. Daimler und BMW, die beide im Süden der USA große Produktionsstätten unterhalten, kommen aktuell auf Werte von grob 65 bis 70 Prozent.

Um den Anteil der lokalen Wertschöpfung weiter zu erhöhen, werden die Konzerne nicht darum herumkommen, wichtige Komponenten wie Getriebe und Motoren künftig verstärkt vor Ort herzustellen oder zuzukaufen, statt aus Europa zu importieren. „Wir müssen lokal mehr investieren“, sagt ein hochrangiger deutscher Automanager.

An der Bereitschaft dazu scheitert es nicht. BMW hat bereits signalisiert, Getriebe demnächst aus US-Werken zu beziehen, und Daimler errichtet gerade eine Batteriefabrik und ein Logistikzentrum nahe seinem Mammutwerk in Tuscaloosa im US-Bundesstaat Alabama.

Dabei hilft, dass die Stückzahlen ohnehin steigen. So plant etwa BMW, seine Produktion in South Carolina von 380 000 auf 450 000 Autos pro Jahr zu erhöhen. Gemeinsam mit einem neuen Werk, das die Münchener gerade in Mexiko hochziehen, dürfte der Import von Motoren und Getrieben nach Nordamerika mittelfristig ohnehin wirtschaftlich kaum noch Sinn machen und somit obsolet werden.

„Das neue Freihandelsabkommen ist eigentlich eine gute Sache. Es ist ja auch eine Absicherung für die Fabriken der deutschen Konzerne in Mexiko“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research (CAR). Der Branchenkenner ist sicher: „Der erhöhte lokale Wertschöpfungsanteil dürfte kein großes Problem darstellen.“ Die großen heimischen Hersteller und ihre Zulieferer sind allesamt bereits in Nordamerika vertreten. Zudem nimmt der Grad der Lokalisierung in der Fahrzeugproduktion aufgrund steigender Logistikkosten tendenziell sowieso zu.

Mexikos Präsident zufrieden

Auch Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador zeigte sich zufrieden mit den Änderungen. „Wir haben mehr als ein Jahr damit verbracht, und es war nicht einfach“, sagte er. „Letztlich ist es ein gutes Resultat – und ich würde sagen: Nicht nur für Mexiko, sondern es ist gut für alle drei Länder.“ Mehr noch: Es sei ein Vertrag von „weltweiter Dimension“.

Die Staats- und Regierungschefs der drei Länder hatten den USMCA-Vertrag ursprünglich Ende vergangenen Jahres am Rande des G20-Gipfels in Buenos Aires unterzeichnet. Mexiko hat das Abkommen als bislang einziges der drei Länder bereits ratifiziert.

Tatsächlich kann die neue Linksregierung von Obrador mit der Unterzeichnung des Vertrags nach vielen Rückschlägen endlich einen Erfolg auf wirtschaftlichem Gebiet vermelden. Gerade erst ist die zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas in eine Rezession gerutscht. Und die Zentralbank Banxico kürzte auch die Wachstumsaussichten für 2020 auf maximal 0,8 bis 1,8 Prozent – für ein Schwellenland ein schwacher Wert.

Als positive Signale bewerteten auch der mexikanische Unternehmerverband CCE und Vertreter der deutschen Unternehmen im Land den Vertrag. Die Unterzeichnung sei ein „starkes Signal der Sicherheit für die Investoren“ in den drei nordamerikanischen Staaten, erklärte der Verband.

Das Abkommen helfe, die Produktionsketten zu stärken und mehr Arbeitsplätze in Mexiko zu schaffen. Insbesondere die für Mexiko bedeutende Automobilindustrie hat nach drei Jahren Ungewissheit jetzt Planungssicherheit.

Notwendige Klarheit für KFZ-Industrie

Mit 139 Milliarden Dollar machte die Fahrzeugproduktion vergangenes Jahr elf Prozent des mexikanischen Bruttoinlandsprodukts aus. Für die deutsche KFZ-Industrie, die in Mexiko mit fast allen wichtigen Herstellern vertreten ist, bringt die Unterzeichnung notwendige Klarheit, auch wenn der USMCA-Vertrag die Anforderungen an den Sektor komplizierter mache.

Ausgehend von dem „schwarzen Szenario“, also kein Nachfolgevertrag für Nafta, sei das jetzige Abkommen eine zufriedenstellende Lösung, sagte Johannes Hauser, Geschäftsführer der Deutsch-Mexikanischen Handelskammer CAMEXA. „Jetzt sind die großen Linien definiert, aber die praktische Umsetzung lässt noch einige Fragen offen“, so Hauser.

Allerdings hätten sich die USA „in besonderer Weise durchgesetzt“ in dem neuen Abkommen. Besonders kompliziert sei die Klausel, die 70 Prozent des Stahls, das künftig verbaut wird, aus dem NAFTA-Raum kommen muss. Aus der lokalen Autoindustrie heißt es dazu, dass in der Region kaum die Kapazitäten existieren, um diese Anforderung des Abkommens zu erfüllen.

Nach Inkrafttreten des USMCA-Vertrags müssen ferner 75 Prozent eines Autos im nordamerikanischen Raum erstellt worden sein, damit es zollfrei gehandelt werden kann. Bisher waren es 62,5 Prozent. Auch das erschwert künftig die Produktion und die Logistik.

Die 16 Dollar Mindestlohn-Vorgabe ist der großen Lohnschere geschuldet, die zwischen Mexiko auf der einen und den USA und Kanada auf der anderen Seite herrscht. Mexikanische Stundenlöhne liegen je nach Bereich vier bis sechs Mal unter dem Niveau der Vereinigten Staaten. Im Schnitt verdient ein mexikanischer Arbeiter pro Tag 14,63 Dollar (13,18 Euro).

Die USA und die kanadischen Gewerkschaften halten das für Lohndumping. Aber viele internationale Unternehmen kommen gerade wegen der niedrigen Löhne nach Mexiko. Immerhin hat Mexikos Präsident zugesagt, dass der Mindestlohn jedes Jahr mindestens um zwei Prozent über der Inflationsrate steigen wird.

Handel mit USA für Kanada lebensnotwendig

Für die kanadische Regierung kam es bei den Verhandlungen vor allem darauf, den Zugang zum US-Markt zu erhalten. Denn für Kanada ist der Handel mit den USA lebensnotwendig. Im Jahr 2018 exportierte Kanada Güter im Wert von 585 Milliarden Can-Dollar (386 Milliarde Euro) – von denen etwa 73 Prozent in die USA gingen. Die Unsicherheit über die Zukunft des nordamerikanischen Handels belastete seit Längerem die kanadische Volkswirtschaft.

Premierminister Justin Trudeau hatte seine frühere Handels- und Außenministerin Chrystia Freeland, die nach der Wahl vom Oktober zur stellvertretenden Premierministerin aufstieg, mit den Beziehungen zu den USA beauftragt. Sie war Gegenpart des US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer. Das Zustandekommens des Vertrags hat Trudeau vor allem Freeland zu verdanken.

„Wir schafften es zur Ziellinie, weil wir lernten, wie man zusammenarbeitet“, sagte Freeland bei der Unterzeichnungszeremonie in Mexiko. Es seien „mühsame, zeitweise nervenaufreibende Verhandlungen“ gewesen. Am Ende hätten sich Kanada, die USA und Mexiko auf Änderungen verständigt, die den Streitschlichtungsmechanismus zwischen den Staaten, Arbeits- und Umweltschutz, den Schutz geistigen Eigentums und die Regeln über Herkunft von Autoteilen verbessern. Dies sei ein „exzellenter“ Deal für kanadische Arbeiter, auf den jedermann stolz sein könne, sagte Freeland.

„Ironischerweise“, so schreibt die kanadische Tageszeitung „Globe and Mail“, hätten die US-Demokraten die Regierung Trump zu Zugeständnissen gezwungen, die ursprünglich auch Kanadas Forderungen gewesen seien, die sie aber nicht hätten durchsetzen können. Dies bezieht sich unter anderem auf die Beseitigung von Vorschriften, die große Pharmaunternehmen über zehn Jahre vor Wettbewerb durch Generika-Produzenten geschützt hätte und Medikamente für Kanadier hätten teurer machen können.

„Einigung auch aus deutscher Sicht eine gute Nachricht“

Für Thomas Beck, Geschäftsführer der Deutsch-Kanadischen Industrie- und Handelskammer in Toronto, ist die Einigung auf einen neuen Vertrag auch aus deutscher Sicht eine gute Nachricht. Kanada hat in Europa stets damit geworben, dass es mit seiner Unternehmenskultur, mit Gesundheits- und Ausbildungswesen ein attraktiver Standort sei und mit Investitionen in Kanada auch der Zugang zum US-amerikanischen Markt gegeben sei. „Dass nach jahrelangen Verhandlungen und Ungewissheit nun eine Vereinbarung vorliegt, schafft Rechtssicherheit“, sagte Beck.

In den vergangenen drei bis vier Jahren habe es kaum noch deutsche Neuansiedlungen gegeben. „Wir haben die große Investition von K+S mit ihrem Kalibergwerk in Saskatchewan und ein Pizzawerk von Dr. Oetker in Ontario, aber der deutsche Mittelstand verhielt sich sehr abwartend.“ Allein die Drohung von Donald Trump mit dem Ende von Nafta habe offensichtlich abschreckend gewirkt. „Diese Rechtsunsicherheit ist nun vom Tisch.“

Die liberale Regierung Trudeau hat im Parlament in Ottawa zwar keine eigene Mehrheit, muss aber nicht befürchten, dass der Vertrag im Ratifizierungsprozess scheitern könnte. Die Konservativen als stärkste Oppositionspartei hatten im Wahlkampf zwar die Verhandlungsführung der Regierung kritisiert, sie wollen das Abkommen im Parlament aber unterstützen.

Der Unternehmerverband „Business Council of Canada“ begrüßte die Einigung. Das neue Abkommen werde Kanadas Wirtschaft stärken. Die Unterzeichnung „bekräftigt die vitalen ökonomischen Bindungen zwischen unseren drei Ländern“, sagte Präsident Goldy Hyder in Ottawa.

Die Gewerkschaft der Stahlarbeiter USW begrüßt zwar Verbesserungen im Abkommen gegenüber der ursprünglichen Version, befürchtet aber negative Auswirkungen auf die kanadische Aluminiumproduktion, weil es keine stärkeren Vorschriften für die Verwendung von Aluminium aus Nordamerika bei der Autoproduktion enthalte.

Die Gewerkschaft hatte einen nordamerikanischen Anteil von 70 Prozent gefordert, was aber nun offenbar nicht festgeschrieben worden sei. Kanada sei der größte Aluminiumproduzent in Nordamerika und der Verzicht auf striktere Regeln werde es Ländern wie China, Russland und anderen leicht machen, weiter den nordamerikanischen Markt zu überfluten“, sagte Ken Neumann, Vorsitzender der kanadischen Sektion der United Steelworkers.